Texte & Reden
26. November 1965

Milos Forman

Text für die Stuttgarter Zeitung

Peter ist knapp sechzehn. Sein Vater hat ihn als Lehrling in einer Verkaufsstelle untergebracht, damit aus dem Jungen bald „etwas wird“, am besten gleich ein Chef. Doch Peter findet sich in der Welt der Erwachsenen noch nicht zurecht. Er kommt sich in seiner neuen Stellung, als Aufpasser im Selbstbedienungsladen, höchst überflüssig vor. Abends und sonntags trifft er sich mit Pavla, einem Mädchen aus der Nachbarschaft. Die beiden gehen zusammen spazieren, baden und tanzen, wobei Peter mit dem Twist einige Mühe hat. Wenn er dann nach Hause kommt, liegen ihm die kleinbürgerlichen Eltern in den Ohren. Doch Peter revoltiert nicht. Die väterlichen Predigten lassen ihn gleichgültig. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er einen eigenen Platz in der Gesellschaft hat. Vielleicht zusammen mit Pavla, vielleicht mit einer anderen.

Andula, blond und einfältig, ist siebzehn. Sie arbeitet in einer Schuhfabrik. Da die Abende in der kleinen Stadt wenig Abwechslung bringen, geht sie mit großen Erwartungen zum „Reservistenfest“. Sie arrangiert sich dort aber nicht mit einer feschen Uniform, sondern gerät an Milda, den Pianisten der Kapelle aus Prag. Die beiden bleiben die Nacht zusammen, am anderen Tag fährt Milda zurück. Andula benutzt das folgende Wochenende zu einer Reise nach Prag. Sie trifft zunächst auf Mildas schockierte Eltern, die das Mädchen mit dem Koffer nicht mit ihrem Weltbild vereinbaren können, und auch der junge Mann zeigt sich – allerdings aus anderen Gründen – irritiert. Milda hat das Erlebnis nicht ernst genommen. Andula kehrt zu ihren Freundinnen zurück und erzählt von der „großen Liebe“.

DER SCHWARZE PETER und DIE LIEBE EINER BLONDINE sind zwei Filme aus der Tschechoslowakei. Ihr Regisseur, mit dreiunddreißig Jahren einer der jüngsten und zugleich talentiertesten des osteuropäischen Films, heißt Milos Forman. Er hat sich auf Anhieb die Sympathien des Publikums und der Kritik erobert, weil seine Filme trotz ihrer Vergnüglichkeit zum Nachdenken anregen. Die letzten Nuancen werden sogar erst in der Erinnerung deutlich, denn wir haben es mit zwei jener seltenen Filme zu tun, die ihre Dimensionen erst in der Rückschau voll aufdecken. Wer sich so als Regisseur einführt, verdient einige Aufmerksamkeit.

Formans Ausbildung ist kennzeichnend für die sorgfältige Förderung junger Begabungen in der Tschechoslowakei. Nach dem Besuch des Gymnasiums wurde Forman auf Empfehlung eines Professors in die Dramaturgie-Klasse der Filmfakultät an der Akademie Musischer Künstler (FAMU) in Prag aufgenommen, die er von 1951 bis 1956 besuchte. Als Drehbuchautor und Assistent war er zunächst für die Regie-Veteranen des tschechischen Films tätig, für Martin Frič, Alfréd Radok und Ivan Novak. Die handwerkliche Solidität, die er sich damals angeeignet hat, kommt Forman heute bei seinen eigenen Regiearbeiten zugute, wenn er sich auch stilistisch weit von seinen Lehrmeistern entfernt hat.

Formans Stil, der auf den ersten Blick improvisiert wirkt, ist in Wahrheit das Ergebnis einer präzisen Inszenierung, die von den Darstellern „nur“ Natürlichkeit verlangt. Der Regisseur verzichtet auf die Methoden des cinéma-verité, auf versteckte Kameras und Dialogfreiheit seiner Personen. Die Drehbücher sind bis ins Detail ausgearbeitet. Dennoch haben viele Szenen die Authentizität eines Dokumentarfilms. Die Tanzfeste im SCHWARZEN PETER wie in der LIEBE EINER BLODINE sind aus ungezählten Einzelbeobachtungen zu musikalischen Sequenzen komponiert.

Von der Phantasie, über die Forman verfügt, hat auch eine andere künstlerische Unternehmung profitiert: die Prager „Laterna Magica“, eine wirkungsvolle Mixtur aus Film, Pantomime, Ballett und Musik, die in Deutschland durch einige Gastspiele bekannt geworden ist. Forman ist der Experimentierbühne als Dramaturg und künstlerischer Berater verbunden, er hat dort besonders in den Jahren 58 bis 62 Entwicklungshilfe geleistet. 1963, als sich die Jugend im tschechoslowakischen Film emanzipierte, nutzte auch Forman die Chance. Er debütierte damals als Regisseur mit einem mittellangen dokumentarischen Spielfilm, der eine Talentprobe für Schlagersängerinnen und -sänger beim Prager Semafortheater schildert: WETTBEWERB. Die schmale Handlung des Films – zwei Mädchen bewerben sich und fallen prompt durch – ist nur ein Vorwand für satirische Impressionen. Mitleidlos deckt Forman Talentlosigkeit und falschen Ehrgeiz auf, er gibt all die unechten Töne und leeren Gesten dem Lachen der Zuschauer preis.

Ein zweiter mittellanger Spielfilm, WENN DIE BLASMUSIK SPIELT, entstand gleichzeitig mit dem SCHWARZEN PETER, ebenfalls 1963. Auch im Thema zeigt sich eine Parallele, es geht um den Generationskonflikt: die Jungen strömen zum Motorradrennen, statt beim Musikfest der Alten die Trompete zu blasen. Forman spielt die beiden Schauplätze sehr effektvoll gegeneinander aus, er montiert optische und akustische Kontraste, um sein Thema aus den Widersprüchen zu entwickeln. In den beiden abendfüllenden Spielfilmen macht sich eine größere Ökonomie bemerkbar, sie wirken reflektierter und gewinnen damit an Tiefenschärfe.

Der Autor und Regisseur Forman schildert das Milieu der Kleinstadt, er kommt mit wenigen Schauplätzen aus, er beschreibt psychologische Situationen ohne komplizierte Dramaturgie. Diese Voraussetzungen bestimmen Aufbau und Rhythmus seiner Filme. Die Einstellungen dauern länger als gewohnt, die Kamera widmet sich dem scheinbar nebensächlichen Detail. Gerade das aber gibt Formans Filmen ihre unbedingte Glaubwürdigkeit, ihre Hautnähe, die ja nicht durch unentwegte Großaufnahmen zu erzielen ist. Die Umwelt spielt hier immer mit, das Bewusstsein der Personen und das Milieu, in dem sie leben, sind identisch.

Forman arbeitet fast ausschließlich mit Laiendarstellern, von denen er allerdings erwartet, dass sie intelligenter sind als die Rollen, die sie spielen. Exaltationen werden ihnen freilich nicht zugemutet, doch ist es oft schwerer, die pure Normalität kenntlich zu machen. Die glücklichste Hand hatte der Regisseur in dieser Hinsicht beim SCHWARZEN PETER, wo die Darsteller jede gewünschte Nuance erfasst haben. Als Andula, die Blondine seines zweiten Films (1965), verpflichtete Forman Hana Brejchowa, eine Schwester von Jana Brejchowa (DAS HAUS IN DER KARPFENGASSE). Auch eine sehr sorgfältige Führung hat hier das mangelnde Talent nicht ersetzen können; die Rolle bleibt ohne Profil, zumal als Partner der hochbegabte Vladimir Pucholt das Gleichgewicht stört.

Formans Filme sind unauffällig, da sie weder durch gewagte Themen noch durch prominente Darsteller von sich reden machen. Ein kleiner Verleih in München hat sich mutig für den SCHWARZEN PETER eingesetzt, ein größerer will es mit der LIEBE EINER BLONDINE (Foto) versuchen. Leider ist es sehr fraglich, ob das vom Publikum honoriert wird.

Stuttgarter Zeitung, 26. November 1965, Filmseite. Überschrift: „Talent von der Moldau“.