Texte & Reden
28. Oktober 2006

Danièle Huillet (1936 – 2006)

Nachruf in der Mitgliederversammlung der Akademie der Künste

Als wir 1998 Danièle Huillet und Jean-Marie Straub zu Mitgliedern dieser Akademie gewählt haben, wurde, ganz formal, über beide getrennt votiert. Beide wurden gewählt. Etwas anderes wäre auch nicht denkbar gewesen. Denn sie ließen sich in ihrem gemeinsamen Leben, das mehr als fünfzig Jahre gedauert hat, nicht auseinander dividieren.

Sie hatten sich 1954 in Paris kennen gelernt und verließen ihre Heimat 1958, in der Zeit des Algerienkrieges, weil Jean-Marie Straub sich der Wehrpflicht verweigerte. Zehn Jahre lebte und arbeitete das Künstlerpaar in der Bundesrepublik, dann wanderte es nach Italien weiter.

Straubs haben damals in Deutschland vier Filme gedreht. Zwei gingen in die Geschichte ein: der Film nach dem Roman „Billard um halbzehn“ von Heinrich Böll mit dem Titel nicht versöhnt oder es hilft nur gewalt, wo gewalt herrscht und chronik der anna magdalena bach, in der die Herstellung von Musik gezeigt wird.

Ich erinnere mich an die Premiere des Films nicht versöhnt in einer Sondervorführung während der Berliner Filmfestspiele 1965. Ihr war eine Distanzierung des Autors Böll vorausgegangen, der seinen Roman nicht wieder erkannt hatte. Nie habe ich bei einer Filmvorführung so extrem differierende Reaktionen erlebt: Lautstarken Hohn und Spott, spürbare Ratlosigkeit, Respekt und Bewunderung. Was den einen wie ein Laienspiel erschien, sahen die anderen als radikalen künstlerischen Zugriff auf einen Stoff. An die Vorführung schloss sich eine Diskussion an. Straubs waren ziemlich fassungslos über die aggressive Stimmung im Saal.

Ihr Umgang mit Bild und Ton, Zeit und Raum polarisierte von nun an das Publikum, soweit es sich überhaupt auf die Filme des französischen Paares einließ. Straubs verweigerten sich dem traditionellen filmischen Erzählen. Sie nahmen jeweils ein vorhandenes Stück Kunst – Musik, Drama, Literatur, auch Malerei – und verhalfen ihm zu einer neuen Ausdrucksform. Sie benutzten Kamera, Ton und Montage für eine neue künstlerische Materialität der Texte und Töne von Bach, Brecht, Cezan- ne, Corneille, Fortini, Hölderlin, Kafka, Schönberg. Es gibt in ihren Filmen keine Psychologisierung und keine Kinoemotionen. Sie haben ihren eigenen Purismus.

Mit ihren Filmen arbeiteten Straubs gegen den Zustand der Welt an. Politisch, moralisch und ästhetisch. Sie lebten zunächst in München, später in Rom, dann wurde ihnen im italienischen Buti Heimatrecht gewährt. Sie betonten gern, dass sie sich ihre Filme erhungert haben. Sie sagten das mit einem stolzen Unterton. Ihre asketische Lebensweise war auch eine freiwillige Entsagung angesichts einer von ihnen empfundenen Unwahrheit des Üppigen.

Es ging bei ihnen immer um eine Wahrheit. Um Erkenntnis, um Geschichte, um Widerstand. Anfangs haben die Straubs ihren Filmen gern Widmungen vorangestellt. Die provokanteste galt Holger Meins, dem Mitglied der RAF, der im Hungerstreik gestorben war. Diese Widmung im Film moses und aron wurde damals, 1975, von der ARD entfernt, und Straubs zogen daraufhin ihre Autoren­namen zurück. Später wurde nichts mehr von ihnen gesendet, weil ihre Filme nicht mit den Sehgewohnheiten kompatibel gewesen seien. So waren sie angewiesen auf Festivals und Spezialveranstaltungen, in Paris und Rom, in Köln, München oder Berlin. Dort existieren Freundeskreise, die man durchaus als „Gemeinden“ sehen kann. Diese Gemeinden ließen sich in ihrem Glauben, den ich besser Verehrung und Respekt nennen möchte, nicht beirren.

Im September waren Straubs mit ihrem neuen Film quei loro incontri zu den Filmfestspielen in Venedig eingeladen. Sie erhielten einen Spezialpreis der Jury. Danièle Huillet war zu dieser Zeit schon erkrankt. Sie starb am 9. Oktober in ihrer Geburtsstadt Paris. Jean-Marie Straub hat sein Alter Ego verloren. Wir trauern um Danièle, die sich geehrt fühlte, Mitglied unserer Akademie zu sein.

Berlin, Akademie der Künste, Pariser Platz, 28. Oktober 2006