Texte & Reden
23. September 2006

Die DFFB und der junge deutsche Film

Lecture zum Jubiläum im Kino Arsenal

Wir feiern den 40. Geburtstag der DFFB. Sie wurde im September 1966 eröffnet. Zeitgleich gab es in der Bundesrepublik einen Aufbruch des „jungen deutschen Films“. Die Geburt dieses jungen Films wird gern auf den 28. Februar 1962 datiert. Sie fand in Oberhausen statt, mit einem Manifest, das nach der Stadt benannt ist. Das Manifest beginnt mit den berühmten Sätzen

»Der Zusammenbruch des konventionellen deutschen Films entzieht einer von uns abgelehnten Geisteshaltung endlich den wirtschaftlichen Boden. Dadurch hat der neue Film die Chance, lebendig zu werden.« Und endet mit der Feststellung: »Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen.«

Der Text ist als ›Oberhausener Manifest‹ in die Geschichte eingegangen. Zu den 26 Unterzeichnern gehörten Christian Doermer, Alexander Kluge, Hansjürgen Pohland, Edgar Reitz, Raimond Ruehl, Peter Schamoni, Haro Senft, Franz-Josef Spieker, Hans Rolf Strobel, Heinz Tichawsky, Herbert Vesely, Wolf Wirth. Es war übrigens keine Frau dabei.

Der Text des Oberhausener Manifests entstand in München. Dort lebten und arbeiteten die meisten jungen Filmleute, die zunächst mit Kurzfilmen auf sich aufmerksam machten. Die Bedeutung des Manifests wird vielleicht überschätzt, weil die Manifestanten sich nur kurzfristig zu einer Gruppe zusammenfanden und in unterschiedlichen Konstellationen und Professionen im Filmbereich tätig waren. Und es dauerte ja fast vier Jahre, bis die ersten Filme ins Kino kamen, die sich auf das Manifest beziehen ließen. Aber ein Manifest ist einprägsam, und so wurde es zum Teil der Geschichte.

1962 konkretisierten sich in der Bundesrepublik – spät, vielleicht sogar zu spät – auch die Pläne für eine Ausbildungsstätte für Film und Fernsehen. Bis es zur Gründung in Berlin kam, vergingen dann noch mal mehr als drei Jahre.

Zuvor wurde bereits an der „Hochschule für Gestaltung“ in Ulm eine eigenständige Filmklasse eingerichtet, an deren Konzeption Alexander Kluge ab 1963 großen Anteil hatte. Daniela Sannwald hat über die Ulmer Schule eine sehr lesenswerte Dissertation geschrieben.

Und es gab längst, gegründet 1954, die Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg, die heute den Namen „Konrad Wolf“ trägt. Aber Potsdam lag hinter der Mauer, also weit weg. Und die DEFA befand sich Mitte der sechziger Jahre in einer schwierigen Situation.

Im  Dezember 1965 fand in Ost-Berlin das 11. Plenum des Zentralkomitees der SED statt. In einer prinzipiellen Kritik am DEFA-Film wurden dort Tendenzen angeprangert, die geeignet seien, »schädliche ideologische Erscheinungen des Skeptizismus und der Entfremdung zu fördern«. Verboten wurden u.a. die Filme das kaninchen bin ich (Kurt Maetzig), denk bloss nicht, ich heule (Frank Vogel), karla (Herrmann Zschoche), wenn du gross bist, lieber adam (Egon Günther), berlin um die ecke (Gerhard Klein) und jahrgang 45 (Jürgen Böttcher). Sie wurden erst 1990 öffentlich gezeigt. Und im Juli 1966 wurde noch Frank Beyers spur der steine verboten. Die DEFA befand sich damals in einer fast traumatischen Situation.

Zurück in die Bundesrepublik und in den Westen Berlins, von denen nun ausschließlich die Rede sein wird. Mein roter Faden für diese Lecture ist zunächst eine Chronologie. Ich erzähle von den Jahren 1966 bis 1971. Ich werde viele Namen und Filmtitel nennen. Ich hoffe, dass die meisten davon noch in Erinnerung sind. Und ich werde deutlich machen, dass es zwischen der DFFB und dem jungen deutschen Film nur wenige Berührungspunkte gab. Ich hoffe, es wird auch klar, warum das so war.

1966

In Bonn wird eine Große Koalition zwischen CDU und SPD gebildet. Sie führt relativ bald zu einer so genannten „außerparlamentarischen Opposition“, in der sich vor allem Studenten engagieren. Die APO ist ein wichtiger politischer Faktor für zwei, drei Jahre. 1966 gab es die ersten Erfolge für den jungen deutschen Film.

In Cannes lief Volker Schlöndorffs Film der junge törless im Wettbewerb und gewann den FIPRESCI-Preis. Bei den Berliner Filmfestspielen erhielt Peter Schamonis Film schonzeit für füchse einen Sonderpreis der Jury. In Venedig bekam Alexander Kluge für seinen Film abschied von gestern den Spezialpreis der Jury. Diese drei Erfolge waren die ersten internationalen Anerkennungen für den jungen deutschen Film.

Vor allem der junge törless und abschied von gestern wurden als Signale verstanden und erhielten entsprechende Auszeichnungen im Rahmen des „Deutschen Filmpreises“, der damals noch während der Berlinale vergeben wurde. Ich halte abschied von gestern noch heute für einen der wichtigsten deutschen Filme. Seine Story, seine gestalterischen Mittel sind Ausdruck ihrer Zeit und weisen darüber hinaus.

Am 17. September 1966 wurde die ›Deutsche Film- und Fernseh-akademie Berlin‹ (DFFB) vom Regierenden Bürgermeister Willy Brandt eröffnet. Gründungs­direktoren waren Erwin Leiser und Heinz Rathsack (der die Akademie bis zu seinem Tod im Dezember 1989 leitete). Die Eröffnungsfeier im Haus des Rundfunks ist mir als eine sehr gediegene Veranstaltung in Erinnerung. Erwin Leiser war erkrankt und ließ seine Rede von seiner Frau vortragen. Sonst traten nur Männer ans Podium. Wie das damals üblich war. Irgendwie war man vor allem froh, dass es nun endlich die DFFB gab.

Zu den Studierenden des ersten Jahrgangs gehörten Jörg-Michael Baldenius, Johannes Beringer, Hartmut Bitomsky, Karl Dieter Briel (gestorben 1988), Gerd Conradt, Lutz Eisholz, Harun Farocki, Bernd Fiedler, Wolf Gremm, Frank Grützbach, Thomas Hartwig, Holger Meins (gestorben nach einem Hungerstreik 1974), Hans-Rüdiger Minow, Thomas Mitscherlich (gestorben 1998), Wolfgang Petersen, Helke Sander, Daniel Schmid (gestorben 2006), Gerry Schumm (gestorben 1973), Irena Vrkljan, Max Willutzki, Christian Ziewer. Rainer Werner Fassbinder scheiterte bekanntlich an der Aufnahme-prüfung. Der Jahrgang 1966 ist dennoch der erfolgreichste, der je an der DFFB das Studium begonnen hat. Das kann man aus der Distanz von 40 Jahren behaupten.

Dozenten an der DFFB waren damals die Regisseure Rainer Erler, Peter Lilienthal, Egon Monk, George Moorse, Wolfgang Staudte, Jiri Weiss, die Kameraleute Gerard Vandenberg und Jan-Thilo Haux, der Autor Benno Meyer-Wehlack, die Publizisten und Theoretiker Gerd Albrecht, Manfred Delling, Ulrich Gregor und Martin Schlappner. Es kamen zahlreiche Gäste ins Haus. Auch der künstlerische Direktor Erwin Leiser war als Dozent tätig. Es sah zunächst so aus, als könnte die DFFB wirklich zu einem Bauhaus des deutschen Films werden.

1967

Am 2. Juni, während des Schahbesuchs in West-Berlin, wird der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen. Dieses Ereignis wird zum Ausgangspunkt starker studentischer Unruhe und Solidarisierung in der Bundesrepublik, vor allem aber in West-Berlin. Das Demonstrationspotential der Studenten richtet sich darüber hinaus gegen den Krieg in Vietnam und später auch gegen den Springer-Konzern.

Im Mai 1967 findet die zweite Aufnahmeprüfung statt. Als zweiter Jahrgang aufgenommen werden u.a.: Gaston Bart-Williams, Carlos Bustamante, Reza Dabui, Thomas Draeger, Eik Gallwitz, Wolfgang Gessat, Thomas Giefer, Roland Hehn (gestorben 1970), Georg Lehner, Constantin Pauli. Fassbinder bewirbt sich erneut, wird aber gar nicht erst zur Prüfung zugelassen.

Im Mai gibt es gravierende Proteste an der DFFB, weil sieben Studenten des ersten Jahrgangs wegen mangelnder Begabung nach dem „Probejahr“ ausscheiden sollen. Dazu gehören Harun Farocki und Wolf Gremm. Erwin Leiser exponiert sich als autoritärer Buhmann, dessen Ablösung von den Studenten vehement gefordert wird. Es kommt ein Kompromiss zustande. Die angeblich Unbegabten dürfen zunächst weiter studieren.

Und es kommen einige neue Dozenten an die Akademie: die Regisseure Christian Rischert und Johannes Schaaf, der Publizist Joachim von Mengershausen, der Kameramann Michael Ballhaus, der Fernsehphilosoph Otto Gmelin. Sie versuchen, zwischen Studenten und Direktion zu vermitteln. Sie sind auch ein bisschen neugierig auf die Denkweisen der oppositionellen Studenten. Aber die Fronten an der DFFB erscheinen ziemlich festgefahren.

Am 6. November 1967 wird in München die ›Hochschule für Fernsehen und Film‹ (HFF) eröffnet. Träger ist das Land Bayern. Ausgebildet wird in drei Abteilungen: Film, Dokumentarfilm und Fernsehspiel. Zu den Studenten des ersten Jahrgangs gehören Gloria Behrens, Dagmar Damek, Klaus Emmerich, Ingemo Engström, Hajo Gies, Hartmut Griesmayr, Gaby Kubach, Rüdiger Nüchtern, Michael Schanze, Gerhard Theuring und Wim Wenders.

Zwischen der DFFB und der HFF gibt es zunächst ein Nicht-Verhältnis. Man beobachtet sich misstrauisch. In München wird vor allem das politische Engagement der Berliner Studenten mit Vorbehalten betrachtet. Und in Berlin das konservative Ausbildungskonzept der Münchner Hochschule.

Die wichtigsten jungen deutschen Filme des Jahres 1967 stammen von George Moorse (kuckucksjahre), Edgar Reitz (mahlzeiten), Christian Rischert (kopf stand madam), Johannes Schaaf (tätowierung), Haro Senft (der sanfte lauf). Einige der Regisseure sind als Dozenten an der DFFB beschäftigt. Aber die Studenten interessieren sich nur begrenzt für die Werke ihrer Dozenten. Sie interessieren sich für die aktuellen politischen Protestbewegungen, die in Berlin ein Zentrum haben. Und sie wollen mit ihren Produktionsmitteln aktiv werden.

Im Oktober 1967 gründet sich – das sollte zumindest erwähnt werden – die ›Hamburger Filmmacher-Cooperative‹, ein Kreis phantasiebegabter Außenseiter, zu denen Hellmuth Costard, Theo Gallehr, Helmut Herbst, Walther Seidler, Thomas Struck, Klaus Wildenhahn, Ursula und Franz Winzentsen und Klaus Wyborny gehören. Sie stehen für das ›Andere Kino‹, initiieren die ›Hamburger Filmschau‹ und organisieren einen eigenen Verleih. Sie geben sich auf indirekte Weise politisch, aber im Bereich des Films sind sie wirksam und sehr originell.

1968

Nach diesem Jahr wird eine ganze Generation benannt. Es ist auch für die DFFB ein Schlüsseljahr. Im Mai besetzen Studenten die DFFB, nennen sie „Dsiga Wertow-Akademie“ und protestieren gegen die Notstandsgesetzgebung. Die Direktoren reagieren autoritär, auch aus Angst, dass einer der Geldgeber, der Bund, die noch junge Akademie fallen lassen könnte. Einige Dozenten (Peter Lilienthal, Christian Rischert, Joachim von Mengershausen) treten zurück, zum Teil auch im Widerspruch zur Direktion.

Es findet die dritte Aufnahmeprüfung statt. Neue Studenten sind u.a. Rainer Boldt, Dietmar Buchmann, Rolf Deppe, Frank Fiedler, Cristina Perincioli, Jürgen Peters, Elsa Rassbach, Valeska Schötlle, Horst Schwaab, Lothar Schuster, Gisela Tuchtenhagen, Manfred Wollandt. Sie kommen in eine heillos zerstrittene Akademie. Ihr Studium beginnt – aus Gründen, über die ich gleich berichten werde – eigentlich erst 1969.

In Oberhausen sprengt der provokante Film besonders wertvoll von Hellmuth Costard das Kurzfilmfestival. In Cannes wird das Internationale Festival abgebrochen. Die Berlinale im Juni wird von den DFFB-Studenten zu militanten Protestaktionen genutzt. Dafür gewinnen sie zunächst auch eine größere sympathisierende Aufmerksamkeit, bis sie mit den Kollegen des jungen deutschen Films bei einer Veranstaltung in der Technischen Universität in Streit geraten. Die Studenten verlesen ein Manifest, in dem sie Alexander Kluge, Edgar Reitz, Werner Herzog, Christian Rischert als selbstsüchtiges Establishment beschimpfen, und werfen mit Eiern. Für die Beziehung zwischen dem jungen deutschen Film und der DFFB ist diese Aktion nicht sehr förderlich.

Die Berlinale kommt ohne Abbruch über die Runden. Werner Herzog erhält für seinen Film lebenszeichen einen Sonderpreis der internationalen Jury und gehört nunmehr zu den Protagonisten des jungen deutschen Films.

Die Krise in der DFFB eskaliert im Herbst. Zwar gibt es inzwischen einen „Akademischen Rat“, aber die Spielregeln im Umgang zwischen Direktion und Studenten sind noch immer heikel. Nach einer Besetzung der Direktionsräume werden 18 Studenten relegiert. Darunter einige der begabtesten: Hartmut Bitomsky, Harun Farocki, Bernd Fiedler, Thomas Giefer, Christian Ziewer.

Ich war damals Assistent am Institut für Publizistik der FU und erinnere mich, wie Harun Farocki in einer Institutsversammlung um Solidarität bat. Unser Direktor, Harry Pross, sagte Unterstützung zu. Aber die Forderung, in unserem Institut eine Art Gegenakademie einzurichten und mit Produktionsmitteln auszustatten, ging auch für die damaligen Verhältnisse zu weit. Es blieb bei verbalen Solidaritätsbekundungen in zahllosen Versammlungen.

Unbeeindruckt von den Querelen an der Berliner Akademie entstanden neue, interessante Produktionen des jungen deutschen Films. Die wichtigsten des Jahres 1968 stammten von Werner Herzog (lebens-zeichen), Alexander Kluge (die artisten in der zirkus-kuppel: ratlos, in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, Ula Stöckl (neun leben hat die katze), Jean-Marie Straub (chronik der anna magdalena bach).

Der erfolgreichste Kinofilm des Jahres war helga von Erich F. Bender. Fünf Millionen Besucher ließen sich von dem Film aufklären. Sie waren deutlich mehr an sexueller und hygienischer als an politischer Aufklärung interessiert.

1969

Der künstlerische Direktor Erwin Leiser verlässt zum 1. April die DFFB. Man kann, ohne üble Nachrede, behaupten, dass er in dieser Position gescheitert ist. Im Mai 1969 beginne ich meine Tätigkeit als Studienleiter der DFFB. Ich erlebe eine Situation der Selbstbesinnung des Instituts, die im Rahmen unendlich langer Diskussionen stattfindet. Es geht vor allem um die Funktion der Theorie: Braucht man nicht statt filmhistorischer Belehrung Unterricht in Politökonomie und Marxismus? Wie lassen sich Theorie und Praxis verbinden? Wie lässt sich das Studium besser strukturieren? Die verbliebenen Studenten arbeiten an den Veränderungen mit. Es kommen neue Dozenten an die Akademie, ich erinnere mich vor allem an Wilhelm Bittorf, Helmut Herbst, Klaus Wildenhahn. Auch die Fächer Kamera, Schnitt, Ton werden neu besetzt.

Im November findet meine erste Aufnahmeprüfung an der DFFB statt. Sie ist auf einen sehr späten Zeitpunkt verschoben worden, um nach den Konflikten des vergangenen Jahres mit etwas Ruhe vorgehen zu können. Aufgenommen werden zwölf neue Studenten, darunter Ulrike Edschmid, Ingo Kratisch, Clemens Kuby, Malte Ludin, Jindrich Mann, David Slama, Dörte Völz und Helmut Wietz.

Das politische Umfeld ist inzwischen nicht einfacher geworden, eher unübersichtlicher. Einerseits kommt mit Willy Brandt der erste sozialdemokratische Bundeskanzler an die Macht. Er koaliert mit der FDP und will für mehr Demokratie sorgen. Andererseits zerfällt die außerparlamentarische Opposition in Gruppierungen unterschiedlicher Selbstdefinitionen. Nur ein allgemeines Ziel scheint diesen Opponenten gemeinsam zu sein: die Veränderung der Gesellschaft.

Die wichtigsten jungen deutschen Filme des Jahres 1969 waren katzelmacher von Rainer Fassbinder, jagdszenen aus niederbayern von Peter Fleischmann, eika katappa von Werner Schroeter. Mein persönlicher Lieblingsfilm war damals nachrede auf klara heydebreck von Eberhard Fechner, die Rekonstruktion des Lebens einer 72jährigen Frau in West-Berlin, die sich umgebracht hatte. Ein Dokumentarfilm. Und über Dokumentarfilm habe ich dann viel von dem Dozenten Klaus Wildenhahn gelernt.

1970

Das Berliner Filmfestival gerät in eine Krise. Im Wettbewerbsprogramm wird der Film o.k. von Michael Verhoeven gezeigt: eine realistische Parabel über die Gewalttat amerikanischer Soldaten an einer Vietnamesin. Die Kontroverse in der Jury, ob dieser Film – wie im Festspielreglement gefordert – »zur Verständigung und Freundschaft unter den Völkern« beitrage, eskaliert zu einem offenen Konflikt und führt schließlich zum Abbruch des Wettbewerbs. Das Festival ist in einer Situation, aus der es sich durch Reformen befreien muss.

Juni. Meine zweite Aufnahmeprüfung als Studienleiter der DFFB. Aufgenommen werden u.a. Suzanne Beyeler, Reiner Etz, Wilhelm Gladitz (später nennt er sich Peter Krieg), Barbara Kasper, Brigitte Krause, Stefan Lukschy, Ingrid Oppermann, René Perraudin, Wolfgang Tumler, Tamara Wyss. Für Konfliktstoff in der Prüfungskommission (sie besteht aus vier Studenten, vier Dozenten und vier Mitgliedern der so genannten Administration) sorgt die Bewerbung von Helma Sanders-Brahms. Sie hat schon einen Film gemacht (die industrielle reservearmee) und ist für die Mehrheit der Kommission bereits etabliert. Sie fällt durch. Ich verstehe, dass sie das nicht verstehen konnte.

Die wichtigsten jungen deutschen Filme des Jahres 1970 waren malatesta von Peter Lilienthal, o.k. von Michael Verhoeven, rote sonne von Rudolf Thome. Der erfolgreichste deutsche Film 1970 war der schulmädchen-report (Teil 1) von Ernst Hofbauer. Über die Bedeutung des Films könnte man jetzt die eine  oder andere Überlegung anstellen.

1971

Meine dritte AP. Zu den neuen Studenten gehören: Dieter Jung, Walter Krieg, Marianne Lüdcke, Rainer März, Edna Politi, Claudia Schilinski, Manfred Stelzer, Klaus Volkenborn. Einige kommen nach dem Studium gut ins Geschäft.

Im Juni findet das erste „internationale Forum des jungen Films“ als Teil der Berliner Filmfestspiele statt. Eine Reaktion auf die Festivalkrise 1970. Das Forum ist eine neue, parallel zum Wettbewerb stattfindende Sektion der Berliner Filmfestspiele. Für Konzeption und Programm sind die ›Freunde der Deutschen Kinemathek‹ verantwortlich. Die Leitung liegt bei Ulrich Gregor. Zu den deutschen Beiträgen des ersten Forums gehören nicht der homosexuelle ist pervers, sondern die situation, in der er lebt von Rosa von Praunheim, geschichten vom kübelkind von Ula Stöckl und Edgar Reitz, der grosse verhau von Alexander Kluge, ich liebe dich, ich töte dich von Uwe Brandner, othon von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet. Drei Filme haben Berührungspunkte mit der DFFB: eine sache, die sich versteht von Harun Farocki und Hartmut Bitomsky, eine prämie für irene von Helke Sander und ach, viola von Rainer Boldt.

In München wird der Filmverlag der Autoren gegründet. Vorbild ist der ›Verlag der Autoren‹ (Literatur/ Theater). Erste Gesellschafter sind: Pete Ariel, Hark Bohm, Uwe Brandner, Michael Fengler, Veith von Fürstenberg, Florian Furtwängler, Hans W. Geissendörfer, Peter Lilienthal, Hans Noever, Thomas Schamoni, Laurens Straub, Volker Vogeler und Wim Wenders. Sie wollen Produktion, Rechtever­waltung und Vertrieb der eigenen Filme gemeinsam organisieren. Sie gründen die ›Produktion 1 im Filmverlag der Autoren‹ (PIFDA). Geschäftsführer des kapitalschwachen Unternehmens wird Michael Fengler. Später nehmen sich Fassbinder und Rudolf Augstein der Sache an.

Ende meiner kleinen Chronologie.

Immer wieder spielten dabei Berlin und München als Schauplätze eine Rolle. Aber sie unterschieden sich auch in ihrem Filmverständnis. Rainer Gansera hat das 1988 in einem schönen Text in der Publikation „Kino-Fronten“ auf den Punkt gebracht. Der kleine Aufsatz heißt „Die Sache mit den langen Einstellungen“:

(Zitat.)

Und ich fand einen Brief, den mir Gansera nach einem Besuch der DFFB im Dezember 71 geschrieben hat. Ich zitiere:

„Lieber Herr Prinzler, hier einige Vorschläge, die ich den Berliner Genossen machen will, und die, wenn Sie wollen, in einem Info abgedruckt werden können. Ich mache sie so, wie ich hier mit Freunden über meinen Besuch rede. Mal draufmerken sollte sie, wie oft sie reden von aufarbeiten, auswerten, verwerten und was sie damit für ein Programm machen. Dass sie reden vom richtigen Strandpunkt wie von etwas, was man erst haben muss, damit man dann etwas tun kann, und nicht von etwas, das sich bewährt und erst entsteht in der Arbeit, der Arbeit am und mit dem Wort, der an und mit dem Film. Aus ihren Standpunkten lassen sich nur Rezepte/Direktiven ableiten. Und weil sie sich ihren Standpunkt suchen als Künstler in der Gesellschaft und ihn nur finden könnten als Produzenten (Konstrukteure, Organisatoren) werden sie Feinde der Produktion. Man sieht: eigentlich wollen sie nur andere kontrollieren. Den Standort finden heisst bei ihnen, sich einen Überblick verschaffen, indem alles beiseite geräumt und das Gelände abgesteckt wird. Vielen der Produkte (Diskussionen, Filme…) sieht man das an, und ich als Proletariat würde mich strengstens dagegen verwahren, mit diesen gemeint zu sein.“

Blick zurück

Unter dem Titel „Film in der BRD“ habe ich zusammen mit HGP 1979 ein Buch über den „Neuen deutschen Film“ herausgegeben. Es enthielt u. a. ein bio-filmografisches Lexikon zu 100 deutschen (westdeutschen) Regisseuren und Filme­machern, die wir nach ihrer Bedeutung für den Film der sechziger und siebziger Jahre ausgewählt hatten. Zehn waren Absolventen der DFFB:

Hartmut Bitomsky, Rainer Boldt, Harun Farocki, Wolf Gremm, Ingo Kratisch, Marianne Lüdcke, Wolfgang Petersen, Helke Sander, Daniel Schmid, Christian Ziewer.

Ihre Rollen im jungen, neuen deutschen Film waren unterschiedlich  Bitomsky und Farocki stehen für den essayistischen Dokumentarfilm, der sich kritisch und analytisch mit dem Umgang mit Bildern auseinandersetzt, immer im Verhältnis zu Politik und Gesellschaft. Rainer Boldt, einer der filmbegabtesten, ist schnell in die Serienproduktion des Fernsehens abgewandert. Im Bereich des unterhaltenden Fernsehfilms ist auch Wolf Gremm sehr erfolgreich.  Ingo Kratisch und die 1999 verstorbene Marianne Lüdcke haben – wie Christian Ziewer – die ersten Filme der Berliner Schule des Arbeiter-films geschaffen. Mit Unterschieden, die ich hier nicht thematisieren muss. Alle drei haben damit ein kleines Kapitel deutscher Filmgeschichte geschrieben. Helke Sander war die wichtigste Protagonistin des Frauenfilms der siebziger Jahre, ihr Film die allseitig reduzierte persönlichkeit hat Geschichte gemacht. Daniel Schmid, im Juli verstorben, ging zunächst als Fassbinder-Mitarbeiter, später in der Schweiz seinen eigenen, individuellen Weg. Unter den Absolventen der DFFB gehörte er zu den interessantesten und liebenswertesten.

Schließlich Wolfgang Petersen. Der prominenteste Absolvent der ersten Stunde. Er hat internationale Karriere gemacht. Vergleichen wir ihn mit Wim Wenders, dem prominentesten Absolventen des ersten Jahrgangs der Münchner HFF:

Petersen hat sich wenig um den Kinofilm gekümmert. Er hat – anders als Wenders – nicht über Film reflektiert, er hat nicht publiziert, er war kein „Autor“ im komplexen Sinne des Autorenfilms der sechziger und siebziger Jahre. Mit dem boot und der unendlichen geschichte hat er zwei der erfolgreichsten Kinofilme der achtziger Jahre gedreht und ist dann nach Amerika gegangen. Auch Wenders unternahm einen Ausflug nach Hollywood, doch er blieb dabei immer dem deutschen Film verbunden. Er wird bis heute als einer der Protagonisten mit dem neuen deutschen Film identifiziert. Das, u.a., unterscheidet ihn von Petersen.

Ich spitze nun zu und behaupte: die DFFB und ihre Absolventen der ersten Jahrgänge hatten wenig Anteil am jungen deutschen Autorenkino der sechziger und siebziger Jahre. Dafür gibt es einige Gründe:

1. In den entscheidenden Entwicklungsjahren des jungen deutschen Films war die DFFB zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Sie engagierte zwar Vertreter des jungen deutschen Films als Dozenten. Die fühlten sich aber in dem Institut nicht gut behandelt und verließen das Haus enttäuscht.

2. Das Zentrum des jungen deutschen Films lag in München. Dort lebten und arbeiteten die wichtigsten Filmemacher, dort entstand ein Kraftfeld des Autorenfilms, das in Berlin keine Entsprechung hatte. Berlin war in den sechziger Jahren zwar eine Stadt der politischen Bewegungen, aber sie hatte mit Isolationen zu kämpfen. Es gab hier keine Ansätze für eine wirkungsvolle Interessenverbindung der jungen Filmemacher. Auch der Filmverlag der Autoren gründete sich in München.

3. Der Sender Freies Berlin war ein armer, auch in den Produktivkräften nicht sehr aufgeschlossener Sender. Als Untermieter im Deutschland-haus war die DFFB unbequem, die Konfrontationen waren für eine förderliche Zusammenarbeit bis in die späten siebziger Jahre hinderlich. Die für den jungen deutschen Film wichtigen Sender waren der WDR (Köln), der BR (München) und später das ZDF (Mainz). Bis zur Mitte der siebziger Jahre waren Besuche der Fernsehleute in der DFFB eher unerwünscht. Wer mit dem Fernsehen kooperierte, galt als angepasst. Kein Wunder, dass die Sender nur auf individueller Basis ihre Verbindungen zu Berliner Filmemachern geknüpft haben. Joachim von Mengershausen zu Ziewer, Wolf-Dietrich Brücker zu Lüdcke/Kratisch.

4. Die politisch eher konservative Presse in Berlin interessierte sich für die DFFB – nach der Eröffnung – mehr für die inneren Konflikte als für die Produkte. Und für die führenden Zeitungen der Republik, die SZ und die FAZ, war die DFFB bis in die siebziger Jahre nur ein Kriegsschau-platz der besonderen Art. Der einzige treue Begleiter der DFFB in Berlin war Volker Baer für den Tagesspiegel. Aber auch er hätte lieber über eine solide funktionierende Akademie geschrieben als über aufmüpfige Protestierer.

5. In den sechziger Jahren dominierten zwei Zeitschriften den Diskurs über den neuen deutschen Film, die gute alte Filmkritik (gegründet von Enno Patalas 1957) und die Zeitschrift Film (gegründet in München von Hans-Dieter Roos 1963). Die Filmkritik, bis 1973 geführt von Patalas, mochte die Münchner Filmemacher deutlich mehr als die politisierten Berliner. Später machte die so genannte Filmkritiker-Kooperative, der auch Hartmut Bitomsky und Harun Farocki angehörten, aus der Filmkritik ein sehr spezielles Organ. Die Zeitschrift Film politisierte sich nach dem Tod von Hans-Dieter Roos Mitte der sechziger Jahre unter Leitung von Werner Kließ und bot sich 1968/69 den politisierten Berliner Filmstudenten als Forum an. Das hat einerseits den Chefredakteur Kließ 1969 seinen Job gekostet und die Zeitschrift andererseits in den Ruin geführt. Sie verendete unter dem Titel tv-heute 1971. Nicht vergessen werden sollte, dass die DFFB-Absolventin Helke Sander 1974 die Zeitschrift Frauen und Film gegründet hat. Das Zentralorgan des Frauenfilms, das in seiner wechselhaften Geschichte noch heute den einen oder anderen interessanten Aufsatz anbietet, hat sich allerdings nie als Forum der DFFB gesehen, auch wenn sich an der Akademie mehr Frauen profilieren konnten als an den anderen deutschen Filmschulen.

6. Als der junge deutsche Film auf den Internationalen Festivals in Cannes, Venedig und Berlin erfolgreich war, hatten DFFB-Absolventen noch wenig zu bieten. Ihre Produkte wurden in Oberhausen und Mannheim gezeigt. Dort waren sie auch erfolgreich. Und dann gab es – ab 1967 – das kleine Festival in Hof, das sich schnell zu einem Marktplatz für den neuen deutschen Film entwickelte. Auch dort konkurrierten München und Berlin. Heinz Badewitz hat die Konkurrenz schnell auf den Fußballplatz verlagert. Und niemand schoss mehr Tore als Werner Herzog. Also keine Chance für Berlin, bevor Christian Petzold und andere aufs Feld aufliefen.

Wir sehen: das Maß für den Erfolg von Filmen und das Renommé von Filmemachern ist vielfältig. Nüchtern betrachtet ist allerdings festzustellen, dass der DFFB bis in die achtziger Jahre – also bis in die Endzeit des Neuen deutschen Films – das Image des Protests und der Verweigerung anhing. Eigentlich hat sich das erst geändert, als ein Vertreter des Neuen Deutschen Films Direktor wurde: Reinhard Hauff. Aber das ist dann eine andere Geschichte.

Berlin, Kino Arsenal, 23. September 2006