23. Oktober 2008
In guter Gesellschaft: Günter Rohrbach
Nachwort zu einer Publikation der Deutschen Filmakademie
Günter Rohrbach, seine Texte, seine Professionen
Zuerst ist das Saarland seine Heimat, denn dort wurde er geboren. Dann studiert er in Bonn, Paris und München. Das erweitert seinen Horizont. Danach lebt und arbeitet er eine Weile in Bonn. Das ist ihm zu klein. Schließlich gibt es zwei Städte, die er sich nacheinander zur Heimat macht: Köln und München. Das ist nicht die große Welt, aber sie werden seine Arbeits- und Lebensmittelpunkte. Er bekennt sich immer wieder zu seinen deutschen Wurzeln. Die Ambivalenz dieses Landes ist ihm bewußt, denn er hat den Krieg erlebt, und er fühlt eine Verantwortung auch für das, was er nicht unmittelbar zu verantworten hat. Davon handeln manche Texte, die Günter Rohrbach schreibt, und manche Filme, die er produziert.
Er hat eine Affinität zum Theater. Aber er wird kein Darsteller und kein Schauspieldirektor. Er hat eine Affinität zur Literatur. Aber er wird kein Schriftsteller und kein Verleger. Er hat eine Affinität zum Film. Aber er wird kein Drehbuchautor und schon gar kein Regisseur. Er ist ein deut-scher Intellektueller des 20. Jahrhunderts und macht Karriere, weil er sich mutig, klug und ehrgeizig in eine noch junge Branche hinein-arbeitet: das Fernsehen. Das hat etwas mit Theater und mit Literatur und mit Film zu tun. Aber er sucht das ganz Eigene im Fernsehen. Und wenn es das noch nicht gibt, dann sorgt er dafür, daß es erfunden wird. Er ist ein Pfadfinder und Entdecker auf der Strecke vom alten Fernseh-spiel zum neuen Fernsehfilm. Und er bietet sich als Partner an, als der Neue Deutsche Film seinen Anspruch auf die Zukunft einfordert. Manchmal ist es wichtig, zum richtigen Zeitpunkt an einer entschei-denden Stelle zu sein. Zum Beispiel als Leiter einer Hauptabteilung im WDR, dem größten Sender der ARD. Aber ich beschleunige jetzt seine Biographie, die ganz anders begann.
Der Sohn
Geboren 1928 in Neunkirchen im Saarland. Der Vater ist kaufmän-nischer Angestell- ter und NSDAP-Mitglied, die Mutter Hausfrau. Zur Literatur muß man da seine eigenen Wege finden. Immerhin gibt es einen Onkel, der zum Niemöller-Flügel der Bekennenden Kirche gehört. Als Günter zwölf ist, können die Eltern noch stolz auf den stramm deutsch denkenden Sohn sein, mit 14 – nach der Niederlage bei Stalingrad – zweifelt er an einem Endsieg. Für einen Flakhelfer findet man ihn mit 16 zu klein und schwächlich. Er arrangiert dann lieber bunte Abende für die HJ.
Nach dem Zusammenbruch hilft ihm zuerst die Kirche, dann die Lektüre von Nietzsche und schließlich alles, was als Kultur gilt. 1949, mit fast 21, macht Günter Rohrbach Abitur. Die Eltern drängen ihn zu einem Studium, obwohl er eigentlich gleich zum Theater will. Sein Kompromiß: studieren und Theater spielen und viel ins Kino gehen. Vor allem fürs Kino ist Paris (ein Semester) der richtige Ort. Als paradig-matische Filme erweisen sich natürlich ORPHÉE und LES ENFANTS DU PARADIS. Und in München (drei Semester) ist Fritz Kortner sein Gott. Als gehorsamer Sohn schließt man das Studium ab: in Bonn, mit einer Dissertation über Grimmelshausen, gewidmet „Meinen guten Eltern“.
Der Autor
Aber da ist Günter Rohrbach längst das, was uns hier besonders inter-essiert: ein Autor. Es existiert ein frühes Stück Prosa, publiziert in der Saarbrücker Zeitung. Das handelt von einer Heimkehr aus dem Krieg und hat – auch sprachlich – einen traumatischen Gestus. Da gibt es die Frau und einen anderen Mann, der einmal sein Freund war, da gibt es Schatten der verlorenen Zeit, Regen, Nacht und erloschene Hoffnung. So stelle ich mir das Deutschlandbild eines sensiblen jungen Mannes im Jahr 1949 vor.
Ich kenne sonst keine Erzählungen von Günter Rohrbach, auch keine Romane, Drehbücher oder Theaterstücke. Er ist ein leidenschaftlicher und kritischer Leser von Fiktionen, als ihr Autor fühlt er sich überfor-dert. Das begründet auch seinen Respekt vor Drehbuchautoren, mit denen er heftig diskutieren kann, mit denen er aber nicht konkurrieren möchte. Wenn er schreibt, geht es ihm um ein Thema oder eine Sache, nicht um das eigene Spiel mit der Phantasie. Er schreibt pointiert, auch mal provokant, er kennt die Spielregeln für einen Text: Ein guter Ein-stieg (oder „Aufhänger“) ist hilfreich, ein brillanter Schluß bleibt eine Weile in Erinnerung. Für die Mühen der Ebene sind präzise Informa-tionen, gelegentliche Zuspitzungen und anschauliche Sprachbilder nützlich. Die Kompetenz für ein Thema leitet sich auch aus der Pro-fession ab. Am Ende vieler Texte steht lakonisch „Der Autor lebt als Film- und Fernsehproduzent in München.“ Sein Name hat nicht nur in der Branche einen guten Klang.
Der Deutsche
Als deutsche Politiker im Frühjahr 2001 eine Debatte über den Natio-nalstolz vom Zaun brechen, meldet sich auch Günter Rohrbach zu Wort: „Vom Glück, ein Deut- scher zu sein“. Der Text enthält mehr autobiographische Verweise als jeder andere, er spielt mit den histo-rischen Wechselfällen des 20. Jahrhunderts und auch mit den Alternativen, ein Engländer, ein Amerikaner oder gar ein Italiener zu sein. Aber: „Ich habe es mir nicht aussuchen können“ – und eine wirkliche Alternative käme ihm ohnehin nicht in den Sinn. Sein Bekenntnis zu Deutschland ist auch ein Bekenntnis zur Vergangenheit. Die Abgründe des Nationalsozialismus, die im Film und im Fernsehen immer wieder thematisiert werden müssen, gehören dazu. Als Martin Walser in seiner Dankesrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels die „unaufhörliche Präsentation unserer Schande“ beklagt, fühlt sich Günter Rohrbach gemeint und antwortet in der FAZ: „Ich präsentiere die Schande.“
Er hat in der Tat mit dem Ankauf der amerikanischen HOLOCAUST-Serie, mit der Produktion von DAS BOOT, STALINGRAD und AIMÉE & JAGUAR bis zu seinem neuen Film ANONYMA – EINE FRAU AUS BERLIN immer wieder deutsche Geschichte ins Wahrnehmungs-zentrum gestellt. Die Formen dafür waren ganz unterschiedlich, die Zielrichtung ist immer die gleiche: Geschichte darf nicht einfach vergessen werden. Auch der Bericht über seine Reise nach Stalingrad ist in jedem Moment der Text eines Deutschen, der sich auf eine Spuren-suche macht. Und wenn Rohrbach mit der Bavaria den vierteiligen Fernsehfilm VÄTER UND SÖHNE (1985) produziert, dann ist das Drama der Verstrickungen der deutschen Wirtschaft ein Stück späte Aufklärung, für die es nie zu spät ist. Günter Rohrbach hofft auf die Neugierde der kommenden Generationen, denen es allerdings noch schwerer zu vermitteln ist, daß die Deut- schen damals von nichts gewußt haben wollen. Je weiter der Nationalsozialismus sich von uns entfernt, um so mehr sollten wir über ihn erfahren. Einer wie Rohrbach ist sich da seiner Verantwortung bewußt.
Der Germanist
Von 1950 bis 1957 studiert Günter Rohrbach Germanistik, Philosophie, Psychologie und Theaterwissenschaft. Er fühlt sich nicht als Theore-tiker, er will auf keinen Fall eine wissenschaftliche Laufbahn ein-schlagen. Immerhin: Er promoviert in Germanistik. Sein Doktorvater, Professor Günther Weydt, ist Spezialist für Barockliteratur und die Zentralfigur im „Bonner Grimmelhausenkreis“. Rohrbachs Dissertation trägt den Titel „Figur und Charakter. Strukturuntersuchungen an Grim-melhausens Simplicissimus“. In seiner Einleitung, das gehört sich so, setzt sich der Autor mit der einschlägigen Literatur auseinander. Rohr-bach argumentiert gegenüber den renommierten Grimmelshausen-Forschern respektvoll, aber selbstbewußt. Er referiert die Thesen von J.H. Scholte, Julius Petersen und Melitta Gerhard zum deutschen Entwicklungsroman und widerspricht ihnen vehement. Er kann sich dabei auf den nur wenig älteren Leo Domagalla beziehen, formuliert aber eine ganz eigenständige Sicht- weise. So ein kleiner Wissen-schaftsstreit muß uns vielleicht kaum noch interessieren, aber er verrät etwas von der Haltung eines denkenden Autors, der nicht nur referieren will, sondern Position bezieht. Kein Zweifel, daß Günter Rohrbach auch die komplexe Narrenfigur des „Simplicius Simplicissimus Teutsch“ gut gefallen hat.
Der Journalist
Er hat den Journalismus, wie man so sagt, „von der Pike auf“ gelernt. Günter Rohrbach volontiert ab 1957 zwei Jahre beim Bonner General-anzeiger in allen Ressorts, Schwerpunkt: Lokalredaktion. Glück-wünsche zum Geburtstag, Veranstaltungen, Berichte aus der Region. Das ist eine harte Schule, bei der man lernt, wie wichtig es ist, daß vor allem die Namen und die Daten stimmen. Und dann arbeitet er beim Generalanzeiger noch ein Jahr als Gerichtsreporter. Verhandelt werden vor dem Landgericht keine Menschheitsverbrechen, sondern verhält-nismäßig kleine Delikte. So wird man als Beobachter aufmerksam für individuelle Schicksale und muß in den vorgegebenen Formen ver-suchen, die Tat, die Verhandlung und das Urteil plausibel zu machen. Es gibt Meister in diesem Genre (ich denke an Gerhard Mauz und Gisela Friedrichsen). Für Günter Rohrbach ist Bonn keine dauerhafte Autoren-station. Sie stabilisiert seine journalistische Professionalität. Aber der Generalanzeiger und die Presse überhaupt sind nicht seine Zukunft. Er will mehr. Das Schreiben ist ihm eigentlich nur ein Mittel zum Zweck.
Der Filmkritiker
Der Bonner Studienkollege Wilfried Berghahn holt Günter Rohrbach 1959 in den Autorenkreis der Zeitschrift Filmkritik, die von Enno Patalas in München herausgegeben wird. Durch Diskussionen des universitären Filmclubs, zu dessen Mitarbeitern auch Gerd Albrecht, Jürgen Habermas, Stefan Meuschel und Reinold E. Thiel gehören, ist Rohrbach im kritischen Umgang mit Filmen geschult. Er schreibt in den folgenden vier Jahren insgesamt 35 Kritiken (fünf sind in diesem Band nachgedruckt). Französische und italienische Filme finden dabei hohe Anerkennung, die amerikanischen sind ihm in der Regel zu trivial. Die Unterhaltungsansprüche eines Films werden weitgehend negiert. Das hat natürlich auch mit der Programmatik der Filmkritik zu tun, die gegen den Feuilletonismus der Zeitungen opponiert und eine neue, ideologiekritische Perspektive für den Film einfordert. Die „Frankfurter Schule“ von Adorno und Horkheimer läßt väterlich grüßen. Enno Patalas und Wilfried Berghahn konfrontieren 1961 „alte“ und „neue“ Kritik in ihrem berühmt gewordenen Aufsatz „Gibt es eine linke Kritik“? Es ist klar, daß sich Rohrbach der neuen, linken Kritik zugehörig fühlt.
Seine Texte, gezeichnet mit den Initialen G.R., später auch mit rob, suchen in den Filmen vor allem die Themen, die Inhalte, die Bezüge zur Realität und die dafür angemessene Form. Es ist die Zeit der Nouvelle Vague, des italienischen Kinos von Antonioni und Fellini, des Wartens auf einen Neuen Deutschen Film. Rohrbachs Kritik an THE NUN’S STORY ist vergleichsweise moderat: „Fred Zinnemanns in allen Phasen einheitlich perfekt gemachter Film rollt als groß angelegter religiöser Bilder- bogen nahtlos ab. Am eindrucksvollsten schildert die Kamera einige Phasen des klösterlichen Zeremoniells, die dem Regisseur jedoch gelegentlich ins Opernhafte entgleiten.“ Dafür gibt es in der damals üblichen Bewertungstabelle der Filmkritik (Skala zwischen minus 1 und plus 3) einen Pluspunkt. Schlimmer sind die Schiedssprüche für SPARTACUS von Stanley Kubrick (minus 1) und natürlich für ALAMO von John Wayne (ebenfalls minus 1). Mit diesen Urteilen ist Günter Rohrbach aber ganz auf der Höhe seiner Zeit. Sein letzter Text als Filmkritiker datiert vom März 1963. Er gilt dem sowjetischen Film NEUN TAGE EINES JAHRES von Michail Romm, entdeckt dort einerseits eine Nähe zu den Frauengestalten Antonionis, sieht aber andererseits eine Nachbarschaft zur Ufa der dreißiger und vierziger Jahre. „Der Wissenschaftler, der ohne Rücksicht auf seine private Existenz heroisch seinem Ziel entgegenstrebt, ist uns aus zahllosen großdeutschen Leinwandmonumenten wohl- vertraut. Freilich darf NEUN TAGE EINES JAHRES den Anspruch erheben, seine Botschaft mit weniger Pathos und größerer Differenziertheit vorgetragen zu haben, als es hierzulande Sitte war. Gleichwohl bleibt das Klischee als Ärgernis bestehen.“ Mit diesem Resümee verabschiedet sich der Filmkritiker Günter Rohrbach von uns.
Der Fernsehredakteur und Hauptabteilungsleiter
Sein Einstieg in die Welt des Fernsehens ist eigentlich ideal: Er wird Assistent des WDR-Fernsehdirektors Hans-Joachim Lange. Besser kann man als Neuling die Strukturen eines Hauses kaum kennen-lernen. In der Bundesrepublik gibt es zu dieser Zeit erst ein Fernseh-programm, und der WDR ist der größte Sender im Verbund der ARD. Die Sechziger sind noch eine Zeit des Experimentierens, der Versuche, auch der kulturellen Ansprüche. Günter Rohrbach steigt – nach eigenem Bekunden – mit Ehrgeiz und Elan ein, macht sich mit kritischen Bemerkungen nicht nur Freunde und wird andererseits unentbehrlich. Der Intendant Klaus von Bismarck befördert ihn nach zwei Jahren zum Leiter einer Gruppe, die das Dritte Programm vorbereiten soll. Er holt sich Peter Märthesheimer, Reinold E. Thiel, Herbert Janssen und entwickelt mit ihnen Konzepte. Aus dieser Zeit gibt es keine publizierten Texte. Vielleicht liegen einige interne Berichte oder Aktenvermerke noch im Archiv des WDR.
Nach zwei Jahren erfolgt der nächste Sprung: Rohrbach wird Leiter der Hauptabteilung „Fernsehspiel“. Damit erfüllt sich so etwas wie ein Traum. Noch sind die Produktionen dieses Bereichs sehr theaterfixiert, der WDR lebt vorwiegend von den Zulieferungen der Bavaria. Man orientiert sich am klassischen englischen Fernsehspiel. Beim benach-barten NDR hat Egon Monk bereits damit begonnen, die Realität der deutschen Geschichte und der Gegenwart ins Fernsehspiel zu holen. Auch Rohrbach will aus den Studios und den Kulissen hinaus auf die Straße, ins wirkliche Leben. Es ist nicht einfach, dafür die Autoren und Regisseure zu finden, die Vorbilder der Nouvelle Vague setzen hohe Maßstäbe. In seinem paradigmatischen Text „Bildungstheater oder Zeittheater“ (1966) beschreibt er die ästhetischen und technischen Voraussetzungen einer neuen Fernsehspieldramaturgie. Er holt sich Volker Canaris, Peter Märthesheimer und Joachim von Mengershausen in die Redaktion, Gunther Witte ist schon da, Wolf-Dietrich Brücker kommt etwas später. Mit ihnen schafft Rohrbach den Übergang in die siebziger Jahre und macht das WDR-Fernsehspiel zum erfolgreichen Medienlabor. Sein wichtigster Partner ist dabei der Neue Deutsche Film: Costard, Fassbinder, Hauff, Lemke, Reitz, Thome, Wenders. Ab 1972 wird der Programmbereich größer (es kommt die Unterhaltung hinzu) und das Spektrum noch breiter: Tatort, Serie, Talkshow.
In drei hier nachgedruckten Texten werden die strukturellen Verän-derungen des Fernsehens in den Siebzigern von Rohrbach beispielhaft beschrieben: „Das gefügige Medium“ (1972, über die Konformität und ihre gelegentliche Überwindung am Beispiel von NICHT DER HOMO-SEXUELLE IST PERVERS, SONDERN DIE SITUATION, IN DER ER LEBT von Rosa von Praunheim), „Arbeitsplatzbeschreibung“ (1976, wie sich subjektive Erfahrungen und objektive Gegebenheiten bei einem leitenden Fernseh- angestellten in die Quere kommen – ein brillanter Text!) und „Plädoyer für den amphibischen Film“ (1977, die These von der gleichberechtigten Verwertung bestimmter Filme im Kino und im Fernsehen). Vor allem der letzte Text hat einen ambivalenten Nachhall bis in die Gegenwart. Vielleicht auch, weil mit dem „Amphibischen“ als einer Metapher für Anpassung keine Sympathien zu gewinnen sind. Vernunft und Realität haben dennoch zwischen Kino und Fernsehen für einen gewissen Frieden gesorgt. Günter Rohrbach thematisiert das in wohl jedem Text, der sich mit Film und/oder Fernsehen beschäftigt. In den achtziger Jahren, als er bereits bei der Bavaria ist, ändert sich die bundesdeutsche Fernsehlandschaft im übrigen noch einmal in ihren Grundfesten: Es kommen die privaten Anbieter und konkurrieren mit dem bestehenden öffentlich-rechtlichen System. Die Produktion steigt, das Niveau sinkt.
Der Bavaria-Chef
Die achtziger und die frühen neunziger Jahre sind seine Bavaria-Zeit. Sie beginnen mit der wohl größten Herausforderung für Günter Rohr-bach: DAS BOOT zu produzieren, den bis dahin teuersten deutschen Film. Wolfgang Petersen, ihm aus der WDR-Zeit verbunden, ist der Regisseur seiner Wahl, der auch das Drehbuch schreibt, Lothar- Günther Buchheim, der Autor der Buchvorlage, spielt sein eigenes Spiel, die Professionalität des Teams und das Durchhaltevermögen der Schau-spieler führt das Unternehmen zum Erfolg. Das Risiko war groß, die Bilanz ist positiv. In diesem Buch haben wir dem BOOT ein eigenes Kapitel gewidmet. Denn der Film spielt nicht nur Geld ein, sondern auch viel Ehre: Es gibt Nominierungen für den Oscar, den Grammy, den BAFTA-Award. Als Bavaria-Chef darf man da stolz sein (und ein bißchen erstaunt darüber, daß die deutsche Kritik mit dem Film nicht viel anfangen kann; sie mäkelt überwiegend.) Auch andere Groß-projekte, Fassbinders BERLIN ALEXANDERPLATZ, Emmerichs ROTE ERDE, fallen in Rohrbachs erste Münchner Jahre. Es folgen Schimanski, die Loriot-Filme, die Dominik-Graf-Filme, die Helmut-Dietl-Filme. Und als sich die Mauer in Deutschland öffnet, heißt es einfach GO, TRABI, GO. Auch für das Populäre ist die Bavaria zuständig. 1994 verläßt Günter Rohrbach die Firma und wird freier Produzent. Er hat zunächst Angst, in ein Loch zu fallen, aber er ist gut vernetzt.
Der Produzent
Welches Bild haben wir von einem Filmproduzenten? Natürlich ein falsches, ein Klischee, weil wir immer an Hollywood denken, an die Männer mit dem vielen Geld, den schönen Frauen, den teuren Autos, den großen Villen in Beverly Hills. Günter Rohrbach klärt uns auf. In der Reihe Verblaßte Mythen der Süddeutschen Zeitung, in der es auch um Hausärzte und Verleger, den Sonntag, die Regierungserklärung oder das Stundenhotel geht, rechnet er mit dem Bild ab, das wir uns von seinem Beruf machen. Es geht um den Premierenabend, den Tag danach (Zeitungskritiken), die Besucherzahlen des Wochenendes, es geht aber vor allem um die Zeit bis zur Premiere: Idee, Stoff, Drehbuch, die Suche nach dem geeigneten Regisseur, Casting, Team, Finan-zierung, Fördergremien, Fernsehanstalten, die letzte Drehbuchfassung, die Drehzeit, die Muster im Schneideraum, die Rohschnittabnahme, die Konzeption einer Kampagne und dann eben die Premiere. Warum tut sich ein Produzent das an? Günter Rohrbach gibt Antworten auf diese Frage. Sie beschreiben in aller Vorsicht das Glück, noch immer ein Produzent zu sein.
Um sein eigenes Berufsbild herum schreibt und assoziiert er immer wieder über andere Berufe: den Intendanten (der er nie sein wollte), den Regisseur (dessen Macht ihm unangemessen und verhängnisvoll erscheint), den Production Designer (dessen Handwerk ihm Respekt einflößt), den Drehbuchautor (dessen Rolle er gestärkt sehen will) und den Kritiker (den zu verachten er gelernt hat). Und dann macht er sich natürlich Gedanken über den Zuschauer, das unbekannte Wesen. Denn für dieses unbekannte Wesen produziert er schließlich Filme. Erfolg-reiche (wie AIMÉE & JAGUAR oder DIE WEISSE MASSAI) und weniger erfolgreiche (DIE STURZFLIEGER oder FETTE WELT). Rezepte für den Erfolg gibt es nicht. Nur mehr als 40 Jahre Erfahrung.
Der Akademie-Präsident
Senta Berger und Günter Rohrbach. Das ist ein Duo an der Spitze der Deutschen Filmakademie, das man kaum besser casten kann. Von Anfang an geht es bei der Filmakademie um einen Balanceakt: weil bei ihrer zentralen Veranstaltung viel Geld im Spiel ist, denn die Deutschen Filmpreise sind verbunden mit Fördermitteln aus Steuergeld, und weil es sich um die Repräsentanz einer großen heterogenen, indivi- duellen Versammlung von Künstlern und Handwerkern handelt. Verweise auf die amerikanische und die britische Academy sind hilfreich und zugleich hinderlich, weil immer nur die Unterschiede ins Spiel gebracht werden, nicht die Parallelen. So steht die Akademie unter einem Druck, der von außen und von innen kommt. Wie gut, daß zwei Persönlich-keiten an der Spitze agieren, die viel Intelligenz, Erfahrung und Charisma haben. Man spürt das, wenn die beiden zu Beginn der Filmpreisverleihung die Zeremonie eröffnen und uns begrüßen. Sie repräsentieren ihre Branche. Ich wüßte kein Duo, das dies besser könnte. Und beide haben inzwischen viele Argu- mente parat, um ihre Akademie gegen unfaire Angriffe zu verteidigen. Die Deutsche Filmakademie hat schon deshalb eine Zukunft, weil sie seit ihrer Gründung ihre Existenz rechtfertigen muß.
Der Redner
Zuerst gibt es die „Mainzer Tage der Fernsehkritik“, dann folgen Medienkongresse der Länderförderungen, Tagungen der Parteien, Konferenzen der Verbände. Inzwi- schen zieht seit Jahrzehnten ein Medienzirkus durch dieses Land, der immer die gleichen Fragen stellt, immer neue Antworten erwartet und ständig auf der Suche nach Artisten ist, die sich in die Zirkuskuppel wagen, ohne dort ratlos herumzu- schaukeln. Günter Rohrbach gehört zur Spitzenklasse der Medienartisten, denen man intelligente Auftritte zutraut. Das macht ihn zu einem begehrten Gast. Man erwartet von ihm: vor dem Hintergrund seiner großen Erfahrung in Film und Fernsehen die aktuelle Situation auf den Punkt zu bringen, einzelne Interessen-gruppen zu kritisieren, einleuchtende Vorschläge zu machen, Forderungen nach Veränderungen zuzuspitzen und möglichst mit einer Pointe zu enden. Zwölf der in diesem Band publizierten Texte sind solche Reden. Sie erweisen sich auch in der Rückschau als präzise Bestandsaufnahmen mit Blick in die Zukunft.
Der andere Redner Rohrbach, das ist der Laudator, der bei einer Preisverleihung, einer Geburtstagsfeier, einer Verabschiedung die richtigen Worte findet, um die Verdienste einer Person zu würdigen: zugeneigt, nicht ohne Ironie, sich selbst zurücknehmend, ohne Floskeln, den Kern treffend. Von so einem läßt man sich gerne ehren und loben. Sechs dieser Reden sind hier abgedruckt.
Die gute Gesellschaft
Sein Umfeld sind Autoren, Regisseure, Kameraleute, Techniker, Schauspieler, Film- förderer, andere Produzenten, Verleiher, Kino-besitzer, Programmdirektoren, Fern- sehspielchefs, PR-Agenten, auch Journalisten und Kritiker, selbst wenn er ihnen gelegentlich ziemlich weh und dem einen oder anderen sogar Unrecht tut. Er ist kein Diplo-mat, obwohl er in mancher Hinsicht gelassener geworden ist. Seine Verletzlichkeit ist vielleicht sogar größer geworden. Die Konkurrenzen und Reibungen in unserer Mediengesellschaft haben ihn nicht abge-härtet. Vor jeder Premiere eines von ihm produzierten Films hat er Angst. Während der Vorführung geht er seiner Wege. Irgendwann ist er dann wieder da und kann lächeln.
Er ist kein Partylöwe und kein Entertainer. Eigentlich ist er sogar schüchtern, aber er hat akzeptiert, daß öffentliche Auftritte zur Profession gehören. So etwas kann man lernen, auch wenn man kein Naturtalent in der Selbstdarstellung ist. Das hat dann vor allem mit Intelligenz und Würde zu tun. Und mit dem Respekt, den man in der Gesellschaft, in der man lebt und arbeitet, genießt. Ist die Society des Films und Fernsehens in der Bundesrepublik offen für einen kreativen Produzenten wie Günter Rohrbach? Sie fühlt sich mit ihm so vielfältig verbunden, daß sie ihn längst in München, in Bayern, in Marl und sogar in der deutschen Hauptstadt auf den Schild ihrer höchsten Ehrenpreise gehoben hat. Das Bundesverdienstkreuz hat er abgelehnt. Aber auch mit dieser Entscheidung befindet er sich in guter Gesellschaft.
Nachwort in: Hans Helmut Prinzler (Hg.): In guter Gesellschaft. Günter Rohrbach. Texte über Film und Fernsehen. Bertz + Fischer, Berlin 2008