Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Jahres
1987
Filmbuch des Jahres

Anton Kaes
Deutschlandbilder
edition text + kritik, München 1987
264 S. (36 DM)
ISBN 3-88377-260-7

Anton Kaes:
Deutschlandbilder.
Die Wiederkehr der Geschichte als Film

Exemplarische Analysen von fünf westdeutschen Filmen, die sich auf unterschiedliche Weise mit der Vergangenheit beschäftigen.

Es geht um hitler. ein film aus deutschland (Syberberg), die ehe der maria braun (Fassbinder), die patriotin (Kluge), deutschland bleiche mutter (Sanders-Brahms) und heimat (Reitz). Kaes analysiert auf sehr komplexe Weise und stellt die Filme in politisch-historische Bezüge. Bei Kluge interessieren ihn Spurensicherung und Phantasie, bei Fassbinder das „Leiden an Deutschland“, bei Helma Sanders-Brahms Autobiographie und Allegorie, bei Syberberg Historie und Posthistoire, bei Reitz Alltagsgeschichte und Erinnerungsarbeit.

Das Buch ist Tonys Kindern Bettina und Peter gewidmet, „die noch nichts von deutscher Geschichte wissen, sich aber gewundert haben, dass man ganze Jahre damit verbringen kann.“

Aus der Rezension von Karsten Witte in der Frankfurter Rundschau:

„Der Autor, Jahrgang 1945, ein Nachgeborener, ist deutsch schreibender Professor, der in Berkeley, Kalifornien, Filmgeschichte lehrt. Seine Darstellung zeugt von der Komplexität des Gegenstandes, der hier zu neuem Leben erweckt wird. Seit der von Kaes edierten Sammlung ‚Kino-Debatte‘ (1978) ist der Autor als kundiger Fachmann ausgewiesen. ‚Deutschlandbilder‘ ist, wie der Titel verspricht, Reflex einer interdisziplinären Vermittlung zwischen den Feldern Film und Geschichte, belesen, eindringlich, sachlich. Es geht hier darum zu bestimmen, auf welche Weise Filme selbst Geschichte machen, indem sie Bilder produzieren, die sich im öffentlichen Gedächtnis eingraben und so die Erinnerung an Geschichte entscheidend wachhalten. Mit Kaes: ‚Vielmehr geht es um die Rekonstruktion des diskursiven Feldes, in dem diese formal radikal unterschiedlichen Deutschland-Filme entstehen konnten.‘ (…)

‚Filme erlauben, mit Ambivalenzen, Assoziationen und Identifikationen zu spielen und dem Zuschauer zugleich mehrere Bedeutungen zu suggerieren.‘ Das ist der Standort dieses so einfallsreichen Buches, das eine kontrolliert offene Lesart für die verhandelten Filme fordert, ohne in Beliebigkeit zu verfallen. Kaes riskiert es, an einem Beispiel mehrere Interpretationen durchzuspielen, ohne die tiefste Angst schreibender Akademiker zu beschwören, an Glaubwürdigkeit einzubüßen. Die Dinge, die aus bundesdeutscher Sicht schon zu verfahren schienen, werden hier entwirrt.

Schon das erste Kapitel ist ein meisterhaft klar gesehener Aufriß zur Geschichte des Nachkriegsfilms bis zum Einschnitt durch die Oberhausener 1962. Die Analyse gilt der Filmform ebenso wie dem Umfeld der Produktion. Sie kommt ohne Verdammung und Ermahnung aus. Auch die schlechten Filme hatten ihre Wahrheit, die erkannt sein will. Die alten Pro-und-Contra-Debatten (Kontinuität oder Diskontinuität im Nachkrieg?) erscheinen im Lichte der Sachlichkeit, die schon wieder den Zusatz ’neu‘ verdient. (…)

‚Deutschlandbilder ist ein an Fundstücken reiches Buch. Es ist glänzend geschrieben und montiert. Theorien von Benjamin und Foucault durchkreuzen sich darin mit der Literatur von Christoph Hein und Botho Strauß, Tom Waits ist dabei wie Walker Percy. Ds Versprechen auf Vielfalt ist erfüllt.

Der umfangreiche Anmerkungsteil ist stichhaltig und lohnend. ‚Deutschlandbilder‘ liest sich, passagenweise, wie der bessere Teil des neuen deutschen Films. Wenn ich etwas zu bedenken gebe, dann ist es der offene Wunsch, Bilder aus Deutschland in dieser Exposition zu sehen, die weniger offiziös, eher marginal, aber nicht weniger wichtig erscheinen; Bilder, die den Kulturinstitutionen im Ausland nicht als exportfähig ins Auge fallen: Achternbuschs BIERKAMPF, Costards WITZLEBEN, Farockis ZWISCHEN ZWEI KRIEGEN, Schillings NACHTSCHATTEN, hier einmal unbillig abgesehen von Dokumen-tarfilmen wie Wildenhahns LIEBE ZUM LAND oder Fechners PROZESS. Diese Filme entwerfen Deutschlandbilder, die als unansehnlich gelten und notwendig wehtun.“

Karsten Witte in: Frankfurter Rundschau v. 19. Januar 1988