Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Jahres
2016
Filmbuch des Jahres

Juliane Lorenz/Lothar Schirmer (Hg.)
R. W. Fassbinder
Die Filme. 1966 - 1982
Verlag Schirmer/Mosel, München 2016
328 S., 49,80 €
ISBN 978-38296-0698-1

Juliane Lorenz/Lothar Schirmer (Hg.):
R. W. Fassbinder.
Die Filme. 1966 - 1982

Am 31. Mai des vergangenen Jahres wäre Rainer Werner Fassbinder siebzig Jahre alt geworden. Eigentlich sollte damals der umfängliche Band mit Bildern aus seinen Filmen erscheinen. Aber große Projekte brauchen ihre Zeit. Jetzt ist das Buch, herausgegeben von Juliane Lorenz und Lothar Schirmer, im Verlag Schirmer/Mosel publiziert worden. Und das Warten hat sich gelohnt: 1.368 Filmstills aus allen 44 Kino- und Fernsehfilmen summieren sich zu einem opulenten Band, der uns noch einmal den Kosmos des Fassbinderschen Werkes vor Augen führt.

Als er am 10. Juni 1982 in München starb, war er gerade 37 Jahre alt. Fassbinders Produktivität und Kreativität ab Mitte der 60er Jahre erscheint uns heute unfassbar, denn neben den Filmen fürs Kino und fürs Fernsehen hat er auch immer wieder fürs Theater gearbeitet, meist inszenierte er dort eigene Stücke. Und er spielte auch in den Filmen von Kollegen mit: u.a. in Volker Schlöndorffs BAAL, Reinhard Hauffs MATTHIAS KNEISSL, Daniel Schmids SCHATTEN DER ENGEL, Wolf Gremms KAMIKAZE 1989. Aber sein Hauptwerk sind natürlich die 44 Filme, die in diesem Buch in Bildern dokumentiert sind.

Jeder Film wird in der Regel auf sechs Seiten gewürdigt, bei den mehrteiligen Fernsehfilmen sind es natürlich mehr. Es beginnt immer auf der linken Seite mit dem Filmtitel, dem Jahr, und an exponierter Stelle wird der Kameramann genannt. Dann folgen Credits, Cast, Produktionsfakten und eine kurze Inhaltsangabe, die meist aus der kommentierten Filmografie von Wilhelm Roth übernommen ist (zuletzt publiziert im Fassbinder-Band der Reihe Film, als Taschenbuch bei Fischer, 1992). Häufig gibt es hier auch ein Arbeitsfoto mit RWF am Set. Auf der rechten Seite folgen dann zwei größere Szenenfotos und auf den folgenden Seiten jeweils 24 bis 32 Filmstills. Ihre Druckqualität ist unterschiedlich, denn – so erklärt dies Juliane Lorenz – längst nicht alle Fassbinder-Filme konnten inzwischen restauriert und digitalisiert werden. Vor allem bei den Fernsehproduktionen besteht noch dringender Handlungsbedarf, hier sind die Fotos zum großen Teil von VHS-Bändern aufgenommen worden. Ein Spezialfall ist der Film WILDWECHSEL, bei dem es an Grundlagenmaterial fehlt. Wir erinnern uns an die Rechtsprobleme, die es bei der Auswertung des Films gab.

Auf der Textebene gibt es drei Einleitungen – von Lothar Schirmer, Juliane Lorenz und Laurence Kardish – und am Ende des Bandes elf Texte von Rainer Werner Fassbinder: drei Lebensläufe (aus den Jahren 1961 und 1967), eine Würdigung des Godard-Films VIVRE SA VIE (aus der Aufnahmeprüfung an der dffb), einen Brief an einen Produzenten und eine kurze Antwort auf die Frage „Wie stelle ich mir meine zukünftige Berufstätigkeit vor?“ (ebenfalls aus der Aufnahmeprüfung), einen Beitrag zum Programmheft der Theateraufführung „Blut am Hals der Katze“ (1971), einige „ungeordnete Gedanken zu Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ (1980), einen Essay über Hanna Schygulla (1981), ein Statement zur Frage „Hat das Kino noch eine Zukunft?“ (1982) und Notizen zum Spielfilmprojekt „Rosa Luxemburg“ (Juni 1982).

Das neue Buch ist in seinem Bilderreichtum natürlich auch eine Hommage an die drei Kameraleute, mit denen Fassbinder vorwiegend zusammengearbeitet hat, an Dietrich Lohmann (erste Phase), Michael Ballhaus (zweite Phase) und Xaver Schwarzenberger (letzte Phase). Bei zwei Filmen hat Fassbinder selbst die Kamera geführt (IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN und DIE DRITTE GENERATION).

Und die vielen Bilder rufen noch einmal in Erinnerung, mit welch großer Zahl an Schauspielerinnen und Schauspielern Fassbinder gearbeitet hat. Mit einigen besonders oft: Harry Baer, Hark Bohm, Margit Carstensen, Ingrid Caven, Irm Hermann, Günther Kaufmann, Ulli Lommel, Kurt Raab, Hanna Schygulla, Volker Spengler. Er hat auch Stars der 50er Jahre auf die Leinwand zurückgebracht, zum Beispiel Karlheinz Böhm, Eddie Constantine, Ivan Desny, Annemarie Düringer, Claus Holm, Adrian Hoven, Rudolf Lenz, Klaus Löwitsch, Brigitte Mira, Barbara Valentin. Ein sehr hilfreiches Register am Ende des Bandes ordnet die Schauspieler/innen den Filmen zu.

Das große Bilderbuch der Fassbinder-Filme war längst überfällig. Wie schön, dass es nun, verantwortet von Juliane Lorenz und Lothar Schirmer, in dieser Qualität erschienen ist. Die zeitliche und finanzielle Investition hat sich gelohnt.

Fritz Göttler schreibt in seiner Rezension in der Süddeutschen Zeitung: „Das Hektische, das Ruhelose, das unaufhörliche ‚à bout de souffle’, manchmal auch die Kraftmeierei, womit man Fassbinders Leben und Arbeiten immerfort zusammenbringt, ist aus diesem neuen Band völlig verschwunden. Es ist ein Buch von großer Klarheit und einem ruhigen Rhythmus das das Werk in dichte Serien von Fotogrammen verwandelt, genommen aus jedem einzelnen Film. Wir wollten, schreibt der Herausgeber Lothar Schirmer, ‚das Filmbild als ’Gerücht’, weil es außerhalb der Filmkopie nur in der Erinnerung des Betrachters existiert, in ein gedrucktes, zitierfähiges Faktum, in ein Druckbild überführen.’ Geduldig und vielschichtig sind diese Bilder gebaut, mit liebevoller Präzision, mit Achtung vor den Menschen, von denen sie erzählen, und den Akteuren, die sie verkörpern – die barocke PETRA VON KANT, das intime FAUSTRECHT DER FREIHEIT, die wahnhafte MARTHA, der fiebrige ALEXANDERPLATZ.“ (SZ, 27.5.2016)

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Coverfoto: Peter Gauhe.