Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
September 2014

Tobias Haupts
Die Videothek
Zur Geschichte und medialen Praxis einer kulturellen Institution
Transcript Verlag, Bielefeld 2014
420 S., 34,99 €
ISBN 978-3-8376-2628-5

Tobias Haupts:
Die Videothek.
Zur Geschichte und medialen Praxis einer kulturellen Institution

Mit der Videokassette und dem Videorecorder begann in den 1970er Jahren eine fundamentale Veränderung der Filmrezeption. Erstmals konnten sich Filminteressierte – die ja oft sehr spezielle Interessen haben – unabhängig machen vom Kino und vom Fernsehprogramm. In diesem Zusammenhang gewann die Videothek eine große Bedeutung. Hier konnte man sich – analog zu den Büchern einer Bibliothek – Filme und Fernsehsendungen ausleihen. Der Berliner Medien-wissenschaftler Tobias Haupts hat jetzt die erste (deutsche) Geschichte dieser kulturellen Institution verfasst, die in ihrer Bedeutung leicht unterschätzt wird. Ihre wichtigste Zeit war zwischen 1978 und 1992. Vor allem auf diese 14 Jahre konzentriert sich das vorliegende Buch, auch wenn es natürlich über die Vorgeschichte und die Zeit „danach“ angemessen informiert.

Drei Kapitel strukturieren die Publikation: 1. Die geschichtliche Entwicklung einer neuen Institution. 2. Die mediale Praxis der Videothek. 3. Die Videothek und das Wissen vom Film. – Im ersten Kapitel geht es zunächst um die technischen Entwicklungen der Videokassette (wir erinnern uns an die Konkurrenz zwischen Betamax, VHS und Video 2000), dann um die Anfänge der Videodistribution und schließlich um die Etablierung der ersten Videotheken, die Gründung einer Interessengemeinschaft der Videothekare Deutschlands e.V. (IVD) mit der verbandseigenen Zeitschrift Der Ikarus, die Verschärfung des Jugendschutzes, um Videopiraterie und Kopierschutz und um die Videotheken in den neuen Bundesländern ab 1990.

Das zweite Kapitel handelt von den Unterschieden zwischen Familien- und Erwachsenenvideotheken, von speziellen Raumkonzepten, der Platzierung der Bestände in den Regalen, der Positionierung der Cover, dem Umgang mit den FSK-Freigaben und (unter der Überschrift „Schauen und leihen, schauen und besitzen“) von den sehr generellen Unterschieden zwischen Sammlern und Entleihern.

Das dritte Kapitel beginnt mit Erinnerungen an die Vorläufer einer neuen Genre-Etablierung (Autokino, Bahnhofskino, Midnight Movies), widmet sich dann einigen damals mehrheitlich verpönten Genres, die in Videotheken ihren Platz fanden (Porno-, Splatter-, Horrorfilm) und würdigt schließlich – eingeleitet mit einem Exkurs über die Anwachsen der Filmliteratur seit den 70er Jahren – die Bedeutung der Videotheken mit der immer größer werdenden Verfügbarkeit filmhistorischer Titel für alle Filmfans und die Filmsozialisation angehender Regisseure (das berühmteste Beispiel ist natürlich Quentin Tarantino, der in einer Videothek beschäftigt war).

Als älteste Videothek in Deutschland gilt der Video-Film-Shop von Eckhard Baum in Kassel, der 1975 eröffnet wurde und sogar im Guinessbuch der Rekorde eingetragen ist. Sehr bekannt wurden auch das Videodrom in Berlin-Kreuzberg mit seinem filmhistorischen Angebot, die Video-City in Frankfurt oder die Filmgalerie 451 in Stuttgart, die sich später auch in anderen Städten etablierte. Unter den öffentlichen Einrichtungen hatte die Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin frühzeitig ein großes Videoangebot.

Die technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die neuen Trägermedien DVD und Bluray und die Möglichkeiten des Internets haben die Videotheken verändert, auch wenn es sie in unterschiedlicher Form noch gibt. Darauf kommt der Autor in seinen Schlussbetrachtungen zu sprechen. Er verweist in diesem (und auch in anderem) Zusammenhang auf die Komödie BE KIND REWIND (dt.: ABGEDREHT) von Michel Gondry, die in der Videothek einer amerikanischen Kleinstadt in New Jersey spielt und einen eigenwilligen Umgang mit der Filmgeschichte schildert. Auch die wunderbare Szene in der Videothek in Nancy Meyers Film THE HOLIDAY (2006) mit Kate Winslet und Jack Black ist in Wort und Bild dokumentiert. Ansonsten beschränken sich die Abbildungen weitgehend auf das Innere von Videotheken in den 80er Jahren.

Tobias Haupts hat hervorragend recherchiert, fast 1.000 Quellenverweise sichern seinen Text auch wissenschaftlich ab. Und das Literaturverzeichnis im Anhang macht noch einmal deutlich, wie intensiv zum Beispiel die Geschichte des Videorecorders von Publikationen begleitet wurde. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an Siegfried Zielinskis Buch „Die Geschichte des Videorecorders“ aus dem Jahre 1985 (Spiess Verlag).

Die Publikation entstand in der Graduiertenschule „Locating Media/ Situierte Medien“ an der Universität Siegen. Titelbild: Videothek Warnstein (Foto: Sabrina Klante).

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