Texte & Reden
02. Dezember 2002

Klaus Poche 75

Geburtstagsrede in der Akademie der Künste

Sehr verehrter Klaus Poche, liebe Angelica Domröse, meine Damen und Herren,

ich heiße Sie herzlich willkommen zu einer Geburtstagsfeier. Der Autor Klaus Poche, Mitglied unserer Akademie seit 1994, ist am 18. November 75 Jahre alt geworden. Das feiern wir heute. Wobei ich denke, daß es nicht so turbulent zugehen wird, wie in Klaus Poches Wunschfilm Mamas Geburtstag, den wir Ihnen gleich zeigen werden. Klaus Poche ist Jahrgang 1927. Wie Egon Günther, Egon Monk, Günter Reisch. 1927 – das heißt: den Krieg als Soldat erleben, in Gefangen-schaft geraten, sich in der Nachkriegszeit als junger Mensch orientieren.

Klaus Poche wurde zunächst Krankenpfleger, dann Lehrer, dann Journalist und arbeitete schließlich ab 1954 als Grafiker und Schriftsteller in Ostberlin. Er schrieb Erzählungen und Romane, Szenarien für Film und Fernsehen. Seine Themen sucht er im Alltag, im Privaten, an gesellschaftlichen Schnittstellen. Wo die Leser und Zuschauer sich mit Konflikten identifizieren können. Es geht oft um die Polarität zwischen Anpassung und Befreiung.

Klaus Poches Arbeiten aus den fünfziger und sechziger Jahren sind mir persönlich weniger geläufig. Meine Wahrnehmung beginnt in den Siebzigern, mit seiner Zusammenarbeit mit Roland Gräf bei Mein lieber Robinson, diesem sehr sensiblen und unkonventionellen Porträt eines Jungen an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Zu bewundern sind da die Genauigkeit, die psychologischen Details, die Dialoge. In jenen Jahren gab es auch die Arbeit mit den Regisseuren Klaus Gendries bei Mein lieber Mann und ich oder Camping Camping (Thema: Entfremdungen in der Ehe), mit Frank Beyer bei Rottenknechte (Thema: die Tragik einer jungen Kriegs-generation), mit Thomas Langhoff bei Befragung – Anna O.

1978 war ein Schlüsseljahr für Klaus Poche, als der Fernsehfilm Geschlossene Gesellschaft (Regie: Frank Beyer) in die Kritik der Partei- und Fernsehhierarchien geriet und unter seltsamen Umständen, sozusagen „versteckt“, ausgestrahlt wurde. Frank Beyer hat mit einem Dossier in seiner Autobiografie „Wenn der Wind sich dreht“ darüber berichtet.

Der Film schildert die Krise einer Ehe, als die Partner– auf neutralem Boden – plötzlich und unerwartet miteinander allein sind. Vieles kommt zur Sprache, eine eigentlich verborgen gebliebene Krise zwischen zwei Menschen bricht offen aus. Es gibt auch Nebenfiguren – aber im Mittelpunkt steht das Paar, das seine Partnerschaft ganz unfreiwillig problematisiert, und im Mittelpunkt stehen zwei Schauspieler, Jutta Hoffmann und Armin Mueller-Stahl, die eine existentielle Gratwanderung unternehmen. Ohne das Buch von Klaus Poche wäre dieser Film natürlich gar nicht entstanden. Aber der Film wurde zum Problem, weil politisch Anstoß genommen wurde: die Krise des Paares war in dem Film nicht als individuelle, sondern vor allem als gesellschaftliche Krise dargestellt. Und das durfte nicht sein. Die Verhinderungsgeschichte, bei Frank Beyer nachzulesen, ist ein ganz eigenes Stück politisch-bürokratischer Prosa.

Auch Poches Roman „Atemnot“,der nicht mehr in der DDR erscheinen durfte, schildert das Klima jener Zeit – natürlich in einer ganz anderen Sprache. Der Titel ist Ausdruck persönlicher Erfahrungen. Als sich Klaus Poche 1979 – zusammen mit anderen Schriftstellern – an Erich Honecker wendet und seine Besorgnis über die Situation der Intellektuellen in der DDR ausdrückt, wird er aus dem Schriftsteller-verband ausgeschlossen.

Er siedelte nach Westberlin über und konnte dort immerhin seine Arbeit als Autor für Fernsehfilme fortsetzen: Regiepartner waren zu einem Teil Kollegen aus der DDR, die ebenfalls das Land verlassen hatten: zum Beispiel Frank Beyer und Egon Günther. Die zweite Haut (1981), noch in der DDR geschrieben, schildert die Phantasien und den Alltag einer Frau, die nach 15 Jahren aus einer Ehe ausbricht. Poche interessierte, was sie mit ihrer Freiheit anfangen kann. Und Angelica Domröse ist eine wunderbare Hauptdarstellerin in diesem Film, in dem – das muß hier gesagt werden – auch Hilmar Thate mitspielt.

Poche beschreibt in seinen folgenden Szenarien vor allem das, was er selbst nachvollziehen kann. Zum Beispiel die Erfahrungen eines DDR-Rentners, der nunmehr in den Westen fahren kann und in eine fremde Welt kommt: Der kleine Bruder, 1982. Oder die Träume einer jungen Berlinerin vom unanhängigen Leben und wie diese Träume mit Realitäten kollidieren. Die Platzanweiserin, 1984. Regie: Peter Schulze-Rohr, ausgezeichnet mit dem Preis der Akademie der darstellenden Künste.

Über Mamas Geburtstag aus dem Jahr 1985 mit Brigitte Horney, Helmuth Lohner und Angelica Domröse will ich hier nichts sagen, Sie werden den Film sehen. Einer der großen Fernsehfilme der achtziger Jahre ist für mich Hanna von acht bis acht: inszeniert von Egon Günther, mit Angelica Domröse als selbstbewußter Hotelbarfrau, die mit extremen privaten und gesellschaftlichen Nöten konfrontiert wird. Eine fast klaustrophobische Studie.

Ich kann hier nicht alle Fernsehfilme der achtziger und neunziger Jahre charakterisieren, nenne aber noch einige Titel, die mit Sicherheit in Erinnerung geblieben sind: Collin (1982, zwei Teile, Regie: Peter Schulze-Rohr), Die letzte Rolle (1985, Regie: Egon Günther, mit Hans Christian Blech), Wer zu spät kommt – Das Politbüro erlebt die deutsche Revolution (1990, zusammen mit Cort Schnibben, Regie: Jürgen Flimm), Sie und Er (1991, ein Zweiteiler, inszeniert von Frank Beyer, mit Senta Berger und Raimar Johannes Baur), Verlorenes Leben (1996, aus der Serie „Rosa Roth“ mit Iris Berben).

Die Fernsehsituation der Gegenwart macht es für Autoren wie Klaus Poche schwer bis unmöglich, ihren Platz zu behaupten. Für Zwischen-töne, diffizilere Konflikte und gesellschaftliche Subtexte ist kaum noch Raum. Es gab Generationswechsel in den Redaktionen, der Quoten-druck wächst, die Medien spielen fast ein bißchen verrückt. Einer wie Klaus Poche ist für das Serielle und das Sensationelle nicht zu haben.

Wenn ich ihn in unseren Mitgliederversammlungen erlebe, wirkt er oft ein bißchen enttäuscht von der Gegenwart, aber das äußert sich nie in Zynismus oder in Verbitterung. Er bekennt sich eher zu einer gewissen Naivität, die ihm geholfen hat, einen klaren Blick zu behalten.

Lieber Klaus Poche – auch wenn Sie die Hoffnung aufgegeben haben, mit dem Schreiben die Welt verändern zu können: Auf Ihr Leben und Ihr Werk dürfen Sie stolz sein. Also lassen Sie sich von uns feiern.

Berlin, Akademie der Künste, 2. Dezember 2002