Texte & Reden
03. Februar 1997

Klaus G. Jaeger (1939 – 1997)

Trauerrede in der Düsseldorfer black box

Ein Schiff ist in Seenot, und der Kapitän stirbt.

Man soll mit Sprachbildern vorsichtig sein, aber wir sitzen hier in einem Kino und gedenken eines Mannes, für den der Umgang mit Bildern, mit Filmbildern, zum Lebenswerk wurde.

Als ich Klaus Jaeger zum letzten Mal gesehen habe – nicht ahnend, dass es das letzte Mal sein würde – hatte er allen Grund, über die Zukunft seines Filminstituts besorgt zu sein. Es war im November 96, wir trafen uns zur Herbstsitzung des Koordinierungsrates des Kinemathekenverbundes in München. Er berichtete sehr vorsichtig über die aktuelle Bedrohung durch städtische Sparpläne. Natürlich konnte er mit unserer Solidarität rechnen, aber er hat sie nicht provoziert. Fast schien es, als schäme er sich für die kleinmütigen Überlegungen in Düsseldorf.

Seit 1980 war das Institut kooptiertes Mitglied in unserem Verbund der deutschen Kinematheken. Und Klaus Jaeger konnte in den folgenden Jahren stolz sein auf das, was er hier aufgebaut hat – mit Hilfe der Stadt, mit Hilfe des Landes, mit Hilfe eines kleinen Stabes engagierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Klaus Jaeger war für uns, die wir in Berlin und Frankfurt, in München und Potsdam ähnliche Einrichtungen betreiben, sehr identisch mit dieser Stadt. Den etwas umständlichen Namen „Filminstitut der Landeshauptstadt Düsseldorf“ haben wir einfach mit dem Namen der Stadt abgekürzt: Düsseldorf. Und Düsseldorf, das war eben Klaus Jaeger.

Er hat mit Beharrlichkeit und erstaunlichem Erfolg seine persönlichen Visionen realisiert: Filme gezeigt und ein Bewusstsein von ihrer Geschichte vermittelt, Filme archiviert und alles gesammelt, was bei der Produktion und Rezeption von Filmen übrig bleibt. Ausgraben und Sammeln haben etwas Manisches, Triebhaftes, auch Heimliches. Es gehören aber vor allem Kennerschaft, Fleiß und Glück dazu, um auf diesem Terrain erfolgreich zu sein.

Mit Sicherheit war der französische Filmhistoriker und Sammler Henri Langlois ein Vorbild von Klaus Jaeger. Logisch also, dass Langlois engste Mitarbeiterin, die unvergessene Lotte Eisner, 1982 hier in Düsseldorf den ersten Helmut Käutner-Preis erhielt. Langlois und die Eisnerin hatten beste Verbindungen zu den Filmleuten ihrer Zeit. Wir Nachgeborenen, die wir seit Jahren für unsere Sammlungen und Museen unterwegs sind, halten uns vor allem an die Hinterbliebenen, an die Erben der inzwischen verstorbenen Großen des Films.

Als Jäger und Sammler verfolgen wir viele Spuren und gehen verschlungene Wege. Klaus Jaeger kannte sich aus in diesem Labyrinth. Er hat gelegentlich auch in fremden Revieren gewildert. Denn natürlich gibt es Konkurrenzen unter uns. Erst in den letzten Jahren sind wir gelassener geworden und können uns auch über Erfolge der Kollegen freuen. Wichtig ist ja vor allem, dass die Sammlungen nicht in alle Winde verstreut werden, sondern in die sichere Obhut öffentlicher Einrichtungen kommen. Im Düsseldorfer Filmmuseum und im hiesigen Archiv sind inzwischen Schätze versammelt, um die man Sie andernorts beneidet. Klaus Jaeger und seine Mannschaft – ich sage das mit großem Respekt – haben hervorragende Arbeit geleistet.

Aber es geht nicht nur um das Gestern. Wir müssen natürlich auch ein Sensorium für die Gegenwart haben. Welche Autoren, Regisseure, Schauspieler und künstlerischen Mitarbeiter prägen heute die Filmkultur? Die Szene ist wechselhaft und instabil. Klaus Jaeger hatte Verbindungen zu vielen, die er hier nach Düsseldorf geholt hat: als Gäste zu Filmveranstaltungen in der „black box“, zu Seminaren, zu Freundschaftsbesuchen oder zur Entgegennahme des Helmut Käutner-Preises.

Klaus Jaeger war kein Selbstdarsteller, er galt als Einzelgänger. Er war kein Wissenschaftler, er war ein Liebhaber. Das ist ja nicht die schlechteste Rolle, um für einen Ort, eine Sache, eine Idee zu werben. Er hatte persönliche Vorlieben. Zum Beispiel den frühen und den klassischen französischen Film. Er mochte das Melodram und holte Douglas Sirk. Er verehrte die Trick-Pionierin Lotte Reiniger und den Komödianten Curt Bois. Er kümmerte sich um Osteuropa, als es noch weiter entfernt war als heute. Er fuhr regelmäßig zur Dokumentarfilmwoche nach Leipzig. Die DDR war ihm kein unbekanntes Land. Er war nicht orthodox, er hatte ein weites Herz für viele Genres und Formen des Films. Nicht zu vergessen: seine Bemühungen um Filmrekonstruktionen und die Aufführungen berühmter Stummfilme mit Live-Musik.

Er hat Kollegen aus aller Welt nach Düsseldorf geholt. Mit Symposien förderte er den internationalen Erfahrungsaustausch über die Bewahrung und Pflege des filmischen Erbes. Er war bei diesen Veranstaltungen aufmerksamer Gastgeber und sachkundiger Moderator – zuletzt, und dabei besonders stolz, zur Eröffnung des Filmmuseums im August 1993. Ich kann ermessen, wieviel Verhandlungsgeschick und Kalkül notwendig sind, um an ein solches Ziel zu kommen. In Berlin haben wird es noch nicht erreicht.

Kulturarbeit kostet viel Kraft. Klaus Jaeger hat über zwanzig Jahre lang all seine Kraft in sein Lebenswerk investiert. Am Ende hat man ihm wohl mehr abgefordert als er noch geben konnte.

Vor zwei Jahren schlug er im Kinematheksverbund vor, über eine Ehrung der wichtigsten, inzwischen verstorbenen deutschen Filmsammler und Archivare nachzudenken. Er nannte Hans Traub, den Initiator der Ufa-Lehrschau in den dreißiger Jahren, Gerhard Lamprecht, den Gründer der Deutschen Kinemathek in Berlin, und Heinz Rathsack, meinen Vorgänger in der Kinemathek, er sprach von Max Lippmann und Dorothea Gebauer aus dem Deutschen Institut für Filmkunde in Wiesbaden. Nun müssen wir ihn, Klaus Jaeger, selbst auf diese Namensliste setzen.

Der Kapitän ist tot. Wenn man seine Verdienste in dieser Stadt wirklich anerkennen will, gibt es eine Möglichkeit: sein Schiff nicht in unsicheren Gewässern zu lassen, sondern am alten Hafen fest zu verankern.