Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
September 2018

Ilka Brombach/Tina Kaiser (Hg.)
Über Christian Petzold
Berlin, Vorwerk 8 2018
264 S., 19,00 €
ISBN 978-3-940384-99-7

Ilka Brombach/Tina Kaiser (Hg.):
Über Christian Petzold

Seit seinem Film DIE INNERE SICHERHEIT (2000) gehört Christian Petzold nicht nur für mich zu den herausragenden deutschen Regisseuren. Er hat seither acht Kinofilme und vier Fernsehfilme gedreht, die alle in ihrer Erzählweise eigene Wege gehen und eng mit gesellschaftlicher Realität verbunden sind. Sein Umgang mit Schauspielerinnen und Schauspielern ist beeindruckend. Als Kameramann steht Hans Fromm immer an seiner Seite. Im Verlag Vorwerk 8 ist jetzt das erste größere Buch über Christian Petzold erschienen, herausgegeben von Ilka Brombach und Tina Kaiser. Es würdigt die Filme dieses Regisseurs auf eine ihm angemessene Weise.

Ein Vorwort der Herausgeberinnen und ein Grußwort des Kollegen Dominik Graf eröffnen den Band. In einem 42-Seiten-Interview befragt dann Ilka Brombach den Regisseur zu seinem Leben und seinem Werk. Er antwortet ihr mit vielen Assoziationen, macht Ausflüge in die Literatur- und Filmgeschichte, schildert die Produktionsbedingungen seiner Projekte, die Zusammenarbeit mit Schauspie­lerinnen (speziell: Nina Hoss), Schauspielern (Matthias Brandt) und der Editorin Bettina Böhler. Eine große Bedeutung hatte für ihn die Kooperation bei der Stoffentwicklung mit seinem Lehrer und Freund Harun Farocki bis zu dessen Tod im Juli 2014. Immer wieder waren Arbeit, Geld und deutsche Geschichte Themen seiner Filme. Auch die Erzählstruktur ist ein wichtiger Aspekt. Man erfährt aus dem Interview viel über Petzolds Denken und Handeln.

Ein zweites Gespräch, das Volker Pantenburg und Michael Baute geführt haben, geht speziell auf Petzolds Zeit an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin ein, auf die Seminare von Harun Farocki, Hartmut Bitomsky und Helmut Färber, auf die realisierten Projekte, auf die Wendejahre 1988-1994. Der amerikanische Filmwissenschaftler Marco Abel beschäftigt sich dann mit den Studentenfilmen von Christian Petzold („Unzeitgemäße Begegnungen mit dem Neoliberalismus“), die sich auf formal interessante Weise mit der Ökonomi­sierung der Menschen in Deutschland auseinandersetzen und von Abel positiver bewertet werden als von Petzold selbst.

In vier Texten wird anschließend jeweils ein Film analysiert. Pierre Gras (Paris) betrachtet noch einmal genauer PILOTINNEN (1994/95), den Abschlussfilm von Christian Petzold. Ilka Brombach untersucht WOLFSBURG (2002/03) mit dem Blick auf das Gegenwartsbild und die filmhistorische Untermalung. Sabine Nessel (Berlin) entdeckt „Gespenster des Spätkapitalismus“ in dem Film YELLA (2006/07), Alasdair King (London) sieht in JERICHOW einen Heimatfilm Noir („Wenn die Provinz zweimal klingelt“).

Von Malte Hagener (Marburg) stammt ein sehr präziser Beitrag über die Filmgeschichte als Matrix im Werk von Christian Petzold, mit konkreten Verweisen auf Alfred Hitchcock, Edgar G. Ulmer, Kathryn Bigelow, Walter Hill, Sydney Pollack, Howard Hawks, Rainer Werner Fassbinder, Fritz Lang, Helmut Käutner und viele andere. Am Ende wird speziell der Aspekt „Vertauschte Frauen“ thematisiert. Bei Tobias Ebbrecht-Hartmann (Jerusalem) geht es um „Filmische Historiographien“ in DIE INNERE SICHERHEIT, BARBARA und PHOENIX. Jaimey Fisher (Davis) richtet seinen Blick auf Petzolds PHOENIX, Fassbinders EHE DER MARIA BRAUN und die filmische Archäologie der Nachkriegszeit. Tina Kaiser reflektiert schließlich über das abgewandte Gesicht in PHOENIX.

So wird aus internationaler Perspektive auf die Filme von Christian Petzold gesehen, es gibt viele konkrete Befunde und Entdeckungen, der wissenschaft­liche Anspruch wird erfüllt, das Niveau der Beiträge ist außerordentlich hoch. Petzolds jüngster Film, TRANSIT, konnte noch nicht berücksichtigt werden, aber es ist hoffentlich davon auszugehen, dass dieses Buch im Laufe der Jahre „fortgeschrieben“ wird.

Zehn kurze Texte und Filmkritiken von Christian Petzold, der natürlich selbst ein guter Autor ist, schließen den Band ab. Sie handeln u.a. von Claude Chabrol, Peter Lorre, George A. Romero, John Cassavetes, Jean-Luc Godard, Charles Chaplin und Martin Scorsese.

Den Herausgeberinnen, Ilka Brombach, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, und Tina Kaiser, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität Marburg, ist ein hervorragend konzipiertes und realisiertes Buch gelungen, das dem Werk von Christian Petzold angemessen ist.

Die Qualität der Abbildungen ließe sich bei einer Neuauflage verbessern.

Mehr zum Buch: https://www.vorwerk8.de/programm-titel-ansicht.php?id=241&am=7