Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Januar 2013

Konrad Klejsa / Schamma Schahadat / Margarete Wach (Hg.)
Der Polnische Film
Von seinen Anfängen bis zur Gegenwart
Schüren Verlag, Marburg 2012
568 S. / Klappbr. / 38,00 €
ISBN 978-3-89472-748-2

Konrad Klejsa / Schamma Schahadat / Margarete Wach (Hg.):
Der Polnische Film.
Von seinen Anfängen bis zur Gegenwart

Wir wissen zu wenig von der Geschichte des Films unseres Nachbarlandes Polen. Natürlich sind uns die Filme einiger großer Regisseure des Landes vertraut: Aleksander Ford, Agnieszka Holland, Kieslowśki, Munk, Polański (seit Mitte der 1960er ein europäischer Regisseur), Wajda. Aber die politischen und künstlerischen Zusammenhänge des polnischen Films kennen nur Spezialisten. Wer neugierig darauf ist, kann jetzt aus dem Vollen schöpfen: ein 550-Seiten-Buch erzählt die Geschichte des polnischen Films von den Anfängen bis zur Gegenwart.

Meine ersten polnischen Filme waren Ende der 1950er Jahre DER KANAL und ASCHE UND DIAMANT von Andrzej Wajda, DER ACHTE WOCHENTAG von Aleksander Ford, DER MANN AUF DEN SCHIENEN von Andrzej Munk, NACHTZUG von Jerzy Kawalerowicz und Anfang der Sechziger DAS MESSER IM WASSER von Roman Polański. Aber ich habe sie damals nicht im Zusammenhang der polnischen Filmgeschichte gesehen, die mir erst in den 1970er und 80er Jahren in der internationalen Filmgeschichte von Jerzy Toeplitz vermittelt wurde. Und es gab, es gibt zu wenig polnische Filme im Kino.

Das wird einem jetzt klar, wenn man das Buch „Der Polnische Film“ zur Hand nimmt. Drei Herausgeber haben die Publikation initiiert: Konrad Klejsa, der am Lehrstuhl für Audiovisuelle Kultur der Universität in Łódź arbeitet, Schamma Schahadat, Professorin für Slavische Literatur und Kulturwissenschaften an der Universität Tübingen, und Margarete Wach, Filmhistorikerin an der Kunsthochschule für Medien in Köln. 20 Autorinnen und Autoren standen ihnen zur Seite, darunter die Deutschen Lars Jockheck, Dietrich Leder (sein Name fehlt im Autorenverzeichnis), Christian Nastal, Joachim Paech, Maren Röger und Kerstin Stutterheim.

Zunächst einmal wird die Geschichte des polnischen Films in vier Phasen periodisiert: 1895 bis 1945, 1945 bis 1968, 1968 bis 1989, 1989 bis 2010. Diese Periodisierung hat vor allem politische Gründe und liegt bei einem Land wie Polen auf der Hand. Jeder Teil hat sechs identische Kapitel: „Einführung“, „Ästhetische Entwürfe“, „Nationale Mythen“, „Gender-Diskurse“, „Bilderwelten des Dokumentarischen“ und „Der andere Film“. Jedes dieser Kapitel hat einen eigenen Autor oder eine eigene Autorin. Die Einführungen zu den vier Phasen (von Ewelina Nurczyńska-Fidelska, Lars Jockheck, Margarete Wach und Marcin Adamczak) liefern die notwendigen Basisinformationen, schildern insbesondere die politischen und ökonomischen Voraussetzungen für die Filmproduktion.

Die identische Struktur der vier Teile verführt zu eigenständigen Lektürekombinationen. So lassen sich die Texte von Micha Pabis-Orzeszyna, Dietrich Leder, Kerstin Stutterheim und Mikołay Jazdon als separate, spannende Geschichte des polnischen Dokumentarfilms lesen, wobei vor allem die sogenannte „Schwarze Serie“ ab 1956 mit den Filmen von Jerzy Bossak und Kazimierz Karabasz mit ihren ästhetischen Folgen auch für den internationalen Dokumentarfilm wichtig bleibt. Auch die Gender-Diskurse von Schamma Schahadat, Magdalena Saryusz-Wolska, Kamila Źyto und Christian Nastal animieren zu einer zusammenhängenden Lektüre. Hier wie auch bei den Kapiteln „Ästhetische Entwürfe“ und „Nationale Mythen“ steht natürlich der Spielfilm im Mittelpunkt, dessen thematischer und künstlerischer Reichtum über die Jahrzehnte noch immer unterschätzt wird. Die letzten Jahre werden eher etwas pessimistisch dargestellt.

Ein eigener Exkurs, kommentiert von Margarete Wach, gilt den Filmplakaten der „Polnischen Schule“. 44 Poster zu internationalen Filmen sind in einem Farbteil reproduziert, darunter Entwürfe von Henryk Tomaszewski, Jan Lenica, Waldemar Swierzy und Wieslaw Walkuski, die eine ganz eigene Handschrift haben. Eine zweite 16seitige Farbeinlage sammelt ungewöhnliche Bilder unter der Rubrik „Visuelle Narration in Animationen und Spielfilm“.

24 einzelnen Filmen ist ein vertiefender Text gewidmet, beginnend mit DER STARKE MANN von Henryk Szaro (1929), endend mit REWERS von Borys Lankocz (2009). Von Joachim Paech stammt ein kurzes Nachwort, das an den Film 100 JAHRE KINO (1995) von Paweł Łoziński erinnert und die polnischen Zuschauer in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt.

Das Layout mit zwei Textspalten, viel Platz für Anmerkungen am Fuß jeder Seite und zahlreichen Abbildungen ist sehr lesefreundlich. Die Papierqualität macht auch kleinere Fotos gut erkennbar.

Gefördert aus Mitteln der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung, unterstützt von verschiedenen polnischen Institutionen.

Kompliment für den Schüren Verlag in Marburg!

Mehr zum Buch: www.schueren-verlag.de/programm/titel/325–der-polnische-film-von-seinen-anfaengen-bis-zur-gegenwart.html