Texte & Reden
06. Juni 1997

Gertrud Kückelmann

Rede über die Schauspielerin im Kino Arsenal, Berlin

Geboren in München am 3. Januar 1929. Das war das Jahr von TAGEBUCH EINER VERLORENEN, FRAU IM MOND und MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK.  Gestorben in München am 17. Januar 1979. Das war das Jahr der EHE DER MARIA BRAUN, der BLECHTROMMEL und des Norbert Kückelmann-Films DIE LETZTEN JAHRE DER KINDHEIT.

1.

München-Pasing, Ende der siebziger Jahre. Im ersten Stock eines Wohnhauses in der Floßmannstraße lebt und arbeitet der Schriftsteller Hans Werner Richter. Er ist um die siebzig Jahre alt. Seine Reputation verbindet sich nicht mit großer Prosa oder Lyrik, sondern mit der Rolle eines Initiators und Vermittlers. Nach dem Krieg hat er zusammen mit Alfred Andersch die Zeitschrift „Der Ruf“ herausgegeben. Von 1947 bis 1967 war er die animierende Bezugsperson der „Gruppe 47″. In den sechziger Jahren veranstaltete er zusammen mit Ernst Schnabel im Dritten Fernsehprogramm des SFB einen literarisch-politischen Salon. Ab 1975 ist München wieder sein Lebensmittelpunkt.

Über ihm, im zweiten Stock des Hauses, wohnt eine Schauspielerin. Er hört nachts ihre Schritte, er begegnet ihr an der Haustür, am Briefkasten, beim Einkaufen. Er lädt sie eines Tages zum Essen ein. Aber daraus wird nur ein langes, intensives Treffen in einer Eisdiele. Sie ist oft verreist. Die beiden unternehmen einen Spaziergang an der Isar, besuchen einen Biergarten, gehen zusammen ins Theater. Aus einer flüchtigen Bekanntschaft wird eine diskrete, unausgesprochene Freundschaft. Es ist alles andere als eine Romanze. Aber Stoff für ein Stück Prosa. Die Schauspielerin in Hans Werner Richters Erzählung „Die Flucht nach Abanon“ hat keinen Namen. Aber das Buch trägt eine Widmung: „Für Gertrud Kückelmann“.

Richter, kein Ich-Erzähler, sondern ein Er – „der Schriftsteller“ -, schreibt am Anfang: „Sie war eine Schauspielerin. Für ihn als solche interessant aber eben nur als Schauspielerin, nicht als Mensch, nicht als Frau. Sie war nicht schön, nein das war sie nicht, keine schöne Frau. Er konnte sie sich als Frau gar nicht vorstellen. Nie hatte er es versucht. Sie war klein, aber sie erschien ihm, in welchem Kostüm sie auch auftrat, immer größer als sie war. Ihre Bewegungen faszinierten ihn: drei Schritte vor oder drei Schritte zurück, die Füße unter dem bauschigen Rock, ihre Verbeugungen, das Neigen des Kopfes. Er hätte sie nicht schön, aber apart genannt, doch diese Bezeichnung erschien ihm zu trivial. Sie war für das, was er empfand, zu ungenau, zu wenig bezeichnend. Etwas an ihr erschien ihm unerreichbar, nicht zu verbinden mit den Alltäglichkeiten des Lebens.“

Später, bei der Begegnung in der Eisdiele, heißt es: „Er blickt sie von der Seite her an. Ihr Gesicht zeigt keine Falten, ist nicht geschminkt, nur flüchtig zurechtgemacht. Also kein Auftritt, kein Spiel, vielleicht ist sie in diesem Augenblick so wie sie wirklich ist. Aber da ist das betont Kindliche, das ihm gefällt, als hätte sie die Jugend noch vor sich, die doch schon weit zurückliegt, und da ist im Gegensatz dazu das andere: die innere Spannung. (…) Ihre Art, sich zu geben, wird ihm nie ganz klar werden, diese Skala von Bewegungen, Ausdrücken, Gesten, die Veränderungen ihrer Augen. Er gibt sich Mühe, sie nicht zu beobachten, kann es aber doch nicht unterlassen. Etwas hindert ihn daran: Es ist die Atmosphäre, die sie verbreitet, ihre Ausstrahlung. Oft ist sie von einer großen Unruhe, zappelig möchte er es nennen, als bewege sie ein schnell laufender innerer Motor, und dann, ganz plötzlich, tritt wieder Ruhe ein. Vielleicht kann sie sich nicht gehenlassen, nicht sein, wie sie wirklich ist. (…) Es beeindruckt ihn, wie ihre Stimmungen wechseln, alles folgt unmittelbar aufeinander, er könnte es für sich aufzählen: Pessimismus und Heiterkeit, Optimismus, Verzweiflung, Traurigkeit, Ernst und Lachen. Alles kommt für ihn aus einem scheinbar unbegrenzten Repertoire von Gefühlen.“

Es wären viele weitere Beobachtungen zu zitieren. Am Ende der Erzählung geht der Schriftsteller zum Bahnhof, um eine Zeitung zu kaufen: „Schon in ein paar Meter Entfernung vom Zeitungskiosk sieht er die Balkenüberschrift einer Boulevard-Zeitung. Er bleibt stehen und liest es wieder und wieder, einmal, zweimal, dreimal, er kann es nicht begreifen: Er wird sie nicht mehr wiedersehen, sie hat ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt, nie wieder wird er ihre Schritte über sich hören.“

Natürlich hat Hans Werner Richter nicht einfach eine Schauspielerin porträtiert. Die aus dem Zusammenhang gelösten Zitate deuten wohl an, daß es sich um ein heikles Stück persönlicher, sublimierender Prosa handelt. Aber eben auch um das Bild eines Autors von einer bestimmten Schauspielerin. Wenn man die Erzählung liest, schieben sich immer Erinnerungen an die beiden realen Personen, an lebendige, konkrete Gesichter und Stimmen zwischen den Leser und den Text. Als beobachte man einen Vorgang auf der Bühne oder fotografisch aufgelöst in einem Film.

2.

Ich muß, wenn ich über Gertrud Kückelmann spreche, auch etwas Persönliches bekennen, was enge Freunde aus Erzählungen wissen. Die fünfziger Jahre waren die Zeit meiner ersten großen Kinopassion, und Gertrud Kückelmann war über eine lange Zeit für mich das, was man seine absolute Lieblingsschauspielerin nannte. Ich weiß nicht so genau, wie sich heute eine schwärmerische Verehrung ausdrückt. In den Fünfzigern schrieb man Briefe, sammelte Autogramme und  wartete sehnsüchtig auf den nächsten Film. Keiner meiner Freunde konnte damals diese Zuneigung so recht verstehen oder teilen. Also hatte ich sie für mich allein. Ich lebte in der Nähe von Stuttgart und fuhr mehrfach nach München, um Gertrud Kückelmann im Theater zu sehen. Ein Nachlaß meiner Schwärmerei sind 40 Autogramme von ihr auf Starpostkarten und Theaterzetteln, manchmal ergänzt mit dem Zusatz „Herzlich“, „Alles Gute“, „Viele Grüße“. Persönlich habe ich sie nie gesprochen. Einer Begegnung wäre ich auch kaum gewachsen gewesen. Ich will nicht ausschließen, dass Gertrud Kückelmann sogar ein Motiv war, in München meine Studienzeit zu beginnen, die stark von den Kammerspielen in der Maximilianstraße und dem Studio in der Occamstraße geprägt wurde.

Es gab in den Fünfzigern nur zwei andere Schauspielerinnen, die ich neben Gertrud Kückelmann gelten ließ: Jean Simmons und Maureen O’Hara. Von heute aus erkenne ich Affinitäten zwischen ihnen, die mit ihren Augen, ihren Blicken, ihren Bewegungen, ihrer Grazie, ihrer Körpersprache zu tun haben. Was darüber hinaus mein Maß der Dinge war, ist wohl der Zeit, also den fünfziger Jahren geschuldet.

3.

Womit wir bei unserem generelleren Thema sind: den Schauspielern im westdeutschen Film der Fünfziger. Darüber ist bisher wenig Zulängliches und Anregendes publiziert worden. Immer wieder gehen Autoren von den Ideen, den Genres, den Ideologien, den Regisseuren und der ökonomischen beziehungsweise künstlerischen Krise des bundesdeutschen Nachkriegsfilm aus. Eine spezielle Typologie und Charakterisierung der Darsteller wäre noch zu leisten. Die von Thomas Koebner herausgegebene Sammlung „Idole des deutschen Films“ bietet bereits eine hervorragende Grundlage.

Enno Patalas hat Anfang der Sechziger eine „Sozialgeschichte der Stars“ geschrieben. Der Absatz über die deutschen Schauspielerinnen der späten vierziger und der fünfziger Jahre – im Kapitel „Die guten Kameradinnen“ – ist kurz: „Nach Kriegsende schien es vorübergehend, als sollte Hildegard Knef zu einer neuen Fatalen werden; über die biedere sünderin kam sie indes nicht hinaus; auch als Gräfin Geschwitz in lulu und als Seeräuberjenny in der dreigroschenoper blieb sie ein blasses Abbild der Dietrich. – Die repräsentativen Frauengestalten des deutschen Nachkriegsfilms [auf den DDR-Film geht Patalas nicht ein] waren wieder die Blonden, Tüchtigen und Gefühlvollen. Luise Ullrich spielte die unermüdlichen Mütter, Geschäftsfrauen und Krankenschwestern: ein idealisiertes Porträt der deutschen Kleinbügerin vor und nach der Währungsreform. Ruth Leuwerik kultiviert edles Gefühl, das durch alle Leiden hindurch unbeirrt zum Guten wirkt. Maria Schells Gefühle hingegen können irren; ihre Liebesfähigkeit kennt kein Maß und findet ihren Sinn in sich selbst. Romy Schneider erblickte das Licht der Atelierscheinwerfer als süßes Wiener Mädel, ganz die Tochter ihrer Mutter Magda, und wurde als Kaiserin sissi zum Inbegriff aller sentimentalen Weltfluchtträume.“

Patalas konzentierte sich in seinem Buch – der größeren Bedeutung entsprechend – auf die Stars des Hollywood-Films, die Jungfrauen, die Männer der Tat, die Komischen, die Mondänen (darunter als Deutsche: Lil Dagover, Brigitte Helm, Elisabeth Bergner, Brigitte Horney und Lilli Palmer), auf die Fremden, die Hartgesottenen, die Vamps (darunter sind Marlene Dietrich und Zarah Leander), die Jungen von nebenan (als Deutsche: Heinz Rühmann, Willy Fritsch, Hans Albers, Dieter Borsche, O.W.Fischer und Curd Jürgens), die schon genannten Guten Kameradinnen, die Pin-up-Girls, die Rebellen, die Nymphen.

Ulrich Kurowski, wie kaum jemand sonst vertraut mit dem Film der Fünfziger, hat 1989  für den Katalog zur Frankfurter Ausstellung „Zwischen Gestern und Morgen“ 43 kleine, pointierte Porträts über Schauspielerinnen geschrieben, natürlich über Hildegard Knef, Ruth Leuwerik, Maria Schell und Sonja Ziemann, über Johanna Matz, Liselotte Pulver und Eva-Ingeborg Scholz, über Elisabeth Müller, Ruth Niehaus und Barbara Rütting. Auch über Gertrud Kückelmann. Den Text zitiere ich später.

4.

Gertrud Kückelmann drehte zwischen 1949 und 1957 19 Filme, beginnend mit dem Märchen HANS IM GLÜCK. In RAUCH EINER NACHT spielt sie eine junge Musikstudentin, die sich in einen eleganten älteren Lebemann verliebt, bei dem ihre Stiefmutter aber mehr Erfolg hat. In DAS SELTSAME LEBEN DES HERRN BRUGGS ist sie die Tochter eines Industriellen, dessen Lebenskrise auch ihr zu einer neuen Haltung verhilft. In …MUTTER SEIN DAGEGEN SEHR wird sie als Hausmädchen von einer Witwe mit drei Adoptivkindern in die Flucht geschlagen. In HAUS DES LEBENS ist sie eine junge Mutter, die in der Geburtsklinik damit fertig werden muß, daß der Vater ihres unehelichen Kindes zu seiner Frau zurückkehrt. In DER WEIBERTAUSCH droht sie als Bauernmagd das Opfer einer Männerposse zu werden. In FRÄULEIN CASANOVA läßt sie sich scheinbar mit einem tölpelhaften Schriftsteller ein und lernt dadurch ihren Verlobten wirklich schätzen. In DER KAPLAN VON SAN LORENZO gerät sie unter Mordverdacht und bezaubert einen Geistlichen (Dieter Borsche). Sie tut das so dezent und am Ende erfolglos, daß selbst der katholische film-dienst gerührt war. In EIN HERZ SPIELT FALSCH, gedreht nach einem Hör zu-Roman, ist sie eine kleine Modistin, die kurzfristig O. W. Fischer davon abhält, der todkranken Ruth Leuwerik seine Liebe zu beweisen. In MUSIK BEI NACHT spielt sie die verschuldete Besitzerin einer Bar und wird von einem erfolgreichen Schlagersänger vor der Pleite gerettet. In DIE STÄRKERE stört sie für eine Weile das Eheglück zwischen einer gelähmten Sängerin und einem Architekten. Sie verzichtet. In DAS TANZENDE HERZ ist sie die Tochter eines genialen Hofmechanikers, die, um die Ehre des Vaters zu retten, eine vom ihm konstruierte Tanzpuppe spielen muß. In EIN HAUS VOLL LIEBE behebt sie als Studentin im Münchner Fasching in einer Verkleidungs- und Verwechslungskomödie eine Theaterkrise. In DIE GOLDENE PEST ist sie eine Sängerin mit einem bösen Bruder in einem moralisch heruntergekommenen Dorf. Sie verkörpert Anständigkeit und Sauberkeit, die am Ende auf kathartische Weise das ganze Dorf erneuern. In DER ENGEL MIT DEM FLAMMENSCHWERT ist sie die Frau eines Werbeleiters mit zwei Kindern, die mit ihrem Mann in den Verdacht der Blutschande gerät. Natürlich zu Unrecht. In REICH MIR DIE HAND, MEIN LEBEN ist sie Mozarts Ehefrau Constanze, die für längere Zeit zur Kur fährt und ihrem Mann dadurch die Gelegenheit zu einer Herzensliebe gibt. In FRUCHT OHNE LIEBE gerät sie als zunächst kinderlose Ehefrau in einen Gefühlskonflikt zwischen ihrem Mann und dem Vater ihres Kindes, das sie über eine künstliche Befruchtung empfängt. In DIE GANZE WELT SINGT NUR AMORE erliegt sie als Bildhauerin dem Charme eines Kammersängers. In diesem Film sind ihre schauspielerischen Möglichkeiten besonders extrem unterfordert. In SPIELBANKAFFÄRE – ihrem letzten Kinofilm – ist sie eine Studentin, die von einem Rechtsanwalt für finanzielle Machenschaften missbraucht wird und am Ende mit ihrem Mann, einem Zeitungsreporter, die Hintergründe aufklärt.

5.

Gertrud Kückelmann verkörpert in ihren Filmen Unschuld, Naivität, Anmut, Jugendlichkeit, Glücksversprechen. Für die erzählten Geschichten gibt es unterschiedliche Lösungen: den Sieg über das Böse, Unmoralische, gelegentlich auch Verbrecherische. Den Umweg über eine Erfahrung, die zu einer besseren Einsicht führt. Oder den Verzicht, das Opfer zugunsten einer größeren, reiferen Beziehung, die für eine so junge Frau noch aufgespart bleibt.

Die älteren Männer, denen sie kurzfristig zur Versuchung wird, sind Richard Häusler, Dieter Borsche, O. W. Fischer, Hans Söhnker, Bernhard Wicki, Peter Pasetti. Die Männer, mit denen sie – vor allem in den Komödien – ein Happyend haben kann, sind Josef Meinrad, Viktor Staal, Paul Hubschmid, Gunnar Möller, Michael Cramer, Ivan Desny, Martin Benrath, Claus Holm. Es sind die braveren Männer. Oft wird ihr am Ende allerdings ein persönliches Glück versagt.

Die Plots der 19 Filme mit Gertrud Kückelmann, die ich skizziert habe, stammen aus dem Fundus der vierziger und fünfziger Jahre. Immer wird eine Ordnung, die ins Wanken geraten ist, wiederhergestellt. Es sind zur Hälfte Komödien, zur anderen Hälfte Melodramen, die man damals „Problemfilme“ nannte, weil damit ihr Ernst und ihre Bedeutsamkeit besser ins Bewusstsein zu bringen waren. Auch wenn diese Filme in einem spezifischen Milieu spielen, wirken sie wie Botschaften aus einem Niemandsland. Sie konstruieren Konflikte durch Missverständnisse, durch Zufallsdramaturgien. Ihnen gelingen selten innere Zusammenhänge.

Fritz Göttler konstatiert in der „Geschichte des deutschen Films“ (1993) für die fünfziger Jahre: „Geschmacklosigkeit ist der zentrale Vorwurf diesen Filmen gegenüber, und der Gesellschaft, die sie produziert; kein wirklich schlechter Geschmack freilich, keine Verfehlung, sondern, allgemein, das Fehlen von Geschmack: ein grundlegendes Defizit, eine offensichtliche Weigerung, auf irgendeinen Geschmack überhaupt sich festzulegen, das Desinteresse daran, einen Stil zu entwickeln.“

6.

Und welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Schauspielerin Gertrud Kückelmann? Sie gibt den Filmen, auch wenn ihnen sonst jeder Sinn, jedes Zentrum, jeder Geschmack fehlen, eine Seele. Diese Schauspielerin geht nicht auf in der Realität dieser Filme, sondern bleibt in ihren Bewegungen, ihren Gesten, ihrer Stimme bei sich selbst. Sie schwebt immer ein bisschen über dem Boden der filmischen Wirklichkeit. Vielleicht weil sie von ganzem Herzen eine Theaterschauspielerin war, worüber ich hier nicht geredet habe. Auch ihre zahlreichen Rollen im Fernsehen der fünfziger und sechziger Jahre kamen vorwiegend aus dem Repertoire des Theaters. Wenn ich es recht bedenke, hat sie zwar in vielen sehr erfolgreichen Filmen mitgespielt, aber darunter war kein einziges großes, über die Zeit hinaus bedeutendes Werk.

Ulrich Kurowski: „Die Figuren der Gertrud Kückelmann stehen häufig am falschen Platz, wie im Schwarzmarktmilieu rund um ein Ami-Lager in John Brahms die goldene pest. Als man Gertrud Kückelmann in Heimatfilmen einsetzte, vertrug ihre körperliche Haltung sich nicht mit den Schauplätzen dieser Filme: die Schauspielerin hatte nicht das Hühnerfüttern und Dreschen gelernt, sondern – beim Ballett – das Tanzen. Liebeneiner hat 1953 mit Gertrud Kückelmann DAS TANZENDE HERZ gedreht. Sie war eine Tänzerin, aber auch (als Doppelrolle) eine tanzende Puppe, bei der der Mechanismus nicht immer funktioniert. In späteren Jahren erprobte sich Gertrud Kückelmann in Theater und Fernsehen in den Rollen grotesker alter Jungfern – in Hauptmanns ‚Michael Kramer‘ und Bonds ‚Die See‘. Das wäre eine Lösung für die Alterslaufbahn gewesen.“

Natürlich ist mir das zu distanziert und zu ironisch. So zitiere ich am Ende noch einmal Hans Werner Richter als Kronzeugen: „Und plötzlich sieht er sie, so wie sie da vor ihm sitzt, klein, schmal, zierlich, fast könnte er ihre Erscheinung als astral bezeichnen, nichts an ihr ist sinnlich, erdnah. Ihre Ausstrahlung ist eine nicht irdische, schwebende, sie besitzt etwas, was fasziniert und gleichzeitig befremdet. So wie sie jetzt vor ihm sitzt, scheint sie ihm kaum ansprechbar, ist sie wieder ganz in sich versunken, fern von ihm und, so kommt es ihm vor, fern auch von jeder Realität.“

Vortrag  im Rahmen des Symposiums „Platz zum Spielen“ am 6. Juni 1997 im Kino Arsenal; nachgedruckt in: FilmGeschichte, Nr. 11/12, April 1998.