Texte & Reden
01. Mai 1990

Die bundesdeutsche Filmkritik der fünfziger Jahre

Beitrag zur Publikation „Die Macht der Filmkritik“

Shadows of the Past

1. Noch immer gefällt mir gut, wie sich Hartmut Bitomsky 1975 um die Filmkritiker gesorgt hat: „Es ist aber auch ein Elend, dieses Rezensenten-Dasein, von einem Sessel in den nächsten gehüpft, und dann noch diese Schreibwut, von der auch ich ganz angesteckt bin… die ersten Einfälle schon beim Sehen, nur nicht vergessen, dann noch ein paar Worte, es häuft sich, ein Witz, eine Verdrehung, eine Vernichtung, es wird einem schon warm im Rücken, man geht angeregter, schnellere Schritte, und gleich fängt man zu sabbern an, Wort für Wort. Da man das alles allein macht, hat man auch dieses angenehme Gefühl von Unabhängigkeit, die Selbstständigkeit des Urteils… das alles im Auftrag des Publikums… Service, Dienstleistung, Hilfestellung, Maßstäbe… Irgendwie muss man dieses Elend vor sich selbst begründen und verantworten. Um das überhaupt auszuhalten, was man zu sehen kriegt, worüber man schreibt, womit man sein Geld verdient – da muss man doch einfach anfangen, das alles ernst zu nehmen, die Filme, die Probleme, sich selbst, die Zeitung… wichtige Worte und Gedanken aus der Luft greifen… und sich täuschen über die Rolle, die man da spielt…“ (Filmkritik, Dezember 1975).

2. Dazu passt irgendwie, was der Zeitungswissenschaftler Wilmont Haacke, Göttingen, allen Ernstes, von einem Filmkritiker erwartete: „Dem Filmkritiker ist aufgegeben, den vorbeischießenden Bildreizen mit schärfster Aufmerksamkeit zu folgen, um Gehalt und Form in ihrer Bedeutung er erfassen und schon während des Spiels der Reflexe auf der Leinwand druckfertige Bemerkungen zu formulieren. Darin ist er dem Späher gleich, der Kunde von dem gibt, was sich für andere erst später ereignen soll.“ (Aspekte und Probleme der Filmkritik, Göttingen 1962). So ein Zitat gibt Kunde von den fünfziger Jahren, es ist unfreiwillig komisch, und gleich will man die damalige Zeit gegen so prätentiösen Unsinn in Schutz nehmen. Aber die damalige Zeit macht das einem schwer.

3. Die fünfziger Jahre haben ein schlechtes Image. Fast alle spontanen Assoziationen – Adenauer, Maria Schell, Nierentische, NATO, Kalter Krieg, Heimatfilm – sind negativ besetzt. Selbst das Wort „Wirtschaftswunder“ enthält den Vorwurf, dass es nur um die Wirtschaft ging. Die Fünfziger waren eine restaurative Phase, fast ein Gegenstück zum Mythos der zwanziger, monolithischer als die janusköpfigen vierziger, ohne alternative Spannungen wie die sechziger und siebziger Jahre. Zur Misere der fünfziger Jahre gehört ihr Versagen, die neue Demokratie mit Substanz zu füllen, gehört die Weigerung der Gesellschaft, Trauerarbeit zu leisten und sich in einem essentiellen Sinne mit dem Nationalsozialismus und mit den eigenen Vergehen auseinanderzusetzen. Dem neuen westdeutschen Staat, der Bundesrepublik, war sehr schnell der Antikommunismus wichtiger als der Antifaschismus. So wurden aus interessenpolitischen Gründen Schuldige freigesprochen, Belastete exkulpiert und öffentliche Ankläger mundtot gemacht. Die fünfziger Jahre waren keine Idylle, auch wenn sie sich so verpackt haben.

4. Und der deutsche Film der fünfziger Jahre? Gregor/Patalas widmen ihm in ihrer Geschichte des Films von 1962 knapp zwei von 550 Seiten: vier Zeilen über Käutner, drei über Staudte, zwei über Siodmak. Pauschal heißt es: „Der passiv-sentimentale Charakter der Filme dieser Zeit enthüllte sich in ihrer Gestaltung wie in ihrer Handlungsführung: Die Helden sind leidendes oder genießendes Objekt ihres Geschehens; ihre Darsteller posieren, weil die starre Respektabilität der Charaktere kein lebendiges Spiel zulässt, die statischen ‚auf schön’ fotografierten Einstellungen sind in Bilderbuchmanier aneinandergereiht.“

Das ist der ideologiekritische Blick der sechziger Jahre auf den Film der fünfziger. Aber noch in den achtziger Jahren hat Claudius Seidl Mühe, in seinem wohlwollenden 300-Seiten-Buch über den deutschen Film der fünfziger Jahre mehr als einen verkannten Regisseur (Georg Tressler) und ein halbes Dutzend damals unterschätzte Filme zu benennen.

5. Der herablassende Blick auf den bundesdeutschen Film der fünfziger Jahre bezieht die damalige Filmkritik automatisch in sein Verdikt mit ein. Dumme Filme, naive Zuschauer, ahnungslose Kritiker. 818 Millionen Kinobesucher gab es 1956 (1988: 108 Millionen). Damals war der Film die wichtigste Unterhaltungsindustrie, an deren ideologischer Grundlage die Filmkritik allerdings nicht sonderlich interessiert war.

Filmkritik war eine verschwindend kleine Minorität in der Sparte Filmberichterstattung. Statistisch: knapp 2 %. Von 3.180 Filmbesprechungen in 899 Zeitungsausgaben am 4. Dezember 1954 – so vom Publizistischen Institut der Universität Münster ermittelt – waren 56 längere, wertende Filmkritiken, die anderen 3.124: Inhaltsangaben, Werbetexte, Kurzbesprechungen, redaktionelle Belohnung für Anzeigen. 2 % Filmkritik in der Tagespresse. Zum Beispiel in der Frankfurter Allge­meinen, der Süddeutschen Zeitung, dem Tagesspiegel, in der Welt, der Stuttgarter Zeitung, dem Münchner Merkur, der Westdeutschen Allgemeinen, dem Mittag (Düsseldorf), dem Abend (Berlin), gelegentlich auch im Lokalteil der Frankfurter Rundschau.

Mitte der fünfziger Jahre war der Umfang der Tageszeitungen noch (immer) vergleichsweise gering: zwischen 8 und 12 Seiten. Das Feuilleton war entsprechend schmal, zwischen einer Drittel Seite (SZ) und einer Seite (FAZ). Die Autoren hatten sich kurz zu fassen, auch und vor allem die Filmkritiker.

6. Wer hatte nun damals – Mitte der fünfziger Jahre – filmkritisch das Sagen? Ich nenne erst einmal 20 Namen, auf einige gehe ich später näher ein. Berlin: Friedrich Luft, Karena Niehoff. München: Gunter Groll, Hans Hellmut Kirst, Hellmut Haffner. Düsseldorf: Klaus Brüne, Hans Schaarwächter, Paul Hübner. Hamburg: Georg Ramseger, Willy Haas, Klaus Hebecker. Frankfurt: Karl Korn, Martin Ruppert, Ellen Geier, Friedrich A. Wagner. Köln: Wilhelm Mogge. Essen: Michael Lenz, Helmuth de Haas. Stuttgart: Erwin Goelz. Heidelberg: Ulrich Seelmann-Eggebert.

7. Berlin, München, Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt, Köln, Essen, Stuttgart, Heidelberg (man könnte auch noch Nürnberg oder Kaiserslautern hinzufügen). Es war ein Resultat des Zweiten Weltkriegs (und die fünfziger Jahre begannen fünf Jahre nach diesem Krieg), dass es in Deutschland keinen politischen und kulturellen Mittelpunkt mehr gab. Die westliche Republik war ein föderales System mit lauter Kulturprovinzen. Bonn galt als provisorische Hauptstadt, Berlin als moralische, München noch nicht als heimliche. Die Entfernungen zwischen den Städten waren nicht nur verkehrstechnisch größer als heute.

Die Presse hatte sich entsprechend regionalisiert. Die Süddeutsche war eine bayerische Zeitung, in Berlin kaum zu bekommen. Niemand interessierte sich in Stuttgart für die Frankfurter Rund­schau. Die Welt – damals noch liberal und interessant – war eine norddeutsche Zeitung. Nur die FAZ hatte bereits ein überregionales Redaktions- und Vertriebnetz. Das interessanteste überregionale Blatt, Die Neue Zeitung, eine „amerikanische Zeitung für Deutschland“, wurde im Januar 1955 eingestellt. Die Dezentralisierung der Presse wirkte sich damals auf die gesamte Kulturberichterstattung, also auch auf die Theater-, Musik- und Kunstkritik aus.

8. Die Filmkritik hatte noch spezielle Probleme. Sie musste, um aktuell zu sein, unter der Vielzahl anlaufender Filme auswählen und einen Teil in so genannten Kurz- oder Sammelkritiken verstecken. Sie war dabei abhängig von der oft sehr spontanen Programmplanung der örtlichen Filmtheater (ich lasse die andere Abhängigkeit, nämlich die der Zeitungen von den Anzeigen der Kinos hier einmal außer Acht). Und im kollegialen Kampf um den schmalen Platz des Feuilletons hatten die Filmkritiker auch insofern eine schlechtere Position, als sie noch andauernd ihren Gegenstand als kritikwürdiges Kulturobjekt legitimieren mussten. Die Frage, ob Film eine Kunst sei, hat die Filmkritik der fünfziger Jahre bis zum Überdruss belastet. Sie lag bleischwer auf den ständigen Selbstreflexionen und auf dem Sprachduktus der Kritiken selbst.

9. Mit der Frage, ob Film eine Kunst sei, verknüpfte sich fast automatisch die Frage, was Film und was denn „filmisch“ sei. Keine Literaturverfilmung – und es gab deren viele – bei der in der Kritik nicht nach dem Wesen eben dieser Verfilmung gefragt wird. Nachdem er den Film romeo und julia von Renato Castellani gesehen hat, bezeichnet Karl Korn in seiner FAZ-Kritik (31. Januar 1955) diesen Film als „neues Vehikel der Dichtung“. Er entdeckt ein „Szenarium vom lebhaftem, sagen wir filmischem Wechsel“. Der Regisseur hat „den Bildraum der Veroneser Gassen und der Innenräume in den Palazzi mit großer Sorgfalt ausgewählt und optisch bewältigt. Die Szenen der Straßenkämpfe sind filmische Meisterstücke.“ Aber dann heißt es später relativierend: „Das Zuviel an gelegentlich indiskreter Optik erdrückt die Dichtung.“

10. Im Vergleich zur Literatur- oder Theaterkritik argumentiert die Filmkritik der fünfziger Jahre auffallend defensiv und schüchtern. Als traute sie dem, womit sie sich beschäftigt, eben doch nicht allzu viel zu. Diese Haltung hat mehrere Gründe.

Der bundesdeutsche Film der fünfziger Jahre war keine Herausforderung der Kritik. Er bekam halbherzigen Zuspruch oder maliziöse Verrisse. Aber die Filmregisseure haben ihre Kritiker auch nicht eigentlich ernst genommen, vor allem die kritischen Kritiker nicht.

Es fehlte den Kritikern die Kontinuität der internationalen Filmgeschichte. Die Wahrnehmung ganzer Genres, die sich etwa in den USA weiterentwickelt hatten, wurde in kurzer zeit ziemlich voraussetzungslos nachgeholt. Viele instinktive Ablehnungen hatten – meist unausgesprochen – mit der eigenen Realität und den Erfahrungen der jüngeren Geschichte zu tun.

Es gab keine Filmwissenschaft und keine Filmliteratur. Die intellektuelle Auseinandersetzung über Film war einfach jämmerlich. Ausländische Filmzeitschriften waren nur mit Mühe zugänglich. Das Kinopublikum las die Star-Revue, Film und Frau, die Film-Revue und wählte Bambi-Preisträger. Es gab ab 1951 als Verbandsorgan der Filmclubs die Monatszeitschrift Filmforum sowie die konfessionellen Blätter Film-Dienst und Evangelischer Film-Beobachter, hin und wieder auch den Versuch einer Neugründung. 1957 wurde die Filmkritik gegründet, zunächst das Blatt einer kleinen, radikalen Minderheit.

Viele Filmkritiker der fünfziger Jahre hatten ein Jahrzehnt der Unterdrückung von Kritik erlebt und sich in unterschiedlicher Weise mit dem Nationalsozialismus arrangiert. „Schuldfragen“ wurden anschließend verdrängt, aber es fehlte der Filmkritik gerade dadurch an legitimierter Autorität.

11. An dieser Stelle ist ein kurzer Rückblick auf die Filmbetrachtung im Nationalsozialismus sinnvoll. Die Presse wurde 1933 besonders schnell Objekt von Gleichschaltung und rigoroser Kontrolle. Joseph Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, erließ im Oktober 1933 das Schriftleitergesetzt, in dem jede journalistische Arbeit zu einer „vom Staat geregelten öffentlichen Aufgabe“ erklärt wurde. Voraussetzung für den Zugang zum Zeitungsberuf war unter ande­rem der Ariernachweis. Für alle Redaktionen gab es täglich aktuelle Sprachregelungen aus dem Goebbels-Ministerium. Am 27. November 1936 erließ Goebbels ein grundsätzliches Kritikverbot:

„Da auch das Jahr 1936 keine befriedigende Besserung der Kunstkritik gebracht hat, untersage ich mit dem heutigen Tage endgültig die Weiterführung der Kunstkritik in der bisherigen Form. An die Stelle der bisherigen Kunstkritik, die in völliger Verdrehung des Begriffs ‚Kritik’ in der Zeit jüdischer Kunstüberfremdung und Kunstrichtertum gemacht worden war, wird ab heute der Kunstbericht gestellt; an die Stelle des Kritikers tritt der Kunstschriftsteller. Der Kunstbericht soll weniger Wertung als vielmehr Darstellung und damit Würdigung sein. (…) Der künftige Kunstbericht setzt die Achtung vor dem künstlerischen Schaffen und der schöpferischen Leistung voraus. Er verlangt Bildung, Takt, anständige Gesinnung und Respekt vor dem künstlerischen Wollen. Nur Schriftleiter werden in Zukunft Kunstleistungen besprechen können, die mit der Lauterkeit des Herzens und der Gesinnung des Nationalsozialismus sich dieser Aufgabe unterziehen.“

12. Eine zeitgenössische wissenschaftliche Definition liefert uns Emil Dovifat in seiner Zeitungslehre I/2 von 1937: „Die Kunstbetrachtung (und damit ist auch die Filmbetrachtung gemeint) vermittelt das Kunstwerk der Gemeinschaft, sie wertet seine Bedeutung für die Gemeinschaft nach den Grundsätzen der kulturpolitischen Führung und würdigt das Können des Künstlers, um es zur Höchstleistung anzuspornen.“ Dovifats Definitionen werden vor allem deshalb so gern zitiert, weil es Ausgaben der Zeitungs­lehre von 1931, 1937, 1944 und 1955 gibt, in die der Autor außerordentlich flexibel den jeweiligen Zeitgeist eingearbeitet hat. Ich komme auf seine Fünfziger-Jahre-Definition noch zu sprechen. Ein Blick auf die Arbeit von drei Filmkritikern in den Jahren 1939/40:

13. Karl Korn. Geboren 1908. In den fünfziger Jahren Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dort zuständig für Literatur und Film. Ich zitiere aus seiner Betrachtung des Veit Harlan-Films jud süss, erschienen in der Wochenzeitung Das Reich am 29. September 1940: „Dieses große Filmwerk, das wohl am deutlichsten die gegenwärtige Wende der deutschen Filmkunst zum Ideenfilm bezeichnet, der aus einer politischen Totalsicht konzipiert ist, wird auch über die deutschen Grenzen hinaus um seiner historischen Objektivität willen früher oder später beachtet werden. Man spürt und erkennt aus diesem Film, dass das jüdische Problem in Deutschland innerlich bewältigt ist. (…) Wollte man den Film eine Anklage vor der Geschichte nennen, dann müsste man ihn eine gerechte Anklage heißen, denn er lässt die jüdische Machtgier und den jüdischen Hass im Bündnis mit einem volksfremden Fürsten und dessen elenden, käuflichen Schranzen und Hofmännern vor dem Tribunal erscheinen. (…)“

In seiner Autobiographie Lange Lehrzeit (Frankfurt am Main 1975) schildert Korn zwar seine Tätigkeit als Kulturredakteur beim Reich und seine fristlose Entlassung wegen eines missliebigen Berichts über die Deutsche Kunstausstellung im Oktober 1940, geht dort aber auf die zitierte jud süss-Kritik nicht ein. Er summiert seine Erfahrungen mit dem Satz: „Ich habe die Anfänge des neuen Blatts als eine Zeit relativ größerer Bewegungsfreiheit im Gedächtnis.“ Daran kann man Widersprüche und Relativitäten ermessen.

14. Erwin Goelz. Geboren 1903, gestorben 1981. Ab 1950 Filmkritiker der Stuttgarter Zeitung und des Süddeutschen Rundfunks. Ich zitiere aus einem Aufsatz von Frank Maraun – Pseudonym von Erwin Goelz – „Unsere Wehrmacht im Film“, erschienen in der Zeitschrift Der deutsche Film, Juni 1940, eine Passage über den Film pour le merite von Karl Ritter: „Es ist Ritter gelungen, die Wehrmacht als den vitalen Kern der Nation zum Erlebnis zu bringen. Es ist das Seelentum des soldatischen Menschen, das hier in der Mitte des Geschehens steht und das immer als elementarer Ausdruck der Volkskraft in Erscheinung tritt. Dadurch konnte Ritter sich auch jede rednerische Diskussion der politischen Probleme sparen. Es ist einfach der wertvollere Typus Mann, es ist die bessere Rasse, die hier über die Systemgrößen siegt und die Macht erobert.“

Wolfram Schütte hat 1962 im Filmstudio auf die Texte von Goelz/Maraun hingewiesen, vor allem auf einen Text über den Film der ewige jude. Goelz hat ihm erwidert: „Wogegen ich mich wehre, ist die Verallgemeinerung, mit der Sie mich auf Grund jener Besprechung der Kriegswochenschauen generell zum Nazi und Antisemiten stempeln, der gewissermaßen ständig gegen die Juden gehetzt hätte. In Wahrheit existiert außer der in einer Zwangslage entstandenen Besprechung des ewigen juden, die zudem keine eigene Meinung, sondern einfach den Begleittext des Films wiedergibt, und einer Bemerkung über die Beteiligung jüdischer Schauspieler an geschmacklosen Kasernenhofburlesken keinerlei antisemitische Äußerungen von mir, insbesondere auch keine weitere Besprechung antisemitischer Filme, etwa von jud süss oder die rothschilds. Ihnen bin ich regelmäßig ausgewichen. Dagegen habe ich fast zur gleichen Zeit – von 1940 an – in geschlossenen Vorstellungen für Romanschriftsteller und Dramatiker, die ich für die Mitarbeit am Film interessieren wollte, unter anderem Filme jüdischer Regisseure wie Chaplin, Eisenstein, Lang, Lubitsch, Siodmak, Wyler als Beispiele wahrer Filmkunst vorgeführt. Wenn ich auf der einen Seite so getan habe, als ob ich mitmache, so habe ich auf der anderen Seite ganz und gar nicht mitgemacht. Was man Ihnen auch sagen mag: es gibt – wenn man allein steht und ich stand damals immer allein – für einen, der sich nicht im Keller vergraben, sondern tätig bleiben will, keine andere Taktik in der Diktatur.“ (Filmstudio 43, 1964).

15. Werner Fiedler. Geboren 1900, gestorben 1986. Ich zitiere aus seiner Betrachtung des Films das ekel (mit Hans Moser), erschienen in der Deutschen Allgemeinen Zeitung am 5. August 1939: „Ekel sind immer aktuell, sie verändern nur ihre Taktik, doch kaum ihr Wesen. Aber Wichtigtuer, die Schmalspur-Tyrannen und Nörgler wollen nicht aussterben und werden immer würdevoll das Zepter ihrer Subalternität schwingen. Es gibt sogar Spezial-Ekel, die selbst im Dienste der Allgemeinheit ihre privatesten Herrschgelüste auszutoben suchen. Ist eine Sorte Geltungsspießer tot, so ist bald eine andere da. Ja, Ekel sind immer aktuell.“

In der Anspielung zwischen den Zeilen, in der verschlüsselten Mitteilung der Camouflage gehörte Werner Fiedler zu den Ausnahmen unter den Filmjournalisten im Nationalsozialismus. Seit 1928 war er Mitglied der Berliner Reaktion der DAZ. Mehrfach erteilte Goebbels Schreibverbot, von August 1939 bis Mai 1941 war Fiedler zur Wehrmacht abkommandiert. Er schrieb dann aber wieder bis Anfang 1945 für die DAZ (und gelegentlich auch für Das Reich und den Film-Kurier) Filmkritiken. Im Gegensatz zu Korn und Goelz wurde Fiedler kein Großkritiker der fünfziger Jahre. Er schrieb für den Westberliner Tag, arbeitete bis in die sechziger Jahre für den Sender Freies Berlin. Dann verstummte er als Kritiker.

16. Die Be- und Verurteilung nationalsozialistischen Mitläufertums – mehr wäre auch Korn und Goelz nicht zu unterstellen – ist gerade in den fünfziger Jahren weitgehend unterblieben. So suchten sich damals auch die Filmkritiker schnell ihre neue Identität. Weil zu ihrem Metier Bewusstsein und Sprache gehören, finden sich in ihrem Denken und Schreiben in den fünfziger Jahren eine Menge nationalsozialistischer Spuren.

Ende des Exkurses, der eigentlich kein Exkurs war, sondern die Verlängerung des Themas in eine zurückliegende Kontinuität.

17. Da lässt sich denn auch gleich wieder Emil Dovifat zitieren. Seine neue Zeitungslehre (vierte Auflage, stark überarbeitet) erschien 1955. Inzwischen war er Publizistik-Professor an der Freien Universität Berlin.

1937 hieß es bei ihm – ich zitiere noch einmal: „Die Kunstbetrachtung vermittelt das Kunstwerk der Gemeinschaft, sie wertet seine Bedeutung für die Gemeinschaft nach den Grundsätzen der kulturpolitischen Führung und würdigt das Können des Künstlers, um es zur Höchstleistung anzuspornen.“

1955 haben sich Dovifats Maßstäbe wie folgt verändert: „Kunstkritik ist die subjektive, aber sachlich und künstlerisch verantwortliche Beurteilung des Kunstwerkes, dem der Kritiker verpflichtet ist. Er berät Künstler, vermittelt das Kunstwerk der Öffentlichkeit, scheidet die Werte und Unwerte überzeugend voneinander und gibt so zur Höherentwicklung der Kunst seinen Beitrag.“

Mit der Forderung, Werte und Unwerte voneinander zu scheiden und mit dem Aufruf zur Verpflichtung, Vermittlung und Höherentwicklung verzettelt sich diese Definition vollends zwischen NS-Vokabular und Reeducation-Terminologie. Immerhin ist in Dovifats Formulierung ein Wort der Schlüssel für die Identitätssuche der Filmkritik in den fünfziger Jahren: subjektiv. Das Bestehen auf einer eigenen Meinung, die nicht objektivierbar sein muss, zieht sich durch alle Selbstreflexionen und veröffentlichten Debatten der Filmkritik der fünfziger Jahre. Die Subjektivität ist der demokratische Zugewinn, eine Errungenschaft, mit der man sich legitimieren und abgrenzen kann. Zum Beispiel – es war die Zeit des Kalten Krieges – gegen die sozialistische Nicht-Meinungsfreiheit.

Ihr Unabhängigkeit (ein zweites Schlüsselwort, das bei Dovifat im Zitat nicht vorkommt) kann die Filmkritik in den fünfziger Jahren nicht ungeteilt genießen. Aber auf das Spannungsverhältnis zwischen Redaktionsfreiheit und Anzeigeninteressen wollte ich hier nicht weiter eingehen. Man kann das in speziellen Aufsätzen nachlesen (zum Beispiel: „Die Stuttgarter ‚Filmkriege’ von 1954 und 1957“. In: Publizistik, 5/1968)

Ein drittes Schlüsselwort: Verantwortung. Der Kritiker, sagt Dovifat, habe sie dem Kunstwerk gegenüber wahrzunehmen. Redakteure sagen, sie hätten eine Verantwortung den Lesern gegenüber. Das Filmgewerbe verweist natürlich auf die Verantwortung der Kritiker gegenüber dem Wirtschaftsfaktor Film. Und dann gibt es noch die damals sehr einflussreichen Kirchen, denen es um die Verantwortung für die Moral ging.

18. Weil auch die Moral ein Schlüsselwort der fünfziger Jahre ist, zitiere ich ein eindrucksvolles Beispiel der kirchlichen Filmkritik, katholisch, 1954, Autoreninitial: Ö. Der kritisierte Film heißt johnny guitar und ist von Nicholas Ray. Die Meinung des Kritikers: „Eine ärgerlich unglaubwürdige Geschichte vor diesmal besonders papierener Wildwestszenerie. Sie wurde ziemlich zusammenhanglos zurechtgeschnitten und lebt von Diebstahl, Raub, Totschlag und von geringwertiger Schauspielerei. Die krasseste Fehlbesetzung ist Joan Crawford. Ihre betagte, unweibliche Erscheinung soll ein begehrtes junges Mädchen glaubhaft machen, um dessen Gunst die Männer einander blutig schlagen. Ihre Gegenspielerin – personifizierter, sinnloser Hass – bemüht sich, die Besitzerin der Spielhölle und deren aus dem Gefängnis entlassenen Johnny zugrunde zu richten. Ein widerwärtiges Schauspiel mit niedriger Gesinnung, kalter Lebensverachtung und geistlosen Dialogen. Abzuraten!“

Welch ein Versprechen! Wie das Filmprogrammheft, die Aushangfotos, der Trailer gehörten solche Texte zur Vorlust auf das Kino. Peter Nau hat das so beschrieben: „An einer Häuserwand auf dem Weg zu diesem Kino (einem verrufenen, in dem es vor allem amerikanische Gangster- und Kriminalfilme gab) hing der Schaukasten mit den Kritiken vom katholischen Filmdienst. Ich liebte auch diese Kritiken. Nicht wegen der Argumente als inhaltlich aufgefasstem Für und Wider, sondern aus dem  Bewusstsein von ihnen als einem Bestandteil desselben Stoffes, aus dem die Träume waren: die Filme. Im Lob und Tadel, in der Befürwortung und Ablehnung spiegelte sich der moralische Rigorismus der Filme wieder, der in ihnen waltende Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen.“ (Aus der Einleitung seines Buches Zur Kritik des Politischen Films, 1972).

In dieser Beschreibung von Peter Nau ist ein Stück individueller Naivität aufbewahrt, die sich zur Magie des Films bekennt und noch deren formulierte Negation in ihren Erlebnisprozess einbezieht. Natürlich ist dies nur ein Aspekt in der Erinnerungsarbeit von Peter Nau. Aber er führt uns vielleicht auch im Umgang mit der weltlichen Filmkritik der fünfziger Jahre einen Schritt weiter, jedenfalls mit ihrem besseren Teil. Das Beliebige und Langweilige an ihr sind die Beurteilungen, die Benotungen mit oder ohne Begründung. Das Spannende sind die Assoziationen, die Fragen, die Gedankensprünge.

Man kann für die Filmkritik der fünfziger Jahre ziemlich generell einen Mangel an kritischer Methode, eine Unsicherheit bei der Transformation von Bildern in Wörter konstatieren. Einige Gründe für diese Defizite habe ich benannt. Aber dieser Generalisierung stellen sich dann doch Autoren entgegen, in deren Denk- und Formulierungsfähigkeit die damaligen Filme auf sehr individuelle Weise aufgehoben waren. Auf zwei möchte ich jetzt zu sprechen kommen.

19. Karena Niehoff, heute Berliner Kulturkorrespondentin der Süddeutschen Zeitung, war von Anfang der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre die exponierte Filmkritikerin des Berliner Tagesspiegels. Sie war Feuilletonjournalistin, in der Zeitung wurde sie viele Jahre als „Sonderkorrespondentin“ bezeichnet. Es gibt eine Sammlung ausgewählter Texte von ihr, die 1962 unter dem Titel Stimmt es – Stimmt es nicht? veröffentlicht wurde.

Karena Niehoff ging als Reporterin ins Kino: neugierig, beobachtend, fragend. Sie hat in den fünfziger Jahren ihren Schreibstil entwickelt, der zusehends origineller wurde: ironisch, assoziativ, scheinbar von reiner Vernunft ausgehend, mit einer Liebe zum Paradox. Sie hat Filme nie analysiert, denn Systematik wäre ihr wohl ein Gräuel. Charakteristisch für ihre Texte sind: gedankliche Umwege, kapriziöse Einschübe, ungewöhnliche Sprachfiguren.

Zwei Zitate über Maria Schell:

1. Über gervaise, 27. September 1956: „Maria Schell scheut zwar bekanntlich und verdienstlich nicht vor ärmlich schmutzigen Haaren, vergrämter Leidensmiene und härenen Gewändern zurück, die Hässlichkeit des Elends ist sogar ihre wohl gehegte Spezialität – aber sie lässt ihre Rollen doch immer kühl berechnend mit genügend schöner Seele, unverdienten Schicksalsschlägen und den Anlässen zu tief und ehrlich empfundenen Engelsaugenaufschlägen versorgen, auf dass keinen Zuschauer ernstlich Zweifel an ihrem wohlgeformten Innenleben, an ihrer leidvollen Sehnsucht zum besseren, gepflegteren Ich kämen.“

2. Über une vie / ein leben, 20. Juni 1959: „Der Krug geht solange zu Tränenwasser, bis er bricht. Nur – niemandem bricht dabei das Herz. Frau Schell will immer so gequält eine ganze Schauspielerin sein. Über dieser Bemühung bleibt sie eine halbe; und das ist allemal schlimmer, als gar keine scheinen zu wollen.

In den Personenbeschreibungen, im Geschichtenerzählen ist die maliziöse Ironie von Karena Niehoff bestes Feuilleton der fünfziger Jahre: genau, unterhaltsam, geistreich.

20. Gunter Groll. Geboren 1914, gestorben 1982, war von 1945 bis 1958 Filmkritiker der Süddeut­schen Zeitung, im Hauptberuf – bis 1970 – Cheflektor des Kurt Desch Verlages. Seine Dissertation, 1937, unter dem Titel Film – die unentdeckte Kunst veröffentlicht, ist einer der wenigen filmtheoretischen Texte der Nazizeit, der mit Gewinn zu lesen ist. Von 1938 bis 1945  war Groll Filmdramaturg bei der Bavaria in München. Er war politisch unbelastet, fachlich kompetent und er konnte schreiben. Er war in den fünfziger Jahren der am meisten gelesene und geliebte Filmkritiker in der Bundesrepublik. In zwei Sammelbänden (1953: Magie des Films, 1956: Lichter und Schatten) sind 177 seiner Texte zugänglich. In der Broschüre Demnächst in diesem Theater (1957) hat er sich auch ausführlich zum Thema Filmkritik geäußert. Sein Credo war „Der Kritiker sage das Schwere leicht.“ Groll forderte „Drei Grundzüge der guten Kritik: die Fähigkeit zu klären, die Liebe zur Sache und die Distanz zum Objekt.“

Er poetisierte, spielte mit Aphorismen, Metaphern, witzigen Verknappungen, er liebte die Pointe. „Kritik soll klären“, sagte er, „doch nicht dozieren. Sie soll Witz haben, doch nicht witzeln. Sie darf spielen, doch das Wortspiel verwende sie nur, wenn es auch Gedankenspiel ist. Sie soll pointiert sein – doch immer nur dann, wenn die sprachliche auch eine geistige Pointe ist.“

Zwei Zitate aus Groll-Kritiken:

1. Über den Film die mücke, 25. Oktober 1954: „die mücke ist ein Film über Spitzel. Jeder bespitzelt jeden: der Ehemann mit Hilfe einer Agentin die Ehefrau, die Agentin außer der Ehefrau den Ehemann, ein Agent die Agentin, die Agentin den Agenten – ein Spitzel kommt selten allein in diesem Film, und man kann wohl sagen, das er das Spitzelwesen auf die Spitze treibt. Unter den Spitzelfilmen ist er ein Spitzenfilm. (…)“

2. sinuhe der ägypter, 19. Dezember 1954:

„II.  Hier blüht neues Leben in Theben. Pharaonen, Paläste, Podeste. Pyramiden rechts, Pyramiden links – und alle repariert. Der Nil. Die Sphinx. (Auch sie vollständig renoviert.) Das ist kein Pappenstiel. Das kostete, obwohl es manchmal Pappen-Stil ist, seine 5 Millionen Dollar; eine Million mehr als vom winde verweht. Und was hat man da alles hingehext! Die Wüste bebt. Die Wüste wächst. Drei jahrtausende blicken, beziehungsweise brüllen auf uns herab, mit ’4-Kanal-stereophonischem Magnetton’ – was das genau ist, weiß ich nicht genau; aber es ist sehr laut.

III.  Gleichwohl ist dieser attraktive Riesenfilm (Regie Michael Curtiz) rührend und manchmal bewundernswert: dank dem Bemühen um historische Korrektheit. Ein Heer beratender Ägyptologen zog mit in die Wüste; man kann sicher sein, dass alles stimmt: Kostüme und Geräte, die chirurgischen Bestecke und hethitischen Schwerter, die Taschen und Fächer, Becher und Flaschen.

IV.  Nur die alten Ägypter selbst (die Damen Jean Simmons, Gene Tierney und Bella Darvi sowie die Herren Edmund Purdom, Victor Mature und Michael Wilding) sehen ein wenig aus wie moderne Amerikaner auf dem Fasching. Aber dafür können sie nichts. Wer sieht schon aus wie Echnaton.“

Es liegt auf der Hand, dass solche Kritiken von den Lesern sehr geschätzt wurden. Sie funktionierten, ohne Filmkenntnisse vorauszusetzen oder eine intellektuelle Anstrengung zu fordern. Sie hatten keine Parallele in der Theater-, Musik- oder Kunstkritik, die damals eher akademisch und spröde betrieben wurde. Nun kann man dies als fragwürdige Ausgrenzung des kritisierten Gegenstandes Film auffassen oder als Kompliment. Die Leser waren süchtig nach Groll-Kritiken, die heranwachsende Kritiker-Generation, geschult an Kracauer, hat ihn dagegen ganz und gar nicht gemocht. Für die so genannte „linke Kritik“ mit ihrem Zentralorgan Filmkritik, für Enno Patalas, Ulrich Gregor, Wilfried Berghahn, Theodor Kotulla, war Groll die Inkarnation der feuilletonistischen, kalligraphischen, konventionellen Filmkritik der fünfziger Jahre, die es zu überwinden galt.

Wenn man eine Groll-Rezension des eleganten Beiwerks an Wortspielen und Metaphern entkleide, klagte Patalas in einer Kritik der Groll-Sammelbände in den Frankfurter Heften (9/1957), bleibe an echtem informativem Gehalt nicht viel übrig. Brächte man zum Beispiel Grolls Kritik des blauen engel in schlichte Sätze, ergäbe sich als Befund: „Der Film wirkt immer noch sehr stark. Jannings und Marlene Dietrich sind gut; sparsam und bildintensivierend wird der Ton eingesetzt.“ Groll brauche dafür 450 Worte und das sei entschieden zu viel.

Die Kritik von Patalas war zugleich richtig und absurd. Richtig, weil sie eine Schwäche der feuilletonistischen Kritik, nämlich den Mangel an komplexer ideologischer und ästhetischer Analyse nachweist. Absurd, weil sie das literarische Spiel des Autors auf eine informative Essenz reduzieren will. Die „linke Kritik“ – die damals nicht nur in der Bundesrepublik eine folgenreiche Debatte entfacht hat – war in einer Zeit der schönen Verpackung nur an den Inhalten interessiert. Es fiel ihr auch leicht, die feuilletonistische Kritik argumentativ anzugreifen, weil Ende der fünfziger Jahre kompliziertere Filme entstanden, mit denen die älteren Kritiker ihre Schwierigkeiten hatten. Hinzu kam, dass die Filmkritik in den Zeitungen an Bedeutung gewann und jüngere Kritiker sich zu Wort meldeten: 1957 wurde Manfred Delling, 29, Filmkritiker der Welt. 1958 wurde Hans-Dieter Roos, 25, Filmredakteur der SZ. 1959 wurde Heinz Ungureit, 28, Feuilletonredakteur der Frankfurter Rundschau.

21. 1961 haben Enno Patalas und Wilfried Berghahn in dem berühmt gewordenen Aufsatz „Gibt es eine linke Kritik?“ (Filmkritik, 3/1961) eine Positionsbestimmung von herkömmlicher, alter und geforderter neuer Kritik unternommen, die ihnen allerdings viel zu apodiktisch und schematisch geraten ist. Das Resultat war, dass sich die „alte“ Kritik von den Rubrizierungen nicht getroffen fühlen musste und die neue Kritik ihrerseits bald in eine langwierige Selbstverständnisdebatte verwickelt war.

22. Noch immer gefallen mir Helmut Färbers „Forderungen des Tages“ an die Filmkritik:

„1. Anders schreiben – und lesen – als nur Besprechungen neuer Filme. 2. Anders schreiben – und lesen – als nur innerhalb der Form urteilender, möglichst abschließender Abhandlungen.

Zu 1: Das Denken der jeweils neuesten Filme fällt mit der Summe der verpflichtenden Möglichkeiten nicht zusammen. Die Differenz sich zu vergegenwärtigen wäre Geschäft der Filmkritik und ihrer Leser und hieße nicht die neuesten Filme gering zu schätzen, sondern sie zu verstehen. Nicht weniger aber als den neuesten Filmen wären Kritiker und Leser den früheren verantwortlich, und insbesondere den zukünftigen.

Zu 2: So wenig der Film mit naturalistisch abgebildeten Geschichten, so wenig wäre die Filmkritik mit unmittelbar objektbezogenen Einzelabhandlungen identisch. Dass sie es trotz anderer Vorsätze zu oft dabei bewenden lässt, ist ihre missliche Lage und ihre ‚faule Seele’.“

Helmut Färbers Forderungen des Tages stammen aus dem Jahre 1967.

Norbert Grob/Karl Prümm (Hg.): Die Macht der Filmkritik. Positionen und Kontroversen. München: edition text + kritik 1990.