Texte & Reden
15. Juni 1997

Filmgeschichte im Fernsehen

Text für das Buch „Recherche: Film“

1. Filme im Fernsehen

1957 waren in der Bundesrepublik mehr als eine Million Fernsehgeräte angemeldet, in der DDR rund 100.000; im Westen und im Osten wurde je ein Programm ausgestrahlt. In der Woche vom 1. bis 7. Januar sendete das westliche Fernsehen einen Spielfilm (sonntagskinder, 1941), das östliche drei. Kino und Fernsehen befanden sich in einem beginnenden Konkurrenzverhältnis. In der Bundesrepublik hieß die Parole der Filmwirtschaft noch: „Keinen Meter Film ans Fernsehen!“.

1977 hatte sich die Zahl der Fernsehteilnehmer deutlich erhöht: auf 20 Millionen angemeldete Geräte in der Bundesrepublik und 5 Millionen „Empfangsgenehmigungen“ in der DDR. Im Westen gab es inzwischen sieben öffentlich-rechtliche Fernsehprogramme (ARD, ZDF und die Dritten Programme: BR, HR, N 3, S 3, WDR), im Osten zwei staats-nahe (1. und 2. Programm). In den ersten sieben Januartagen 1977 strahlten die westlichen Sender zwanzig Spielfilme aus; der älteste stammte aus dem Jahr 1930 (la fin du monde, Regie: Abel Gance). Im Programm der beiden östlichen Sender gab es 14 Spielfilme zu sehen. Inzwischen werden also viele Meter Film ans Fernsehen verkauft. Die Zahl der Titel signalisiert Vielfalt. Auf einen längeren Zeitraum gesehen, können Fernsehzuschauer kleinere Passagen durch die Filmgeschichte unternehmen.

1997, im siebten gesamtdeutschen Jahr, wird die Zahl der Fernseh-teilnehmer auf 33 Millionen beziffert. Sie können per Antenne, Kabel und Satellit bis zu 13 öffentlich-rechtliche und mindestens acht private Vollprogramme sowie verschiedene regionale, ausländische und pay-tv-Stationen empfangen. Vom 1. bis 7. Januar 1997 zeigten 21 öffent-lich-rechtliche und private Kanäle 278 verschiedene Spielfilme. Die ältesten stammten wiederum aus dem Jahr 1930: anna christie (Regie: Jacques Feyder) und little caesar (Regie: Mervyn LeRoy). Die Zahl der Titel deutet auf eine Inflation. Gesendet wird rund um die Uhr. Wer filmhistorisch interessiert ist, kommt ohne Videorecorder nicht mehr aus. In seiner Rezeption ist er dann unabhängig von Sendezeiten; auf einen längeren Zeitraum kann er Material für eigene Retrospektiven sammeln.

Spielfilme, für das Kino hergestellt, sind fester Bestandteil der Fernseh-programme. Sie gelten als attraktiv, Spitzentitel bringen gute Quoten auch in der Primetime. Der Erwerb der Ausstrahlungsrechte geschieht in der Regel paketweise, die Lizenzsummen sind gigantisch gestiegen, seitdem private TV-Anbieter zu den öffentlich-rechtlichen in Konkur-renz getreten sind. Ihr Umgang mit den Filmen ist zum Teil rabiat: sie werden durch Werbung unterbrochen, auf passende Sendezeiten reduziert, um heikle Szenen gekürzt, am Ende abrupt abgeschnitten.

Das Verhältnis Kino – Fernsehen wird seit Jahrzehnten generell problematisiert und diskutiert. Welche Veränderungen erfährt der Film durch die Transformation von der Leinwand auf den Bildschirm? Was bedeuten für die Kinobilder Reduktion und elektronische Übertragung? Wie reagieren die Zuschauer auf die unterschiedlichen Rezeptions-bedingungen im Kinoraum und in ihrem Wohnraum? Wie beeinflusst das Fernsehen durch seine inzwischen dominante Rolle gegenüber dem Kino Stoffwahl und Ästhetik der Filme? Was ist ein „amphibischer Film“? Wird es längerfristig überhaupt noch Kinos geben? Die Rolle des Fernsehens als Filmvermittler und Filmproduzent beansprucht mittler-weile ein eigenes Kapitel in der Mediengeschichte (zum Beispiel: Karl Prümm: Film und Fernsehen. In: Geschichte des deutschen Films. Stuttgart, Weimar 1993).

Mitte der sechziger Jahre wurden in den Fernsehanstalten der Bundes-republik die ersten speziell mit der Spielfilmauswahl, -bearbeitung und -begleitung beauftragten Redaktionen eingerichtet. Zu den Redakteuren der „ersten Generation“ gehörten Klaus Brüne, Siegfried Hofmann, Eva Hoffmann, Dieter Krusche und Jürgen Labenski beim ZDF (sie kamen zwischen 1963 und 1967 in ihre Ämter), Hellmut Haffner beim Bayeri-schen Rundfunk (ab 1964), Reinold E. Thiel und Wilhelm Roth, Georg Alexander und Wilfried Reichart beim WDR (zwischen 1965 und 1970), Hans Brecht beim NDR (ab 1965), Franz Everschor, Kurt Habernoll, Heinz Ungureit und Klaus Lakschéwitz bei der ARD in Frankfurt (ab 1966). Einige der Genannten sind inzwischen verstorben, andere pensioniert, einige wechselten bald ihren Arbeitsplatz. Die wenigen, die noch in ihren Funktionen sind, verweisen darauf, dass es bei der Spielfilmauswahl in den sechziger Jahren größere Möglichkeiten gab.

Vor allem die Dritten Programme fühlten sich damals ihrem kulturellen Auftrag verpflichtet. Die Redakteure hatten filmkünstlerische Ansprüche, wie sie – zu dieser Zeit noch kaum existierenden – Kinematheken und Kommunalen Kinos angemessen gewesen wären. Sie ordneten die Filme zu kleinen Retrospektiven, ließen begleitende filmkundliche Sendungen herstellen, sprachen Einführungen und gaben den Programmplätzen rubrizierende Titel wie „Film-Club“ (N 3), „Kinemathek“ (WDR), „Teleclub“ und „Filmkabinett“ (BR), „Film-studio“ (HR). Auch das Erste und Zweite Programm hatten ambitio-nierte Reihen. Sie hießen „Das Film-Festival“ und „Der Studio-Film am Montag“ (ARD), „Der besondere Film“ und „Der internationale Kurzfilm“ (ZDF). Eingekauft wurden vorzugsweise Filme, die aus den Kinos verschwunden waren oder nie den Weg dorthin gefunden hatten. In den sechziger Jahren erschloss das Fernsehen die internationale Filmgeschichte: Osteuropa und Westeuropa, Japan und Lateinamerika, die neuen Außenseiter in den USA und die alten Meister aus Hollywood. Ab 1964 (ZDF) bzw. 1966 (ARD) informierten die Filmredaktionen jährlich in repräsentativen Broschüren über ihre Programme.

Die siebziger Jahre waren im Film/Fernseh-Verhältnis in der Bundesrepublik eine besonders interessante und produktive Zeit. Der Neue deutsche Film erlebte seine kreativste Phase. Die politisch-gesellschaftlichen Aufbruchsstimmungen brachten auch in die Kinos neue Erwar­tungshaltungen; mit öffentlichen Subventionen wurden Kommunale Kinos eingerichtet, aufgeschlossene Filmtheaterbesitzer machten aus ihren Häusern „Programmkinos“ und präsentierten Retrospektiven aus den noch umfangreichen Beständen der Verleiher.

In den TV-Anstalten gewannen die Fernsehspiel-Abteilungen an Bedeutung. Durch Produktionsbeteiligungen an Kinospielfilmen beseitigten sie zunehmend die Trennschärfe zwischen Kino und Fernsehen. Viele Regisseure des jungen/neuen deutschen Films erhielten in den siebziger Jahren spezielle Fernsehaufträge oder profilierten sich zunächst durch Beiträge für „Das kleine Fernsehspiel“ des ZDF (geleitet zunächst von Hajo Schedlich, dann von Eckhart Stein). In den Annalen der Filmgeschichte haben sich auf der Fernsehseite vor allem der WDR (Abteilungsleiter: Günter Rohrbach, später Gunther Witte; Redakteure: Wolf-Dietrich Brücker, Volker Canaris, Peter Märthesheimer, Joachim von Mengershausen, Martin Wiebel) und das ZDF (Abteilungsleitung: Heinz Ungureit; Redakteure: Christoph Holch, Willi Segler) einen Platz gesichert. Das wichtigste Signal für eine entspanntere Kooperation war das Film/ Fernseh-Abkommen von 1974, in dem ARD und ZDF erhebliche Beträge für Gemeinschaftsproduktionen zusagten, die zunächst einer Kinoaus-wertung vorbehalten waren. So beteiligten sich die Sender an Projekten, die zum Zeitpunkt ihrer Fernsehausstrahlung – in der Regel nach fünf Jahren – schon Filmgeschichte waren. Regisseure wie Rainer Werner Fassbinder, Reinhard Hauff, Peter Lilienthal, Volker Schlöndorff und Wim Wenders pendelten zwischen Kinofilmen und TV-Produktionen. Der WDR-Fernsehspiel-Chef Günter Rohrbach warf 1977 den Begriff „amphibischer Film“ in die Debatte. (Das Subventions-TV. Plädoyer für den amphibischen Film. In: Jahrbuch Film 77/78. München 1977). Er wollte damit unterschiedliche Interessen versöhnen, begünstigte aber indirekt die Nivellierung thematischer und ästhetischer Radikalität.

In den achtziger Jahren gewann das Fernsehen gegenüber dem bundesdeutschen Kinofilm eine deutliche Dominanz. Zwar wurden die Film/Fernseh-Abkommen immer wieder erneuert, aber das Ansehen des Neuen deutschen Films verblasste, die messbaren Erfolge der deutschen Kinofilme blieben aus, auch künstlerisch war immer weniger Staat damit zu machen. So sanken die Einschaltquoten bei deutschen Filmen bis in die neunziger Jahre, während die Beliebtheit deutscher TV-Mehrteiler und Fernsehserien überproportional zunahm. Seit der Zulassung privater Fernsehanbieter (SAT 1, RTL, Pro 7 etc.) Anfang der achtziger Jahre und dem damit verschärften Wettbewerb um Werbeein-nahmen sind im Übrigen die Fragen nach dem Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten neu gestellt. Sie werden auch von den Spielfilmredaktionen nicht mehr qualitativ beantwortet, sondern mit Marktwertanalysen und Zuschauerprozenten.

Vor allem ARD und ZDF, aber auch die Dritten Programme sind beim Einkauf von Spielfilmen und bei ihrer Platzierung auf ein möglichst großes Publikum fixiert. Das hat Folgen auch für den Umgang mit Filmgeschichte. Schwarzweiß-Filme oder gar Stummfilme haben so geringe Zuschauerquoten, dass sie fast nur noch in den Kulturkanälen (3sat und Arte) zu sehen sind. Interessante Werkschauen werden von den Dritten Programmen in die Nächte verlagert.

So ist es fast ein Nachruf, wenn wir in unserem Zusammenhang daran erinnern, dass sich vor allem das ZDF, der WDR und der NDR um die Rekonstruktion oder Restaurierung alter Filme verdient gemacht haben. Dies betrifft sowohl Stummfilme, die jeweils mit Musikbegleitung gesendet wurden, wie auch Filme der dreißiger, vierziger und fünfziger Jahre, deren Verstümmelungen durch Verleiheingriffe in mühsamer Arbeit rückgängig gemacht worden sind (Visconti, Hitchcock). Zu den Redakteuren, die sich hier Verdienste erworben haben, gehören Jürgen Labenski und Josef Nagel (ZDF), Werner Dütsch und Helmut Merker (WDR), Hans Brecht und Jochen Wolf (NDR).

Ein zweiter Nachruf: er gilt, eher nostalgisch als trauernd und würdigend, den Spielfilmen im Fernsehen der DDR. Der bekannteste Termin war von den fünfziger bis in die achtziger Jahre der Montag-abend. Zwischen 20 und 21.30 Uhr – unmittelbar vor dem „Schwarzen Kanal“ von Karl-Eduard von Schnitzler – wurden dort mit nicht nachlassender Regelmäßigkeit Unterhaltungsfilme der NS-Zeit gesendet. Aus dem schier unerschöpflichen Fundus des Staatlichen Filmarchivs der DDR kamen über die Jahre Hunderte sonst kaum zu sehende Komödien und Musikfilme, Melodramen und Literaturver-filmungen der dreißiger und frühen vierziger Jahre auf den Bildschirm. Ideologische Vorbehalte wurden offenbar zurückgestellt. Kein Kapitel der Filmgeschichte (abgesehen von ihrer eigenen) ist den Fernsehteil-nehmern der DDR so umfassend präsentiert worden wie der Trivialfilm des Dritten Reiches. Dominiert wurde das Programm im Übrigen von Konfektionsware aus Osteuropa, die wenig Lizenzkosten verursachte. Für internationale künstlerische Werke gab es den Reihentitel „Die Filmothek“. Natürlich wurden auch die Spielfilme der DEFA nach der Kinoauswertung im DDR-Fernsehen gesendet. Sie gehören inzwischen zum Repertoire der neu gegründeten Sender ORB und MDR. Über eine Tochtergesellschaft ist der Mitteldeutsche Rundfunk sogar Teilhaber der inzwischen privatisierten Verleihgesellschaft Progreß Film und hat damit den Zugriff auf die gesamte DDR-Spielfilm- und Dokumentar-filmproduktion, sofern die Rechte nicht anderweitig vergeben sind.

2. Spezialgebiet: Dokumentarfilm

In der Bundesrepublik nahm das Fernsehen den künstlerischen und journalistischen Dokumentarfilm fast ganz in seine Obhut. Die im Kino nur selten erfolgreichen Produktionen – sie gelten gegenüber dem Spielfilm als spröde und langweilig – haben auf dem Bildschirm eine spezielle Wirkkraft, wenn Technik (meist 16mm) und Handwerk professionell genutzt werden. Die Sozialreportagen von Hans-Rolf Strobel und Alfred Tichawsky (Bayerischer Rundfunk), die pointierten Feuilletons der „Stuttgarter Schule“ (Wilhelm Bittorf, Roman Brodmann, Dieter Ertel, Georg Friedel, Heinz Huber/Süddeutscher Rundfunk), die politischen Gegeninformationen von Theo Gallehr, Rolf Schübel und Erika Runge (Westdeutscher Rundfunk), die genauen Beobachtungsfilme von Klaus Wildenhahn, die dokumentarischen Geschichtsfilme von Eberhard Fechner (beide Norddeutscher Rundfunk), die feuilletonistischen Porträts von Georg Stefan Troller, die „Gesprächsfilme“ von Hans-Dieter Grabe (beide ZDF), die regionalen Erkundungen von Christoph Hübner (WDR/ZDF), die historischen „Straßenfilme“ von Ebbo Demant (Südwestfunk), die Essays von Hartmut Bitomsky und Harun Farocki (WDR), die Arbeitsfilme von Peter Nestler (zuerst SDR, dann Schwedisches Fernsehen) sind inzwischen zugleich Film- und Fernsehgeschichte.

Eine eigene Untersuchung wert wären die dokumentarischen Porträts, hergestellt von deutschen Regisseuren und Filmemachern, die sich persönlich auf historische Spurensuche begeben haben. Ich nenne zwölf Beispiele (chronologisch geordnet), die als künstlerische Reflexionen zu Aspekten der internationalen Filmgeschichte zu bewerten sind: der lange abschied von ober hausen von Bernhard Dörries (über seine Kollegen Vlado Kristl, Edgar Reitz, Haro Senft, Herbert Vesely und sich selbst, 1974), der schauplatz des krieges von Hartmut Bitomsky (über John Ford, 1976), nur zum spass – nur zum spiel von Volker Schlöndorff (über Valeska Gert, 1977), die langen ferien der lotte h. eisner von Sohrab Shahid Saless (über die emigrierte deutsche Filmhistorikerin, 1979), zehn tage in calcutta von Reinhard Hauff (über den indischen Regisseur Mrinal Sen, 1984), ein film für bossak und leacock von Klaus Wildenhahn (über den polnischen und den amerikanischen Dokumentaristen, 1984), tokyo-ga von Wim Wenders (über Yasujiro Ozu, 1985), im bergwerk der wirklichkeiten von Edith Schmidt (über Cesare Zavattini, 1986), auf der suche nach der verlorenen zeit von Ebbo Demant (über Andrej Tarkowski, 1987), in meinem herzen, schatz… von Hans-Christoph Blumenberg (über Hans Albers, 1989), jean seberg – american actress von Donatello und Fosco Dubini (1996). Die Liste wäre leicht zu ergänzen. Der Blick des Filmhistorikers muss hier gleichermaßen den Autoren wie den Protagonisten gelten.

3. Filme über Film und Filmgeschichte

Seit den sechziger Jahren produzieren die bundesdeutschen Fernseh-anstalten, vor allem die Dritten Programme, informierende, kommen-tierende und analysierende Sendungen über Regisseure und Schau-spieler, Produzenten und künstlerische Mitarbeiter, über Filmländer und Genres. Sie begleiten damit in der Regel besondere Filmreihen und leisten einen eigenen, zusätzlichen Beitrag zur Rezeption von Film-geschichte. Die Formen dieser „filmkundlichen“ Sendungen sind vielfältig. Verschiedene Autoren haben dafür ihren persönlichen Stil gefunden. Die Ansprüche an den Zuschauer variieren je nach Sender, Sendeplatz und Thema. Filmausschnitte, Fotos, Interviews, Produk-tionsbeobachtungen und gegebenenfalls historische Aufnahmen bilden in der Regel das Ausgangsmaterial. Montage und Kommentar des Autors gelten als die wichtigsten Gestaltungsmittel. Vorgegeben sind die meist normierten Längen: 30, 45, selten 60 Minuten oder mehr. Wenn einem der zahlreichen Magazine zugeliefert wird, sind die Beiträge kürzer.

Während das ZDF seit 1966 mit der Reihe „Filmforum“ sein Filmprogramm begleitet und in diesem Zusammenhang zahlreiche Dokumentationen über Personen, Genres und Länder produziert hat (inzwischen allerdings nur noch für die Kulturkanäle 3sat und Arte), gab es für die ARD-Filmredaktion keine eigenen Produktionsmöglich-keiten. Filmsendungen wurden und werden für das Erste Programm von den Kultur- oder Filmredaktionen der einzelnen Sender geliefert. Den größten Raum nimmt in diesem Zusammenhang die internationale Festivalberichterstattung ein. Daneben gibt es immer wieder unter-haltende Porträts. Von 1984 bis 1994 war die vom WDR verantwortete Reihe „Film aktuell“ am Sonntagnachmittag ein Musterbeispiel intelligenter, den Gegenstand vertiefender Berichterstattung. Mit „Ratschlägen für Kinogänger“ und „Filmtips“ begleiten die TV-Anstalten im übrigen seit vielen Jahren das aktuelle Kinoprogramm.

Filmhistorische Arbeit findet vor allem – und noch immer – in den Dritten Programmen statt. Hier ist der WDR (Redaktionsleitung: Wilfried Reichart) die im Volumen und in der Vielfalt führende Anstalt für filmkundliche Sendungen. Thematisch haben sich über die Jahr-zehnte Schwerpunkte herausgebildet: Frankreich, USA, Japan, Regisseure, Genres, Außenseiter. Gelegentlich werden französische, englische oder amerikanische Sendungen angekauft. Aber im Zentrum stehen Eigenproduktionen, die meist von freien Autoren realisiert werden. Zu den häufiger beschäftigten Mitarbeitern gehören Christian Bauer, Lars-Olav Beier, Hartmut Bitomsky (mit größeren essay­istischen Beiträgen), Rainer Gansera, Norbert Grob, Gerhard Midding, Robert Müller und Enno Patalas. In den siebziger Jahren entstanden die großen WDR-Serien über den Film im „Dritten Reich“ (Gerhard Schoenberner), ideologische Tendenzen im deutschen Film (Klaus Kreimeier), Hollywood (Hans C. Blumenberg) und Filmemigration aus Nazi-Deutschland (Günther Peter Straschek). Aus jüngerer Zeit ist damit nur die sechsteilige Reihe „Dokumentarisch arbeiten“ von Christoph Hübner (Redaktion: Reinhard Wulf, WDR/3sat) vergleichbar.

Beim Bayerischen Rundfunk (Redaktionsleitung: Hubert von Spreti) hat die deutsche Filmgeschichte einen hohen Stellenwert. Zu den wichtigsten Projekten gehört hier die seit 1986 von Peter Buchka realisierte Reihe über Regisseure des Neuen deutschen Films (bisher 12 Porträts), für die der Autor eine eigene, den jeweiligen Protagonisten gerecht werdende Form gefunden hat. Auch mit Christian Bauer gibt es eine regelmäßige Zusammenarbeit. In Erinnerung sind noch die Porträts großer Regisseure und Schauspielerinnen von Charlotte Kerr. Es fällt auf, dass sich die BR-Produktionen oft über die 45-Minuten-Norm hinwegsetzen und ihren Themen so den notwendigen Raum geben.

Beim NDR (Redaktionsleitung: Jochen Wolf) gelten Skandinavien, Großbritannien und Italien als thematische Schwerpunkte. In den siebziger Jahren hat der langjährige Redaktionsleiter Hans Brecht mit der Reihe „Filmgeschichte“ mit Beiträgen zu Spezialbereichen wie Kameraarbeit (Bock/Körösi) oder Filmmusik (Hansjörg Pauli) und die Geschichte des Dokumentarfilms seine größten Meriten erworben. Er zeigte – mit begleitenden Sendungen – die Werke von Joris Ivens, Robert Flaherty, Alberto Cavalcanti John Grierson und Richard Leacock. Bei ihm sah man über mehrere Jahrzehnte wöchentlich die Sendung „Vor 40 Jahren“, in der er Wochenschauen aus verschiedenen Ländern von Zeitzeugen kommentieren ließ. Filmgeschichte lässt sich auf vielfältige Weise mit Zeitgeschichte verbinden; gerade auf diesem Gebiet hat das Fernsehen große Möglichkeiten der Präsentation.

Während S 3 (Redaktionsleitung: Alfons Dlugosch, Saabrücken) und HR (Dietmar Schings, Frankfurt) nur wenige Eigenproduktionen mit wechselnden Themen realisieren, sieht der ORB (Redaktionsleitung: Brigitte Mehler, Potsdam) sein Aufgabenfeld in der deutschen Filmgeschichte mit dem Schwerpunkt ostdeutscher Film. Hier wird, unter verbesserten Bedingungen, eine Arbeit fortgesetzt, die schon in der DDR Tradition hatte. Sie ist mit den Namen Ullrich Kasten und Fred Gehler verbunden.

Autor-Regisseur Kasten und Co-Autor Gehler haben in den siebziger und achtziger Jahren für das damalige Staatsfernsehen weit über 50 Sendungen mit filmhistorischer Thematik realisiert, darunter Reihen wie „Proletarische Tradition im deutschen Film“, „Heimkehr und Vollendung“ (Thema: Filmexil und Remigration), „Klassiker der deutschen Filmkunst“, „Künstlerschicksale im Dritten Reich“ und „Große deutscher Darsteller“. Ihre Arbeiten waren nicht immer konform mit den herrschenden kulturpolitischen Auffassungen. Es gab abgebrochene Projekte und Verbote. Dennoch hatten Gehler und Kasten so etwas wie ein Monopol für Filmgeschichte im DDR-Fern-sehen. Ihre Sendungen waren gut recherchiert und machten durch klug gewählte Ausschnitte immer wieder neugierig auf den klassischen deutschen Film.

Generell war und ist das Personenporträt die häufigste Form für filmkundliche und filmhistorische Sendungen im Fernsehen. Es verbindet Interviews mit Filmausschnitten, die Biografie ist in der Regel der rote Faden. Da Fernsehauftritte (bis hin zur Talkshow) vielen Filmleuten ohnehin Gelegenheiten zur Selbstdarstellung geben, ist die Substanz individueller Porträts entscheidend von der Sensibilität und dem Zugang der Autoren abhängig. Das Spektrum reicht hier von der lockeren Skizze (Georg Stefan Troller) bis zur strengen Werkanalyse (Grafe/Patalas). Filmhistorisch sind natürlich Porträts aus den sechziger und siebziger Jahren, in denen inzwischen verstorbene Protagonisten (Lang, Sirk, Käutner, Staudte) noch selbst zu Wort kamen, von besonderer Bedeutung. Leider sind die Restmaterialien der Interviews in der Regel vernichtet worden.

Über die prominentesten deutschen Regisseure von den zwanziger bis zu den achtziger Jahren (Lubitsch, Lang, Murnau, Pabst, Ophüls, Sirk, Käutner, Staudte, Wicki, Wolf, Fassbinder) gibt es in der Regel mehrere und gelungene Porträtfilme. Es fehlen bisher noch Sendungen über Joe May, Wilhelm/William Dieterle, Robert Siodmak, Veit Harlan.

Auffallen selten wird den Spuren einzelner Filme nachgegangen. es gibt zwar inzwischen eine wahre Inflation an aktuellen PR-Berichten mit dem Titel „The Making of…“, aber Sendungen wie „Die Geburt der kinder des olymp“ (Peter Gehrig, 1968), „Die lange Nacht von casablanca“ (Hans C. Blumenberg, 1972), „Die Geschichte des blauen engel“ (Kasten/Gehler, 1989) oder „Carl Theodor Dreyer und gertrud“ (Habich/Wulf, 1997) sind rare Ausnahmen.

In den letzten Jahren ist – wie oben erwähnt – Filmkunde Bestandteil vor allem der Kulturkanäle 3sat und Arte. Dort können mit geringerer Rücksicht auf Einschaltquoten auch zu guten Sendezeiten ältere Filme und filmhistorische Sendungen ausgestrahlt werden. Für 3sat geschieht dies in einer Kooperation zwischen ARD, ZDF, ORF und SRG, für Arte in einem Zusammenwirken der ARD und des ZDF mit französischen Partnern La Sept und dem Mutterhaus Arte. Speziell die Einrichtung der sogenannten Themenabende hat den Umgang mit filmhistorischen Themen erweitert.

Erschwert wird die filmhistorische Arbeit im Fernsehen zunehmend durch die unangemessenen Lizenzvorstellungen von Rechteinhabern für die Abgeltung verwendeter Filmausschnitte. Gerade das Fernseh-gemäße – nämlich das Filmzitat als Basis für Kommentar und Analyse – ist aus Kostengründen häufig nicht mehr zu realisieren. Das ist vor allem deshalb ärgerlich und widersinnig, weil ja erst die Entdeckung und Neubewertung filmhistorischer Schätze die anschließende kommerzielle Auswertung ermöglichen und fördern.

Natürlich stellt sich für alle Nutzer filmhistorischen Materials die Frage, wie sie an die ausgestrahlten Filme und Sendungen herankommen können. Eine zentrale Videothek oder Mediathek für Filmgeschichte und filmkundliche Sendungen gibt es in der Bundesrepublik (noch) nicht. Einige Universitätsinstitute und verschiedene filmkulturelle Einrichtungen haben inzwischen einen Video-Bestand gesammelt, der auch für systematische Arbeit aus-reichend ist. Darüber hinaus gibt es umfangreiche Privatsammlungen, über deren Existenz zumindest Fachleute informiert sind. Spezial-wünsche nach bestimmten Sendungen werden von den zuständigen Redakteuren auch unbürokratisch erfüllt, wenn sich die Klienten an die Spielregeln (keine Überspielung, Rückgabe nach Gebrauch) halten.

Für Recherchen ist die Dokumentation des „Deutschen Rundfunk-archivs“ in Frankfurt (mit einer Zweigstelle in Berlin-Adlershof) überaus nützlich. Dort gibt es auch die Voraussetzungen für die Erfassung filmhistorischer Tonquellen: speziell der Hörfunksendungen über Filmleute, die für eine historische und publizistische Nutzung noch viele Möglichkeiten bieten. Eine Dokumentation filmkundlicher Sendungen im Fernsehen wird bei der Stiftung Deutsche Kinemathek vorbereitet.

In: Hans-Michael Bock/Wolfgang Jacobsen (Hg.): Recherche: Film. Quellen und Methoden der Filmforschung. München: edition text + kritik 1997.