Texte & Reden
06. August 2015

Egon Netenjakob zum 80. Geburtstag

Rede beim Geburtstagsfest in Köln

Lieber Egon,

auch wenn wir heute vor allem zu Deinem und unserem Vergnügen hier sind und Doris schon viel Interessantes über Dich gesagt hat – auf eine Würdigung Deiner publizistischen Arbeit kann nicht verzichtet werden. Denn sie war über viele Jahre eine wichtige Verbindung zwischen uns.

Bei drei Büchern haben wir eng zusammengearbeitet. Du hast sie geschrieben, ich habe sie ermöglicht. Da war zuerst das Buch über Klaus Wildenhahn, „Liebe zum Fernsehen“ – 1984. Dann kam das Buch über Wolfgang Staudte, 1991, und schließlich, für mich Deine wichtigste Publikation: „Es geht auch anders“, die Gespräche über Leben, Film und Fernsehen – 2006.

Du hast noch viele andere Bücher geschrieben oder herausgegeben, über „Das kleine Fernsehspiel“ und den „Tatort“ (beide zusammen mit Thomas Koebner), über Fernsehserien, über Eberhard Fechner, über Fernseh-Dramaturgen und natürlich das wunderbare TV-Filmlexikon, aber daran war ich nicht beteiligt. Und ich möchte hier vor allem über eine Nähe reden, die sich über unsere Publikationen hergestellt hat.

Egon interessiert sich für die Auswirkungen der Geschichte, speziell der deutschen Geschichte, auf Menschen, die seit fünfzig Jahren Filme oder Fernsehspiele machen, Dokumentarisch, aber auch fiktional. Wie verarbeiten sie ihre Erfahrungen in ihren künstlerischen Produktionen? In welcher Zeit sind sie geboren? Was haben sie erlebt? Lange Zeit waren die Romane in der Taubengasse nach den Geburtsjahren ihrer Autorinnen und Autoren geordnet, nicht, wie sonst üblich, alphabetisch nach ihren Namen. Das ergab zwischen ihnen ganz neue Verbindungen, die ich hoch interessant fand.

Egon hat so genannte „Sachbücher“ verfasst, keine Romane. Eigentlich ist das ein merkwürdiger Begriff, denn es geht bei ihm doch immer um reale Personen. Aber „Sachbuch“ ist nur eine Kategorie des Buchhandels und der Literaturkritik, die keinerlei Auskunft gibt über Inhalte. Egons Interesse an den Menschen, die in seinen Büchern im Mittelpunkt stehen, gilt vor allem ihrer Haltung. Um als Autoren, Regisseure, Redakteure oder Produzenten kreativ zu sein – und das betrifft natürlich Frauen wie Männer – sind Fantasie, Mut und Widerstandskraft notwendig. Woher kommen diese Kräfte? In welchem Umfeld entwickelt sich eine politische und ästhetische Haltung? Vor allem in Deutschland waren und sind die Einflüsse vielfältig und widersprüchlich.

Es hat mich immer beeindruckt, wie Egon Menschen befragt hat. Wie er es geschafft hat, dass die Antworten nicht im Ungefähren blieben, sondern in die genauere Erinnerung führten. Natürlich waren die Voraussetzung dafür Offenheit und Vertrauen. Egon hat sich für seine Gesprächspartner immer spürbar und persönlich interessiert, für ihr Leben, ihre Arbeit, ihre Denkweisen, ihre Erfahrungen. Er hat sich für jedes Buchprojekt Zeit genommen und umfassend recherchiert.

Er hatte – noch aus seiner Tätigkeit als Fernsehkritiker für die „Funk-Korrespondenz“ – intensive Programm-Erfahrungen. Und er hatte eine Meinung zu dem, was er dort sah. Dann hat er, 1970/71, als Redakteur der Zeitschrift „Fernsehen + Film“, seinem Freund Henning Rischbieter Hilfestellung geleistet. Velber bei Hannover und das Umfeld von „Theater heute“ waren der Schauplatz, leider war die Aktion nicht erfolgreich, als Programmzeitschrift „tv heute“ endete das Unternehmen ziemlich bald im Nichts.

In späteren Jahren schrieb Egon nicht mehr als Journalist, im Auftrag und mit dem Ziel schneller Verwertung, sondern freiberuflich, mit dem Blick auf größere Zusammenhänge, interessiert an Hintergründen und – immer wieder – an Prägungen durch die deutsche Geschichte. Viel Geld war natürlich mit solchen Büchern nicht zu machen, die Auflagen hielten sich in Grenzen. Ich vermute, dass vom TV-Filmlexikon als Fischer-Taschenbuch die meisten Exemplare verkauft wurden. Auf Bestseller-Listen hat man Dich nicht angetroffen, dieses Feld hast Du Deinem Sohn Moritz überlassen. Aber in der Fachwelt hattest Du einen klangvollen Namen. Das verhalf Dir 2003 zum Bert-Donepp-Preis für Medienpublizistik.

Mainstream und Stromlinienförmigkeit sind Dir eher fremd. Nicht Englisch und Französisch sind Deine Lieblingsfremdsprachen, sondern Portugiesisch und Dänisch. Und weil Du gern Brücken zwischen den Menschen baust, hast Du in den letzten Jahrzehnten auch viel übersetzt. Das ist eine Tätigkeit, die ich sehr bewundere. Weil sie in der Regel im Hintergrund geschieht. Ohne Autoreneitelkeit, fast anonym. Aber sie ist mit großer Verantwortung verbunden. Und auch sie erfordert eine Haltung. Davor, lieber Egon, habe ich immer großen Respekt.

Drei Tage in diesem August 2015 sind für mich mit 80. Geburtstagen verbunden. Gestern hat mein Freund Michael Ballhaus diese Lebensstation erreicht. Morgen ist mein Kollege Wolfgang Klaue, der 30 Jahre das Staatliche Filmarchiv der DDR geleitet hat, an der Reihe. Heute feiern wir Dich! Ich soll Dich im Übrigen herzlich von Manfred Delling grüßen. Er ist gestern 88 Jahre alt geworden. Das wäre doch, von heute aus gesehen, erstmal ein schönes Ziel für Dich.

August 2015, Köln, „Wolkenburg“.