Texte & Reden
24. November 2007

Rosa geht in Rente

Ausstellungseröffnung im Schwulen Museum

Morgen wird unser Freund Rosa 65. Ja, ich weiß, das sieht man ihm nicht an. Und eigentlich ist man ja ohnehin nur so alt, wie man sich fühlt. Und Rosa fühlt sich wie höchstens fünfzig. Und wenn er in letzter Zeit seine Diät durchgehalten hätte, würde man ihm das auch glauben. Und ohne seinen Homöopathen wäre sowieso alles ganz anders. Aber es ist wie es ist: Rosa wird 65.

Das reale Alter, dokumentiert durch Geburt und Herkunft, lässt sich meist amtlich beweisen, auch wenn dies bei Rosa mit einigen Komplikationen verbunden war, auf die ich hier nicht genauer eingehen möchte. Er hat sie in seinem neuesten Film auf wunderbare Weise thematisiert. Der Film ist Teil der Geburtstagsfeier, die morgen im Babylon-Kino stattfindet. Meine Mütter heißt der Film. Und ich gestehe in diesem Zusammenhang: als Dokumentarist ist mir Rosa am liebsten. Auf diesem Terrain halte ich ihn für besonders begabt. Da bewundere ich ihn einfach.

Unser Jubilar erreicht morgen das so genannte Rentenalter. Und wir eröffnen heute eine Ausstellung zu seinem Leben und Werk. Dass diese Ausstellung im Schwulen Museum stattfindet hat seine Logik, wobei manche die obligatorische Frage stellen mögen, ob denn Rosa schon ins Museum gehört. Mein Museumsbegriff ist in dieser Hinsicht modern, ich assoziiere mit Museum nicht nur Vergangenheit und Tod, sondern auch Gegenwart und Leben. Also soll Rosa hier ausgestellt und gefeiert werden, bevor er eines fernen Tages, wie dies verabredet ist, ausgestopft in einer Ecke des Museums für Film und Fernsehen am Potsdamer Platz zu besichtigen sein wird.

Ich danke Wolfgang Theis für die Idee zu dieser Ausstellung und für ihre Realisierung. Die Ausstellung trägt den Titel „Rosa geht in Rente“. Das klingt ein bisschen provokant, aber vor allem ironisch und ist der Zahl 65 geschuldet, die (noch) das Erreichen der Altersversorgung signalisiert. Für viele Menschen ist das auch mit dem Abschied von einer regelmäßigen Arbeit verbunden. Da Rosa kein Beamter, kein Angestellter und kein abhängig arbeitender Mensch ist, beginnt für ihn morgen hoffentlich eine noch schönere Zukunft, und er geht, das ist doch wohl klar, keinesfalls in Rente. Die wenigen bisher erworbenen Ansprüche ergeben sich aus seiner Tätigkeit als Professor an der HFF und betragen – das hat er mir verraten – insgesamt rund 300 € pro Monat. Davon kann auch Rosa, bei aller Liebe und Bescheidenheit, nicht leben. Und schon gar nicht in der schönen Wohnung in der Konstanzer Straße.

Aber es geht eigentlich auch weniger um die Frage der finanziellen Versorgung als um eine Frage der Haltung zum Leben. Rosa als Rentner ist einfach nicht vorstellbar. Auch wenn er, wie wir aus Erfahrung wissen, ständig darauf aus ist, uns zu überraschen oder auf die Probe zu stellen oder zu provozieren oder sein Spiel mit uns zu spielen. Wie sollte er sich denn als Rentner verkleiden? Er hat gar nicht die Garderobe dafür. So etwas wie ein Ruhestand ist in Rosas Leben nicht vorgesehen. Das wissen Sie alle so gut wie ich.

Sie kennen, vermute ich, Rosa aus unterschiedlichen Zusammen-hängen. Als Freund, als Filmemacher, als Protagonisten der Schwulen-bewegung, als Selbstdarsteller und Verkleidungskünstler, als Rampensau oder auch als sensiblen Beobachter des Lebens in Deutschland.

Ich vermute, dass ich heute hier sprechen darf, weil ich Rosa – zusammen mit Helene Schwarz, Hans-Otto Krüger, Chris Kraus und Enrique Sanchez Lansch – in einer sehr speziellen Konstellation erlebe. Ich treffe ihn, in der Regel am Donnerstagabend, in einem Lokal, an einer Art Stammtisch, in einer Skatrunde. Und dies seit zehn Jahren. Die Runde gibt es bekanntlich sehr viel länger, aber Rosa ist inzwischen ein Stammspieler, vielleicht sogar ein Garant für das Fortbestehen der Runde. Er hat viel gelernt, er spielt ziemlich gut, und er ist begünstigt, weil er bei der Kartenausgabe mehr Glück hat als die anderen. Das ist schwer zu erklären, bringt unsere Anführerin Helene auch immer wieder zur Verzweiflung, aber es ist sozusagen Fakt. Rosa findet das natürlich ganz in Ordnung. Er spielt trotzdem mit Risiko, sagt manchmal etwas leichtfertig „contra“ (was Helene ebenfalls zur Verzweiflung bringt), spielt – das nur für diejenigen, die wissen, wie Skat funktioniert –am liebsten Grand, möglichst offen, manchmal mit Spitze und bleibt auch scheinbar gelassen, wenn er hoch verliert. Wenn er gewinnt, lässt er sich, das ist ein Ritual, gern huldigen.

Rosa ist ein Kommunikationsgenie, er interessiert sich natürlich für Politik, Literatur und Film (das wird in unserer Runde nicht ausgespart), aber er geht auch in privaten Sphären spazieren, erkundigt sich kurz nach Ostern, ob wir uns schon Gedanken wegen der Weihnachtsgeschenke gemacht haben und fragt allen ständig Löcher in den Bauch. In seinen Urteilen ist er apodiktisch. In der Beurteilung von Filmen stimmen wir selten überein. Er ist leicht ungeduldig.

Die Dialoge am Skattisch sind gelegentlich wirklich originell. Es gibt Formulierungen, die wir sofort zu Filmtiteln machen wollen. Leider wird kein Protokoll geführt, so dass niemand von unserer Kreativität einen Nutzen hat. Wenn wir uns angiften, kommt es schon mal zu so seltsamen Aufforderungen wie „Häng Dein Gedärm doch sonst wo hin!“ Auch das protokolliert niemand. Aber es bleibt in Erinnerung. Und jeweils gegen neun, wenn der fliegende Zeitungshändler vorbeikommt, stiftet uns Rosa die wöchentliche Zeit und versorgt sich selbst mit der BZ und dem Tagespiegel, die er im Schnellgang erledigt.

Im Spiel enthülle sich der Charakter, sagt der Volksmund. Rosa hat einen relativ guten Charakter. Er hält im Allgemeinen die Regeln ein (auch wenn er sie gelegentlich außer Kraft setzen möchte), er respektiert die Intelligenz der Mitspieler (wobei er die eigene immer wieder bestätigt haben möchte), er verbreitet gute Laune, wenn er sich nicht gerade mit einem besonders problematischen Film herumschlägt. Das merkt man dann an seiner fehlenden Konzentration. Unsere Spielabende dauern normalerweise vier Stunden. Das steht er ohne Konditionsschwächen durch. Er trinkt keinen Alkohol, das unterscheidet ihn von den anderen Mitspielern.

Wenn man mich vor zehn Jahren, als ich Rosa nur oberflächlich kannte, gefragt hätte, ob der wohl Skat spielen kann, hätte ich das ehrlich gesagt verneint. Warum eigentlich? Ich lasse diese Frage unbeantwortet. Es gab damals auch noch keine Website von Rosa (oder??), sondern nur die Autobiografie, in der ich nichts über einen potentiellen Skatspieler gefunden habe.

Inzwischen können wir bei Google rund 150.000 Einträge zu Rosa aufrufen. Das sind zwar weniger als bei Florian Henckel von Donnersmarck, aber Rosa fehlt eben noch der Oscar in seiner Trophäensammlung. Im Babylon können wir jetzt seine Filme sehen, 65 zum 65. Geburtstag. Und wenn wir wollen, können wir DVDs davon erwerben. Natürlich bereitet er schon die nächsten Filme vor.

Morgen werden wir im Tagesspiegel lesen, was Rosa mag und was er nicht mag. Ich kenne die originalen Antworten und bin gespannt, ob die Intimitäten, die er dort verrät, von der Redaktion zugelassen worden sind. Aber zunächst einmal verrät uns die Ausstellung hier im Schwulen Museum alles über Rosa von Praunheim, was wir schon immer wissen wollten, aber nie zu fragen wagten. Dazu wünsche ich Ihnen allen viel Vergnügen.

Berlin, Schwules Museum, 24. November 2007