Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Juli 2007

Michael Wedel
Der deutsche Musikfilm
Archäologie eines Genres 1914–1945
edition text + kritik, München 2007

476 S., 29,50 €

ISBN 978-3-88377-835-8

Michael Wedel:
Der deutsche Musikfilm.
Archäologie eines Genres 1914–1945

Weit zurück in den Zeiten des Stummfilms – um 1914 herum, als die erste lange Filmoper in die Kinos kam – entdeckt Michael Wedel die Wurzeln eines populären deutschen Genres, des Musikfilms. Bild und Ton mussten damals aufwendig synchronisiert werden. Zu den Spielarten des Musikfilms gehörten Filmoper, Filmoperette und Filmsingspiel.

Die unterschiedlichen Aufführungspraktiken, ihre technischen, ökonomischen und ästhetischen Voraussetzungen werden hier zum ersten Mal so grundsätzlich und detailliert dargestellt, dass wirklich von einer archäologischen Forschungsarbeit gesprochen werden kann. Der Autor schreibt mit spürbarer Kompetenz Firmengeschichte, Technikgeschichte und Musikgeschichte und akkumuliert sie zu Filmgeschichte. Das verdient großen Respekt. Über die Umstellung zum Tonfilm und den Musikfilm der dreißiger und vierziger Jahre gibt es natürlich schon sehr gute Basisliteratur. Dennoch erweitert Wedel durch präzise Definitionen und spezielle Recherchen den bisher festgeschriebenen Wissenstand. Seine konkreten Themen ab 1930 sind die Ufa-Tonfilm-Operette (vor allem DIE DREI VON DER TANKSTELLE), die Regisseure Richard Oswald, Richard Eichberg, Willi Forst mit ihren genuinen Beiträgen zum Musikfilm und die ungarische Sängerin und Schauspielerin Marta Eggerth (geboren 1912, die 1938 nach Amerika emigrierte und noch am Leben ist).

Michael Wedel, Jahrgang 1969, kommt aus der Amsterdamer Schule von Thomas Elsaesser. Das Buch ist die Überarbeitung seiner Dissertation. Seine Sprache macht es dem Leser nicht leicht. Es dominieren Abstraktionen, es stört der Hang zu definitorischer Rechthaberei. Schon die Frage „Was ist ein ‚Musikfilm’?“ wird etwas angestrengt beantwortet: „In Anlehnung an Rick Altmans grundlegende Beschreibungskriterien des US-amerikanischen Filmmusicals soll unter Musikfilm ein narratives Genre mit einer Mindestlänge von einer Stunde Laufzeit verstanden werden, innerhalb derer die wiederholte musikalische Nummer mit diegetisch verankertem Gesang ein signifikantes Verhältnis zwischen filmischer Narration und musikalischem Diskurs etabliert“ (Hervorhebung im Original). Mit 1.174 Anmerkungen, teils Quellenangaben, teils zusätzlichen Informationen, verirrt sich Wedel auch mal im Labyrinth der medienwissenschaftlichen Lehrmeinungen. Dennoch lohnt sich die Anstrengung der Lektüre, weil hier ein Autor seinem Erkenntnisdrang mit aller Konsequenz gefolgt ist.

Schade, dass die Papierqualität die meisten Abbildungen zu undifferenzierten Schattenbildern macht. Der Verlag edition text + kritik – vielleicht ist er das einfach seinem Namen schuldig – liebt die Worte mehr als die Bilder.