Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Oktober 2019

Arne Stollberg, Stephan Ahrens, Jörg Königsdorf, Stefan Willer (Hg.)
Oper und Film
Geschichten einer Beziehung
München, edition text + kritik 2019
254 S., 29,80 €
ISBN 978-3-86916-707-7

Arne Stollberg, Stephan Ahrens, Jörg Königsdorf, Stefan Willer (Hg.):
Oper und Film.
Geschichten einer Beziehung

Oper und Film haben eine vielfältige Beziehung, die bisher nur unzureichend erforscht und beschrieben worden ist. Das im Verlag edition text + kritik veröffentlichte Buch enthält zehn Texte und zwei Gespräche, die das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven erschließen. Als Herausgeber fungieren Arne Stollberg, Stephan Ahrens, Jörg Königsdorf und Stefan Willer.

Von zentraler Bedeutung für diese Publikation ist der österreichische Komponist Erich Wolfgang Korngold (1897-1957). Er hatte in den 1920er Jahren großen Erfolg mit seinen Opern „Die tote Stadt“ (1920) und „Das Wunder der Heliane“ (1927), folgte 1934 einer Einladung von Max Reinhardt nach Hollywood, schrieb die Musik zu zahlreichen Filmen, wurde dafür zweimal mit einem Oscar ausgezeichnet und komponierte ab 1946 verschiedene Orchesterwerke, die aber wenig Erfolg hatten. Als im März 2018 Korngolds Oper „Das Wunder der Heliane“ an der Deutschen Oper Berlin inszeniert wurde, veranstaltete man dort ein Symposium, dessen Beiträge hier dokumentiert sind.

„Wenn Autorenfilme auf die Oper rekurrieren“, schreibt die Musik-wissen­schaftlerin Janina Müller in ihrem Eröffnungstext, „dann scheint sich die Faszination an der Gattung in erster Linie aus dem kanonisierten Repertoire des 18. Und insbesondere des 19. Jahr-hunderts zu speisen.“ (S. 13). Unterschieden wird in dem Text zwischen „reproduzierender Systemerwähnung“, „imitierender Systemerwäh-nung“ und simulierender Systemerwähnung“. Wichtige Filmbeispiele sind für die Autorin GODFATHER III von Francis Ford Coppola, MATCH POINT von Woody Allen, E LA NAVE VA von Federico Fellini, MELANCHOLIA von Lars von Trier, VERTIGO von Alfred Hitchcock, MOONSTRUCK von Norman Jewison, A CLOCKWORK ORANGE und BARRY LYNDON von Stanley Kubrick. Der Text hat ein hohes theoretisches Niveau und weist „auf verschiedene Qualitäten der Illusionsbildung hin, die das Opernhafte im Film annehmen kann.“ (S. 46).

Bei Volker Mertens geht es um den Komponisten Giacomo Puccini, den Film der 1910er und 20er Jahre und kinematographische Operndrama-turgie. Puccini war offenbar ein Filmliebhaber, lehnte aber die Kino-musik ab, weil sie nicht seinen hohen künstlerischen Ansprüchen genügte. Der Autor verweist andererseits auf Filmeinflüsse an den Beispielen „Tosca“ und den drei Einaktern „Il Tabarro“, „Suor Angelica“ und „Gianni Schicchi“, uraufgeführt 1918. Die konkreten Szenen sind gut beschrieben und verbinden szenische und musikali-sche Elemente mit filmischen Momenten.

Norbert Abels beschäftigt sich mit der „Fernsehoper“ und macht „lose Anmerkungen zu einem Relikt aus der Welt von gestern“. Seine Beispiele sind „Pickwick“ von Albert Coates (1936), „The Marriage“ von Bohuslav Martinu (1953), „The Flood“ von Igor Stravinskij (1962), „Ausgerechnet und verspielt“ (1962) und „Der Zauberspiegel“ (1968) von Ernst Krenek, „Owen Wingrave“ von Benjamin Britten (1971). Ein interessanter Blick zurück in die internationale Fernsehgeschichte.

Auch bei Uta Felten geht es ums Fernsehen. Sie befasst sich mit der „Don Giovanni“-Inszenierung von Peter Sellars, die 1991 vom ORF ausgestrahlt wurde, und konfrontiert sie mit der Fernsehfassung von Luc Bondys Wiener Inszenierung von 1990. Die Gegenüberstellung von drei ausgewählten Schlüsselszenen macht die Unterschiede zwischen klassischer und experimenteller Interpretation deutlich. Die Abbil-dungen sind in diesem Zusammenhang sehr hilfreich.

„Das traurige Nashorn“ betitelt Immacolata Amodeo ihren Text über Oper und Film bei Federico Fellini. Sie stellt einen sehr überzeugenden Zusammenhang zwischen Handlung und Opernmusik des Films E LA NAVE VA (1983) her. Dies hat vor allem mit ihrer Beschreibung der Reisenden des Schiffes zu tun, das der Schauplatz des Films ist – und mit dem Nashorn, das (erkennbar aus Pappmaché) im Laderaum versteckt wurde.

„Carmen“ von Georges Bizet ist die wohl am häufigsten verfilmte Oper. Man assoziiert Lubitsch, Preminger, Saura oder Rosi, aber es gibt wohl an die hundert Carmen-Filme. Dirk Naguschewski informiert über zwei Adaptionen im afrikanischen Kino: U-CARMEN eKHAYELITSHA (2005) von Mark Dornfor-May, der bei Berlinale uraufgeführt wurde, und KARMEN GEI (2001) von Joseph Gai Ramaka, eine franko-kanadisch-senegalesische Koproduktion, die viel Aufsehen erregte.

Panja Mücke führt uns zurück in die 1920er Jahre. Im Mittelpunkt ihres Textes stehen die ROSENKAVALIER-Verfilmung von Robert Wiene (1926) und die Aufführung von Kurt Weills Oper „Royal Palace“ (1927) mit einer Filmsequenz auf der Bühne. In beiden Fällen geht es um „Plädoyers für eine Hinwendung der Bühnenkunst zu den neuen Massenmedien, zur Alltagskultur und Lebenswirklichkeit des Publikums“ (S. 135). Dies geschieht bei Strauss und Weill auf unterschiedliche Weise.

Arne Stollberg richtet seinen Blick auf Korngolds „Heliane“ und ihre filmischen Schwestern. Dies sind das Bühnenwerk „Das Mirakel“ von Karl Vollmoeller in der Inszenierung von Max Reinhardt (1912) und ihre damalige Verfilmung und Bildmomente im METROPOLIS-Film von Fritz Lang (1927). Abbildungen und Textverweise lassen die Verbindung deutlich werden.

„Opern für die Leinwand“ heißt der Beitrag von Stephan Ahrens über Korngolds Musik für Hollywood-Melodramen. Drei Filme stehen im Focus: THE CONSTANT NYMPH (1943) von Edmound Goulding mit Charles Boyer und Joan Fontaine, KINGS ROW (1942) von Sam Wood mit Ann Sheridan, Robert Cummings und Ronald Reagan, DECEP-TION (1946) von Irving Rapper mit Bette Davis und Paul Henreid. Als Filmwissenschaftler hat Ahrens einen analytischen Blick für das Verhältnis zwischen Dramaturgie, Bildern und Musik.

Von David Roesner stammt ein Beitrag über „Die Emanzipation der filmischen Bilder in zeitgenössischen Musiktheater-Produktionen“. Zu seinen Beispielen gehören „Al gran sole carico d’amore“ von Luigi Nono in der Inszenierung von Katie Mitchell, „Eraritjaritjaka“ von Heiner Goebbels, „Slumberland“ von der Zonzo Compagnie, „Private View“ vom Muziektheater Transparant, „Shifting Ground“ von der Performerin Zoe Scoglio und „The Source“ von Ted Hearnes in der Inszenierung von Daniel Fish. Auch hier sind die Beschreibungen sehr anschaulich und werden durch Abbildungen ergänzt.

In einem Gespräch mit Jörg Königsdorf erzählt der Regisseur Götz Filenius über seine Arbeit und die Aufzeichnung der Neuinszenierung von Korngolds „Das Wunder der Heliane“. Abgeschlossen wird der Band mit dem Protokoll einer interessanten Podiumsdiskussion, an der – moderiert von Uwe Friedrich – Norbert Abels, Paul-Georg Dittrich, David Roesner und Volker Schlöndorff teilgenommen haben: „Ist die Leinwand die bessere Bühne?“.

Die zehn Texte aus unterschiedlichen Perspektiven und die beiden Gespräche machen die Komplexität des Themas deutlich. Natürlich ist dies nicht das definitive Buch über „Oper und Film“, aber mit Erich Wolfgang Korngold als Schlüsselfigur und dem Bogen zurück in die 1920er Jahre waren sehr gute Voraussetzungen für eine gelungene Publikation gegeben. Die Zusammenarbeit der Deutschen Oper Berlin mit dem Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, dem Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin und dem Zeughauskino im Deutschen Historischen Museum hat also über das Symposium hinaus etwas Bleibendes geschaffen

Leider fehlt der Vortrag von Elisabeth Bronfen „Der Klang der Bilder. Das Opernhafte im Kino“, weil sie auf eine Überarbeitung für die Veröffentlichung verzichtet hat. Dafür ist Janina Müller mit ihrem Essay eingesprungen.

Coverfoto: „Rienzi, der Letzte der Tribunen“ von Richard Wagner, inszeniert von Philipp Stölzl an der Deutschen Oper Berlin.

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