Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
November 2011

Karin Wieland
Dietrich & Riefenstahl
Der Traum von der neuen Frau
Carl Hanser Verlag, München 2011
632 S., 27,90 €
ISBN 978-3-446-23770-4

Karin Wieland:
Dietrich & Riefenstahl.
Der Traum von der neuen Frau

Sie mochten sich nicht und müssen sich nun in einem Buch vertragen. Es handelt sich um eine „Doppelbiografie“. Die Lebensläufe von Marlene Dietrich & Leni Riefenstahl zu verbinden, ist eine nahe liegende Idee. Beide haben auf vergleichbare und doch höchst unterschiedliche Weise Weltkarrieren gemacht und Spuren hinterlassen. Dass sich auf dem Cover ihre Gesichter ineinander schieben, tut ein bisschen weh. Aber das hat der Umschlaggestalter Peter-Andreas Hassiepen sicherlich so gewollt.

In der Ständigen Ausstellung des  Berliner Museums für Film und Fernsehen gibt es drei Räume, die Marlene Dietrich gewidmet sind, und einen Raum für den Olympia-Film von Leni Riefenstahl. Sie sind benachbart, und an der Trennwand hängt ein kleines Foto des berühmten Fotografen Alfred Eisenstaedt, das einzige, auf dem die beiden Frauen gemeinsam zu sehen sind. Zwischen ihnen steht, damit es keine Tuchfühlung gibt, die Schauspielerin Anna May Wong. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1928. Im Buch vermisse ich das Foto. Waren die Rechte zu teuer?

Karin Wieland (*1958), die Autorin des Buches, hat Politische Wissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Theorie und Ideengeschichte studiert und bisher eine Monografie publiziert: „Die Geliebte des Duce“ (Das Leben der Margherita Sarfatti und die Erfindung des Faschismus, 2004). Ihr neues Buch ist das Resultat einer jahrelangen Recherche. Das schlägt sich in über 900 Anmerkungen nieder. Wieland erzählt die beiden Biografien chronologisch in sieben Kapiteln: I Jung sein (1901-1923), II Aufstieg (1923-1932), III Erfolg (1932-1939), IV Krieg (1939-1945), V Anklage (1945-1954), VI Nachruhm (1954-1976), VII Endspiel (1976-2003). Sie beginnt mit der 1901 geborenen Marlene Dietrich, wechselt dann in logischen Etappen die Personen/Schauplätze und endet mit der 2003 verstorbenen Leni Riefenstahl. Sie bleibt über die ganze Strecke sehr nah an ihren Protagonistinnen, führt Zeitgeschichte und Filmgeschichte mit den beiden Lebensgeschichten zusammen, zitiert aus Memoiren und Tagebüchern, Dokumenten und Sekundärliteratur.

Es wird von Anfang an klar, dass die Sympathien der Autorin sehr viel stärker mit der Dietrich korrespondieren. Spätestens ab 1933 werden die Bewertungen des Redens und Handelns noch deutlicher polarisiert. Da steht die Riefenstahl auf verlorenem Posten, und ihre Memoiren halten natürlich keiner Wahrheitsbelastung stand. Aber sie hat die Dietrich physisch ein paar Jahre überlebt.

Eine Qualität des Buches von Karin Wieland: sie schreibt, auch wenn sie sich durch Quellenhinweise und Zitate häufig absichert, in einem gut lesbaren Fluss. Sie mischt das Private mit dem Öffentlichen, bleibt weitgehend anekdotenfrei und lässt niemals den politischen Hintergrund des Jahrhunderts in Vergessenheit geraten. Sie verzichtet am Ende auf eine zusammenführende Analyse und verlässt sich auf das Faktische, das auch ihre Stärke ist. Eine generalisierende Deutung – wie sie der Untertitel „Der Traum von der neuen Frau“ suggeriert – findet nicht statt. Das kann man als Defizit beklagen.

Johannes Willms hat in der Süddeutschen Zeitung (11. Oktober) eine fast euphorische Rezension des Buches veröffentlicht, Adam Soboczynski eine sehr freundliche in der Literaturbeilage der Zeit (Nr. 41/2011) (beide nicht im Netz), Manuela Reichart eine differenziert kritische im Deutschlandradio: www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1563219/. Im Spiegel Nr. 45/2011 konnte man auch das kleine Eisenstaedt-Foto sehen.

Kurz erinnert sei noch an Thea Dorns Hörspiel „Marleni“, das 2002, gesprochen von Gisela May (Marlene) und Gisela Uhlen (Leni), bei Eichborn als CD erschienen ist. Es schildert – fiktiv und streckenweise komisch – eine Begegnung der beiden Frauen in Paris. Wobei zu fragen ist, ob sie für eine Komödie überhaupt tauglich sind.