Texte & Reden
25. August 1988

Helmut Käutner zum 80. Geburtstag

Beitrag im SFB

Vor acht Jahren ist der Regisseur Helmut Käutner gestorben. Einen festen Platz in der deutschen Filmgeschichte hat er noch immer nicht. Aber es gibt, spätestens seit den Nachrufen, eine Verständigung darüber, dass er einer der Größeren war.

36 Kinofilme hat Helmut Käutner zwischen 1939 und 1970 gedreht. 30 davon in den 40er und 50er Jahren. Nazizeit, Krieg, Nachkrieg, Adenauer. Irgendwo dazwischen ein sogenannter Zusammenbruch. Aber andererseits gab es gerade im Film eine Kontinuität in den Bildern, in der Dramaturgie, in der Inszenierung von den 30er bis in die 50er Jahre. Vor allem dagegen haben dann die jungen deutschen Filmemacher ihre Opposition angemeldet. Als sie 1962 behaupteten, Papas Kino sei tot, haben sie auch Helmut Käutner damit gemeint. Die Filmemacher und die Kritiker haben damals zu engstirnig geurteilt und nicht genau hingesehen. Ihnen waren die Filme von Käutner zu unpolitisch, weil er sich für das Individuelle und Private interessiert hat, als die großen Bewältigungsthemen verlangt wurden. Und: Käutner hat für das Kunst- wie für das Unterhaltungskino gearbeitet. Auch das hat ihn den ideologischen Puristen verdächtig gemacht. Wolfgang Staudte – der andere große Regisseur jener Jahre – war engagierter, politischer, aber nicht einmal ihn haben die Jungen damals als Vater anerkannt.

Was hätten sie von Käutner lernen können?

Er kam vom Theater und vom Kabarett. Aber er hat filmisch gearbeitet. Das merkt man an seinen ersten musikalischen Komödie: KITTY UND DIE WELTKONFERENZ, FRAU NACH MASS, WIR MACHEN MUSIK, 1939-1941. Filme mit flotten Dialogen, einem fast amerikanischen Tempo. Mit Rhythmus. Das lag in den Jahren der patriotischen Bewaffnungsfilme aber gar nicht auf der herrschenden Linie. 1942/43, als die Propaganda-Offensive zum Höhepunkt kam, hat Käutner seine klassischen Melodramen gedreht: AUF WIEDERSEHEN, FRANZISKA, ANUSCHKA, ROMANZE IN MOLL. Wehmütige, melancholische Filme, die sich in keinen offiziellen Dienst stellen ließen. Und als Goebbels Komödien forderte, drehte Käutner zwei Filme, die erst nach Kriegsende in die Kinos kamen: GROSSE FREIHEIT NR. 7 und UNTER DEN BRÜCKEN. Dreiecksgeschichten, Milieugeschichten, üner ihrer Zeit stehend. Sie haben noch immer Bestand. So hat sich dieser Regisseur dem System verweigert.

Käutners erster Nachkriegsfilm, IN JENEN TAGEN – die Geschichte eines Autos und seiner wechselnden Besitzer – , 1946/47 gedreht, wurde als Exkulpierungsfilm ür die Nazis missverstanden . DER APFEL IST AB (1948) war ein Rückfall in reines Kabarett. Drei Filme um 1950 herum sind ganz unbekannt, weil es offenbar keine Kopien mehr von ihnen gibt: KÖNIGSKINDER, EPILOG, WEISSE SCHATTEN. Alles keine Erfolge. Für Käutner war die Nachkriegszeit schwerer als erwartet.

Schließlich die fünfziger Jahre. Natürlich: DES TEUFELS GENERAL, LUDWIG II., DER HAUPTMANN VON KÖPENICK, DIE ZÜRCHER VERLOBUNG. Das waren gediegene und erfolgreiche Filme, die längst zum Fernsehrepertoire gehören. Aber ist es nicht an der Zeit, Helmut Käutner auch als Melodramatiker zu respektieren? DIE LETZTE BRÜCKE ein Partisanen-Melodram, HIMMEL OHNE STERNE ein Ost-West-Melodram, DER REST IST SCHWEIGEN ein Ruhrgebiets-Melo, SCHINDERHANNES ein Räuber-Melo. Aufruhr der Gefühle auch bei Helmut Käutner! Stehen denn immer noch Maria Schell und O. W. Fischer, Ruth Leuwerik und Curd Jürgens, Hardy Krüger und Liselotte Pulver – alles Käutner-Schauspieler jener Jahre – einem differenzierterem Blick suf sein werk im Wege?

Die trivialsten Genres der 50er Jahre – Heimatfilm und Schlagerfilm – haben Käutner nicht interessiert. Aber er hat seinen Genres vertraut, er war ein Meister der Stilisierungen und Zwischentöne. Er wollte nicht eine äußere Realität fotografisch wiedergeben, sondern eine filmische Realität schaffen. Sein Misstrauen gegenüber politischen und ideologischen Botschaften hat er natürlich nicht theoretisch formuliert, sondern in eine künstlerische Form gebracht. Bis zuletzt, als er sich in die gesicherten Bereiche des Fernsehens zurückgezogen hat.

Heute wäre Helmut Käutner 80 Jahre alt geworden. Seine Heimatstadt Düsseldorf hat inzwischen einen Filmpreis nach ihm benannt. Die Filmhistoriker brauchen noch etwas Zeit, um ihm gerecht zu werden.

SFB, 25.3.1988