Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Februar 2016

Jochen Brunow (Hg.)
Scenario 10
Film- und Drehbuch-Almanach
Berlin: Bertz + Fischer 2016
314 S., 24 €
ISBN 978-3-86505-244-5

Jochen Brunow (Hg.):
Scenario 10.
Film- und Drehbuch-Almanach

Seit zehn Jahren gibt es den Film- und Drehbuch-Almanach „Scenario“. Er wird von Jochen Brunow herausgegeben, erscheint im Verlag Bertz + Fischer und wird jeweils zur Berlinale präsentiert. Er ist ein lebendiges Forum für die Formen filmischen Erzählens. Seine Zukunft ist ungewiss. Eine Kontinuität in der Förderung dieser Publikation durch die BKM gilt als unwahrscheinlich. Sie wäre aber für Herausgeber und Verlag unabdingbar, denn die Deutsche Filmakademie, die sich seit vielen Jahren mit einer Abnahmegarantie an den Kosten beteiligt, reicht als einziger Förderer nicht aus. Andere Institutionen sind nicht in Sicht. Bedeutet dies das Ende des Almanachs? Die Lektüre von „Scenario 10“ macht den Abschied schwer.

Jeder Band beginnt bekanntlich – nach dem Vorwort des Herausgebers – mit einem „Werkstattgespräch“. Diesmal stellte sich der Scenario-Initiator Jochen Brunow den Fragen von zwei Absolventen der Drehbuchklasse der DFFB, Christoph Callenberg und Andreas Resch. Sie hatten sich bestens vorbereitet, waren neugierig und formulierten ihre Fragen auf hohem Niveau. Ich kenne Jochen inzwischen seit mehr als 35 Jahren und fühle mich mit ihm eng befreundet, aber ich habe aus dem Gespräch vieles erfahren, was ich noch nicht wusste, und war wieder einmal beeindruckt, von seinem Nachdenken über Kunst und Handwerk des Drehbuchschreibens. Die Überschrift des 44-Seiten-Gesprächs heißt „Sprechende Bilder, sichtbare Worte“.

In der Abteilung „Essays“ gibt es vier Texte. Besonders spannend fand ich die Erlebnisse der DFFB-Absolventin Lena Brossmann („Blick ins Narrenkastl“), die sie als Autorin zwischen Wien, Berlin und London in eine sehr persönliche Form gebracht hat. Ein starker Text! Dominik Graf beklagt die aktuelle Situation des Drehbuchautors („Keiner liebt einen mehr für das, was man schreibt“ – in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vorabgedruckt), Gerhard Midding erinnert an das literarische Nachleben unverfilmter Drehbücher (Fellini, Antonioni, Robbe-Grillet, Jean Gruault), die zum Teil in Form von Graphic Novels präsent sind, und Jürgen Kasten versucht sich an einer genretheoretischen Verortung des Drehbuchs.

Der Drehbuchautor Thomas Knauf, „Scenario“ seit Beginn kreativ verbunden, hat diesmal eine eigene Rubrik: „FilmGeschichten“. Sie enthält drei Texte von ihm. Einmal geht es um eine Reise zum Filmfestival nach Odessa mit einem historischen Brückenschlag zu Sergej Eisensteins PANZERKREUZER POTEMKIN, dann lesen wir Knaufs Reminiszenz an Kernszenen in Jean-Luc Godards LA BAND À PART, und schließlich macht er uns noch aufmerksam auf Unwahrscheinlichkeiten im Drehbuch von Andrew Kevin Walker zu David Finchers Film SE7EN und die Geheimnisse eines Tagebuchs.

„Backstory“ heißen im Almanach die jährlichen „Splitter einer Geschichte des Drehbuchs“. Hier gibt es diesmal zwei Beiträge: die deutsche Übersetzung des polemischen Textes von Kent Jones „The Straight Story“ über „Die Rettung des Films und der Filme­macher vor den selektiven Lesarten handlungsfeindlicher Puristen“ (mit einer schönen Einführung von Gerd Midding) und Erinnerungen von Michael Töteberg an die Rolle der Drehbuchautoren in den 1960er, 80er und 90er Jahren. Er beschreibt ein Treffen der Gruppe 47 mit Protagonisten des Neuen Deutschen Films und das ambivalente Verhältnis einiger Autorenfilmer zu Schriftstellern, er erinnert an die Berliner Drehbuchwerkstatt unter Leitung von Regina Werner, an die Gründung des Berufsverbandes der Drehbuchautoren, an die Schwierigkeiten mit der Verleihung des Deutschen Drehbuchpreises und an die ersten Bücher über das Drehbuchschreiben, die schnell zu Bestsellern wurden. Ich warte mit Spannung auf Tötebergs Buch „Das Kino der Autoren“, das eines schönen Tages im Verlag edition text + kritik erscheinen wird.

„Lesezeichen“ verweisen auf neuere Filmliteratur mit dem Schwerpunkt Drehbuch. Vier Titel habe ich im vergangenen Jahr selbst rezensiert: „Es wird schon nicht so schlimm“, eine Erzählung von Hans Schweikart, die Kurt Maetzig 1947 seinem Film EHE IM SCHATTEN zugrunde legte, erschienen im Verbrecher Verlag, rezensiert von Manuela Reichart, „Twist Endings“ von Willem Strank, eine Dissertation über „Umdeutende Filmenden“, rezensiert von Maurice Lahde, „Da mir nun bewusst wird…“, Prosa, Skripte und Projekte von James Agee, rezensiert von Manuela Reichart, und „Klassik, Moderne, Nachmoderne“, eine wagemutige Filmgeschichte von Michaela Krützen, rezensiert von Norbert Grob. Jochen Brunow schreibt über das Buch „On Story. Screenwriters and Their Craft“ von Barbara Morgan und Maya Perez, vor zwei Jahren bei der University of Texas Press erschienen.

Abgeschlossen wird „Scenario 10“ mit dem Drehbuch des Jahres. Das ist „Sayonaras Rückkehr“ von Stephan Falk und Anke Sevenich. Erzählt wird die Geschichte einer jungen Frau, die eigentlich nach Japan reisen möchte, aber in Rüdesheim hängen bleibt und dort interessante Menschen kennenlernt. Wenn man will: ein „Heimatfilm“.

Umschlaggestaltung, Layoutkonzept und Illustrationen stammen von Hauke Sturm, der auch schon von Anfang an dabei ist. Auf der Rückseite des Buches findet man ein Zitat aus der Rezension eines früheren Scenario-Bandes von Michael Althen, das weiterhin Gültigkeit hat: „Dieser reich bebilderte Almanach, in dem sich wirklich lustvoll schmökern lässt, ist nicht nur ein wunderbares Forum für Autoren, sich ihrer selbst zu vergewissern, sondern auch eine gute Gelegenheit für alle anderen, sich über den Stand der Dinge in dieser Branche zu informieren. Und es schärfte den Blick dafür, dass es höchste Zeit ist, die Autorentheorie auf jene Leute auszuweiten, die vom Schreiben leben.“ Und das soll nun nach einer Dekade zu Ende sein?

Ich blicke zurück auf „Scenario“ 1 – 10. Regelmäßig als Autorinnen und Autoren haben Michael Töteberg, Gerhard Midding, Manuela Reichart, Thomas Knauf, Christoph Callenberg und natürlich der Herausgeber Jochen Brunow mitgearbeitet. Es gab zehn Werkstatt­gespräche (mit Wolfgang Kohlhaase, Ruth Thoma, Chris Kraus, Michael Gutmann, Rolf Basedow, Bernd Lange, Stefan Kolditz, Alexander Adolph, Heide Schwochow). Alle Werk­stattgespräche hat der Herausgeber geführt, nur beim letzten wechselte er die Rollen und ließ sich von zwei jungen Autoren befragen.

Siebenmal gab es ein fragmentiertes Jahrestagebuch, genannt „Journal“ (von Susanne Schneider, Christoph Fromm, Peter Schneider, Dorothee Schön, Holger Karsten Schmidt, von der Szenenbildnerin Monika Bauert zu den Arbeiten am BOOT mit Anmerkungen von Michael Töteberg und zuletzt von Xao Seffcheque über die Entstehungsgeschichte des Kinofilms DIE KLEINEN UND DIE BÖSEN). Es war offenbar schwierig, fürs „Journal“ regel­mäßig und verlässlich Autorinnen oder Autoren zu finden, die sich für ein Jahr verpflichten, eine Art Tagebuch zu führen.

Immer gab es die Rubriken „Essays“ (Aufsätze, in denen das Drehbuch im Zentrum steht), „Backstory“ (Splitter einer Geschichte des Drehbuchs), „Lesezeichen“ (Rezensionen aktueller Drehbuchliteratur) und natürlich das „Drehbuch des Jahres“. Inhalt und Struktur des Almanachs haben sich über zehn Jahre bewährt. Dem Herausgeber sei mit einem großen Kompliment gedankt.

Vielleicht lassen sich ja die Texte von „Scenario 1 – 10“ ins Netz stellen. Dann sind sie auch für all die Neugierigen verfügbar, die bisher noch nichts davon wussten.