Texte & Reden
01. September 1996

Klaus Wildenhahn

Beitrag zur DFFB-Jubiläumsbroschüre „Momente des Lernens“

Unter den Dozenten der Filmakademie war er einer der ruhigsten und nachdenklichsten. Er redete undogmatisch, suchte immer nach praktischen Lösungen und hatte eine erstaunlich umfassende Filmbildung. Zu den Filmdiskussionen am Donnerstag oder Freitag nachmittag im Hörsaal brachte er oft interessante, sperrige Gäste mit, die sich nicht an die eingefahrenen Rituale hielten. Weil ich wenig Erfahrungen mit praktischer Filmarbeit hatte, klinkte ich mich in die „Wochenschaugruppe“ ein, die er auf dem Höhepunkt der Akademie-krise Ende 1968 ins Leben gerufen hatte. Sein Vorschlag: Material aus den Konflikten der DFFB zu verbinden mit gesellschaftlichen Themen der Stadt. Durch Montage Zusammenhänge herstellen. Er war als bekannter Dokumentarist in die Dozentenschaft der Akademie gekommen, verknüpfte verschiedene seiner Fernsehprojekte mit der Ausbildung und integrierte sich in einige Studentenfilme. Er galt damals für viele „politische“ Studenten als indifferenter Pragmatiker, also als unsicherer Kantonist. Zu angepaßt. In Wahrheit war er besonders konsequent in seiner Haltung zum Handwerk und zur Ästhetik des Dokumentarfilms. Und von niemandem – niemandem! – habe ich in jenen Jahren mehr über Filmsprache (Ozu, Nestler, Film noir, englischer Realismus) gelernt als von ihm. Für einen seiner NDR-Filme sind wir zusammen nach Stuttgart gefahren, haben die Lebens-spuren eines Zeitungsverlegers verfolgt und anschließend interessante Erfahrungen zum Thema Meinungsfreiheit gemacht, als Franz Karl Mayer den Tagesspiegel-Film verhindern wollte. Aus seiner Arbeit im Fernsehen und an der Akademie entstanden Texte (Lehrstunden) und schließlich sein Buch Über dokumentarischen und synthetischen Film. Er war ein Dozent par excellence, weil sein ästhetischer Purismus in einer Zeit politischer Ungeduld zu ungewöhnlichen Reibungen führte. Auch in der Wochenschaugruppe. Er brachte durch seine Filme über Musik, Arbeit, Provinz, Mittelstand, Medien, amerikanische Kultur und deutsche Geschichte, über New York, Ostfriesland, Hamburg und Berlin eine Autorenschaft in die Akademie, die im besten Sinne Schule machte, weil bei ihm das Handwerk mit einer Haltung zusammenhing. So einem war ich in meinen vielen Semestern an der Universität nie begegnet.

Die siebziger Jahre an der DFFB – das waren meine Universitäten. Ich habe viel von den Studenten gelernt. Von ihrer Rigorosität, ihrer Egomanie, ihrem Gruppengeist und ihrer individuellen Kraft. Ich habe von den Filmen gelernt, die dort gemacht und gezeigt wurden. Aber die intensivsten Momente des Lernens damals in der Pommernallee 1, 5. Stock, bleiben für mich verbunden mit Heinz Rathsack, Helene Schwarz und Klaus Wildenhahn.

Reinhard Hauff (Hg.): Momente des Lernens. Berlin: DFFB 1996