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23. Juni 2015

Unzuverlässiges Erzählen

2015.Unzuverlässig kleinWenn die Handlung eines Films die traditionellen narrativen Gleise verlässt und den Zuschauer damit verunsichert, spricht man von „unzuverlässigem Erzählen“. Dies hat vor allem in Amerika, aber auch in Europa eine lange Tradition. Bernd Leiendecker hat in seiner Dissertation (Universität Bochum) einen Korpus von 200 Filmen aus dem 20. Jahrhundert untersucht und elf Kategorien gebildet: 1. Die retroaktive Traummarkierung (Beispiel: THE WOMAN IN THE WINDOW von Fritz Lang). 2. Der vorgetäuschte Tod (Beispiel: VERTIGO von Alfred Hitchcock). 3. Die retroaktive Markierung von Halluzinationen, Visionen und Tagträumen (REPULSION von Roman Polanski). 4. Die retroaktiv markierte intradiegetische Fiktion (DIE FEUERZANGENBOWLE von Helmut Weiss). 5. Die unzuverlässige Rückblende (DAS CABINET DES DR. CALIGARI von Robert Wiene). 6. Der unbewusste Tod (THE SIXTH SENSE von M. Night Shyamaian). 7. Imaginäre Freunde und gespaltene Persönlichkeiten PSYCHO von Alfred Hitchcock). 8. Die retroaktiv markierte Virtuelle Realität (WELT AM DRAHT von Rainer Werner Fassbinder). 9. Die irreführende Voice-Over-Rahmung (TO BE OR NOT TO BE von Ernst Lubitsch). 10. Zuweisung einer Opferrolle durch unvollständige Exposition (BEYOND A RESONABLE DOUBT von Fritz Lang). 11. Die metaleptische Annullierung (FUNNY GANES von Michael Haneke). Sechs Einzelfilme ließen sich keiner dieser Kategorien zuordnen (darunter sind MILDRED PIERCE von Curtis Bernhardt, IMAGES von Robert Altman und THE SILENCE OF THE LAMBS von Jonathan Demme). Die genannten Filmtitel habe ich als signifikante Beispiele aus dem von Leiendecker zusammengestellten Korpus ausgewählt. Er hat für seine Analysen natürlich die 200 Filme gesichtet. Eine interessante filmhistorische Untersuchung. Mehr zum Buch: what-they-want-to-see.html