Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Jahres
2013
Filmbuch des Jahres

Anna Bohn
Denkmal Film
Band 1: Der Film als Kulturerbe
Band 2 Kulturlexikon Filmerbe
Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar 2013
388 S. + 494 S.
bis 31.3.2013 89,90 €, ab 1.4.2013 119,00 €
ISBN 978-3-412-20990-2

Anna Bohn:
Denkmal Film.
Band 1 Der Film als Kulturerbe - Band 2 Kulturlexikon Filmerbe

In zwei Bänden stellt die Kunsttheoretikerin Anna Bohn  die Grundlagen zum Schutz des internationalen Filmerbes dar. Der Blick zurück (Band 1) handelt von der Geschichte der Filmarchivierung, von nationalen  und internationalen Konditionen und beschreibt vor allem Verluste. Die Perspektiven (Band 2) verbinden sich mit einem Lexikon der Schlüsselbegriffe, im Zentrum stehen dabei Sicherung, Konservierung, Restaurierung, Rekonstruktion. Die Autorin verfügt über große Kompetenz, nennt viele konkrete Beispiele und stellt das Filmerbe in den größeren Zusammenhang der Kunst-, Bibliotheks-, Kultur- und Geschichtswissenschaft. Die beiden Bände sind Pflichtlektüre für alle, die es ernst meinen mit dem Schutz des audiovisuellen Kulturgutes.

Anna Bohn (*1968) hat moderne Philologien mit filmwissenschaftlichem Schwerpunkt (Slavistik, Polonistik, Hispanistik) in Madrid, München und Moskau studiert und 2000 an der Ludwig-Maximilian-Universität in München promoviert. Ihre Dissertation setzt sich mit der Kunsttheorie Sergej Eisensteins 1930-1948 auseinander (Film und Macht, München: diskurs film, 2003). Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin und Koordinatorin des Projekts „DVD als Medium kritischer Filmeditionen“ an der Universität der Künste Berlin und hat mit Enno Patalas die DVD-Studienfassung von METROPOLIS erarbeitet. Ich habe Anna Bohn als Koordinatorin des panzerkreuzer Potemkin-Projekts kennen und schätzen gelernt, das von der Deutschen Kinemathek betreut wurde. Die Aufführung in der Volksbühne während der Berlinale 2006 werde ich nicht vergessen.

Es ist ein Glücksfall, wenn sich Problembewusstsein, Sachkenntnis und Darstellungsvermögen so eindrucksvoll verbinden wie bei der Autorin von „Denkmal Film“. Beide Bände – der eine im Blick zurück, der andere im Blick auf Gegenwart und Zukunft – sind klug strukturiert und auch für Nicht-Fachleute gut verständlich. Sie müssen sich nur für das Thema interessieren, was man auch bei Filmliebhabern nicht unbedingt voraussetzen kann. Andererseits ist die Aufmerksamkeit für den Film als zentrales Medium der Erinnerungskultur in den letzten Jahrzehnten stetig gewachsen. Und die Kommunalen Kinos in der Bundesrepublik tun vieles dafür, dass die Filmgeschichte lebendig bleibt. Ihr Zusammenspiel mit den Archiven ist natürlich auch Thema der Publikation.

Rechtsfragen, technische Entwicklungen, ökonomische Abhängigkeiten, kulturpolitische Prioritäten und private Passionen spielen beim Umgang mit dem Filmerbe die wichtigsten Rollen. Anna Bohn hat sie im ersten Band historisch geordnet und – nach Klärung bestimmter Begriffe – nachvollziehbar katalogisiert. Das geschieht bei ihr nicht im abstrakten Raum, sondern verbindet sich mit konkreten Erzählungen. Vorbildhaft dafür sind die beiden Kapitel „Probleme der filmischen Überlieferung am Beispiel der Filme Friedrich Wilhelm Murnaus“ (sein Werk ist bekanntlich besonders von Zerstörungen und Verlusten betroffen) und „Aufstieg und Fall des Reichsfilmarchivs 1934-1945“. Auch das Kapitel „Positionen zur Geschichte der Filmarchivierung“ ist bestens recherchiert. Es ergänzt in mancher Hinsicht die Geburtstagsliteratur zum 50jährigen Bestehen der Deutschen Kinemathek.

Sehr umfangreich ist die Darstellung der internationalen Vereinbarungen zum Schutz des filmischen Kulturgutes, zunächst weltweit im UNESCO-Zusammenhang und dann in der Europäischen Gemeinschaft. Die Empfehlungen und Richtlinien sind in dieser Vollständigkeit meines Wissens noch nie dokumentiert worden. Das muss man nicht alles lesen, aber es wird klar, welche Bedeutung dem Filmerbe vor allem in den letzten zehn Jahren beigemessen und wie den Herausforderungen der Digitalisierung begegnet wird. Sehr informativ ist dann das letzte große Kapitel, die nationalen Gesetzgebungen zum Filmerbe in den USA, Frankreich, der Russischen Föderation und Deutschland, wobei die USA immer ein bisschen Vorbildcharakter hatte, der Zentralismus in Frankreich gewisse Vorteile besaß, während die deutsche Teilung bis 1990 und der Föderalismus in der Bundesrepublik die Probleme noch vergrößert haben. Der Kinematheksverbund war immer ein Kompromiss.

Den ersten Band schließen zwei Interviews ab: das eine mit Wolfgang Klaue, dem ehemaligen Direktor des Staatlichen Filmarchivs der DDR, der dort über viele Jahre hervorragende Arbeit geleistet hat, aber mit den Folgen der deutschen Einigung, was die Filmarchivierung betrifft, nicht zufrieden sein kann. Das bestimmt auch den etwas resignativen Ton des Gesprächs. Im zweiten Interview berichten Robert Gitt und Edward Richmond über ihre Arbeit am UCLA Film & Television Archive, das Ende der 1960er Jahre gegründet wurde und nach der „Library of Congress“ das zweitgrößte Filmarchiv der USA ist.

In zwanzig Kapiteln entfaltet der zweite Band das ganze Spektrum des Umgangs mit dem Filmerbe in der Gegenwart und Zukunft. Die Überschriften sind gleichzeitig lexikalische Ordnungsbegriffe: 1. Film – 2. Sicherung – 3. Konservierung – 4. Duplizierung – 5. Restaurierung – 6. Rekonstruktion – 7. Reversibilität – 8. Dokumentation – 9. Original – 10. Kopie – 11. Authentizität – 12. Integrität – 13. Autorisation – 14. Fragment – 15. Lacuna (Fehlstelle) – 16. Ergänzung und Komplettierung – 17. Edition – 18. Fassung und Variante – 19. Kontamination und synthetische Fassung. – 20. Kommentar. Auch hier sind es immer wieder konkrete Beispiele, die aus der Begrifflichkeit zur Anschaulichkeit führen und die komplexe Problematik im Umgang mit dem Filmerbe deutlich machen. Zahlreiche Abbildungen ergänzen den Text und führen uns die Verletzungen vor Augen, die den Filmbildern zugefügt werden.

Bei allen Verlusten, die Anna Bohn benennt und beklagt, werden auch Hoffnungen formuliert, die in den Bereichen der modernen Technik und Kommunikation heute realisierbar sind. Natürlich geht es dann auch immer um Geld, aber wichtig sind vor allem Information und fachliches Wissen. Deshalb ist es wunderbar, dass diese Publikation jetzt erschienen ist.