Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Dezember 2012

Andrej A. Tarkovskij jun., Hans-Joachim Schlegel, Lothar Schirmer (Hg.)
Andrej Tarkovskij
Leben und Werk. Filme Schriften, Stills & Polaroids
München, Schirmer/Mosel 2012
320 Seiten, 68 €
ISBN 978-3-8296-0587-8

Andrej A. Tarkovskij jun., Hans-Joachim Schlegel, Lothar Schirmer (Hg.):
Andrej Tarkovskij.
Leben und Werk. Filme Schriften, Stills & Polaroids

Er ist einer der Großen der Filmgeschichte. Im April 2012 wäre er achtzig Jahre alt geworden. Er hat sieben Filme gedreht. Jetzt ist das vielleicht definitive Buch über Andrej Tarkovskij erschienen. Mit Texten und vielen, vielen Bildern.

Nur zur Erinnerung – das waren die Titel seiner sieben großen Filme: IVANS KINDHEIT (1962), ANDREJ RUBLJOV (1964/66), SOLARIS (1971/72), SPIEGEL (1973/74), STALKER (1978/79), NOSTALGHIA (1982/83), OPFER (1985/86).

Tarkovskij, geboren 1932 in einem Dorf 300 km nordöstlich von Moskau, starb im Dezember 1986 in Paris an Lungenkrebs. Er hatte in den 1950er Jahren an der Moskauer Filmhochschule VGIK in der Meisterklasse von Michail Romm Regie studiert. Für seinen ersten Film, IVANS KINDHEIT, erhielt er 1962 den Goldenen Löwen des Festivals in Venedig. Das Apokalyptische, Mehrdeutige, Artifizielle seiner weiteren Filme brachte ihm internationale Bewunderung ein, führte aber zu Schwierigkeiten in seinem Heimatland. Mehrere Filme wurden dort erst mit Verspätung zur Vorführung freigegeben. Auch ihr Export stieß auf Hindernisse. 1984 entschied sich Tarkovskij für einen Verbleib im westeuropäischen Exil. Er war Gast des Künstlerhauses Bethanien in Westberlin, lebte und arbeitete in Schweden, Frankreich und Italien. Sein letzter Film, OPFER, erhielt 1986 den Großen Preis der Jury des Filmfestivals in Cannes. Das Kino Arsenal widmet ihm seit Jahrzehnten in jedem August eine Retrospektive.

Das Buch über Tarkovskijs Leben und Werk ist natürlich vor allem ein Bilderbuch. Es enthält 350 Fotos von hoher Qualität. 288 Bilder stammen aus seinen Filmen, die man sonst nur im Fluss der Vorführung kennt und oft gern einen Moment festhalten möchte. Es geht dabei weniger um die „Bedeutung“ des Gezeigten, um Interpretationsversuche, sondern um Schönheit, um die Tiefe des Raums und um Zwischentöne des Schwarzweiß und dann auch der Farbe. Es geht um den Ausdruck in Gesichtern, in denen sich Hoffnung, Verzweiflung, Neugier widerspiegeln. Kinder, junge und alte Männer, alte und junge Frauen, wartend, schauend, weinend, manchmal auch lächelnd. Landschaften öffnen sich, Tiere durchqueren die Bilder, Blicke durch Fenster, Großaufnahmen, Totalen. Ein Bilduniversum eigener Art. Hinzu kommen Privatfotos und Polaroids.

Die Textebene des Buches bietet ein sorgfältig ausgewähltes Spektrum, beginnend mit einem sehr sensiblen, das Werk von Tarkovskij erschließenden Essay von Hans-Joachim Schlegel, der auch auf die Dimension des Tons der Films aufmerksam macht. Sechs Persönlichkeiten äußern sich dann über den Regisseur: Jean-Paul Sartre, Sven Nykvist, Erland Josephson, Ingmar Bergman, Tschingis Ajtmatov und Alexander Sokurov. Von Tarkovskij selbst sind Auszüge aus der Versiegelten Zeit  zu lesen, die 1984 bei Ullstein erstmals auf Deutsch erschien. Seine Gedanken zur Kunst, zur Ästhetik und Poetik des Films sind natürlich sehr ernsthafte und individuelle Bekenntnisse zu seiner Arbeit. Im Hauptteil führt Schlegel informativ und sachkundig in die Filme ein. Der Biographische Anhang enthält autobiographische Texte von AT, die Polaroidfotos aus dem Familienalbum (Russland, Italien), eine von Schlegel zusammengestellte Biographie, eine Auflistung sonstiger künstlerischer Arbeiten von Tarkovskij (Theater, Oper, Funk, Auftritte als Darsteller, Drehbücher, Co-Regie) und eine kurze Bibliographie. Dort wird auch auf den Band 39 der Blauen Reihe hingewiesen, herausgegeben von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte, der Tarkowskij gewidmet war und 1987 erschien (mit Beiträgen von Alexander Sokurow, Hans-Joachim Schlegel, Eva M. J. Schmid, Klaus Kreimeier und dem Datenteil von Wolfgang Jacobsen). Nicht erwähnt wird die kluge Dissertation von Marius Schmatloch, die 2003 in der Reihe der „Filmstudien“ des Gardez-Verlages erschienen ist: „Andrej Tarkowskijs Filme in philosophischer Betrachtung“.

Die beiden Fotos auf dem Umschlag stimmen auf das Buch ein: STALKER (oben) und der Regisseur (unten), fotografiert von Gueorgui Pinkhassov (1979).