Texte & Reden
09. Oktober 1993

Heinrich George zum 100. Geburtstag

Einführungsrede in der Akademie der Künste

Meine Damen und Herren, lieber Jan George,

heute, an diesem 9. Oktober, wäre der Schauspieler Heinrich George 100 Jahre alt geworden. Er ist vor 47 Jahren, im September 1946, gestorben.

Paul Wegener, Emil Jannings, Heinrich George – das waren die drei schwer-gewichtigen Darsteller im deutschen Theater und Film in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. George war der jüngste von ihnen, zwanzig Jahre jünger als Wegener, zehn Jahre jünger als Jannings. Aber George starb als erster – zwei Jahre vor Wegener, vier Jahre vor Jannings. Ihr Leben und Wirken ist in Bildern, in Filmen, in Zeugnissen der Zeit aufbewahrt. Es war eng mit den politischen Verhältnissen dieser Zeit verbunden.

Über den Schauspieler Heinrich George wird Thomas Koebner sprechen. Ich schicke einige Stichworte zu Georges Leben voraus.

Heinrich George – eigentlich: Georg August Friedrich Hermann Schulz – stammt aus Stettin. Er ist der Sohn eines Marineoffiziers und späteren Stadtsekretärs. Mit 17 Jahren nimmt er Schauspielunterricht und hat ab 1912 erste Engagements an Theatern in Kolberg, Bromberg, Neustrelitz. In den Weltkrieg geht er freiwillig und wird 1915 schwer verwundet. Seine Theaterkarriere beginnt 1917 in Dresden und führt ihn über Frankfurt am Main nach Berlin. Ab 1921 hat er hier sein Hauptwirkungsfeld: am Theater, im Film, beherrscht von einer unstillbaren Lust am Spiel.

Die große emotionale Hingabe, zu der George prädestiniert ist, öffnet ihn für die widersprüchlichen Strömungen in der Weimarer Republik. Sein Engagement definiert sich immer zuerst über den Beruf: Schauspieler. Wenn er bis zum Beginn der dreißiger Jahre als Sympathisant der Linken gilt, dann ist dies vor allem ein Resultat von Arbeitsbeziehungen: mit Erwin Piscator und Leopold Jessner, mit Erich Engel und Piel Jutzi,  am Rande auch mit Brecht.

Darüber hinaus gibt es für George persönliche Freundschaften. Seit der Frankfurter Zeit zu Oskar Kokoschka und Max Beckmann. In Berlin zu dem so früh verstorbenen Albert Steinrück, zu dem Autor Wilhelm Fraenger, vor allem aber zu Jürgen Fehling, dem großen Visionär des Theaters, mit dem er kongenial zusammenarbeiten kann. Mit Elisabeth Bergner und Alexander Granach organisiert er zeitweise ein eigenes Theater, in Heidelberg engagiert er sich für die jährlichen Festspiele im Schlosshof. Er gilt als rastloser Arbeiter.

Georges Rollenverzeichnis hat eine eindrucksvolle Länge. Mehr als 50 Theaterinszenierungen in den zwanziger Jahren, selten spielt er nur eine Nebenrolle. 35 Stummfilme zwischen 1921 und 1929. Darunter finden sich allerdings nur wenige bedeutende Titel: erdgeist, metropolis, orientexpreß, manolescu. Anders als bei Wegener und Jannings gehört zu Georges filmischer Präsenz vor allem auch die Stimme. Nach der Einführung des Tonfilms fühlen sich alle drei – mehr als ihnen lieb sein kann – an das Land ihrer Muttersprache gebunden. Jannings kehrt 1929 aus Hollywood nach Deutschland zurück. George macht seine Amerikaerfahrung 1931 mit einer dort hergestellten deutschen Version des MGM-Films menschen hinter gittern. Als Freunde ihm 1933 raten, an Emigration zu denken, sagt er: „Ich bin auf Gedeih und Verderb auf Deutschland angewiesen.“

Georges Schauspielerkollegen Fritz Kortner, Albert Bassermann, Oskar Homolka, Grete Mosheim, Conrad Veidt, seine Regisseure Fritz Lang, Kurt Bernhardt, Wilhelm Dieterle, Wilhelm Thiele, E.A. Dupont und Richard Oswald verlassen mit vielen anderen jüdischen oder politisch missliebigen Künstlern nach Hitlers Machtantritt das Land. George arrangiert sich mit der neuen Herrschaft.

Auch wenn er im persönlichen und beruflichen Wirkungskreis in den folgenden Jahren schützend und helfend tätig ist – er lässt sich als Künstler, vor allem im Film, von den Nationalsozialisten dienstbar machen. Gleich zu Beginn in hitlerjunge quex, später in Karl Ritters unternehmen michael, in jud süss und am Ende in Veit Harlans kolberg-Film. Er wird 1937 zum Staatsschauspieler ernannt und erhält 1938 die Intendanz des Schillertheaters. Zu seinem Ensemble gehören Eduard von Winterstein, Horst Caspar, Will Quadflieg, Gisela Uhlen, Paul Wegener und Berta Drews, die Schauspielerin, mit der Heinrich George seit 1932 verheiratet ist. Sie wird später sein Leben und ihr Leben in zwei Biografien festhalten.

Heinrich George genießt die Popularität, die ihm durch seine erfolgreichen Filme entgegenströmt: Carl Froelichs heimat und hochzeit auf bärenhof, Harlans das unsterbliche herz, Ucickys postmeister. Und genau diese Popularität macht ihn für die Machthaber interessant. George ist nicht Mitglied der Partei, sein Handeln erscheint oft spontan, vielleicht auch naiv und leichtfertig. Es wirft die sehr generelle Frage nach der politischen Verantwortung des Künstlers auf.

„Er war verführbar“, schrieb Friedrich Luft vor zehn Jahren anlässlich einer Fernsehausstrahlung des postmeisters. „Dass er aber einer der wunderbarsten Schauspieler seiner Generation war, ist unbestreitbar. Er war einer der größten Menschendarsteller deutscher Sprache. Er war ein schauspielerisches Urgestein. Das Schicksal, das er schließlich erleben musste, könnte selbst Stoff für ein erschütterndes Kinodrama gewesen sein. Man gedenke seiner mit Nachsicht, und, wenn man heute betrachtet, wie zart, wie wunderbar hell, wie unvergleichlich er einen hämisch getretenen Menschen darstellen konnte, gedenke man seiner auch mit Bewunderung!“

Nicht jedem mag diese generöse Entschuldung von Friedrich Luft einleuchten, aber Heinrich George hat, wenn man die Frage nach der persönlichen Schuld stellen will, dafür mit seinem Leben bezahlt. Er wurde im Juni 1945 verhaftet, von der Roten Armee interniert und starb am 26. September 1946 in Sachsenhausen an den Folgen einer Operation.

Heute ist sein 100. Geburtstag. Über den Schauspieler Heinrich George spricht jetzt Thomas Koebner, Professor für Film- und Medienwissenschaft an der Universität Mainz. Anschließend sehen Sie den Film schleppzug m 17 aus dem Jahre 1933. Nach dem Film sind Sie zu einem kleinen Umtrunk im Foyer eingeladen.

Berlin, Akademie der Künste, Studio, 9. Oktober 1993