Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Juli 2015

Rolf Aurich/Ralf Forster (Hg.)
Wie der Film unsterblich wurde
Vorakademische Filmwissenschaft in Deutschland
Edition text + kritik, München 2015
418 S., 39,00 €
ISBN: 978-3-86916-407-6

Rolf Aurich/Ralf Forster (Hg.):
Wie der Film unsterblich wurde.
Vorakademische Filmwissenschaft in Deutschland

Bevor es in Deutschland zur Gründung von Kinematheken, Filmmuseen und filmwissenschaftlichen Instituten an verschiedenen Universitäten kam, haben sich viele Personen und kleine Institutionen um die Archivierung und den Erhalt von Filmen verdient gemacht, haben Ausstellungen initiiert, die Filmgeschichte im Kino und im Fernsehen vermittelt und die ersten wissenschaftlichen Arbeiten über das Medium publiziert. Das vorliegende Buch, herausgegeben von Rolf Aurich und Ralf Forster, porträtiert Personen und erinnert an Institutionen aus der Zeit zwischen 1920 und 1960. 34 Texte fügen sich zu einem interessanten Mosaik. Es darf, mit Werner Schwier auf dem Cover, gelegentlich auch gelacht werden, aber die Mehrzahl der Beiträge klingt eher ernst. – Erster Band der neuen Filmbuchreihe: „Film-Erbe“. Sie wird von Chris Wahl im Verlag „edition text + kritik“ herausgegeben.

Auch für die „vorakademische“ Filmvermittlung und Filmwissenschaft war es unabdingbar, die wichtigsten Titel der deutschen und internationalen Filmgeschichte verfügbar zu haben, um sie zu zeigen, über sie zu sprechen oder zu schreiben. Anders als Bücher waren Filme in früheren Zeiten schwer zugänglich, wenn sie aus den Kinoprogrammen verschwunden waren. Es gab private Sammler (einer von ihnen war Gerhard Lamprecht, der Gründer der Deutschen Kinemathek), und schon früh wurde eine öffentliche Verantwortung für die Bewahrung des Filmerbes eingefordert. Aber bis zur Gründung des Reichs­filmarchivs 1934 ging die Mehrzahl der deutschen Stummfilme für immer verloren und auch in späteren Jahrzehnten gab es in der Bundesrepublik keine verbindliche Form für die Sicherung der privat produzierten Spielfilmproduktion. Entsprechendes gilt auch für Kultur- und Dokumentarfilme, für Kurzfilme und Werbefilme. Sie alle sind Dokumente der Zeit, die oft eine große historische Bedeutung haben.

Acht Beiträge des Buches handeln von den unterschiedlichen Initiativen zur Archivierung von Filmen: Chris Wahl erzählt eine kurze Geschichte der öffentlichen Aufrufe zur Gründung von Filmarchiven, Ulrich Döge informiert über das LBB-Archiv von Karl Wolffsohn, Mahelia Hannemann erinnert an die Verbindungen zwischen dem zweiten Leiter des Reichsfilmarchivs, Frank Hensel, und dem Mitbegründer der Cinémathèque française, Henri Langlois („Nicht Freund, nicht Feind“), Dirk Alt berichtet über die „Kommission zur Bewahrung von Zeitdokumenten“, die es von 1937 bis 1945 gab, Alexander Zöller schreibt über die Tätigkeit des Reichsfilmarchivs von 1934 bis 1945 und seine Hinterlassenschaften, Anke Hüttmann und Manuel Tanner machen auf das „Filmarchiv der Persönlichkeiten“ von Gerhard Jeschke aufmerksam, Jeremias König unternimmt eine „erste Annäherung“ an den „Film-Archivar und Film-Mörder“ Albert Fidelius, Anne Barnert portraitiert den Gründungsdirektor des Staatlichen Filmarchivs der DDR, Herbert Volkmann.

Vier Texte sind dem Thema „Filmausstellungen“ gewidmet, sie stammen von Iris Zoe Schlepfer und Katharina Störrie (über die „Kino- und Photo-Ausstellung“ KIPHO 1925 in Berlin), Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen (über das erste deutsche Filmmuseum 1932 in Berlin), Ralph Eue (über die Berliner Ausstellung „60 Jahre Film“ 1958 im ehemaligen Zeughaus) und Thomas Brandlmeier (über die Anfänge des Filmmuseums München und die G. W. Pabst-Ausstellung 1963).

Im dritten Kapitel, „Filmvermittlung und Filmpublizistik“, mischen sich Personenporträts und Institutionsbeschreibungen: Dieter B. Herrmann erinnert an die filmischen Initiativen der Treptower Sternwarte sowie der Berliner und der Wiener Urania (1904-1924), Kay Hoffmann informiert über die verschiedenen Tätigkeiten des Autors („Vom Werden deutscher Filmkunst“, 2 Bände, 1935) und Produzenten Oskar Kalbus, Rolf Aurich und Renate Göthe charakterisieren den Multifunktionär Walther Günther, Ralf Forster beschreibt das filmgeschichtliche Wirken der „Deutschen Kinotechnischen Gesellschaft“, Rolf Aurich unternimmt eine „Annäherung an den Antisemiten Alexander Jason“, der viele Jahre das „Handbuch der Filmwirtschaft“ herausgegeben hat, Heinrich Adolf würdigt das lebenslange Engagement von Victor Schamoni (Vater von Peter, Ulrich und Thomas) für den guten Film, Thomas Meder berichtet über die Arbeit von Friedrich von Zglinicki an dem Buch „Der Weg des Films“ und die kritischen Reaktionen, Judith Früh schildert die Wege zur Filmbildung im München der 1950er Jahre.

„Filmgeschichte in Kino und Fernsehen“ wird in vier Beiträgen aufgearbeitet. Rolf Aurich schreibt über Ferdinand Althoff und seine Filmschauen, Guido Altendorf über deutsche Kompilationsfilme der 1940er und 1950er Jahre, Volker Petzold über die „Camera“, das Kino des Staatlichen Filmarchivs der DDR und Frederik Lang über Werner Schwiers „Es darf gelacht werden“ (Westfernsehen) und „Willi Schwabes Rumpelkammer“ (Ostfernsehen) als frühe Beispiele nichtakademischer Filmvermittlung im Fernsehen.

Das letzte Kapitel ist das umfangreichste: „Wege zur Filmwissenschaft“, zehn Texte. In sechs Fällen sind es Porträts interessanter Personen; es handelt sich dabei um Hans Traub, den Gründungsdirektor der „Ufa-Lehrschau“ (Autor: Ulrich Döge), Gunter Groll, 1937 Verfasser einer Dissertation über „Film. Die unentdeckte Kunst“ (Autor: Wolfgang Jacobsen), Rolf Burgmer, manischer Sammler zur frühen Filmgeschichte (Evelyn Echle), Heinz Baumert, prägend für die frühe Filmwissenschaft in der DDR (Ralf Forster), Klaus Lippert, Chefredakteur der DDR-Zeitschrift „Deutsche Filmkunst“ in schwierigen Zeiten (Sarah Kordecki), und Fritz Terveen, der viele Jahre am Institut für den Wissenschaftlichen Film und an der Landesbildstelle Berlin tätig war (Ralf Forster). Malte Hagener untersucht in seinem Text die Einflüsse von Avantgarde und Filmkultur der Weimarer Republik auf die frühe Filmwissenschaft, Rainer Rother schreibt über die filmkundlichen Ansätze von Filmzeitschriften im Nationalsozialismus, Ingrid Klausing über den Anteil der Filmwissenschaft innerhalb der Münchner Zeitungswissenschaft und Tobias Ebbrecht-Hartmann über den Film in der deutschen Geschichtswissenschaft der 1950er Jahre.

Auch wenn diese Aufzählung der Beiträge vielleicht etwas mühsam zu lesen ist, sie macht deutlich, wie vielfältig das thematische Spektrum des Buches ist und wie sehr es sich mit der deutschen Geschichte verbindet. Die einzelnen Texte sind eher kurz (in der Regel sechs bis zehn Seiten), wirken hervorragend recherchiert, haben auch mir persönlich viele neue Informationen vermittelt. Ich kannte natürlich einige der genannten Personen und hatte Verbindungen zu zahlreichen Institutionen. Das hat die Lektüre für mich zusätzlich spannend gemacht.

Fünf Texte haben mir besonders gut gefallen: das Oskar Kalbus-Porträt von Kay Hoffmann, weil ich die beiden Kalbus-Bücher „Vom Werden deutscher Filmkunst“ sehr respektiere, aber wenig über die Biografie des Autors wusste. Die Recherchen von Rolf Aurich zu Alexander Jason, dessen Jahrbücher ich immer wieder genutzt habe, ohne viel über die ideologischen Hintergründe von Jason zu wissen. Die Informationen von Judith Früh über das Film- und Kinoleben in München in den 1950er Jahren, wo ich ab 1958 die Basis für meine filmhistorischen Kenntnisse gelegt habe; zu den wichtigsten Erlebnissen gehörten damals mehrere Besuche der von Eberhard Hauff konzipierten „Internationalen Filmkunstausstellung“. Die Annäherung von Wolfgang Jacobsen an die Dissertation von Gunter Groll, den ich in den 1950er Jahren als Filmkritiker der Süddeutschen Zeitung sehr verehrt habe. Das Rolf Burgmer-Porträt von Evelyn Echle, weil Burgmer der wohl „verrückteste“ Sammler war, den ich in meinem Leben kennen gelernt habe.

Die Abbildungen des Buches sind gut ausgewählt und drucktechnisch akzeptabel. Der Anhang enthält eine Auflistung deutscher Filme zur Filmgeschichte bis 1962, zusammengestellt von Ralf Forster und Rolf Aurich.

Zielgruppe des Buches sind vor allem Historiker und Filmwissen-schaftler, aber es ist auch ein Beitrag zur Kulturgeschichte unseres Landes.