Texte & Reden
30. April 2007

ZWISCHEN GESTERN UND MORGEN (1947)

Text für das Buch „Fredy Bockbein trifft Mister Dynamit“

 

Ein Nachkriegsfilm von Harald Braun

München 1947. Der Zeichner und Karikaturist Michael Rott kehrt aus dem Schweizer Exil in seine zerstörte Heimat zurück. Er war 1938 über Nacht vor den Nazis geflohen; mit einer Hitler-Karikatur hatte er sich in Gefahr gebracht. Neun Jahre später hofft er, seine einstmals große Liebe, die Studentin Annette Rodenwald, wiederzufinden. Doch Annette hat inzwischen einen anderen geheiratet: den Hotelbesitzer Rolf Ebeling, mit dem sie eine harmonische Ehe führt. Der Emigrant Rott wird von den einstigen Freunden, soweit sie noch am Leben sind, nicht herzlich willkommen geheißen. Sie werfen ihm vor, sich selbstsüchtig in Sicherheit gebracht und – das ist die dramaturgische Klammer des Films – damals ein wertvolles Schmückstück gestohlen zu haben.

Das Schmuckstück gehörte der jüdischen Schauspielerin Nelly Dreyfuss, die im März 1938 überraschend im Hotel Regina erscheint, einem für sie inzwischen verbotenen Ort. Sie will ihren Mann, den Schauspieler Alexander Corty, wiedersehen, auf den sie vor drei Jahren aus rassischen Gründen verzichtet hatte. Die beiden erleben einen letzten romantischen Abend. An diesem Abend erfüllt sich auch die Liebe zwischen Michael und Annette. Im Labyrinth des Hotels kreuzen sich die Wege der zwei Paare, die wertvolle Kette wechselt mehrfach den Treuhändler, und in der Nacht springt Nelly Dreyfuss, verfolgt von Nazi-Häschern, aus dem vierten Stock in den Tod. Michael Rott gelingt die Flucht. Die Ereignisse des 22. März 1938 werden in zwei Rückblenden erzählt: aus der Sicht von Michael Rott und aus der Perspektive des Hoteliers Rolf Ebeling. Für den Verbleib des Schmucks liefern sie keine Erklärung.

Hierfür übernimmt eine weitere Person die Verantwortung: Katharina, genannt Kat, ein erwachsen gewordenes Waisenmädchen aus Stettin, das mit ihrem kleinen Bruder im Münchner Hotel Unterschlupf gefunden hat. Die dritte Rückblende führt uns in das Jahr 1944, kurz vor einem Bombenangriff. Alexander Corty gibt den Schmuck zur sicheren Verwahrung an Kat, die im Hotel als Bedienung aushilft. Corty bleibt im Hotelfoyer sitzen und wird von einstürzenden Mauern erschlagen. Kat ist zu Beginn des Films die einzige Person, die sich Michael gegenüber freundlich verhält. Sie sorgt schließlich auch für ein Happyend, als sie die vermisste Kette herbeischafft und Michael von jedem Verdacht befreit.

Zwischen gestern und morgen ist ein Zeitfilm des Jahres 1947. Er zeigt die Spuren der Vergangenheit: Schuld, Verstrickung, Verrat, Flucht, Tod, Resignation, Fatalismus, Überlebenswillen. Peter Pleyer (Deutscher Nachkriegsfilm 1946-1948, Münster 1965) nennt ihn einen „unterhaltsamen Gesellschaftsfilm“, wie er als Genre schon in den dreißiger Jahren erfolgreich war.

Menschen im Hotel: ein desorientierter Schauspieler, eine ausgegrenzte Schauspielerin, ein leichtfertiger Künstler, eine naive Studentin, ein konzilianter Hotelier, ein hoffnungsvolles Mädchen. Zwei sterben und verkörpern das „Gestern“, vier überleben und stehen für das „Morgen“. Die Darsteller sind Willy Birgel (der Schauspieler), Sybille Schmitz (die Schauspielerin), Viktor de Kowa (der Künstler), Winnie Markus (die Studentin), Viktor Staal (der Hotelier), Hildegard Knef (das Mädchen).

Birgel (1891-1973) spielt sich als Alexander Corty quasi selbst; kultiviert, auf Frauen fixiert, eitel, verletzbar. Mit Zarah Leander bildete er in den späten Dreißigern ein Traumpaar des deutschen Films. Er hatte auch keine Scheu vor patriotischen Stoffen: Verräter (1936), Feinde (1940), Kameraden (1941). 1941 ritt er für Deutschland. Und 1954 war er der Rittmeister Wronski. Er kann an der Seite von Sybille Schmitz bestehen.

Schmitz (1909-1955) ist als Nelly Dreyfuss ein Zentrum des Films. Sie spielt eine Figur, die sich äußerlich souverän gibt, aber innerlich verzweifelt. Mit ihrer dunklen Stimme, ihrem Blick, ihrem verschatteten Gesicht und ihrer „Aura von Verlorenheit und rätselhafter Fremdheit“ (CineGraph) gibt sie dem Film eine individuelle Tiefe. 1982 setzte ihr Rainer Werner Fassbinder ein filmisches Denkmal: Die Sehnsucht der Veronika Voss.

De Kowa (1904-1973) ist vor allem in der Zeitebene 1938 in seinem Element: ein Charmeur, ein „Luftikus“, ein Künstler. Das waren auch seine Rollen in den Filmen der späten Dreißiger und frühen Vierziger. Als heimgekehrter Emigrant gibt er sich zu naiv: als habe er neun Jahre auf einer einsamen Insel gewohnt und nie etwas vom Terror der Nazis gehört. Nur in wenigen Filmen der fünfziger Jahre (zum Beispiel in Des Teufels General von Helmut Käutner) ist de Kowa mehr als ein charmanter Plauderer.

Markus (1921-2002) war ein Prototyp des deutschen Films der vierziger und fünfziger Jahre: „Blond, edel und apart, mit kultivierter Noblesse und klassischem Profil, gestaltete sie ihre Rollen auf der Grundlage einer eleganten Melange aus warmherziger Gefühligkeit und damenhafter Erotik. Sie war geschmackvoll und gepflegt, mondän und melodramatisch, leidensbereit und lebensstark.“ (Rainer Heinz, Film-Dienst 7/2002). Als Studentin und spätere Ehefrau ist sie in diesem Film vor allem leidensbereit und lebensstark.

Staal (1909-1982) war als großer Blonder ideal für die zuverlässigen, wortkargen, sympathischen Mannsbilder der späten Dreißiger und frühen Vierziger: Zu neuen Ufern, Capriccio, Die große Liebe. Joe Hembus macht dem Schauspieler einen Generalvorwurf: „Die Helden des Nazi-Films präsentierten sich in ihren neuen Rollen als Verfolgte des Nazi-Regimes: ein erschreckendes Beispiel für die durch Opportunismus bewirkte Kontinuität des deutschen Filmschaffens.“ (Klassiker des Deutschen Tonfilms 1930-1960, München 1980).

Knef (1925-2002) war 22, als der Film entstand. Sie ist die einzige, die jung, hoffnungsvoll und zukunftsorientiert erscheint. Sie spielt ein bisschen zu aufgedreht, zu forciert. So als wollte sie sich nicht auf irgendetwas beziehen, was die anderen Schauspieler verbindet: eine berufliche Vergangenheit, eine gemeinsame Erfahrung in der Nazi-Zeit.

Und dann gibt es die Supporting Actors in Rollen, die als Typologien der Zeit verstanden werden sollen: Der Kunsthistoriker von Walther, der vom freundlichen Professor zum Menschenverächter wird. Erich Ponto (1884-1957) hat dafür alle Zwischentöne der Verschrobenheit und der tiefen Verletzung zur Verfügung. Der kaltschnäuzige Ministerialdirektor Trunk als Vertreter des Nazi-Regimes. Otto Wernicke (1893-1965), Langs Kommissar Lohmann, gibt sich in der Rolle jovial, hinterhältig und gefährlich. Eine Charakterstudie. Gerti, die Gelegenheitsgeliebte von Alexander Corty. Carsta Löck (1902-1993) spielt sie als naives Mädchen und ist dabei hübscher, als man sie in Erinnerung hat. Der Theaterintendant Kesser, ein opportunistischer Nazi-Mitläufer, der Corty aus dem Karrieretritt bringt. Ein großer Auftritt des Schriftstellers Walter Kiaulehn (1900-1968). Wenn man genau hinschaut, entdeckt man Rudolf Vogel (1900-1967) als Barkeeper und Werner Peters (1918-1971) in seiner ersten Rolle, als Zyniker in der Hotelbar. Alle Schauspieler sind von der Regie solide geführt.

Der Regisseur: Harald Braun (1901-1960), Sohn eines Pfarrers, promovierter Germanist, kam 1937 über den Regisseur Carl Froelich zur Ufa. Sein Regiedebüt hatte den Titel Zwischen Himmel und Erde (1941/42). Zwischen gestern und morgen war sein erster Nachkriegsfilm. Zwei Jahre später drehte er seinen erfolgreichsten Film: Nachtwache, ein „ökumenischer Heimatfilm“ (Joe Hembus), neun Millionen Zuschauer. In den fünfziger Jahren folgten Der fallende Stern, Herz der Welt, Solange Du da bist, Königliche Hoheit, Der letzte Sommer, Der letzte Mann (ein Murnau-Remake mit Hans Albers und Romy Schneider), Herrscher ohne Krone, Der gläserne Turm. Braun war die Inkarnation des westdeutschen Films der Fünfziger: ein Moralist, ein Ethiker, ein Konventionalist, gläubig, nobel, gediegen. In den Geschichten, in den Botschaften, in den Bildern gibt es bei ihm keine Zuspitzungen, nur Balancen.

Der Kameramann: Günther Anders (1908-1977) ist ein Profi mit Erfahrung seit den zwanziger Jahren. Seine Bilder haben Atmosphäre und einen Hauch von Realität: das zerbombte München zu Beginn, das Hotel einstmals und heute. Der Architekt: Robert Herlth (1893-1962) war zusammen mit Walter Röhrig der kreativste deutsche Setdesigner in den zwanziger (Murnau) und dreißiger Jahren (Schünzel, Ucicky). Die Räume in Zwischen gestern und morgen, vor allem das Hotel, sind funktional für die erzählte Geschichte: Bar, Rezeption, Foyer, Treppe, Zimmer. Bühne für die Protagonisten einer spannenden Story.

„Zwischen Gestern und Morgen“ hieß die Ausstellung des Deutschen Filmmuseums über den westdeutschen Nachkriegsfilm 1946 bis 1962. Im Katalog ist eine sehr differenzierte Filmkritik des „Westdeutschen Tageblatts“ über den Film Zwischen gestern und morgen nachgedruckt. Autor: WTS. Er vergleicht Brauns Film – und das liegt nahe – mit Käutners zeitgleich entstandenen In jenen Tagen. Er kritisiert Drehbuch und Dramaturgie des Films von Braun. Aber er resümiert: „Dennoch bleibt keine gleichgültige Erinnerung zurück. Der Pendelschlag zwischen gestern und heute, die atmosphärische Dichte des Kriegsalltags der Heimat, das dunkle Näherrollen des Verhängnisses machen uns frösteln, und die Spiegelung des Totentanzes in den Gesichtern der Darsteller hat Ergreifendes.“

Pendelschlag. Verhängnis. Totentanz. Die Sprachbilder der Jahre 46-48 finden sich auch in den Titeln der Filme von damals: In jenen Tagen, Und über uns der Himmel, Film ohne Titel, Und finden dereinst wir uns wieder, Morgen ist alles besser, Lang ist der Weg, Vor uns liegt das Leben, Zwischen gestern und morgen. Nur einer zielte mit seinem Titel ins Zentrum: Die Mörder sind unter uns.

Zwischen gestern und morgen wurde 1947 gedreht und uraufgeführt. Das war das Geburtsjahr von Harry Baer, Jenny Gröllmann, Henry Hübchen, Hans-Christoph Blumenberg, Helke Misselwitz, Hanns Zischler und Hans-Michael Bock.

(In „CineGraph“ gibt es bisher Eintragungen zu folgenden Personen, die an Harald Brauns Film beteiligt waren: Günther Anders, Willy Birgel, Harald Braun, Robert Herlth, Hildegard Knef, Viktor de Kowa, Carsta Löck, Werner Peters, Erich Ponto, Sybille Schmitz, Viktor Staat, Rudolf Vogel, Otto Wernicke. Es fehlt Winnie Markus.)

Text in: Fredy Bockbein trifft Mister Dynamit. Filme auf den zweiten Blick. Hg. von Christoph Fuchs und Michael Töteberg. München: edition text + kritik 2002. Festschrift für Hans-Michael Bock zum 60. Geburtstag