Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Mai 2010

Robert R. Shandley:
Trümmerfilme
Das deutsche Kino der Nachkriegszeit
Parthas Verlag, Berlin 2010
312 Seiten, 16,90 €
ISBN 978-3-86964-021-1

Robert R. Shandley:
Trümmerfilme.
Das deutsche Kino der Nachkriegszeit

Flüchtlinge, Gefangene, Vermisste, Millionen Tote. Ruinen, Hunger, Not, Angst. Zweiter Weltkrieg. Er endete im Mai 1945, vor 65 Jahren. Die Kapitulation der deutschen Wehrmacht und die Übernahme der Regierung durch die Alliierten wurden als Zusammenbruch und als Befreiung erlebt. Im Jubel der Sieger klang die Erschütterung über die Opfer mit. Das „Dritte Reich“, die Nazi-Diktatur: ein Trümmerhaufen. Es dauerte Jahrzehnte, bis diese Zeit in den Köpfen der Menschen aufgearbeitet war, noch heute gibt es spürbare Defizite. Der materielle Neubeginn, der Wiederaufbau, war daran gemessen einfacher.

Auch der Film, das Leitmedium der Zeit, lag 1945 in Deutschland am Boden. Bevor die Produktion wieder in Gang kam, mussten die Beteiligten „entnazifiziert“ werden. In der sowjetischen Besatzungszone wurde im Mai 1946 die DEFA gegründet, in den westlichen Zonen waren die Lizenzierungen komplizierter, so dass hier erst 1947 die ersten neuen Filme ins Kino kamen.

Das deutsche Kino der Nachkriegszeit wurde in der Bundesrepublik zweimal ausführlich und speziell thematisiert: 1965 von Peter Pleyer (Deutscher Nachkriegsfilm 1946-1948), 1995 von Bettina Greffrath (Gesellschaftsbilder der Nachkriegszeit. Deutsche Spielfilme 1945-1949). Beide Publikationen erfüllten wissenschaftliche Ansprüche, waren sorgfältig recherchiert und gelten als Pflichtlektüre zum deutschen Film der späten vierziger Jahre. Aber für diese Übergangszeit, die mit der Gründung der BRD und der DDR endete, ist das Interesse bei uns nicht sehr entwickelt.

Nun also ein Buch aus Amerika. Dort wird die deutsche Filmgeschichte bekanntlich von vielen Spezialisten erforscht und gelehrt. Der Autor von Rubblefilms (so der Originaltitel), ist Professor für Germanistik und Film Studies an der Texas A&M University in San Antonio. In Amerika erschien Robert Shandleys Publikation schon 2001. Vielleicht hätte man die Zeit für eine bessere Übersetzung nutzen sollen. Aber Shandleys Blick auf die deutschen Filme ist originell und bereichert unsere etwas enger fokussierte Wahrnehmung. Es sind 17 Titel, die unter die Lupe genommen werden, beginnend mit Staudtes DIE MÖRDER SIND UNTER UNS, endend mit R. A. Stemmles BERLINER BALLADE.

„Sieben Säulen“, die alle eine ideologische Basis haben und als Botschaften funktionieren sollen, entdeckt der Autor dabei als Denkraster in den Filmen: Wiedergutmachung, Aussöhnung, Neudefinierung, Stabilisierung, Wiedereingliederung, Wiederaufbau, Reprivatisierung. Er vermisst: Reue und geschichtliche Reflexion. Und er konstatiert einen Mangel an ästhetischer Veränderung etwa im Vergleich zum italienischen Neorealismus.

Die umfänglichste und interessanteste Analyse ist dem Film DIE MÖRDER SIND UNTER UNS gewidmet. Sie unternimmt eine Genreanalogie und entdeckt in Staudtes Film dramaturgisch und thematisch Elemente des Western, beginnend mit der Exposition, endend mit dem Showdown, bei dem allerdings das finale Duell zur Wiederherstellung der Ordnung ausbleibt. Shandleys Genrespiel zielt auf drei filmische Elemente: die Mise-en-scène, den Umgang mit Erzählkonventionen und die Entwicklung der Figuren. Im Mittelpunkt steht dabei der Gerechtigkeitssinn des Helden. Ich gestehe, dass ich DIE MÖRDER SIND UNTER UNS so noch nicht gesehen habe.

Auch die vier anderen großen Kapitel – über öffentliche Schuld und private Schuld (am Beispiel von IN JENEN TAGEN, ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN und LIEBE 47), über jüdische Regisseure und die visuelle Rekonstruktion von Juden im deutschen Film (EHE IM SCHATTEN, MORITURI, LANG IST DER WEG, AFFÄRE BLUM und DER RUF – eigentlich ist nur der letzte ein „Trümmerfilm“), die Zeitfilme der DEFA (IRGENDWO IN BERLIN, RAZZIA, STRASSEN-BEKANNTSCHAFT, UND WIEDER 48), die Befreiung durch Humor (FILM OHNE TITEL, UND ÜBER UNS DER HIMMEL, DER APFEL IST AB, BERLINER BALLADE) – sind in der Mischung von Beschreibung und konkreter Analyse kenntnis- und aufschlussreich. Der Blick von außen hilft eben doch bei der Erweiterung der Selbstreflexion.

Das Buch ist gut gedruckt und liegt, auch das gefällt mir, angenehm in der Hand. Das empfinde ich nicht als Äußerlichkeit. Anmerkungen, Filmografie und Register sind verlässlich. Es lohnt sich, die Filme im Zusammenwirken mit diesem Buch wieder zu sehen.