Texte & Reden
17. Juli 2016

Die Nibelungen – Varianten der Verfilmung

Vortrag im Rahmen der Nibelungen-Festspielen

Meine Damen und Herren,

die Nibelungen – um mit dieser einfachen These zu beginnen – sind ein interessanter Stoff fürs Kino und fürs Fernsehen. Ausgangspunkt ist das mittelhochdeutsche Helden­lied, das um 1200 entstanden ist. Es handelt von Liebe und Tod, von Treue, Verrat und Rache.

Zum Personal gehören ein blonder, fast unbesiegbarer Held, ein wankelmütiger König in Worms und seine attraktive Schwester, eine Königin von Island, ein Bösewicht mit nur einem Auge, ein Lindwurm und ein Falke, ein Zwerg, ein Hunnenkönig, ein Schmied, ein Sänger und diverse Angehörige der Wormser Königsfamilie.

Als Requisiten sind ein Schwert und eine Tarnkappe, der Nibelungen-schatz mit dem Ring, ein Lindenblatt, ein Armreif und ein Speer unabdingbar. Wichtige Schauplätze sind eine Schmiede, ein Wald, eine Höhle, der Hof und der Dom in Worms, eine Burg in Island, der Rhein und die Burg von König Etzel.

Es wird gekämpft, geliebt, gefeiert und reihum gestorben. Fast alle Hauptfiguren sind am Ende tot. Oft haben die Filme zwei Teile, im ersten steht dann Siegfried im Mittelpunkt, im zweiten seine Witwe Kriemhild.

Es gibt bisher acht Nibelungen-Filme, ihre künstlerische Qualität ist höchst unter­schiedlich. Ich gehe davon aus, dass Sie nicht alle Filme gesehen haben – also unter­nehmen wir eine kleine Zeitreise.

2009.Jagd

Der bisher letzte Nibelungen-Film heißt DIE JAGD NACH DEM SCHATZ DER NIBELUNGEN. Er stammt aus dem Jahr 2008, ist ein Abenteuerfilm und reduziert die Story auf die Recherchen eines Archäologen. Sie führen ihn zunächst in die Katakomben des Kölner Doms, dann in den Teutoburger Wald, in den Aachener Dom und schließlich zum Schloss Neuschwanstein und einer eisigen Höhle in seiner Nähe. Dort findet der Countdown statt. Nur der Archäologe und seine Tochter Kriemhild überleben. Die historischen Figuren des Nibelungenliedes kommen nicht vor. Regie führte Ralf Huettner für RTL, die Fortsetzungen hießen DIE JAGD NACH DER HEILIGEN LANZE und DIE JAGD NACH DEM BERNSTEINZIMMER.

2005.Siegfried

Drei Jahre zuvor, 2005, entstand der Film SIEGFRIED von Sven Unterwaldt nach einem Drehbuch von Tom Gerhardt und Herman Weigel. Er war konzipiert als Persiflage auf das Nibelungenlied. Siegfried wird zu Beginn als Baby im Rhein ausgesetzt, von Mime, dem Schmied, gerettet und aufgezogen, seine körperlichen Kräfte wachsen immens, geistig muss man ihn als debil bezeichnen. Seine wichtigste Begleitung ist ein kleines, sprechendes Schwein, das deutlich intelli-genter ist und ihm mehrfach das Leben rettet. Die Menschen im Film sprechen Kölsch, die Tiere hochdeutsch. Siegfried, inzwischen körperlich erwachsen, lernt im Wald Kriemhild kennen, die dort gerade ihre Notdurft verrichtet. Aus dem Verdauungsbereich bezieht der Film optisch und akustisch die meisten Gags. Sie kommen selten überraschend und werden in der Regel mehrfach wiederholt. Kriemhild erweist sich als Zicke, was Siegfried relativ spät bemerkt, aber es gibt für ihn ein Happyend mit einer Küchenhilfe namens Anita. Eine Brunhild taucht in diesem Film nicht auf, aber Gunther, Hagen, Alberich und der Drache sind vor Ort. Allerdings bewegen sie sich – was die Qualitäten einer Komödie betrifft – auf einem relativ niedrigen Niveau. Man darf nicht vergessen, dass Tom Gerhardt Autor und Hauptdarsteller von VOLL NORMAAAL und BALLERMANN 6 war, die unter den deut­schen Lustspielen der 90er Jahre eher in den unteren Schubladen zu platzieren sind.

Ein Jahr zuvor, 2004, gab es einen zweiteiligen Nibelungen-Film, den man durchaus ernst nehmen konnte. Es handelt sich um die deutsch-amerikanische Coproduktion THE RING OF THE NIBELUNGS von Uli Edel, gesendet im November 2004 von Sat.1. Im Drehbuch von Diane Duane, Peter Moorwood und Uli Edel werden Motive und Personen des Nibelungenliedes, des nordischen Sagenkreises um Sigurd und der Wagner-Tetra­logie miteinander verbunden.

Der fünfjährige Siegfried, dessen Eltern, König Siegmund und Königin Sieglind von Xanten, zu Beginn des Films von den feindlichen Sachsen getötet werden, überlebt, weil er von dem Waffenschmied Eyvind gefunden und aufgezogen wird. Da er sein Gedächt­nis verloren hat, heißt er nun Eric.

2004.Nibelungen

Zwölf Jahre später ist er ein kräftiger Jüngling, lernt nach dem Einschlag eines Meteoriten Brunhild, die Königin von Island kennen, besiegt sie im Zweikampf, schläft mit ihr und trennt sich mit dem Schwur, sie später zu heiraten. Aus dem Meteoritenmetall schmiedet er ein Schwert. Mit seinem Ziehvater Eyvind fährt Eric nach Worms, um König Gunther eine Waffenlieferung zu bringen. Dort erfahren sie, dass der Drache Fafnir erwacht ist und das Land verwüstet. Ein Versuch von König Gunther, mit seinen Kriegern den Drachen zu erlegen, misslingt. Daraufhin nimmt Eric die Sache in die Hand, es gelingt ihm, den Drachen mit seinem Schwert zu töten; er badet im Drachenblut und entdeckt in der Drachenhöhle den Schatz der Nibelungen. Er wird bei seiner Rückkehr nach Worms enthusiastisch gefeiert. Gunthers Schwester Kriemhild ist inzwischen in ihn verliebt, aber Eric erinnert sich immer wieder an seinen Treueschwur gegenüber Brunhild.

Bei einem Angriff der Sachsen auf die Burgunder erkennt Eric die Mörder seiner Eltern wieder und die Erinnerungen an seine wahre Herkunft kehren zurück. Er wird der neue König von Xanten. Mit einem Zaubertrank gelingt es Gunther und seinem Vertrauten Hagen von Tronje, Siegfrieds Erinnerung an den Treueschwur für Brunhild auszulöschen und die Liebe zu Kriemhild zu entfachen.

2004.2.Nibelungen

Ich verkürze jetzt die inhaltliche Zusammenfassung: Gunter wirbt um Brunhild, er wird mit Siegfrieds Hilfe ihr Gemahl, Brunhild ist enttäuscht von Siegfrieds Vergesslichkeit, Sieg­fried heiratet Kriemhild, es kommt zu erheblichen Konkurrenzen zwischen Brunhild und Kriemhild, der Schwindel bei Gunthers Werbung wird aufgedeckt, die Konflikte eskalieren, Hagen ermordet Siegfried mit dem Speer an seiner verwundbaren Stelle, Kriemhild enttarnt Hagen und Gunther als Mörder, Hagen ermordet Gunther aus Habgier und wird dafür von Brunhild enthauptet, Siegfrieds Leiche wird zusammen mit dem Nibelungenschatz auf einem Schiff im Rhein versenkt, auf dem sich zuvor Brunhild mit Siegfrieds Schwert umgebracht hat.

Der zweiteilige Film galt als Mini-Fernsehserie und hatte in dieser Kategorie die beste Einschaltquote 2004. Er lässt große professionelle Qualitäten erkennen, wurde in engli­scher Sprache weitgehend in Südafrika gedreht und beeindruckt vor allem durch seine männlichen Hauptdarsteller: Benno Führmann als Eric bzw. Siegfried, Julian Sands als Hagen von Tronje und Max von Sydow als Eyvind. Deutlich schwächer sind Kristanna Loken als Brunhild und Alicia Witt als Kriemhild. Ihnen fehlt die königliche Aura. Für die Kostüme war im Übrigen die herausragende Kostümbildnerin Barbara Baum verant­wortlich.

Wichtig in dem Film ist das Motiv des Vergessens und der wieder gewonnenen Erinnerung. Kameraführung und Montage unterstützen die davon betroffenen Protago­nisten – also vor allem Siegfried, Kriemhild und Brunhild – in den Momenten von Verlust und Gewinn. Hier hat dieser Film eine spezielle Qualität.

md14985761389Auf unserer Zeitreise erfolgt jetzt ein kleiner Exkurs. Im Jahr 1971 gab es in der DDR den Plan, die Nibelungen zu verfilmen. Die Idee stammte von dem Schriftsteller Franz Füh­mann, der das Nibelungenlied zuvor in einer Fassung für Kinder neu erzählt hatte. Er schrieb das Szenarium für den Spielfilm „Der Nibelunge Not“, als Regisseur war Heiner Carow vorgesehen, der damals gerade DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA realisiert hatte. Thematisch ging es dem Autor um die Machtstrukturen in der feudalen Gesell­schaft. Der Autor blieb in seinem Text nahe an der Handlung der literarischen Vorlage. Fühmanns Drehbuch wurde von der DEFA leider nicht realisiert, aber 1987 vom Hinstorff Verlag publiziert. Es ist sehr lesenswert! Ende des kleinen Exkurses.

Zurück in die Bundesrepublik, zu einem eher trivialen Werk: SIEGFRIED UND DAS SAGENHAFTE LIEBESLEBEN DER NIBELUNGEN aus dem Jahr 1970. Es handelt sich hier um einen Sexfilm, in dem Siegfried nicht nur seine Körperkraft sondern vor allem seine Potenz beweisen muss. Der Kampf mit dem Drachen ist ausgespart, er hat bereits stattgefunden, wenn die Handlung des Films beginnt. Eine wichtige Rolle spielt Siegfrieds Tarnkappe, die ihn hier aber nicht – wie im Nibelungen-Film von Uli Edel – in eine andere Person verwandelt, sondern unsichtbar macht. Das führt zu einer der wenigen originellen Szenen des Films: beim Liebesakt mit Brunhild ist Siegfried nicht zu sehen, Brunhild muss seine Präsenz simulieren.

1971.Nibelungen

Zum Personal gesellt sich als Siegfrieds Beschützer ein korpulenter Mann namens Hansel, der von Peter Berling gespielt wird. Er hat einige starke Szenen. Hauptdarsteller ist der deutsche Zehnkämpfer Raimund Harmstorf, der anschließend mit dem ZDF-Vierteiler DER SEEWOLF berühmt wurde. Schauplätze des Films sind der Hof von Worms und Brunhilds Burg in Island. Die Frauen am Hof werden wie in den Räumen eines Harems inszeniert. In einer Szene hat Siegfried zu ihnen Zugang – das führt zu einer Massenorgie. Natürlich endet der Film nicht mit Siegfrieds Tod. Er wird von Kriemhild gerettet, die Hagen daran hindert, ihn mit dem Speer zu töten. Regisseur des Films war der Schauspieler Adrian Hoven, der in den 1950er Jahren sehr populär war, in den 60ern Horror- und Sexfilme produzierte und in den 70ern in acht Filmen von Rainer Werner Fassbinder mitspielte.

Wir setzen unsere Zeitreise fort und kommen ins Jahr 1966. Artur Brauner produzierte damals den sehr aufwendigen zweiteiligen Kinofilm DIE NIBELUNGEN. Die Vorberei­tungen nahmen sieben Jahre in Anspruch. Als Brauner 1959 zum ersten Mal über seinen Plan sprach, rieten ihm viele davon ab. Daraufhin beauftragte er das Institut für Demo­skopie in Allensbach mit einer Umfrage, ob der Nibelungen-Stoff im Kino gewünscht werde. Jeder dritte Kinobesucher wollte so einen Film sehen. Als Regisseur hätte Brauner gern Fritz Lang gehabt, der aber lehnte mit dem Satz „Das geht heute nicht mehr!“ kategorisch ab. Erst relativ spät fiel die Entscheidung für Harald Reinl, einen Profi, der mit Edgar Wallace- und Karl May-Verfilmungen damals sehr erfolgreich war.

1966.Nibelungen 3

Als Hauptdarstellerinnen waren zunächst Romy Schneider als Kriemhild und Barbara Rütting als Brunhild vorgesehen, dann kamen Marianne Koch und Eva Bartok ins Spiel, am Ende wurden es Maria Marlow und Karin Dor, die damals mit dem Regisseur verheiratet war. Dor ist stark, Marlow eher schwach, das bringt den Film etwas aus dem Gleichgewicht. Zwei Schauspieler dominieren in der Männerriege: Rolf Henniger als Gunther und Siegfried Wischnewski als Hagen. Beide haben eine große Präsenz.

1966.Nibelungen 5Nach einem Siegfried wurde lange gesucht. Brauner wollte einen Star aus Amerika holen, aber dann sollte es doch ein Deutscher sein. Und weil man keinen geeigneten Schau­spieler fand, nahm Brauner den populären Hammerwerfer Uwe Beyer, der bei den Olym­pischen Spielen 1964 eine Bronzemedaille gewonnen hatte. Ein Synchronsprecher stand ihm zur Seite, die notwendige Größe und Muskulatur, die blonden Haare und blauen Augen brachte er mit. Fürs Profil der Rolle waren damit die wichtigsten Voraussetzungen erfüllt, schauspielerisch wurde nicht mehr erwartet. Sein Todeskampf am Ende des ersten Teils hat die Zuschauer dennoch beeindruckt.

1966.Nibelungen 1DIE NIBELUNGEN wurden in Spanien, Island, Jugo-slawien und in Brauners Studios in Berlin gedreht. Sie kosteten 8 Millionen DM und hatten mehr als 3 Millionen Zuschauer. Die Erzählstimme des Hof-sängers Volker von Alzey führt uns durch den Film. Die dramaturgischen Höhepunkte sind vorge-geben: vom Kampf mit dem Drachen – er dauert bei Harald Reinl nur anderthalb Minuten – bis zur Ermordung Siegfrieds durch Hagen und dem Rache-schwur von Kriemhild am Ende des ersten Teils.

Im zweiten Teil bringt Kriemhild einen Sohn zur Welt, mit dem sie nach Xanten zurückkehren will. Auf der Reise wird das Kind von Hagens Soldaten umgebracht. Hagen stiehlt den Schatz der Nibelungen, versenkt ihn im Rhein und tötet den Zwerg Alberich. Dietrich von Bern wirbt für den Hunnenkönig Etzel um Kriemhild. Sie wird Etzels Frau und bringt wiederum einen Sohn zur Welt. Zur Taufe lädt Etzel eine große Delegation aus Burgund ein, um Frieden zu stiften. Kriemhild verbindet sich mit Etzels Bruder Blodin, um ihre Rache an Hagen und Gunther zu vollenden. Hagen tötet Blodin in Notwehr. Die Fest­lichkeit kippt, ein Massaker beginnt.

Kriemhilds Sohn wird von Hagen getötet, das Gastgebäude wird in Brand gesteckt, Gunther verblutet vor Kriemhilds Augen, auch Etzel stirbt, Kriemhild erschlägt Hagen und stürzt sich anschließend in Siegfrieds Schwert. Nur zwei Burgunder kehren am Ende heim: der inzwischen erblindete Sänger Volker von Alzey und Hildegund, die Tochter von Rüdiger von Bechlarn.

Der Film ist im Scope-Format aufgenommen. In den Bildern dominieren Reiterforma­tionen, Schlachtfelder, rötliche Himmel und weite Horizonte. Die Musik von Rolf Wilhelm neigt zu dramatischem Pathos. Auch im zweiten Teil sind Rolf Henniger als Gunther und Siegfried Wischnewski als Hagen die wichtigsten Protagonisten, aber es kommen mit König Etzel, seinem Bruder Blodin und Dietrich von Bern auch neue Figuren ins Spiel, Gunthers Brüder Giselher und Gernot greifen stärker ins Geschehen ein, und Maria Marlow als Kriemhild ist präsenter als im ersten Teil. In der Location findet ein Wechsel vom Rhein zur Donau statt. Der Film, produziert von Artur Brauner, entstand vor genau 50 Jahren.

1966 drehte parallel zu Harald Reinl der Fernsehregisseur Wilhelm Semmelroth einen Mehrteiler für den WDR, der weitgehend der literarischen Vorlage von Friedrich Hebbel folgte. Die Produktion fand im Studio statt, erfahrene Theaterschauspieler wurden für die Hauptrollen engagiert: Antje Weisgerber spielte Kriemhild, Lola Müthel Brunhild, Hans Caninenberg Gunther und Alfred Schieske Hagen von Tronje. Relativ unbekannt war nur Gerd Seid als Siegfried.

1966.TV-Nibelungen 1

Ich habe Ausschnitte aus der Produktion gesehen. Sie ist im damaligen Fernseh-Schwarzweiß realisiert und hat eine große Theaternähe. So ist zum Beispiel Siegfrieds Ermordung durch Hagen nicht im Bild zu sehen. Die Ausstrahlung der zwei Teile fand im Oktober 1967 statt.

Vor 60 Jahren, 1956, drehte der Italiener Giacomo Gentilomo den Film SIGFRIDO. Er ist mit 93 Minuten relativ kurz und mit dem deutschen Hauptdarsteller Sebastian Fischer als Siegfried interessant besetzt. Der Film kam erst 1962 in die westdeutschen Kinos, hatte den Titel SIEGFRIED – DIE SAGE DER NIBELUNGEN und war kein großer Erfolg.

1956.Sigfrido 1

Er beginnt mit der Übergabe des Kindes Siegfried durch die sterbende Mutter Sieglind an Mime, den Schmid, macht einen Zeitsprung zum inzwischen erwachsenen Siegfried, der das Schwert seines Vaters veredelt und damit den Kampf mit dem Drachen gewinnt. Es kommen Nibelungenschatz und -ring ins Spiel und die unentbehrliche Tarnkappe. Siegfried reitet nach Worms, kämpft erstmals und gewinnt gegen Hagen, verliebt sich in Kriemhild, hält bei ihrem Bruder Gunther um ihre Hand an, muss mit Gunther nach Island, um ihn bei der Werbung um die Königin Brunhild zu unterstützen – Tarnkappe!.

1956.Sigfrido 6

In Worms findet die Doppelhochzeit statt, Gunther braucht erneut Siegfrieds Unterstützung in der Hochzeitsnacht, Siegfried lässt sich später von Kriemhild ein Schmuckstück Brunhilds entwenden, es kommt zum verbalen Zweikampf der Frauen vor dem Dom, Brunhild und Hagen beschließen Siegfrieds Tod, er wird von Hagen mit dem Speer ermordet. Kriemhild fordert in der Kirche mit dem aufgebahrten Siegfried die Totenprobe, bei der Hagen als Mörder erkannt wird. Brunhild bringt sich um, Hagen flieht in die Höhle mit dem Nibelungenschatz, die daraufhin einstürzt.

1956.Sigfrido 5

Der Film nimmt sich sehr viel Zeit für Landschaftsaufnahmen. Eine Liebesszene zwischen Siegfried und Kriemhild unter einem blühenden Baum wirkt wie ein Zitat aus dem Film von Fritz Lang. In der Musik dominiert Richard Wagner. Katharina Mayberg als Brunhild ist deutlich stärker als Ilaria Occhini als Kriemhild. Gefilmt im Scope-Format, sehr farbig. In die historische Sagengeschichte mischen sich Elemente des Fantasy-Films. Der Film entstand wohlgemerkt in Italien.

In der Nazi-Zeit, das sollte man vielleicht ausdrücklich betonen, gab es keine Verfilmung der Nibelungen.

Unsere Zeitreise führt uns schließlich in die Jahre 1922 bis 24, zu Fritz Lang. Der in Österreich geborene Regisseur war damals 32 Jahre alt, er hatte bereits neun Filme realisiert, darunter DER MÜDE TOD und den zweiteiligen DR. MABUSE, DER SPIELER. Er war mit der Autorin Thea von Harbou verheiratet, die das Drehbuch zum zweiteiligen NIBELUNGEN-Film verfasste. Er war als großes historisches Epos konzipiert, die Dreh­arbeiten dauerten über ein Jahr. In Deutschland herrschte Inflation, aber der Produzent Erich Pommer sorgte für die ökonomische Absicherung des Projekts. In der Original­fassung dauerte der Film am Ende rund fünf Stunden. In der inzwischen restaurierten Fassung der Murnau-Stiftung sind davon viereinhalb Stunden zu sehen: viragiert, im Stummfilmformat, mit der Originalmusik von Gottfried Hupperts.

In zweimal sieben Gesängen erzählt der Film die bekannte Geschichte, beginnend mit dem Aufbruch Siegfrieds aus Mimes Schmiede, endend mit dem Tod von Gunther, Hagen und Kriemhild. Nur König Etzel überlebt.

1923,Nibelungen.Siegfried

Die Darsteller der Hauptfiguren sind heute weitgehend vergessen: Paul Richter als Siegfried (Foto), Margarete Schön als Kriemhild, Hanna Ralph als Brunhild, Theodor Loos als König Gunther, Hans Adalbert Schlettow als Hagen von Tronje. Nur Rudolf Klein-Rogge als König Etzel ist uns in guter Erinnerung. Er hat den Dr. Mabuse gespielt. Aber alle Darsteller haben bei Fritz Lang eine große Präsenz.

1923,Nibelungen.Domtreppe

Es sind – neben den Hauptfiguren – vor allem die Schauplätze, die beeindrucken: Schlösser und Burgen, große Säle und kleine Kemenaten, Tore, Treppen und Brücken, Höhlen und Wälder. Eine große Rolle spielen Feuer und Wasser und der weite Himmel über dem Land.

In einem Text zum Programmheft hat Fritz Lang seine Sicht auf die unterschiedlichen Welten in den NIBELUNGEN so formuliert:

„Eine Hauptaufgabe musste meiner Empfindung nach sein, in den Nibelungen vier vollkommen in sich abgeschlossene, einander fast feindliche Welten, streng zu unterscheiden und jede in sich selbst zu einem Gipfel zu führen: die Welt von Worms, das hieß die Welt einer schon überfeinerten Kultur, in der jede Geste, jedes Gewand, jeder Gruß von einer fast müden, aber sehr adligen, zur Sitte gesteigerten Einfachheit war. Und dabei war es notwendig glaubhaft zu machen, dass in den fast kahlen, unsäglich ernsten Räumen Menschen lebten und ihr Schicksal erfüllten.

Die zweite Welt: die Welt des jungen Siegfried, der sich als Schmiedegeselle Mimes das Schwert, mit dem er den Drachen erschlägt, selber schafft, – der Dom des Waldes, die im Dämmer liegenden Wiesen, die verkrüppelten Bäume, in denen gespensterhaft-elfisch der Herr der Zwerge, Alberich, haust. Gleichsam die Welt des Unterirdischen, reich an Gold, an Spuk, an Geheimnissen des Steins.

Die dritte Welt: die Welt Brunhilds, Isenland, das Nordlicht, fremde, eisige Luft, in der die Menschen wie verglast aussehen. Blöcke erstarrter Lava, grau, schwarz, darüber die Ewigkeit eines im Nordlicht ruhelos zuckenden Himmels.

Die vierte Welt: die Welt der Hunnen und Etzels, des Herrn der Erde, dessen Schicksal sich an der unerbittlichen Liebe seines Weibes zu einem Toten, an der Rache für diesen ihn fremden Toten, erfüllt.

Es geht mir darum, das Schicksal dieser Menschen aus ihren Ursprüngen her zu erklären und notwendig erscheinen zu lassen, so dass alles, was geschieht, nach dem Gesetz einer unerbittlichen Folgerichtigkeit geschieht.“

In den 1960er Jahren hat Fritz Lang in einem Brief an die Filmhistorikerin Lotte Eisner noch einen anderen Blick auf die Nibelungen geworfen:

1923.Nibelungen.Paar unterm Baum

„Das Nibelungenlied ist kein Heldenlied des deutschen Volkes. Es ist ein Heldenlied der herrschenden Oberschicht. Wo ist vom Volk irgendwo die Rede?! Ich sah die Burgunden-Könige mit ihren prachtvollen Gewändern als eine bereits im Absteigen begriffene decadente Gesellschaftsklasse, die mit allen Mitteln ihre Zwecke erreichen will. Und diese decadenten Burgunden gehen dann zu Grunde, wenn sie zum ersten Mal mit einer neuen, sich erst bildenden, wilden Gesellschaftsschicht zusammenstoßen: den Hunnen.“

So grundsätzliche konzeptionelle Überlegungen sind von Harald Reinl und Uli Edel nicht bekannt.

Die zeitgenössischen Kritiken waren überwiegend positiv, auch der einflussreiche Kurt Pinthus lobte die Leistungen des Regisseurs, gab aber dem Stoff keine Zukunft. Ich zitiere:

„Der Nibelungenstoff als Abenteuer-, Mord-, Treue- und Rache-Geschehen wirkt roh und ist unserem Herzen fern und fremd. Erleichtert weiß man, dass für alle Zeit dieser Stoff für den Film erledigt ist. Es muss das banale Wort gesagt werden: die Zukunft des Films liegt in der Zukunft, nicht in der Vergangenheit. Es gilt, sich von Stoffen zu entfernen, die nicht nur zeitlich, sondern auch im Gefühlsinhalt der Vergangenheit angehören. Es gilt, Stoffe aus der Gegenwart und Zukunft zu destillieren, wie das am sichersten die Amerikaner tun. Nicht die historische Größe eines Stoffes, sondern die Erkenntnis seiner Filmhaftigkeit und dessen, was auf unsere Herzen und Nerven wirkt, erzeugt Qualitäts­leistung und Erfolg. Deshalb glaube ich, dass Fritz Langs Leistung im MÜDEN TOD und im MABUSE bedeutsamer für die Entwicklung des Films war als die sicherlich mit Energie und Kunstwillen stärkere Leistung des Nibelungenfilms.“ (Tage-Buch, 3. Mai 1924).

Da es sich bei Langs NIBELUNGEN um einen Stummfilm handelt, finden die Dialoge als Zwischentitel statt. Sie sind verhältnismäßig sparsam eingesetzt. Bevor es am Ende des sechsten Gesanges zur Jagd in den Odenwald geht, lässt sich Hagen von Kriemhild die verwundbare Stelle von Siegfried verraten. Da lauten die Titel: Hagen: „Wohl Dir, Kriem­hild, dass Du den Drachentöter, den unverwundbaren, zum Gatten hast!“ Kriemhild: „Wer bürgt mir dafür, dass ihn im Kampfgetümmel nicht durch unseligen Zufall ein Speerwurf trifft, wo das Lindenblatt ihn traf?“ Hagen fasst sie bei der Hand und flüstert ihr zu: „Doch, wenn ich ihn schützen soll, muss ich die Stelle kennen, da der Unverwundbare verwundbar ist!“ Kriemhild überlegt kurz und antwortet: „Ich selbst will Dir die Stelle mit einem Kreuzlein zeichnen!“ In der nächsten Szene sieht man ihre Hände, die die letzten Stiche an einem Kreuzchen nähen: zwischen den Schulterblättern eines Wamses. Nach einer Überblendung wählt Hagen in der Rüstkammer einen besonders starken und schönen Speer aus.

Bei Harald Reinl wird daraus eine lange Dialogszene, in der Hagen Kriemhilds Vertrauen gewinnt, seine physiognomischen Reaktionen jedoch dem Zuschauer klar machen, dass er anderes vorhat. Bei Uli Edel ist die ganze Szene ausgespart, weil hier Hagen, als er Siegfried ermordet, weiß, wo sich die verwundbare Stelle befindet und keine Markierung braucht.

Die drei ernstzunehmenden Nibelungen-Verfilmungen von Lang, Reinl und Edel unter­scheiden sich natürlich – auch wenn ihre Protagonisten und ihre Dramaturgie vergleich­bar sind – in der Akzentuierung, in der Inszenierung und, bezogen auf die Zuschauer, in der Empathie, die sie auslösen.

Auch wenn Fritz Lang die Kunstansprüche erfüllt, die man an einen Film haben kann, ist er am weitesten von den Sehgewohnheiten entfernt, die heute vorausgesetzt werden müssen. Er ist im besten Sinne historisch. Harald Reinls Interpretation liegt uns näher, versucht mit großem Einsatz der filmischen Mittel zu überwältigen, was ihr aber nur zum Teil gelingt. Uli Edels NIBELUNGEN sind natürlich die modernste Version, auch wenn man ihr mehr Power bei der Besetzung der Frauenrollen gewünscht hätte.

Wenn wir alle bisher realisierten sieben Filme aus den vergangenen neunzig Jahren kategorisieren, dann handelt es sch um einen Abenteuerfilm, eine Persiflage, eine Mini-Fernsehserie, einen Sexfilm, einen italienischen Kinofilm, einen zweiteiligen Kinofilm vorwiegend zur Unterhaltung und einen zweiteiligen Kinofilm mit Kunstanspruch. Dieses Spektrum ist relativ groß.

Bei einer Neuverfilmung würden sich mehrere Fragen stellen.

Erstens ob man einen historischen Film realisieren will oder – das wäre die Alternative – die Handlungs- und Figurenkonstellationen in die Gegenwart oder in die jüngere Vergan­genheit transferiert. Zweitens ob man eine mehrteilige TV-Serie ins Auge fasst oder einen kompakten Kinofilm. Drittens ob man an eine größere internationale Co-Produktion denkt oder im Rahmen der deutschen Möglichkeiten bleiben will. Viertens ob das potentielle Publikum in diesem Land überhaupt an einem Nibelungenfilm interessiert ist. Artur Brauner hat vor 50 Jahren dazu eine Meinungsumfrage veranstaltet. Fünftens ob es – wie vorgestern Abend auf der Bühne gezeigt – wirklich einen Produ­zenten gibt, dessen Lebenstraum eine Verfilmung der Nibelungen wäre.

Auf einige dieser Fragen wird es sicherlich in der Diskussion Antworten geben, die in einer guten Stunde hier beginnt. Und wir freuen uns jetzt auf Mario Adorf, der einige Erinnerungen aus seiner Filmarbeit und seinem Leben vorlesen wird.

Ich danke Ihnen für Ihr Interesse.

(17. Juli 2016. Vortrag im Heylshofpark, Worms)