Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Februar 2013

Rolf Aurich
Mosaikarbeit
Gerhard Lamprecht und die Welt der Filmarchive
edition text + kritik, München 2013
212 S., 29,80 €
ISBN 978-3-86916-226-3

Wolfgang Jacobsen
Zeit und Welt
Gerhard Lamprecht und seine Filme
edition text + kritik, München 2013
152 S., 26,00 €
ISBN 978-3-86916-227-0

Eva Orbanz
Miteinander und gegenüber
Gerhard Lamprecht und seine Zeitzeugengespräche
edition text + kritik, München 2013
206 S., 29,80 €
ISBN 978-3-86916-228-7

Alle drei Bände:
bis 28.02.2013: Subskriptionspreis 67,00 €
ab 01.03.2013: Paketpreis 78,00 €

Rolf Aurich / Wolfgang Jacobsen / Eva Orbanz:
Gerhard Lamprecht

Zum fünfzigsten Geburtstag der Deutschen Kinemathek ist ihrem Gründungsdirektor, dem Regisseur, Filmhistoriker und Sammler Gerhard Lamprecht (1897-1974), eine dreibändige Edition gewidmet, in der endlich einmal seine vielfältigen Leistungen dokumentiert und gewürdigt werden. Auf die drei Bücher, in denen viel Denk- und Recherchearbeit steckt, wäre Lamprecht sicherlich sehr stolz gewesen.

In der Tat muss man dem Regisseur, dem Filmhistoriker und dem Sammler Lamprecht auf unterschiedliche Weise gerecht werden. So war es konzeptionell klug, die drei Tätigkeiten, auch wenn sie von einer Person realisiert wurden, zu separieren und auf drei Autoren zu verteilen. Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen und Eva Orbanz, der Kinemathek seit Jahrzehnten eng verbunden, konnten dabei ihre individuellen Stärken entfalten.

Von Rolf Aurich stammt der hervorragend recherchierte Text über den Sammler Gerhard Lamprecht und die Welt der Filmarchive: „Mosaikarbeit“. Der Autor hat dafür die unterschiedlichsten Quellen genutzt, viele Zeitzeugen befragt, Lamprechts Kalendereintragungen ausgewertet und die Aktivitäten seines Protagonisten in den größeren Zusammenhang der Filmarchivbewegung in Deutschland (Ost und West) und Europa integriert. Da kommen Konkurrenzen und Kooperationen, kulturpolitische und publizistische Aktionen und Reaktionen zur Sprache, die vor allem in den 1950er und 60er Jahren eng verbunden waren mit Ost/West-Spannungen, dem Berlin-Status und auch mit Dissonanzen zwischen der Deutschen Kinemathek und den „Freunden der Deutschen Kinemathek“ (gegründet im Mai 1963). Aurich erzählt nicht chronologisch, operiert mit Vorgriffen und Rückblenden und leistet dabei selbst eine Mosaikarbeit in 39 Kapiteln, abgesichert durch 262 Anmerkungen. Sie endet 1978 mit der Gründung des Kinematheksverbundes und rückt für das letzte Jahrzehnt auch die Bedeutung von Heinz Rathsack ins Zentrum, der als Direktor der DFFB die Kinemathek im Nebenamt geleitet hat und damals ihre Existenz sichern konnte. Eine Lamprecht-Chronik beschließt den  Band, der nur eine einzige Abbildung enthält: ein zerstörtes Foto von Dolly Haas als verkleideter Soldat in LIEBESKOMMANDO (1931) als Frontispiz.

„Zeit und Welt“ heißt der Band von Wolfgang Jacobsen, der uns durch das Filmwerk von Gerhard Lamprecht führt. Auch hier ist nicht die strikte Chronologie der rote Faden, sondern eine Mischung von zeitlichen, thematischen und assoziativen Zusammen­hängen. Die Filmtitel (mit Jahreszahl) als obere Seitenkolumnen sorgen für Orientierung. Auf rund fünfzig der siebzig Regiefilme von Lamprecht lässt sich Jacobsen genauer ein, dreißig werden ausführlich besprochen. Darunter sind natürlich DIE VERRUFENEN, MENSCHEN UNTEREINANDER, DER ALTE FRITZ, EMIL UND DIE DETEKTIVE und IRGENDWO IN BERLIN – aber auch UNTER DER LATERNE, BARCAROLE, MÄDCHEN IM VORZIMMER, DU GEHÖRST ZU MIR und DIE BRÜDER NOLTENIUS. Aufmerksam und sensibel beschreibt Jacobsen die stilistischen Stärken von Lamprecht, sein Interesse an Atmosphäre, Genauigkeit und Milieu, seine Liebe zu Kindern, seine Aufmerksamkeit für Details. Andererseits hat Lamprecht auch Zugeständnisse gemacht: an Produzenten und auch an die Machthaber der Jahre 33-45. Das wird, soweit es in den Filmen erkennbar ist, deutlich zur Sprache gebracht. Die Ideologiekritik wird meist an Figuren oder ästhetischen Lösungen fest gemacht, gelegentlich auch an Reaktionen von Goebbels oder der zeitgenössischen Kritik. Immer wieder bemüht sich Jacobsen, Lamprecht zu verstehen, und formuliert Fragen, die ihn angesichts der Filme bewegen. Kleine biografische Hinweise zu Lamprecht sind eingeflochten. So entsteht eine sympathische Nähe des Autors zum Werk des Regisseurs. Es gibt keine kühle Besserwisserei, sondern die notwendige historische Distanz. Auf sechs Doppelseiten sind zu Szenen, die im Text beschrieben werden, kleine Sequenzfotos abgebildet. Der Anhang enthält eine Filmografie und Literaturangaben.

Eva Orbanz hat für ihren Band „Miteinander und gegenüber“ acht Zeitzeugengespräche ausgewählt, die Lamprecht zwischen 1954 und 1960 mit ehemaligen Mitarbeitern seiner Filme geführt hat: mit den Kameramännern Emil Schünemann und Karl Hasselmann, mit dem Fotografen und Kopieranstaltsleiter Paul Tesch, dem Produzenten Franz Vogel, dem Komponisten Giuseppe Becce, dem Elektriker und Beleuchter Paul Probandt, dem Filmarchitekten Heinrich Richter und der Filmkleberin Julie Steinbacher. Es ist erstaunlich, wie viele konkrete, praktische, vor allem handwerkliche, aber auch biografische Informationen diese Gespräche vermitteln. Das ist klassische Oral History, die durch die klugen Fragen von Lamprecht auf hohem Niveau stattfand. Alle Gespräch – das längste und schönste ist das Hasselmann-Gespräch – sind biografisch eingeführt, mit Anmerkungen versehen und reich illustriert. Eine schöne editorische Leistung. Im Archiv der Kinemathek sind insgesamt zwanzig Tonbandinterviews verwahrt.

Die Lamprecht-Edition wirkt nicht wie eine lästige Pflichterfüllung, in den Büchern ist der Respekt vor der immensen Leistung des Regisseurs, Historikers und Sammlers immer spürbar. Ich habe ihn persönlich in den 1960er Jahren bei verschiedenen Veranstaltungen, auch bei der Eröffnung der Deutschen Kinemathek in der Akademie der Künste, erlebt, bin ihm aber nie wirklich nahe gekommen. Erst als Referent für die Publikationen und später als Direktor des Hauses wurde mir klar, wie wichtig seine Sammlung als Grundstock für die Kinemathek in Berlin war. Wie schön, dass dies jetzt zum 50. Geburtstag noch einmal in einen größeren Zusammenhang gestellt wird.

Titelbild aller drei Bände: Gerhard Lamprecht 1925. Aus dem Fotoarchiv der Deutschen Kinemathek.