Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Oktober 2018

Bibliografische Angaben:
Thomas Wiedemann
Die Logik des Filmemachens
Zwölf Interviews mit deutschen Filmregisseurinnen und -regisseuren
Köln, Herbert von Halem Verlag 2018
234 S., 28,50 €
ISBN 978-3-86962-421-1

Thomas Wiedemann:
Die Logik des Filmemachens.
Zwölf Interviews mit deutschen Filmregisseurinnen und -regisseuren

Zwölf deutsche Filmregisseurinnen und -regisseure hat der Münchner Medien­wissenschaftler Thomas Wiedemann in den Jahren 2016/17 interviewt und zu ihrer Herkunft und Ausbildung, zu ihrem Einstieg in die Filmregie, zum Verhältnis Film/Fernsehen, zur Förderung und zu ihrem Selbstverständnis befragt. Die sehr persönlichen Antworten sind höchst lesenswert und summieren sich zu einem realistischen Lage-bericht des Spielfilms und der Filmregie in der Bundesrepublik.

Die beiden Ältesten und Erfahrensten unter den ausgewählten Zwölf sind Dominik Graf (*1952) und Doris Dörrie (*1955). Sie haben beide in den 1970er Jahren die Münchner HFF absolviert, drehen Spiel- und Dokumentarfilme, arbeiten fürs Kino und fürs Fernsehen, wurden mit zahlreichen Preisen ausge­zeichnet und haben Professuren an deut-schen Filmhochschulen. Ihre Antworten auf die gestellten Fragen sind relativ abgeklärt und weisen auf Veränderungen hin, die es in den Jahrzehnten gegeben hat, vor allem die verstärkte Macht des Fern-sehens. Dominiks Interview trägt die Überschrift „Mit 60 hast Du keine Lust mehr auf Kompromisse“, bei Doris heißt sie „Ich wollte immer nur Kino machen“. Ich kenne die beiden seit 40 Jahren, sie waren Paten in dem Film AUGE IN AUGE, den ich 2006/07 mit Michael Althen realisiert habe. Ich höre ihre Stimmen, wenn ich den gedruckten Text im Buch lese. Doris hat in ihren Filmen eine Neigung zur Tragikomö-die, Dominik präferiert den Politthriller.

Die jüngste Gesprächspartnerin ist Anne Zorah Berrached (*1982), die an der Filmakademie in Ludwigsburg studiert hat, mit dem semidoku-mentarischen Film ZWEI MÜTTER (2013) bekannt wurde und mit 24 WOCHEN 2016 am Wettbe­werb der Berlinale teilnahm. Zuletzt hat sie einen „Tatort“ mit Maria Furtwängler inszeniert. Sie wirkt selbst-bewusst, ihr Interview trägt den Titel „Ich habe keine Angst vor meinen Ideen“. Auch Angela Schanelec (*1962), Absolventin der DFFB, geht eigene Wege. Sie gilt als Vertreterin der „Berliner Schule“, ist nicht für Kompromisse zu haben, sucht vor allem nach ungewöhnlichen formalen Lösungen. Ihr bisher letzter Film war DER TRAUMHAFTE WEG (2016). Das Interview hat die Überschrift „Der Zuschauer bin erst mal ich“. Jakob Lass (*1981) hat an der HFF „Konrad Wolf“ in Potsdam studiert, wurde mit seinem Film LOVE STEAKS (2013) ein shooting star unter den jungen Regisseuren, drehte zuletzt den Film SO ETWAS VON DA. Sein Interview trägt den Titel „Ich hoffe auf mehr Leichtigkeit“.

Die verbleibenden Sieben wurden alle in den 1970er Jahren geboren. Es sind Dietrich Brüggemann, Julia von Heinz, Yasemin Şamdereli, Simon Verhoeven, David Wnendt, Oliver Ziegenbalg und Christian Zübert. Einige von ihnen haben Filmhochschulen besucht, einige waren als Quereinsteiger erfolgreich. Ihre jeweils wohl bekanntesten Filme sind HEIL (Brüggemann, 2015), ICH BIN DANN MAL WEG (von Heinz, 2015), ALMANYA – WILLKOMMEN IN DEUTSCHLAND (Şamdereli, 2011), WILLKOMMEN BEI DEN HARTMANNS (Verhoe-ven, 2016), ER IST WIEDER DA (Wnendt, 2015), RUSSENDISKO (Ziegenbalg, 2012), LAMMBOCK (Zübert, 2001). Die Interviews mit ihnen lesen sich gut, weil ihre Antworten in der Regel sehr konkret klingen, auch Niederlagen eingestanden werden, der Blick auf die deutsche Filmszene realistisch erscheint. Thomas Wiedemann hat sich auf die einzelnen Gespräche sehr gut vorbereitet, kennt die Filme der Befragten, ist mit der Medienszene vertraut.

Dies sind die Überschriften der Sieben: „Die Mauern sind in den eige-nen Köpfen“ (Brüggemann), „Ich wünsche mir Filme, die die Welt ver-ändern“ (von Heinz), „Es ging nicht ohne Hindernisse“ (Şamdereli), „Ich habe das Glück erzwungen“ (Verhoeven), „Ich möchte die Kraft des Kinos nicht verneinen“ (Wnendt), „Jeder will als Sieger vom Platz gehen“ (Ziegenbalg), „Ich empfinde Filmemachen als ein Privileg“ (Zübert).

Das längste Interview (22 Seiten) ist für mich das schönste. Julia von Heinz, deren Filme ich sehr schätze, antwortet auf die Fragen spontan und doch sehr reflektiert, erzählt von ihren Erfahrungen bei den bis-herigen Produktionen, von Erwartungen und Realitäten, von der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Gewerken bei der Filmrealisie-rung und von den notwendigen Kompromissen. Es wurde in Herrsching am Ammersee geführt.

Jedem Interview sind eine Kurzbiografie und eine Auswahlfilmografie vorange­stellt. Ein Interview wurde am Telefon geführt (mit Christian Zübert), ein Regisseur antwortete schriftlich auf die gestellten Fragen (Verhoeven). In einer ausführlichen Einleitung („Warum und wie Regisseure befragen?“) beschreibt Thomas Wiedemann sein Vorgehen, die damit verbundenen Überlegungen und den Verlauf des Projekts. Man kann ihm bescheinigen, dass er alles richtig gemacht hat.

Keine Abbildungen.

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