Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
November 2018

Andreas Kötzing (Hg.)
Bilder der Allmacht
Die Staatssicherheit in Film und Fernsehen
Göttingen, Wallstein Verlag 2018
336 S., 34 €
ISBN 978-3-8353-3284-3

Andreas Kötzing (Hg.):
Bilder der Allmacht.
Die Staatssicherheit in Film und Fernsehen

Staatliche Geheimdienste verrichten ihre Arbeit möglichst ohne öffent-liche Wahrnehmung. Sie haben ihre eigenen Spielregeln. Das macht sie interessant für eine Darstellung in Literatur, Film und Fernsehen. In 17 Texten informiert das Buch „Bilder der Allmacht“ über die mediale Präsenz der DDR-Staatssicherheit (genannt: Stasi) im Kalten Krieg und in der Zeit nach 1989/90. Die Beiträge haben alle ein hohes Niveau.

Das Hannah-Arendt-Institut in Dresden ist der Ausgangsort für diese Publi­kation. Dort fand im November 2016 eine internationale Kon-ferenz zur medialen Darstellung der Stasi unter Leitung von Andreas Kötzing statt. Als Herausgeber ist er zusammen mit zahlreichen Mit-wirkenden jetzt für ein Buch verantwortlich, das über die Veranstaltung hinaus Bedeutung hat.

Dies sind die Themen der 17 Beiträge und die Autorinnen und Autoren der Texte:

Daniela Münkel und Elke Stadelmann-Wenz, beide als Historikerinnen beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Berlin beschäftigt, informieren über die Aktion „Feuerwerk“ im Herbst 1953, bei der über 200 Personen fest­genommen wurden, die im Verdacht standen, für die bundesdeutsche Organisation Gehlen (später: BND) spioniert zu haben. Die Berichterstattung in der Presse und im Fernsehen der DDR war bemerkenswert, vor allem eine Pressekonferenz mit dem Doppel-agenten Hans-Joachim Geyer am 9. November 1953 machte Schlag-zeilen. Im Dezember 1953 fand ein Schauprozess vor dem Obersten Gericht der DDR gegen sieben Angeklagte statt, über den in den Medien intensiv berichtet wurde.

Sigrun Lehnert, Medienwissenschaftlerin in Hamburg, befasst sich in ihrem Beitrag mit Spionen und Agenten in Wochenschauberichten des „Augenzeugen“ und in Dokumentarfilmen der DEFA, speziell in dem Film KgU – KAMPF­GRUPPE DER UNMENSCHLICHKEIT (1955) von Joachim Hadaschik. Interessant sind ihre Analysen der filmischen Mittel zur Darstellung der Staats­sicherheit, also Überblendungen, Animationen, Montagen, und der akustischen Verstärkungen, um die Wirkung im Publikum zu erhöhen.

Christoph Classen, Mitarbeiter im Zentrum für Zeithistorische For-schung in Potsdam, untersucht das Bild kommunistischer Spionage in westlichen Spiel­filmen vor 1990. Zu seinen Filmbeispielen gehören I WAS A COMMUNIST FOR THE FBI (1951) von Gordon Douglas, MY SON JOHN (1952) von Leo McCarey, WEG OHNE UMKEHR (1953) von Victor Vicas, MENSCHEN IM NETZ (1959) von Franz Peter Wirth, FROM RUSSIA WITH LOVE (1963) von Terence Young, TORN CURTAIN (1966) von Alfred Hitchcock, THE SPY WHO CAME IN FROM THE COLD (1965) von Martin Ritt, CHARLIE MUFFIN (1979) von Jack Gold. Zu Classens Befunden gehört, dass sich die Spionage-filme in den 60er Jahren stark entpolitisiert haben und Action wie Suspense in den Vordergrund rückten.

Der Herausgeber Andreas Kötzing blickt zurück auf Inszenierungen der Staatssicherheit in DEFA-Spielfilmen der 1950er und 60er Jahre, kon-kret auf SPUR IN DIE NACHT (1957) von Günter Reisch, DIE PRE-MIERE FÄLLT AUS (1959) von Kurt Jung-Alsen, SEPTEMBERLIEBE (1961) von Kurt Maetzig, RESERVIERT FÜR DEN TOD (1963) von Heinz Thiel, FOR EYES ONLY (1963) von János Veiczi (unter den genannten Filmen der erfolgreichste), SCHWARZER SAMT (1964) von Heinz Thiel. Immer wurde versucht, das Bild der Stasi positiv zu zeichnen, aber der Autor bezweifelt, dass dies wirklich gelungen ist.

Andy Räder beschäftigt sich mit der Major Sander-Reihe (1967-69), in der Jürgen Frohriep einen Doppelagenten spielte, Michael Grisko mit der sehr erfolgreichen Fernsehserie DAS UNSICHTBARE VISIER (1973-79), in der zunächst Armin Mueller-Stahl und ab 1977 der erst kürzlich verstorbene Horst Schulze als Hauptdarsteller zu sehen waren.

Der österreichische Filmwissenschaftler Sebastian Haller informiert über die Repräsentation des MfS in den 1980er Jahren in Filmen des DDR-Fernsehens, speziell in DAS ENDE EINES MÄZENS (1982) und DIE LETZTE BEGEGNUNG (1987).

Die Filmwissenschaftlerin Anne Barnert beschreibt die Selbstdarstel-lungen der MfS-„Veteranen“ Artur Hofmann und Hermann Berthold in zwei Dokumentar­filmen der Staatlichen Filmdokumentation aus den Jahren 1974 und 75, die beide mit Fiktionalisierungen arbeiten.

Den zweiten Teil über die Darstellung der Stasi nach 1989/90 eröffnet die Film­wissenschaftlerin Ilka Brombach (Babelsberg) mit einem sehr informativen Text über Dokumentarfilme zum Thema Staatssicherheit in den Jahren 1990 bis 92. Ihre wichtigsten Filmbeispiele sind VER-RIEGELTE ZEIT (1990) von Sibylle Schönemann, STRENG VERTRAU-LICH ODER DIE INNERE VERFASSUNG (1990) von Ralf Marschallek und DER SCHWARZE KASTEN (1992) von Johann Feindt und Tamara Trampe. Die Autorin hat einen guten Blick für die formalen Unter-schiede dieser Filme und ihre gemeinsame Qualität.

Günter Agde beschäftigt sich mit vier Filmen des Szenaristen Ulrich Plenzdorfs über die „Wende“ und die Darstellung der Staatssicherheit: es sind die beiden Adaptionen DER VERDACHT (1991, Regie: Frank Beyer, nach einer Erzählung von Volker Braun) und DAS ANDERE LEBEN DES HERRN KREINS (1994, Regie: Andreas Dresen, nach einem Theaterstück des serbischen Autors Dusan Kovacevi) und die beiden eigenen Stoffe HÜPF, HÄSCHEN HÜPF (1991, Regie: Christian Steinke) und VATER, MUTTER, MÖRDERKIND (1992, Regie: Heiner Carow).

Die französische Kulturhistorikerin Hélène Camarade reflektiert über den unmög­lichen Dialog zwischen ehemaligen IM und ihren Opfern in Dokumentarfilmen über die Stasi. Im Mittelpunkt steht bei ihr der Film MEIN BRUDER – WE’LL MEET AGAIN (2005) von Thomas Heise, den sie mit großer Sensibilität beschreibt.

Myriam Naumann referiert über vier Spielfilme, in denen das Stasi-Archiv eine wichtige Rolle spielt: DER STICH DES SKORPION (2004) von Stephan Wagner, DIE NACHRICHTEN (2005) von Matti Geschonneck, DAS LEBEN DER ANDEREN (2006) von Florian Henckel von Donnersmarck und ZWISCHEN DEN ZEITEN (2014) von Hansjörg Thun. Es wird klar, welche Bedeutung „Akten“ für die Gegenwart haben können.

Bei der Historikerin Anita Krätzner-Ebert geht es um die Darstellung der Staats­sicherheit in der Fernsehreihe TATORT von TAXI NACH LEIPZIG (1970) bis zu NASSE SACHEN (2011). Die Typisierung der Stasi-Figuren in bisher 17 TATORT-Folgen ist aufschlussreich.

Sandra Nuy widmet sich dem Film BARBARA (2012) von Christian Petzold und entdeckt filmische Erzählmuster einer Verschränkung zwischen Intimität und Überwachung. Ihre Beobachtungen sind beeindruckend.

Von Udo Garshoff stammt ein Beitrag über Selbsttötungen als wieder-kehrendes Motiv in Filmen über die DDR. Seine Beispiele sind die bundesdeutsche Fernseh­serie DIE FÜNFTE KOLONNE (1963-68), die Serie WEISSENSEE (2010ff), der Kinofilm DAS LEBEN DER ANDE-REN und der zweiteilige Fernsehfilm DER TURM (2012) nach dem Roman von Uwe Tellkamp.

Claudia Böttcher richtet ihren Blick auf die Fernsehserie DEUTSCH-LAND 83, in der ein DDR-Grenzsoldat in die Bundeswehr einge-schleust wird. Ihre Analyse der ersten Staffel wirkt präzise.

Der abschließende Beitrag von Tobias Ebbrecht-Hartmann widmet sich Grenz­überschreitungen und verflochtenen Erinnerungen in Filmen über die DDR. Es gibt zahlreiche Filmbeispiele, ausführlicher werden ZWEI LEBEN (2012) von Georg Maas und Judith Kaufmann und DIE STILLE NACH DEM SCHUSS (2000) von Volker Schlöndorff (Drehbuch: Wolf-gang Kohlhaase) dargestellt.

Alle 17 Beiträge fügen sich zu einer vielfältigen, aber auch sehr konkreten Darstellung des Themas, dessen Aufarbeitung nicht nur für Historiker wichtig ist. Fast 30 Jahre nach der deutschen Einigung gibt es noch immer viele Spaltungen, die durch Aufklärung und Information zumindest teilweise zu vermindern sind. Auch dafür ist dieses Buch nützlich.

Voraussetzungen für eine interessante Konferenz und eine entsprechend infor­mative Publikation sind Vertrautheit mit dem Thema, gute Referentinnen und Referenten, eine kluge Koordination und am Ende ein Verlag, der die Publikation auf den Weg bringt. Dies ist bei „Bilder der Allmacht“ gelungen. Die Lektüre kann auch für diejenigen spannend sein, die nicht alle Filme und Fernsehsendungen gesehen haben. Vielleicht macht sie auch Lust auf den einen oder anderen Film.

Abbildungen in guter Qualität. Coverabbildungen: BARBARA (oben), FOR EYES ONLY (Mitte), THE SPY WHO CAME IN FROM THE COLD (unten).

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