Filmbuch des Jahres
2015
Paul Duncan (Hg.)
The Charlie Chaplin Archives
Taschen Verlag, Köln 2015
560 S., 150,00 €
ISBN 978-3-8365-3840-4
Paul Duncan (Hg.):
The Charlie Chaplin Archives
Es ist das teuerste Buch, das ich in meinen monatlichen Empfehlungen bisher vorgestellt habe. Aber: es ist seinen Preis wert. Und weil man sich demnächst über Weihnachtsgeschenke Gedanken machen muss, sollte man es in seine Überlegungen einbeziehen. Natürlich wäre es gut, wenn die Beschenkten Charlie Chaplin-Fans sind. Sie werden hier viele neue Entdeckungen machen, denn ich kenne kein Buch, das so umfassend über das Werk des großen Künstlers Auskunft gibt.
1964 ist seine Autobiografie erschienen: bei Simon & Schuster in New York und London, bei S. Fischer in Frankfurt am Main. Ihre Lektüre fand ich damals nicht sehr spannend – zu viel Erinnerungen an Kindheit und Jugend, zu wenig Einblicke in die Arbeit an seinen Filmen; ohne Ironie, ohne Humor, bieder. 1985 hat der Filmhistoriker David Robinson bei McGraw-Hill in London seine Chaplin-Biografie veröffentlicht, die 1989 – also zum 100. Geburtstag – im Diogenes-Verlag auf Deutsch erschien. Sie war hervorragend recherchiert, nicht unkritisch, aber mit großem Respekt geschrieben und wagte sich auch in den Bereich der Interpretation. Sie hat in den vergangenen 25 Jahren nicht an Bedeutung verloren.
Paul Duncan, Herausgeber von „The Charlie Chaplin Archives“, geht einen anderen Weg. Er hatte Zugang zum Nachlass, der inzwischen von der Cineteca di Bologna digitalisiert wurde, und profitiert vom Reichtum des Archivs. Der Umgang mit Bildern ist überwältigend: Standfotos, Arbeitsfotos, Storyboards, Bilder von Kostümen und Requisiten, Plakate, Drehbuchseiten, Dokumente, Briefe, Aktennotizen, Zeitungsausschnitte. Die technische Qualität der Abbildungen ist perfekt. Umfang und Format des Buches (560 Seiten, 41,5 x 30,5 cm) öffnen wahrhaft Horizonte. Nur das Gewicht (über sechs Kilo) schränkt die Nutzung ein: man muss es auf einem großen Tisch anschauen und lesen. In den Texten konfrontiert Duncan seine eigenen Erkenntnisse mit Aussagen von Chaplin und Zitaten von Familienangehörigen und Experten. Als Fachberater nennt das Impressum den Filmhistoriker Kevin Brownlow.
15 Kapitel strukturieren das Buch, beginnend mit den „frühen Jahren“ (1898-1913). Dann folgt die Zeit von 1914 bis 1923 bei den Produktionsgesellschaften Keystone, Essanay, Mutual und First National; jeder Firma ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Zehn Kapitel gelten dann den langen Filmen von 1923 (THE WOMAN OF PARIS) bis 1967 (A COUNTESS OF HONG KONG). Der Anhang informiert über Projekte, die Chaplin nicht realisieren oder vollenden konnte. Eine „Chronologie“ informiert über Familienereignisse und Filmpremieren.
Der Text im großen Buch ist in englischer Sprache verfasst. Ein Beiheft (80 Seiten) enthält eine deutsche Übersetzung, für die Thomas J. Kinne verantwortlich zeichnet. Sie liest sich sehr gut, denn Kinne hat Amerikanistik, Romanistik, Journalistik und Filmwissenschaft studiert. Er wurde in Mainz mit einer Dissertation über „Elemente jüdischer Tradition im Werk Woody Allens“ promoviert und hat zu Chaplin eine spürbare Affinität. Das Beiheft gibt es auch in französischer und spanischer Übersetzung.
Chaplin. Seine Insignien waren die Melone, das Bambusstöckchen, die zu weiten Hosen, die zu großen Schuhe, die zu enge Jacke und der Zweifingerschnurrbart. Charles Spencer Chaplin (1889-1977), genannt Charlie, gilt seit den 1920er Jahren als der international bekannteste Komiker der Filmgeschichte. Er war Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor, Schnittmeister, Komponist und Produzent. Seinen ersten Film drehte er 1914, seinen letzten 1967. Seine bekanntesten Filme sind THE KID (1921), THE GOLD RUSH (1925), CITY LIGHTS (1931), MODERN TIMES (1936) und THE GREAT DICTATOR (1940). LIMELIGHT (1952) wird als Alterswerk angesehen. In LIMELIGHT spielte im Übrigen sein Konkurrent Buster Keaton seinen Partner auf der Bühne.
Die Erstauflage des Bandes (10.000 Exemplare) enthält einen Filmstreifen mit zwölf Einzelbildern aus dem Film CITY LIGHTS, der aus einem 35mm-Film aus dem Chaplin-Archiv geschnitten wurde.
In der Archivreihe des Taschen Verlages sind bisher bereits Bände über James Bond, Stanley Kubrick, Pedro Almodovar und Ingmar Bergman erschienen. Nach einiger Zeit wird der Kaufpreis oft reduziert. Der Kubrick-Band kostet zurzeit 49,99 €. Wenn die Bände vergriffen sind, steigen die Preise. Ingmar Bergman kostet zurzeit 205,45 €. Man muss für den Erwerb den richtigen Zeitpunkt erwischen…