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30. November 2014

DEKALOG von Krzysztof Kieślowski

Bild 1Als bekennender Christ ist der polnische Filmemacher Krzysztof Kieślowski (1941-1996) nicht in Erscheinung getreten, aber als eines seiner Hauptwerke gilt die „Verfilmung“ der Zehn Gebote. Unter dem Titel DEKALOG hat er sie in den Jahren 1987/88 als Fernsehzyklus realisiert, mit finanzieller Unterstützung des damaligen SFB. Gesendet wurden die zehn jeweils knapp 60 Minuten langen Filme in den Dritten Programmen der ARD. Jetzt sind sie bei Absolut Medien als DVD-Box erschienen. Natürlich handelt es sich nicht um eine „Verfilmung“ der Zehn Gebote. Sie dienen dem Regisseur als Versuchsanordnung, als Ausgangspunkt für zehn extreme Schicksalsgeschichten. Schauplatz aller Episoden ist eine Hochhaussiedlung in Warschau, jede Geschichte beginnt in einer Wohnung und endet dort auch. Die Schauplätze zwischendurch sind weit verstreut: ein Bahnhof, ein Krankenhaus, ein Flughafen, ein zugefrorener See, ein Ort in den Bergen, eine Brücke, ein Gerichtssaal. Zehn Geschichten, zum Teil sehr pessimistisch im Grundton. Der Wissenschaftler Krzystof verliert seinen Sohn, weil er die Stärke des Eises falsch berechnet hat, auf dem der Junge seine neuen Schlittschuhe ausprobieren will. Krzystof hat dem Computer mehr geglaubt als dem lieben Gott. – Die Violinistin Dorota ist schwanger von ihrem Geliebten, ihr Ehemann Andrzej ist krebskrank. Sie will das Kind abtreiben lassen, wenn Andrzej überlebt. Der Chefarzt diagnostiziert den Tod des Mannes, sie treibt nicht ab, der Mann überlebt. – Der Taxifahrer Janusz feiert mit seiner Familie den Heiligen Abend. Das Fest wird gestört, als seine ehemalige Geliebte Eva ihn bittet, ihr bei der Suche nach ihrem verschwundenen Mann zu helfen. In Wahrheit will Eva Janusz zurückgewinnen. Der kehrt aber zu seiner Familie zurück. – Die Schauspielschülerin Anka konfrontiert ihren Vater mit einem geheimnisvollen Brief ihrer verstorbenen Mutter. Darin steht, dass er nicht ihr leiblicher Vater sei. Die nächtliche Aussprache ist dramatisch. Am Morgen gesteht Anka, dass sie den Brief gefälscht habe. – Der Jurist Piotr muss in seinem ersten Prozess den Mörder Jacek pflichtverteidigen. Er erkennt in einem letzten Gespräch die unheilvollen Verstrickungen des Angeklagten. Der wird zum Tode verurteilt. Die Vollstreckung ist grausam. – Der junge Postangestellte Tomek beobachtet durchs Fernrohr die attraktive Nachbarin Magda, verliebt sich in sie und wird von ihr, die keine Liebe, sondern nur sexuelle Lust kennt, in den Suicid getrieben. Tomek überlebt, aber er hat für Magda nur noch Verachtung übrig. – Die 21jährige Maika hat mit 16 ein Kind geboren, das von Maikas Mutter als Kind einer anderen Frau angemeldet wurde. Sie will ihr Kind zurück, entführt es, leistet aber am Ende Verzicht. – Die Ethikprofessorin Zofia arbeitet mit der jüdischen Wissenschaftlerin Elzbieta aus den USA zusammen und erfährt, dass sie sich 1943 geweigert hat, die damals sechsjährige Elzbieta vor den Nazis zu verstecken. Die Aussprache wird schwierig. – Der Chirurg Roman erfährt, dass er impotent sein wird. Er findet einen Lebenskompromiss mit seiner Frau Hanka, der jedoch durch deren Beziehung zu einem Physikstudenten in Gefahr gerät. Roman unternimmt einen Selbstmordversuch. – Der Streit um die Erbschaft einer wertvollen Briefmarkensammlung vereint die beiden Brüder Jerzy und Artur, entzweit sie aber endgültig, als die Sammlung gestohlen wird und Jerzy und Artur sich gegenseitig verdächtigen. – Die Episoden wurden von unterschiedlichen Kameraleuten aufgenommen. Aus zwei Episoden wurden lange Spielflme entwickelt (EIN KURZER FILM ÜBER DAS TÖTEN / EIN KURZER FILM ÜBER DIE LIEBE). Das Booklet zur DVD-Box wurde redaktionell von Rainer Niehoff betreut. Zur DVD-Box gehört der Dokumentarfilm STILL ALIVE von Freunden und Mitarbeitern Kieslowśkis und ein 40-Minuten-Fernsehgespräch aus dem Jahr 1989. Mehr zur DVD-Box: Dekalog++%286+DVD%29

Das Buch über Kieślowski

2014.KieslowskiEs gibt mehrere Bücher über den polnischen Regisseur, das beste stammt von Margarete Wach. Es war die Dissertation der Autorin an der Gutenberg-Universität in Mainz, erschien 2001 in einer Zusammenarbeit des Kölner KIM Verlages mit dem Marburger Schüren Verlag in der „Edition film-dienst“ und liegt jetzt in einer zweiten, überarbeiteten Auflage vor. Die Autorin hat ihre Monografie um über hundert Seiten erweitert, der neue Untertitel „Zufall und Notwendigkeit“ verweist auf Bezüge zum episodischen Erzählkino, wie es in den letzten Jahrzehnten von Tom Tykwer, Jean-Pierre Jeunet oder Paul Thomas Anderson entwickelt wurde. In der Terminologie der Autorin heißt das: „So sind Zufallskombinationen und Zwangslagen für Kieslowśkis Poetik eines narrativen Netzwerks der offenen Lebenswege wie für sein ethisches Paradoxon einer indeterminierten Determiniertheit konstituierend.“ Hinzugekommen sind neue Erkenntnisse zur Farbästhetik, zur Rolle der Fotografie, zu den Analogien mit Filmen von Robert Altman und Michael Haneke. Auch die Wiederentdeckung von Kieslowśkis frühem Film Zdjęcie / DAS FOTO (1968) hat den Interpretationshorizont vergrößert. Schier atemberaubend ist der Umgang mit Fotos, mit Standfotos, Screenshots und Sequenzen-Stills, die den Analysen eine zusätzliche Beweiskraft geben. Das Buch ist Pflichtlektüre für Anhänger des Autorenkinos. Coverfoto: Kieslowśki auf dem Set von DREI FARBEN: WEISS. Mehr zum Buch: 172–krzysztof-kieslowski.html