07. Februar 2007
Fassbinders BERLIN ALEXANDERPLATZ
Text für Die Welt und die Berliner Morgenpost
Als er am 10. Juni 1982 starb, war er gerade 37. Aber er hatte bereits ein gewaltiges Werk geschaffen: 25 Kinofilme, 14 TV-Filme, 28 Theater-inszenierungen, vier Hörspiele, drei Kurzfilme, eine Fernsehshow. Er hatte sich als Autor und Regisseur, Darsteller, Produzent und Theater-leiter einen Namen gemacht, gelegentlich auch als Komponist, Cutter, Ausstatter, Kameramann. Er konnte vieles, fast alles. Er war zu seiner Zeit der kreativste Filmemacher in Europa. Rainer Werner Fassbinder ist auch 25 Jahre nach seinem Tod nicht in Vergessenheit geraten.
Für den Nachruhm gibt es zumindest zwei Gründe. Erstens, natürlich, das komplexe Werk selbst. Fassbinders Filme sind ein eigener Kosmos der Darstellung deutscher Geschichte. Man kann in ihnen die Zeit erkennen, in der sie entstanden sind, und die, von der sie erzählen. Ein zweiter Grund: es gibt Personen, die sich für das Werk verantwortlich fühlen: die Mutter, Liselotte Eder, und RWFs letzte Lebensgefährtin, die Cutterin Juliane Lorenz. Sie gründen 1986 die Fassbinder Foundation, Das war nötig, um Materialien zu sichern, Rechte zu klären.
In der Öffentlichkeit haben Erben – vor allem Witwen -, die sich um die Pflege eines Œvres kümmern, nicht den besten Ruf. Auch Juliane Lorenz, nach dem Tod der Mutter Präsidentin der Foundation, ist manisch. Aber der Erfolg gibt ihr Recht. Von den meisten Fassbinder-Filmen wurden inzwischen die Ausgangsmaterialien restauriert und gesichert, neue Kopien gezogen, DVDs publiziert. Das Werk ist präsent. In der Berliner RWF-Zentrale, in der Giesebrechtstraße sind auch hinterlassene Dokumente – Briefe, Manuskripte, Fotos, Kritiken – vorbildlich archiviert. Eine Einladung zur Forschung. Größte Energien investierte die Fassbinder Foundation in die Rettung des Hauptwerks: BERLIN ALEXANDERPLATZ. Entstehung, Rezeption und Rettung des Fünfzehneinhalb-Stunden-Films kann man als eigenes Drama erzählen.
Vorspiel
Alfred Döblins bedeutender Großstadtroman begleitet Fassbinder, seit er ihn mit 14 erstmals gelesen hat. Warum das so war, beschreibt Fassbinder in dem Text „Die Städte des Menschen und seine Seele“. Motivische Partikel des Romans finden sich schon in vielen frühen Fassbinder-Filmen. Seine Helden heißen oft Franz, in faust-recht der freiheit spielt er selbst die Hauptrolle des Franz Biber-kopf. Er spricht davon, Döblin einmal zu verfilmen.
1. Akt
Der WDR erklärt sich 1976 bereit, den „Alexanderplatz“ zu reali-sieren. Fassbinder schreibt Drehbücher zu 13 Folgen à 60 Minuten. Ein paralleler Kinofilm lässt sich nicht verwirklichen. Dafür gibt es einen Epilog (Mein Traum vom Traum des Franz Biberkopf). Gedreht wird von Juni 1979 bis April 1980. Statt geplanter 193 Drehtage schafft es RWF in 154. 13 Millionen DM Produktionskosten klingen damals gigantisch, sind aber fürs Volumen angemessen. Unter den 74 Darstel-lern finden sich viele bekannte Fassbinder-Schauspieler. Und erstmals: Barbara Sukowa, deren Karriere mit der Mieze beginnt. Die Hauptfigur, den Biberkopf, spielt Günter Lamprecht: die Rolle seines Lebens. An der Kamera steht Xaver Schwarzenberger. Zum Team gehören 60 Perso-nen. Nie hat es bis dato ein so monumentales Fernsehwerk gegeben.
2. Akt
Ende August 1980 findet in Venedig die Uraufführung des Films statt. Einen 15-Stünder gab es bisher auf keinem Festival. Wer soll sich dafür Zeit nehmen? Die ersten beiden Teile laufen außer Konkurrenz im Hauptprogramm und werden bejubelt. Die weiteren Teile sind über die Festivalzeit verteilt. Die Filmkritik sendet positive Signale nach Deutschland. Dort wartet die Fernsehkritik.
3. Akt
Am 12. Oktober 1980 beginnt um 21 Uhr die Ausstrahlung im Ersten. Folge 1, 80 Minuten. Alle weiteren Folgen dauern 60 Minuten und werden montags um 21.30 Uhr gesendet. Über die Terminierung (geplant war 20.15 Uhr) gibt es Streit. Der WDR-Programmdirektor bringt den Jugendschutz ins Spiel. Aber für wirklichen Ärger sorgen dann nicht Sex und Gewalt, sondern die Dunkelheit. Vor allem Zuschauer mit Schwarzweiß-Geräten behaupten, nichts zu sehen. Die Bild-Zeitung schlagzeilt: „Reinfall für 13 Millionen“. Die Fernsehkritik ist polarisiert. Am 29. Dezember wird der 13. Teil gesendet, dann der Epilog. Im Schnitt haben 18 Prozent der Fernsehteilnehmer den Film gesehen; keine schlechte Quote. Dann ist erst einmal Ruhe. Fassbinder hat inzwischen schon lili marleen abgedreht.
4. Akt
Nach der Ausstrahlung verschwindet das Werk in den Archiven. Es gibt eine 16mm-Kopie, aber die Ausleihe ist teuer. Zum zehntem Todestag organisiert Frau Lorenz eine Werkschau unterm Fernsehturm am Alex. Viele Exponate erinnern an den großen Fernsehfilm, er wird auch im Arsenal und im Babylon gezeigt. Aber man sieht, dass die Kopie gelitten hat.
5. Akt
Neue Technologien machen eine grundlegende Überarbeitung möglich. Dies erfordert finanziellen Aufwand und fachliche Betreuung. Die Kulturstiftung des Bundes, Juliane Lorenz und die Fassbinder Foundation, der Kameramann Xaver Schwarzenberger und die Bavaria vollbringen einen Kraftakt: sie „remastern“ die alte, ziemlich hinfällige 16mm-Fassung und sichern das Werk für die Zukunft. Als 35mm-Kopie, die besser ist als alles, was es vorher zu sehen gab, und als DVD, die noch brillanter erscheint So endet das Drama um BERLIN ALEXANDERPLATZ, das vor 26 Jahren die Öffentlichkeit gespalten hat, glücklich.
Man kann jetzt den Film sehen, wie er gewollt war. Man kann die Kraft eines großen deutschen Regisseurs bewundern, der seinen Traum vom Traum des Franz Biberkopf realisiert hat. Man kann sehen, was eine Gruppe kreativer Menschen vor 26 Jahren geschaffen hat. Man kann sich darüber wundern, was 1980 im Fernsehen möglich war: wie viel Zeit sich jemand nehmen konnte, von Liebe und Leid, von Gut und Böse zu erzählen.
Für ein Nachspiel sind alle Voraussetzungen geben.
Spätes Happy-End. Morgen beginnt die Berlinale. Ein Highlight: Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“ remastered
In: Die Welt /Berliner Morgenpost, 7. Februar 2007.