Texte & Reden
27. Juli 2005

Volker Noths Plakate für die Kinemathek

Vorwort zu einer Publikation

1.

Plakat (niederl.), öffentlicher Anschlag behördlichen, politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen Charakters zum Zweck der Werbung und Information. Plakate müssen daher ihrer Form nach auffällig, aus der Entfernung erkennbar und ihrem Inhalt nach schnell erfassbar sein.“ (Meyers großes Taschenlexikon, Mannheim 1995). Plakate tragen auch eine Handschrift. Manchmal sind sie eigene Kunstwerke.

2.

Es begann mit Marlene Dietrich. 1977 übernahm Wolf Donner die Leitung der Berliner Filmfestspiele und übertrug der Kinemathek die Ausrichtung der jährlichen Retrospektive. Die Berlinale gab sich in jenem Jahr auch ein neues Outfit. Das Plakatmotiv ist unvergessen: die Schrippe mit dem angebissenen Filmstreifen. Entwurf: Volker Noth. Sein Plakat für die Retrospektive kombiniert ein Stück Schwarzfilm mit einer leicht bekleideten Frau. Sie ist umrahmt von Filmtiteln und wird dominiert von ihrem Namen: Marlene Dietrich. Sie sitzt auf dem Film und blickt über die nackte Schulter in die Ferne. Ganz nah am Po steht das Logo der Kinemathek. Nichts läßt bei diesem Plakat eine langjährige Beziehung zwischen Marlene Dietrich, der Deutschen Kinemathek und Volker Noth vorausahnen.

3.

Die Dietrich-Retrospektive war auf zwei Jahre verteilt. Das zweite Plakat sieht ganz anders aus. Der Schriftzug ist noch immer dominant, aber Marlene füllt nun das Bild. In Nahaufnahme. Im Abendkleid. Mit exquisitem Hut. Eine Zigarette zwischen den Fingern. Sie blickt uns an: geheimnisvoll, verführerisch, leicht distanziert. Man blickt zurück und ist gebannt. Volker Noth und die Deutsche Kinemathek sind sich näher gekommen.

4.

Zehn Jahre später: Marlene, die dritte. Das Thema der Retrospektive 1988 hieß „Color. Die Geschichte des Farbfilms“. Der Berliner Cartoonist Bernd Pohlenz verbindet ein Liebespaar mit einem Farb-spektrum. Erster Entwurf: Vivien Leigh und Clark Gable, Gone with the Wind. Zwischen den Wangen der beiden Protagonisten glüht es rot. Aber Gone with the Wind darf nicht gezeigt werden. Der Verleih hat den Film für einen neuen weltweiten Einsatz gesperrt. Zweiter Entwurf: Marlene Dietrich und Charles Boyer, The Garden of Allah. Wieder glüht es zwischen zwei Wangen. Marlenes Blick ist verschleiert. Ihr Schaal verlängert sich in die Horizontale. Volker Noth gibt dem Motiv einen Rahmen und intensiviert die Farben. Der Foto-realismus von Pohlenz und die Zuspitzung von Noth verbinden sich bestens. Und die Retrospektive ist ohnehin ein großer Erfolg.

5.

Marlene Dietrich stirbt 1992. Zum Jahresende veranstaltet das Deutsche Historische Museum in Zusammenarbeit mit der Kinemathek eine große Ufa-Ausstellung. Volker Noth entwirft eine Plakatreihe; ein Motiv: Marlene Dietrich. Marlenes Tochter Maria Riva ist von der Ausstellung sehr beeindruckt. Sie kann sich vorstellen, den giganti-schen Dietrich-Nachlaß nach Berlin zu verkaufen. 1993 kommt der Nachlaß zur Deutschen Kinemathek. Volker Noth entwirft ein Plakat für die „Marlene Dietrich Collection Berlin“, das sich wie eine Ikono-grafie des Stars einprägt. Aus dem Plakat entwickelt sich das Logo der MDCB.

6.

Zum 100. Geburtstag des Kinos 1995 veranstaltet die Kinemathek eine große Ausstellung im Martin-Gropius-Bau: „Kino * Movie * Cinéma“. Das Plakat, entworfen von Volker Noth, kombiniert zwei magische Momente des Kinos: auf der Erde steht eine Menschengruppe (aus Steven Spielbergs Close Encounter of the Third Kind) und wirft einen Schatten. Vom Himmel oder von einer großen Leinwand leuchtet strahlend das Bild von Marlene Dietrich. Happy Birthday, Cinema.

7.

Zur Eröffnung unseres Filmmuseums am Potsdamer Platz 2000 entwirft Volker Noth eine Plakatreihe mit vier Kinomythen: der kalten Maschinenmaria aus Metropolis, der angsteinflößenden Medusa in Clash of the Titans, der beweglichen Franka Potente aus Lola rennt und der singenden Marlene Dietrich in A Foreign Affair. Mit Marlene ist Volker Noth inzwischen so vertraut, daß sie das Bild beherrscht wie eine Primadonna..

8.

Auf dem Cover des Jahresberichts 2004 der Stiftung Deutsche Kinemathek spiegelt sich im Glas des Filmhauses das Antlitz von Marlene Dietrich. Verfremdet, verschattet, wie ein Signal aus einer fernen Welt, wie eine Gravur auf einer Schmuckschatulle. Gestaltung des Jahresberichts: Volker Noth.

9.

Im Zentrum der Plakate von Volker Noth für die Retrospektiven steht immer ein Bildmotiv. Eine Person, ein Gesicht, groß. Ein Paar, halb-nah. Ein Set, halbtotal. Eine Landschaft, total. Zwischen dem Bild und dem Betrachter soll eine Beziehung entstehen. Ein Wiedererkennen oder eine Neugierde. Wichtig ist die Perspektive. Nähe, Ferne, Tiefe. Manchmal entsteht die Wirkung erst auf den zweiten Blick. Auch Plakate dürfen ihre Geheimnisse haben. Wie das Kino.

10.

Dem Bild wird ein Text hinzugefügt: ein Titel, ein Extrakt von Informationen. Zumindest: was? wann? wo? Wer ist der Veranstalter? Text ist Schrift, sind Buchstaben. Tausend Schriften sind möglich. Eine kann die richtige sein. Wie fügen sich Bild und Schrift zueinander? Wo wird der Text verortet? Manchmal eignet sich dafür ein Rahmen. Wo finden Logos der Veranstalter und der Sponsoren ihren Platz? Über die Proportionen kann es gelegentlich Streit geben. Der Grafiker sitzt dabei selten am längeren Hebel, aber manchmal fallen ihm wunderbare Kompromisse ein.

11.

Es gibt Hoch- und Querformate. Viele Plakate sind schwarzweiß, gelegentlich gibt es ein oder zwei oder drei oder vier Farben. Der Grafiker darf auch spielen: mit Spiegelungen (Jack Lemmon; Siodmak Bros.), mit scheinbaren Spiegelungen (Friedrich Wilhelm Murnau), mit Montagen (Erich von Stroheim; William Wyler; Künstliche Menschen), mit der Schrift sowieso.

12.

Natürlich gibt es persönliche Lieblingsplakate. Ich nenne fünf:

Exil. Sechs Schauspieler aus Deutschland (1983). Zu sehen sind keine Schauspieler. Im Blickpunkt steht ein Ort. Der Anhalter Bahnhof, 1933, nachts. Von hier sind die jüdischen oder politisch opponierenden Künstler weggefahren in die Fremde. Das Plakat vermittelt eine Stimmung, einen Abschied.

Henny Porten (1986). Ein Gesicht in Großaufnahme. Zwei große, dunkle Augen schauen uns an. Ein geschlossener Mund. Die Nase wirft einen Schatten. Haare und Hals lösen sich im Schwarz des Bildhinter-grunds auf. Name und Text sind der Sockel für das fast plastische Porträt. Ein kleines Wunder, wenn man die unscheinbare Postkarte als Ausgangsmaterial in Erinnerung hat.

Rouben Mamoulian (1987). Eine Treppe, von unten. Oben – im Licht – stehen Gary Cooper und Sylvia Sidney. Der Effekt entsteht durch die Perspektive: Geländer rechts und links, neunzehn Stufen in der Mitte. Man muß genau hinschauen, um zu sehen, daß Sylvia Sidney lächelt.

Kalter Krieg (1991). Ein Panorama am Fluß. Die Elbe. Soldaten. Autos. Warten auf die Fähre, die am anderen Ufer festgemacht hat. Schein-barer Frieden. Die Blicke gehen zur anderen Seite. Kein Foto aus einem Film, sondern ein Sinnbild aus der Realität. Der Verweis aufs Kino und auf Cold War ist eher indirekt.

New Hollywood (2004). Eine Straße. Autos. Junge Männer. Eine Szene aus American Graffiti von George Lucas. Dämmerung. Schein-werfer. Telefonmasten. In der Mitte steht ein Mann mit dem Rücken zu uns. Gleich beginnt ein Rennen. Die Momentaufnahme steht für die Suggestion des Kinos: Trouble in Wonderland.

13.

Die Plakate zu den Retrospektiven sind die eine Seite in der Beziehung zwischen Volker Noth und der Kinemathek. Die Bücher mit ihren Layouts sind die andere. Der Umschlag, das Innere, die Typo-grafie. Die Qualität des Papiers. Der Umgang mit Bildern. Die Schwärzen im Schwarz der Abbildungen. Die Möglichkeiten der Marginalspalte. Man kann süchtig werden, mit Volker Noth Bücher zu machen. Man spart sich auch den Weg zur Hochschule für Gestaltung. Will sagen: Leben ist Lernen.

Bilder, Blicke, Buchstaben. Vorwort in: Volker Noth: Plakate + Publikationen. Deutsche Kinemathek / Filmmuseum Berlin 1977 – 2005. Berlin: Bertz + Fischer 2005. 102 S.