Texte & Reden
18. November 2017

Egon Günther (1927-2017)

Nachruf in der Mitgliederversammlung der Akademie der Künste

Er war einer der großen Regisseure der DEFA und des DDR-Fernsehens, aber er hat die DDR 1979 verlassen, als er dort keine Gegenwartsfilme mehr machen durfte.

Er ist vor allem als Filmregisseur bekannt, aber er hat mehr als 20 Romane geschrieben, die alles andere als trivial sind. Er hatte zwei Standbeine: den Film und die Literatur.

Er konnte provokant sein, er lehnte Kompromisse ab, er spielte gern mit den Formen, aber die Inhalte hatten dennoch eine Priorität. Immer wieder ging es um Aufbrüche, um Entscheidungen, um Veränderungen.

Sein Herzensprojekt hat er nicht realisieren können: einen Film über Friedrich Nietzsche. Es gibt das Drehbuch mit dem Arbeitstitel „Das Messer“.

Natürlich hat er 1965 auch einen Verbotsfilm gedreht: „Wenn Du groß bist, lieber Adam“. Er arbeitete damals eng mit seiner ersten Lebenspartnerin zusammen, der Schriftstellerin Helga Schütz.

Mein Lieblingsfilm von Egon Günther stammt aus dem Jahr 1974: Er heißt „Die Schlüssel“ und erzählt die Geschichte einer Reise. Die Arbeiterin Ric und der Student Klaus fahren nach Krakau. Der Urlaub dort bringt eine Nähe, in der ihre Differenzen deutlich werden. Jutta Hoffmann spielt die Arbeiterin Ric, Jaecki Schwarz den Studenten Klaus. Das Zusammenspiel war phänomenal, der Film endet tragisch.

Sechsmal hat Jutta Hoffmann Hauptrollen bei Egon Günther gespielt. In erinnere mich besonders gern an „Junge Frau von 1914“, „Der Dritte“ und „Lotte in Weimar“.

Viele Filme dieses Regisseurs haben eine Nähe zur Literatur. Stoffliefe-ranten waren u.a. Johannes R. Becher, Arnold Zweig, Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, Goethe, Uwe Timm, Siegfried Lenz.

Im filmischen Werk von Egon Günther öffnet sich ein Universum der Zeiten, der Themen, der Figuren, für das er immer eine eigene Form gesucht hat.

Die enge Zusammenarbeit mit Kameraleuten, Editorinnen, Filmarchitekten und Komponisten war für ihn selbstverständlich.

1999 wurde er mit dem Ehrenpreis des Deutschen Filmpreises für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Wer einen Roman von Egon Günther lesen möchte, in dem die Filmarbeit das Thema ist, dem empfehle ich „Einmal Karthago und zurück“.

Egon Günther war Mitglied dieser Akademie seit 1997. Er stammte aus dem Erzgebirge und war Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Schneeberg.

Im Alter von 90 Jahren ist er am 31. August in Potsdam gestorben. Wir werden ihn nicht vergessen.

Berlin, Akademie der Künste, 18. November 2017