Texte & Reden
14. August 2005

Konrad Wolf

Vorwort zu einer Publikation der Akademie der Künste

 

Eine interessante Koinzidenz: Konrad Wolf, der bedeutendste Film-regisseur der DDR, wäre in diesem Jahr achtzig Jahre alt geworden. Rainer Werner Fassbinder, der bedeutendste Filmregisseur der Bundesrepublik, wäre sechzig Jahre alt geworden. Konrad Wolf und Rainer Werner Fassbinder sind beide 1982, vor 23 Jahren, gestorben. Ihre runden Geburtstage sind Anlässe zur Erinnerungsarbeit. Die Künstler und ihr Werk sollen über ihre Zeit hinaus wirksam sein.

Konrad Wolf und Rainer Werner Fassbinder haben in ihren Filmen – auf unterschiedliche Weise – deutsche Geschichte und Gegenwart dargestellt. Ihr Blick auf Deutschland war so different wie ihre Biografien. Wolf, geboren in der Zeit der Weimarer Republik, musste mit seinen Eltern aus Nazi-Deutschland emigrieren und wuchs in der Sowjetunion auf. Fassbinder wurde geboren, als Deutschland in Trümmern lag, und wuchs in der Bundesrepublik zur Zeit des Kalten Krieges auf. Berührungen und Polaritäten von Wolf und Fassbinder würden vielleicht bei einer Parallel-Analyse von ICH WAR 19 und DIE EHE DER MARIA BRAUN offenbar werden. In beiden Filmen wird das Jahr 1945 thematisiert. Konrad Wolf war in seinen Filmen ein Dramatiker, Rainer Werner Fassbinder ein Melodramatiker. Wolf ging es – etwas zugespitzt – um die Realität der gesellschaftlichen Verhältnisse, Fassbinder um die Realität der Gefühle.

Hypothetisch, aber nicht ohne Reiz ist die Frage, wie sich Konrad Wolf und Rainer Werner Fassbinder in einem Dialog positioniert hätten. Soweit ich weiß, sind sie sich nie begegnet, und es gibt auch keine Äußerungen über den jeweils anderen. Es ist also pure Fiktion, die beiden bedeutenden Filmemacher an einem Ort, zu einer Zeit zusammen zu denken. Aber der Fantasie sind ja keine Grenzen gesetzt.

Konrad Wolf war von 1965 bis zu seinem Tod Präsident der Akademie der Künste der DDR. Er hat in dieser Funktion viel Vermittlungsarbeit geleistet: zwischen der Partei und der Kunst, unter den Künstlern und im internationalen Zusammenhang. Nachzulesen ist das in dem Buch „Konrad Wolf im Dialog. Künste und Politik“ (Berlin/DDR 1985). Wolfs Nachlass wird in der inzwischen vereinigten Akademie der Künste verwahrt. Der Progreß Film-Verleih hält seine Filme für das Kino parat. Einige Titel sind inzwischen auch als DVD verfügbar. Die Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg trägt seit 1985 seinen Namen. Zaghafte Versuche, den Namen zu eliminieren, sind gescheitert. Wolf ist in der Ständigen Ausstellung des Filmmuseums Potsdam mit vier wichtigen Filmen präsent: DER GETEILTE HIMMEL, ICH WAR 19, GOYA und SOLO SUNNY. Eine erste Konrad Wolf-Biografie wurde aus Anlass des 80. Geburtstags in Zusammenarbeit mit dem Filmmuseum Berlin veröffentlicht: Wolfgang Jacobsen/ Rolf Aurich: Der Sonnensucher. Aufbau-Verlag 2005. Diese Biografie ist gründlich recherchiert und ohne Sentimentalität zu Papier gebracht. Sie misst den Künstler Wolf an seiner politischen Haltung und seinen historischen Erfahrungen. In jedem Herbst verleiht die Akademie der Künste den „Konrad Wolf-Preis“. Er wird alternierend von den Sektionen Darstellende Kunst und Film- und Medienkunst vergeben. Preisträger der letzten Jahre waren Volker Schlöndorff, Michael Haneke, Agnès Varda, Jossi Wieler, Abbas Kiarostami und Lars von Trier. Konrad Wolf ist vielfältig in der Gegenwart präsent.

Konrad Wolf glaubte an die gesellschaftliche Wirksamkeit der Kunst, des Films. „Die Kunst ist, wenn sie sich nicht absondert, in schwebende Höhen oder sumpfige Löcher begibt, in der Lage, gesellschaftliche Entwicklungen mit zu beeinflussen. Das glaube ich, und wenn ich das nicht glauben würde, dann müsste ich meinen Beruf wechseln.“ (Gespräch mit Hannes Schmidt, 17.10.1981, publiziert in: Medium, Frankfurt am Main,  6/1982). Über diese Einschätzung hätte sich Wolf sicherlich mit Rainer Werner Fassbinder streiten können. In zwei Jahren wird der 25. Todestag der beiden großen deutschen Filmemacher begangen. Konrad Wolf war Bürger der DDR, Rainer Werner Fassbinder Bürger der BRD. Die deutsche Einigung kam acht Jahre nach ihrem Tod. Wie hätten sie darauf reagiert?

Vorwort in: Konrad Wolf. Berlin: Akademie der Künste 2005. Archiv-Blätter 14