Texte & Reden
22. Juli 2001

Das Jahr 1941. Eine Filmchronik

Beitrag für die Festschrift zum 60. Geburtstag von Thomas Koebner

»Hinter der Bescheidenheit des sorgfältigen und kundigen Chronisten verbirgt sich ein gedankenreicher und feinfühliger Geschichts-schreiber.« (Thomas Koebner, Rezension des Buches ›Chronik des deutschen Films 1895-1994‹, Kölner Stadt-Anzeiger, Ostern 1996). Dem zugeneigten Rezensenten und vorbildhaften Filmwissenschaftler sei hiermit ein Remake der Chronik auf internationaler Basis speziell für sein Geburtsjahr offeriert.

Ereignisse

14./15. Februar. ›Der Krieg als Erzieher‹. Berlin. Die erste Tagung der Reichsfilmkammer seit März 1939 steht ganz unter Kriegseindruck. Sie soll den Filmschaffenden Orientierung geben. Minister Goebbels referiert mit dem Tenor ›Der Krieg als großer Erzieher‹. Er fordert, »die ›Literatur‹ aus den Filmen zu verbannen und zu elementaren Konfliktstellungen zu kommen, die mit den natürlichen Sinnen, den Augen und Ohren, ohne komplizierte Denkprozesse aufgenommen, das heißt unmittelbar erlebt werden können.« (Film-Kurier, 17.2.)

27. Februar. ›Oscar‹-Verleihung‹. Los Angeles. Die 13. ›Oscar‹-Verleihung findet im Biltmore-Hotel statt. Präsident Roosevelt schickt aus Washington eine Grußbotschaft. Bob Hope moderiert die Veranstaltung. Zehn Titel sind als ›Bester Film‹ nominiert, der Sieger heißt rebecca von Alfred Hitchcock. Bester Regisseur wird John Ford, der aber nicht anwesend ist, für the grapes of wrath. James Stewart gewinnt als Hauptdarsteller in philadelphia story, Ginger Rogers als Hauptdarstellerin in kitty foyle. Chaplins the great dictator (fünf Nominierungen) geht leer aus.

15. März. Staatspreis für Eisenstein. Moskau. Durch ein Dekret des Rates der Volkskommissare der UdSSR erhält Sergej Eisenstein für die Regie von aleksandr nevskij den ›Großen Staatspreis Ersten Grades‹. Eisenstein ist seit Herbst 1940 Künstlerischer Direktor von ›Mosfilm‹. Er arbeitet inzwischen am Szenarium zu ivan groznyj. Im Oktober verlagert er angesichts der unmittelbaren Bedrohung durch die deutsche Armee sein Wirkungsfeld von Moskau nach Alma-Ata.

4. April. ›Film der Nation‹. Berlin. Politisch besonders wichtige deutsche Filme erhalten künftig als höchste Anerkennung das Prädikat ›Film der Nation‹. Bis Kriegsende werden damit fünf Filme ausgezeichnet: ohm krüger, heimkehr, der grosse könig, die entlassung und kolberg. Den ›Gestaltern‹ wird die ehrende Auszeichnung, ein ›Filmring‹, von Minister Goebbels jeweils persönlich übergeben.

22. Juni. Überfall. Hitler beginnt mit einem Überraschungsangriff (›Fall Barbarossa‹) den Krieg gegen die Sowjetunion. Er bricht damit den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt von 1939. Der Russlandfeldzug ist als ›Blitzkrieg‹ geplant, der aber nach ersten Erfolgen scheitert.

1. August. Angriff auf Hollywood. Washington. Im amerikanischen Senat wird die Haltung der einheimischen Filmindustrie im Blick auf die Neutralität der Vereinigten Staaten im europäischen Krieg thematisiert. Die republikanischen Senatoren Gerald P. Nye (North Dakota) und Bennett Champ Clark (Missouri) bringen eine Resolution ein, in der sie die Spielfilmstudios (speziell: Warner Bros. und MGM) der Kriegshetze beschuldigen. Sie fordern eine staatliche Untersuchung.

2. August. Kriegsfilmmagazine. Moskau. Mit schnell produzierbaren Propagandafilmen reagieren die drei sowjetischen Filmstudios Mosfilm, Lenfilm und Sojusdetfilm auf den Krieg. Von Juli bis Dezember werden sieben ›Kriegsfilmmagazine‹ hergestellt. Das erste mit dem Titel pobeda sa nami / der sieg ist unser wird am 2. August in Moskau uraufgeführt. »Die Kriegsfilmmagazine knüpften an die Traditionen der ehemaligen Agitfilme an. Sie waren scharf, zornig, rauh in ihrer Form, aber zugleich voller Emphase und Pathos.« (Jerzy Toeplitz, Geschichte des Films 4, 1983)

August. Gleichschaltung in Japan. Tokio. In Japan wird – nach deutschem Vorbild – die Filmindustrie unter staatlicher Kontrolle gleichgeschaltet. Nur drei Produktionsfirmen – Toho, Shochiku und Daiei – bleiben bestehen. 1941 werden insgesamt 232 Filme produziert, 1942 nur noch 87. »Die meisten Regisseure dienten dem japanischen Imperialismus. Nach Pearl Harbour war die Filmindustrie direkt verpflichtet worden, Kriegsanstrengungen zu unterstützen. Das Gesetz von 1939 und die zwei Jahre später diktierte Konzentrationsbewegung begünstigten vorrangig (von Militärs überwachte) Kriegsfilme.« (Günter Peter Straschek, Handbuch wider das Kino, 1975)

30. August – 14. September. Filmkunstschau. Venedig. Zum 9. Mal findet die ›Internationale Filmkunstschau‹ statt. Elf Länder nehmen noch daran teil, darunter die Schweiz und Argentinien. Deutschland ist mit sieben Spielfilmen im Wettbewerb vertreten. Die Stimmung ist durch die Kriegssituation in Europa gedämpft. Die Erfolge der gezeigten Filme werden dennoch emphatisch beschrieben. »Durch neun preisgekrönte Filme hat die deutsche Filmproduktion ihre beispiellose Leistungsfähigkeit vor einem internationalen Forum überzeugend unter Beweis gestellt.« (Film-Kurier, 16.9.1941) Preise gehen u.a. an ohm krüger, heimkehr, ich klage an und Luise Ullrich (annelie) als beste Darstellerin.

2. September. Berlin-Film GmbH. Berlin. Im Juni hatte die Reichsfilmkammer verfügt, dass alle privaten Filmhersteller eine Neuzulassung beantragen mussten. Die Bedingungen waren dafür so erschwert worden, dass – außer Willi Forst, Carl Froelich und Leni Riefenstahl – kein privater Produzent wieder zugelassen wurde. Für die anderen Firmen wird die ›Berlin-Film GmbH‹ als Auffanggesellschaft gegründet. Sie hat ihren Sitz in Potsdam.

9. bis 26. September. Untersuchungsausschuss. Washington. Ein Komitee des Senats zur Untersuchung von Kriegspropaganda in Hollywood-Spielfilmen nimmt die Arbeit auf. Kritisiert werden insbesondere die Filme confessions of a nazi spy, the great dictator, dive bomber, flight command, that hamilton woman, escape, underground und sergeant york. Die Anhörungen führen zu peinlichen Auftritten der konservativen Hollywoodgegner, die zum Teil mit antisemitischen Untertönen argumentieren. Das Komitee vertagt sich am 26. September und nimmt nach dem Kriegseintritt der USA die Arbeit nicht wieder auf.

Dezember. Rank dominiert. London. Der britische Filmproduzent und Verleiher J. Arthur Rank übernimmt die Odeon Cinema Holdings und besitzt damit neben den wichtigsten Studios über 600 Kinos auf der Insel. »Großbritanniens Filmindustrie richtete sich schnell und wirkungsvoll auf die Kriegslage ein. Anfangs blieben Lichtspielhäuser geschlossen, bald jedoch wurde der Kinobesuch ein nicht unwichtiges Moment in der Psychologie des nationalen Widerstandes. (…) Während des Krieges wurden jährlich 50-60 Spielfilme hergestellt; aus naheliegenden Gründen mußte die Studiozahl vermindert werden. Zu diesem Zeitpunkt näherte sich die Rank Organisation der Macht des Monopols.« (Günter Peter Straschek, Handbuch wider das Kino, 1975)

4. Dezember. Bert Brecht / Fritz Lang. Eintragung im ›Arbeitsjournal‹ von Bertolt Brecht, zur Zeit wohnhaft in Los Angeles: „gab fritz lang einen glücksgott mit epigramm: / ich bin der glücksgott, sammelnd um mich ketzer / auf glück bedacht in diesem jammertal. / bin agitator, schmutzaufwirbler, hetzer / und hiermit – macht die tür zu – illegal.“ Brecht und Lang arbeiten 1942 an dem Film hangmen also die. Von dieser reibungsvollen Zusammenarbeit berichtet das Heft 223 der Filmkritik (1975). Der Glücksgott mit Epigramm ist im Filmmuseum Berlin ausgestellt (Raum 10: Filmexil).

7. Dezember. Pearl Harbour. Mit einem Überraschungsangriff auf den Hauptstützpunkt der amerikanischen Pazifikflotte in Pearl Harbour beginnt Japan den Krieg gegen die USA. Damit ist die Neutralität Amerikas auch im europäischen Krieg beendet. Die Kriegserklärungen Deutschlands und Italiens am 11. Dezember ziehen die USA in einen Zweiozeankrieg, der erst mit dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 ein grausames Ende findet.

Deutsche Filme des Jahres

31. Januar. sieg im westen. Dokumentarfilm von Svend Noldan, Fritz Brunsch. Musik: Hans Horst Sieber, Herbert Windt. – Abendfüllende Wochenschau-Montage in zwei Teilen: ›Der Entscheidung entgegen‹ (historische Rechtfertigung des Krieges), ›Der Feldzug‹ (die Ereignisse an der Front). Der Vormarsch der deutschen Truppen scheint unaufhaltsam. Am Ende erklingt ›Die Wacht am Rhein‹. Zur Premiere im ›Ufa-Palast am Zoo‹ stellt sich viel Staats-, Partei- und Militärprominenz ein.

4. April. ohm krüger. Regie: Hans Steinhoff. Buch: Harald Bratt, Kurt Heuser. Kamera: Fritz Arno Wagner, Friedl Behn-Grund. Musik: Theo Mackeben. – ›Ein Emil Jannings-Film der Tobis‹. Jannings spielt den burischen Freiheitskämpfer, der von den Engländern in die Knie gezwungen wird. Seine Gegner sind Ferdinand Marian als Cecil Rhodes und Gustaf Gründgens als Chamberlain. ›Film der Nation‹, ›staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll‹. Geschürt wird die Stimmung gegen ›Engelland‹.

11. April. reitet für deutschland. Regie: Arthur Maria Rabenalt. Buch: Fritz Reck-Malleczewen, Richard Riedel, J. M. Frank. Kamera: Werner Krien. Musik: Alois Melichar. Mit Willy Birgel. – Patriotisches Drama. 1918 schwer verwundet, erringt ein geadelter Turnierreiter nach dem Krieg mit Stolz und Willenskraft den Sieg beim Internationalen Reitturnier in Genf. »Ein Dokument männlicher Einsatzbereitschaft, ein Zeugnis des Glaubens an eine Sache, für die es zu leben, zu arbeiten, zu kämpfen lohnt.« (Filmwoche). ›Staatspolitisch wertvoll‹.

24. April. auf wiedersehen, franziska. Regie: Helmut Käutner. Buch: Käutner, Curt J. Braun. Kamera: Jan Roth. Musik: Michael Jary. Mit Marianne Hoppe, Hans Söhnker. – Liebesgeschichte zwischen einem Wochenschau-Kameramann und seiner Frau vor dem Kriegshintergrund. »Die Sequenzen sind so gebaut, daß Hoppe alle zwanzig Minuten einen Abschied von Söhnker durchzustehen hat. Das Muster habitualisiert die Zuschauerinnen, deren Realität die permanente Trennung von ihren (kriegsführenden) Männern ist.« (Karsten Witte, Helmut Käutner, 1992). ›Künstlerisch wertvoll‹.

27. Juni. stukas. Regie:  Karl Ritter. Buch: Felix Lützkendorf, Ritter. Kamera: Heinz Ritter, Walter Meyer. Musik: Herbert Windt. Mit Carl Raddatz, O. E. Hasse, Karl John. – Kriegsfilm. Ein Loblied auf die Sturzkampfbomber. Wenn sie auf ihr Ziel zusteuern, singen die Flieger: »Wir stürzen vom Himmel und schlagen zu. Wir fürchten die Hölle nicht und geben nicht Ruh, bis endlich der Feind am Boden liegt, bis England, bis England, bis England besiegt.« In den Kampfpausen wird Hölderlin zitiert und Chopin gespielt. ›Staatspolitisch und künstlerisch wertvoll‹.

29. August. ich klage an. Regie: Wolfgang Liebeneiner. Buch: Eberhard Frowein, Harald Bratt. Kamera: Friedl Behn-Grund. Musik: Norbert Schultze. Mit Heidemarie Hatheyer, Paul Hartmann, Mathias Wieman. – Ein Arzt-, Ehe- und Gerichtsdrama. Darf der Mann seine unheilbar erkrankte Frau auf Verlangen vom Leiden erlösen? Der Beschuldigte klagt »die Vollstrecker überwundener Anschauungen und überholter Gesetze« an. Das Plädoyer für den Gnadentod erweist sich als gefährlicher Kommentar zur Euthanasie-Debatte. ›Künstlerisch besonders wertvoll‹.

31. August. heimkehr. Regie: Gustav Ucicky. Buch: Gerhard Menzel. Kamera: Günther Anders. Musik: Willy Schmidt-Gentner. Mit Paula Wessely, Carl Raddatz. – Propagandafilm über die Leiden der Volksdeutschen in Polen. Paula Wesselys Leidensfähigkeit wird besonders geprüft. Die Urauführung findet in Venedig  statt. Der Film gewinnt dort den Pokal des italienischen Bildungsministeriums. In Deutschland: ›Film der Nation‹, ›Staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll‹. Zur Premiere im Berliner ›Ufa-Palast am Zoo‹ am 23. Oktober werden bevorzugt Rüstungsarbeiter und verwundete Soldaten eingeladen.

4. September. annelie. Regie: Josef von Baky. Buch: Thea von Harbou, nach dem Stück v. Werner Bergold. Kamera: Werner Krien. Musik: Georg Haentzschel. Mit Luise Ullrich, Werner Krauß, Karl Ludwig Diehl. – Familiengeschichte über ein unpünktliches Mädchen, das zu einer zuverlässigen Mutter und Krankenschwester heranreift. Ihr Mann (Arzt) stirbt im Ersten Weltkrieg, ihr eigenes Leben endet am 70. Geburtstag. Eine Schlüsselrolle für Luise Ullrich. Die Uraufführung findet in Venedig statt. ›Staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll‹.

31. Oktober. frauen sind doch bessere diplomaten. Regie: Georg Jacoby. Buch: K. G. Külb, Gustav Kampendonk. Kamera: Konstantin Irmen-Tschet. Musik: Franz Grothe. Mit Marika Rökk, Willy Fritsch. – Der erste lange Ufa-Farbfilm, ein Kostümstück aus dem Biedermeier. In Agfacolor. Der Film war schon 1939 abgedreht. Propagandaminister Goebbels lässt die Premiere immer wieder verschieben, weil er mit den Farben unzufrieden ist. Zum Vorbild für brillante Farben erklärt er den amerikanischen Film gone with the wind. Aber der ist in Technicolor gedreht.

Exilfilm

ohne Uraufführung. passport to heaven. Regie: Richard Oswald. Buch: Albrecht Joseph, Ivan Goff, nach dem Bühnenstück Der Hauptmann von Köpenick von Carl Zuckmayer. Kamera: John Alton. Musik: Daniele Amfitheatrof. Mit Albert Bassermann, Mary Brian, Eric Blore, Herman Bing. – »Ohne Verleiher, ohne Kinopremiere, ohne kritische Rezeption im Exilland. Dabei ist der Film eine beachtliche Leistung der Regie. Die Architektur Berlins ist zusammengesetzt aus Dokumentarfilmaufnahmen und Atelierbauten, und die Kameraführung rückt durch Licht und Schatten die Symbole der Macht immer wieder ins Bild.« (Jan-Christopher Horak, Geschichte des deutschen Films, 1993). Unter dem Titel i was a criminal ab 1945 als Schmalfilm verliehen.

Ausländische Filme des Jahres

24. Januar. HIGH SIERRA. USA. Regie: Raoul Walsh. Buch: John Huston, W. R. Burnett, nach dem Roman v. Burnett. Kamera: Tony Gaudio. Musik: Adolph Deutsch. Mit Humphrey Bogart, Ida Lupino. – 36mal war Bogart nur ein Supporting Actor, hier spielt er seine erste Hauptrolle: einen müden, aus dem Knast entlassenen Gangster, der nach einem Bankraub in die Berge flieht und von den Verfolgern erschossen wird. An seiner Leiche trauern eine Frau (Lupino) und ein Hund. Für Bogart beginnt mit diesem Film eine große Karriere im Hollywood der Kriegs- und Nachkriegszeit. Walsh dreht acht Jahre später ein Remake des Films: colorado territory. Da spielt Joel McCrea Bogarts Rolle.

25. Februar. THE LADY EVE. USA. Regie: Preston Sturges. Buch: Sturges, nach einer Story v. Monckton Hoffe. Kamera: Victor Millner. Musik: Leo Shuken. Mit Barbara Stanwyck, Henry Fonda, Charles Coburn. – Ein Millionär und eine Falschspielerin auf einem Passagierdampfer. Beide lernen voneinander. »Der Film ist eine einzige Herausforderung der Zensur, mit minutenlangen Verführungsszenen, in denen Barbara Stanwyck an Henry Fonda herumknabbert, der stocksteif vor erregtem Entsetzen immer tiefer ins Sofa sinkt.« (Verena Lueken, Der Spiegel, 10.6.1991)  Remake: the birds and the bees, Regie: Norman Taurog (1956).

1. März. TODA-KE NO KYODAI. Japan. Regie: Yasujiro Ozu. Buch: Ozu, Tadao Ikeda. Kamera: Yushun Atsuta. Musik: Ito Nobuji. Mit Mieko Takamine, Shin Saburi, Hideo Fujino, Fumiko Katsuragi. – Englischer Titel: the brothers and sisters of the toda family. Familienkonstellation: ein altes Ehepaar mit fünf inzwischen erwachsenen Kindern; der Vater stirbt. Für die Mutter und die jüngste, noch unverheiratete Tochter beginnt eine Zeit komplizierter Orientierungen. Strittig ist vor allem, wie man an einen Mann zum Heiraten kommt. Die Interessen der einzelnen Familienmitglieder sind auch am Ende nicht zu harmonisieren. Im Ozu-Kosmos ein kleinerer Planet. Der wunderbare Ryu Chishu spielt eine Nebenrolle.

12. März. MEET JOHN DOE. USA. Regie: Frank Capra. Buch: Robert Riskin, nach einer Story v. Richard Connell. Kamera: George Barnes. Musik: Dimitri Tiomkin. Mit Gary Cooper, Barbara Stanwyck, Walter Brennan. – Ein arbeitsloser Baseballprofi spielt die Rolle eines imaginären Selbstmordkandidaten, dessen Popularität von Presse und Politik ausgenutzt wird. »Capra treibt die Niederlagen, in die seine Helden zu geraten drohen, so weit, daß kaum noch Rettung denkbar scheint – doch das nur, um die Wendung am Schluß noch sentimentaler, noch erschütternder formen zu können. Im Grunde feiert Capra das Gemessene und Ausgeglichene: das Harmonische. Doch gerade deswegen fühlt er sich aufgerufen, alles Alltägliche durch Krisen und Widernisse aufzurauhen.« (Norbert Grob, Nachwort zu Capras Autobiographie, 1992)

22. März. THE SEA WOLF. USA. Regie: Michael Curtiz. Buch: Robert Rossen, nach dem Roman v. Jack London. Kamera: Sol Polito. Musik: Erich Wolfgang Korngold. Mit Edward G. Robinson, Alexander Knox, Ida Lupino. – Die Geschichte des psychopathischen Kapitäns Wolf Larsen ist Basismaterial für Remakes. Inszeniert haben den Stoff unter anderem Hobart Bosworth (1913), George Melford (1920), Ralph Ince (1925), Milton Sills (1930), Peter Godfrey (1950), Harmon Jones (1958), Wolfgang Staudte (1972) und Giuseppe Vari (1975). Die Curtiz-Version gilt als besonders spannend.

17. April. THAT UNCERTAIN FEELING. USA. Regie: Ernst Lubitsch. Buch: Donald Ogden Stewart, nach einem Schauspiel v. Victorien Sardou und Emile de Najac. Kamera: Georges Barnes. Musik: Werner R. Heymann. Mit Merle Oberon, Melvyn Douglas, Burgess Meredith. – Eine Ehekomödie, in der die vernachlässigte Frau sich für einen anderen Mann interessiert und von ihrem Ehemann zurückerobert wird. »Man ist den Film über ganz auf der Seite der Frau, die eigentlich nichts will außer ein bißchen Liebe. Sie ist eine Frau, die noch davon träumt, daß der Ehemann eine Art Fremder für sie bleibt, dessen Bekanntschaft man jeden Tag aufs neue macht. Aber der profane Alltag sieht anders aus.« (Robert Van Ackeren, Lubitsch, 1984)  Remake des Lubitsch-Films kiss me again (1925).

1. Mai. CITIZEN KANE. USA. Regie: Orson Welles. Buch: Herman Mankiewicz, Welles. Kamera: Gregg Toland. Musik: Bernard Herrman. Mit Orson Welles, Joseph Cotten, Agnes Moorehead. – Psychodrama eines Zeitungstycoon (gemeint ist William Randolph Hearst). Der Debütfilm des damals 24jährigen Regisseurs und Schauspielers ist dramaturgisch und visuell ein Geniestück.  »Sein filmgeschichtlicher Ruhm wurde vor allem durch die europäische Filmtheorie um  André Bazin und die Wertschätzung jüngerer Autorenfilmer begründet. Bedeutsam erscheint der Film heute wegen seiner Integration unterschiedlicher Darstellungstraditionen und medialen Gestaltungsmöglichkeiten.« (Knut Hickethier, Filmklassiker, 1995)  Seit Jahrzehnten die Nummer 1 auf den Listen der weltbesten Filme.

22. Mai. BLOOD AND SAND. Regie: Rouben Mamoulian. Buch: Jo Swerling, nach einem Roman v. Vicente Blasco Ibañez. Kamera: Ernest Palmer, Ray Rannehan. Musik: Alfred Newman. Mit Tyrone Power, Linda Darnell, Rita Hayworth, Anthony Quinn. – Ein Remake. 1921 spielte Rudolph Valentino den Stierkämpfer Juan Gallardo, dem Reichtum und schöne Frauen zum Verhängnis werden. »By using the full Technicolor, Kodachromatic range, Mamoulian turned the dated imagery of the book and the earlier film into a complex modern psychological drama. The new film pulsed with colour and held the eye even when the pace lagged and the plot became tortuous.« (John Kobal, 1977)

13. Juni. MAN HUNT. USA. Regie: Fritz Lang. Buch: Dudley Nichols, nach einem Roman v. Geoffrey Household. Kamera: Arthur Miller. Musik: Alfred Newman. Mit Walter Pidgeon, Joan Bennett, George Sanders. – Ein englischer Jäger hat Hitler auf dem Obersalzberg im Zielfernrohr – aber das Gewehr ist nicht geladen. Dann wird der Jäger zum Gejagten. »Man muß erst lernen, mit Langs Kettenreaktionen umzugehen, deren überstürzender Logik zu folgen und die buchstäblich mörderischen Konsequenzen zu verstehen. Entscheidend dabei ist, dass für Lang schon der Gedanke eine Tat ist; daß jeder Wunsch, jede Sehnsucht, jede Gier augenblicklich die fürchterlichsten Folgen zeitigt.« (Peter Buchka, Süddeutsche Zeitung, 19./20.4. 1986)

2. Juli. SERGEANT YORK. USA. Regie: Howard Hawks. Buch: Abem Finkel, Harry Chandlee, Howard Koch, John Huston. Kamera: Sol Polito. Musik: Max Steiner. Mit Gary Cooper, Walter Brennan, Joan Leslie. – Die authentische Geschichte eines Farmers aus Tennessee, der sich vom Pazifisten zum höchstdekorierten amerikanischen Soldaten des Ersten Weltkriegs entwickelt. Im Alleingang bringt er 25 deutsche Soldaten um und nimmt 132 gefangen. Statt sich als Held feiern zu lassen, kehrt er zu Frau und Farm zurück. Cooper erhält 1942 für die Darstellung des Alvyn C. York seinen ersten Oscar.

20. August. THE LITTLE FOXES. USA. Regie: William Wyler. Buch: Lillian Hellman, nach ihrem Bühnenstück. Kamera: Gregg Toland. Musik: Meredith Willson. Mit Bette Davis, Herbert Marshall, Teresa Wright. – Familiendrama in den Südstaaten um 1900. »Nicht nur die von Bazin hochgelobte Kamera Gregg Tolands erzählt diese Geschichte von Geldgier und Skrupellosigkeit der ›kleinen Füchse‹, der Neureichen. Es sind auch die Kostüme und der Dekor, die über die Figuren Auskunft geben, sie zueinander ins Verhältnis setzen und ihre Absichten erahnen lassen.« (Daniela Sannwald, Filmklassiker, 1995)  Die Uraufführung findet in der New Yorker Radio City Music Hall statt.

14. September. LA NAVE BIANCA. Italien. Regie: Roberto Rossellini. Buch: Rossellini, Francesco De Robertis. Kamera: Giuseppe Caracciolo, Mario Bava. Musik: Renzo Rossellini. – »Rossellinis erster Spielfilm ist ein Kriegsfilm. Kein Film gegen den Krieg, sondern ein Film über den Krieg, genauer über den Seekrieg. (…) Die ironische Grundhaltung, mit der Rossellini la nave bianca gemacht hat – getragen von der Überzeugung, die Dinge so zu zeigen, wie sie sind -, wird danach zu seiner spezifischen Art, Filme zu machen, zu seinem Filmstil werden.« (Rudolf Thome, Kommentierte Rossellini-Filmografie in der Reihe Film, Band 36, 1987)  Die Darsteller sind Laien: Matrosen.

3. Oktober. THE MALTESE FALCON. USA. Regie: John Huston. Buch: Huston, nach dem Roman v. Dashiel Hammett. Kamera: Arthur Edeson. Musik: Adolph Deutsch. Mit Humphrey Bogart, Mary Astor, Peter Lorre. – PI Sam Spade ermittelt für eine geheimnisvolle Frau, die sich am Ende als Mörderin erweist. »Erstaunlich bis heute ist die Leistung der Regie: die Rigorosität, mit der Huston eine komplexe, gefahrvolle und undurchsichtige Welt auf wenige Schauplätze, meist Innenräume komprimiert und die filmische Erzählung mit einfachen, aber präzis gesetzten Schnitten und zeitraffenden Überblendungen dynamisiert.« (Klaus Kreimeier, Filmklassiker, 1995) Hustons Film ist bereits die dritte Version nach Hammetts Roman. 1931 spielte Ricardo Cortez unter Roy Del Ruth den Sam Spade; William Dieterle machte 1936 daraus eine Komödie mit Warren Williams und Bette Davis.

10. Oktober. NEVER GIVE A SUCKER AN EVEN BREAK. USA. Regie: Edward Cline. Buch: John Neville, Prescott Chaplin, nach einer Story v. Otis Criblecoblis (d.i. Fields). Kamera: Charles Van Enger. Musik: Frank Skinner. Mit W. C. Fields, Gloria Jean, Margaret Dumont. – »Fields‘ letzter abendfüllender Spielfilm, ein satirischer Seitenhieb gegen Hollywood und die Absonderlichkeiten der Filmindustrie, besteht aus einem Sammelsurium grotesker und absurder Szenen, die von einer lapidaren Rahmenhandlung vage zusammengehalten werden, getragen von der Rolle des grantigen, zynische und zweideutige Bemerkungen äußernden Komikers.« (Kerstin-Luise Neumann, Filmklassiker, 1995)

23. Oktober. DUMBO. USA. Regie: Walt Disney. Buch: Joe Grant, Dick Huemer, nach einem Buch v. Helen Aberson. Kamera: Harald Pearl. Musik: Oliver Wallace. Frank Churchill. – Die Geschichte eines Elefanten, der fliegen kann. »Die neue Kunst des Zeichenfilms: Einheit aus Bild, Bewegung, Musik. Aus Form und Farbe. Des weiteren: aus Witz und Weisheit. Sein Witz ist laut, die Weisheit leise. Walt Disneys Weisheit hat einen franziskanischen Zug. Sein Witz hingegen ist phantastische Clownerie, befreit von lästiger Schwerkraft. In dieser Welt ist das Wunderbare wie das Wunderliche der Normalzustand.« (Gunter Groll, Magie des Films, 1953)

28. Oktober. HOW GREEN WAS MY VALLEY. USA. Regie: John Ford. Buch: Philip Dunne, nach einem Roman v. Richard Llewellyn. Kamera: Arthur Miller. Musik: Alfred Newman. Mit Walter Pidgeon, Maureen O’Hara, Donald Crisp. – Die Geschichte einer Bergarbeiterfamilie in Wales am Wendepunkt zur Industrialisierung. Ein Ford-Topos: die Familie oder Gruppe. Sie muß sich bewähren. »Für Ford ist es gleichgültig, ob diese Bewährung durch einen Sandsturm in der Wüste, durch feindliche Indianer oder durch eine verzweifelte wirtschaftliche Lage erfolgt. Durch die Gefahrensituation findet bei ihm der Mensch zu seinem wahren humanen Wesenskern zurück.« (Hans Peter Kochenrath, Filmstudio, Nr. 46, 1965)  Der Film und sein Regisseur werden 1942 mit dem Oscar ausgezeichnet.

7. November. SWINARKA I PASTUCH. UdSSR. Regie: Iwan Pyrjew. Buch: Pyrjew, Viktor Gussew. Kamera: Walentin Pawlow. Musik: Tichon Chrennikow. Mit Marina Ladynina, Wladimir Selidin, Nikolai Krjutschkow. – Eine junge Kolchosbäuerin lernt auf einer Landwirtschaftsausstellung einen Hirten aus den Bergen Nordkaukasiens kennen. Bis zum Happy-End ist es ein langer Weg. Eine musikalische Komödie. Eisenstein fragt: »Welcher andere Film hat so mutig, lustig und lebensfroh von der unverbrüchlichen Freundschaft der Völker unseres Landes gesungen wie dieser?«

8. November. ROMEO UND JULIA AUF DEM DORFE. Schweiz. Regie: Hans Trommer, Valérien Schmidely. Buch: Trommer, nach der Novelle von Gottfried Keller. Kamera: Ady Lumpert. Musik: Jack Trommer. Mit Margrit Winter, Erwin Kohlund, Johannes Steiner. – Die tragische Liebesgeschichte der Kinder zweier verfeindeter Bauern. In der Schweiz bleibt der erwartete Publikumserfolg aus. »Der schönste, echteste aller Schweizer Filme, dessen Tragweite man gestern nicht erfaßt hat und der für heute und morgen noch wegweisend ist.« (Freddy Buache, Gründer der Cinémathèque Suisse, 1974)

14. November. SUSPICION. USA. Regie: Alfred Hitchcock. Buch: Samson Raphaelson, Joan Harrison, Alma Revelle, nach einem Roman v. Francis Iles. Kamera: Harry Stradling. Musik: Franz Waxman. Mit Cary Grant, Joan Fontaine, Cedric Hardwicke. – Psychothriller. Eine Frau gerät zunehmend in Panik, weil sie glaubt, ihren potentiellen Mörder geheiratet zu haben. Während sie in der Romanvorlage tatsächlich von ihm umgebracht wird, endet der Film mit einem Happy-End. Joan Fontaine erhält für die Angst-Partie 1942 einen Oscar als beste Hauptdarstellerin. Im Gespräch mit Truffaut wird Hitchcock später verraten, wie er in einer Schlüsselszene ein Milchglas zum Leuchten brachte.

24. November. 49TH PARALLEL. Großbritannien. Regie: Michael Powell. Buch: Emeric Pressburger. Kamera: Frederick Young. Schnitt: David Lean. Musik: Ralph Vaughan Williams. Mit Eric Portman, Laurence Olivier, Anton Walbrook, Leslie Howard. – »Der Film schildert den Versuch der Besatzung eines im St.-Lorenz-Golf havarierten deutschen U-Boots, die Weiten Kanadas zu durchqueren, um den 49. Breitengrad zu erreichen und damit die unverteidigte Grenze zwischen dem deutschen Kriegsgegner Kanada und den neutralen USA zu überqueren. Die Handlung ergibt sich aus den Begegnungen der Marinesoldaten mit einzelnen Repräsentanten des demokratisch geprägten kanadischen Gesellschaftspanoramas.« (Jörg Helbig, Geschichte des britischen Films, 1999). Powell wird von der britischen Presse angegriffen, weil er die deutschen Soldaten als intelligente Wesen darstellt. Dennoch in Großbritannien der erfolgreichste Film des Jahres.

27. November. REMORQUES. Frankreich. Regie: Jean Gremillon. Buch: André Cayatte, Jacques Prévert, Roger Vercel, Charles Spaak, nach einem Roman v. Vercel. Kamera: Armand Thirard, Louis Née, Philippe Agostini. Musik: Roland Manuel. Mit Jean Gabin, Michèle Morgan, Madeleine Renaud. – Gabin spielt den Kapitän eines Rettungsschiffes, der bei jedem Einsatz sein Leben riskiert. Seine Frau (Renaud) geht an der Angst um ihren Mann zugrunde. Die Dreharbeiten mußten bei Kriegsbeginn unterbrochen werden. Über den oft unterschätzten Gremillon gibt es ein Heft der Filmkritik von Peter Nau (Nr. 306, 1982).

5. Dezember. SWAMP WATER. USA. Regie: Jean Renoir. Buch: Dudley Nichols, nach dem Roman v. Vereen Ball. Kamera: Peverell Marley, Lucien Ballard. Musik: David Rudolph. Mit Dana Andrews, Walter Huston, John Carradine, Walter Brennan. – Verbrechen, Liebe und Eifersucht in den Sümpfen von Georgia. »Der Film kann sich rühmen, Hollywood auf lange Sicht revolutioniert zu haben. Zum ersten Mal akzeptierte ein großes Studio die eigentlich durchaus vernünftige Idee, Außenaufnahmen nicht innen zu drehen. swamp water, das ist das Prinzip von toni, dahinter mit zwanzig Jahren Erfahrung. Es ist nicht mehr der Geschmack am Risiko, es ist die Sicherheit im Wagnis.« (Jean-Luc Godard, Cahiers du Cinéma, 1957)  Renoirs erster Film im amerikanischen Exil. 1952 dreht Jean Negulesco ein Remake: lure of the wilderness.

8. Dezember. GENROKU CHUSHINGURA. Japan. Regie: Kenji Mizoguchi. Buch: Kenichiro Hara, Yoshikata Yoda, nach dem Stück v. Seiksa Mayama. Kamera: Kohei Sigiyama. Musik: Shiro Fukai. Mit Yoshisaburo Arashi, Manho Mimasu, Kanemon Nakamura. – Ein zweiteiliger Historienfilm, dessen immense Kosten die Produktionsfirma in den Ruin führen. Er erzählt eine höfische Geschichte aus dem 18. Jahrhundert, die mit dem Harakiri von 47 herrenlosen Kämpfern endet. Die Uraufführung findet am Tag nach Peal Harbour statt.

12. Dezember. THE WOLF MAN. USA. Regie: George Waggner. Buch: Curt Siodmak. Kamera: Joseph Valentine. Musik: Hans J. Salter. Mit Claude Rains, Lon Chaney Jr., Evelyn Ankers, Ralph Bellamy. – Ein junger Mann, von einem Werwolf gebissen, wird selbst zu einem Lykanthropen und muß von seinem Vater erschlagen werden, um von diesem Fluch befreit zu werden. »Die naive, gleichsam unschuldige Erzählhaltung gibt dem Film einen märchenhaften und zeitlosen Touch: ›Even a man who’s pure at heart / And says his prayers at night / May become a wolf when the wolfbane blooms / And the autumn moon is bright‹.« (Wolfgang Jacobsen, The Siodmak Bros., 1998). Curt Siodmak wird später besonders stolz darauf sein, daß seine Wolf Man-Figur in den USA auf einer Briefmarken erscheint.

13. Dezember. SULLIVAN’S TRAVELS. USA. Regie: Preston Sturges. Buch: Sturges. Kamera: John F. Seitz. Musik: Leo Shuken, Charles Bradshaw. Mit Joel McCrea, Veronica Lake, Robert Warwick. – »Ein Film wie gemacht für europäische Interpreten. Er lockt auf tausend falsche Fährten und tut andauernd, als rede er in eigener Sache. Daß man das nur im Kopf behalte: Ein amerikanischer Swift zeigt nicht, was hinter den Dingen steckt, bloß wie sie sind. Die Geschichte: Ein Komödienregisseur in Hollywood geht in sich, eine vom Krieg heimgesuchte Welt braucht keine Filme zum Lachen. Pro domo spricht hier Sturges, pro Hollywood, das in seinem Film so grau und glanzlos aussieht, als sei’s der Phantasie Jack Londons entsprungen.« (Frieda Grafe, Süddeutsche Zeitung 3./4.9. 1977)

Geburtstage

14. Januar. Faye Dunaway. Schauspielerin, * in Bascon/Florida. Ihre große Zeit sind die späten sechziger und die siebziger Jahre. Als Partnerin von Warren Beatty, Steve McQueen, Kirk Douglas, Dustin Hoffman, Jack Nicholson, Paul Newman, Robert Redford, Tommy Lee Jones und Donald Sutherland spielt sie sich durch ein Rollenrepertoire tragisch-romantischer und neurotischer Frauen. 1976 gewinnt sie für die Rolle einer Programmchefin in network den Oscar als beste Hauptdarstellerin. Ihre Regisseure sind John Frankenheimer, Elia Kazan, Arthur Penn, Stanley Kramer, Roman Polanski, Sydney Pollack, Sidney Lumet. TV-Rollen und Engagements bei Independents sind ihr Arbeitsfeld ab Mitte der Achtziger.

3. März. Jutta Hoffmann. Schauspielerin, * in Halle/Saale. Ein schmales Gesicht, große blaue Augen, ein zarter Körper. Herb, unsentimental, glaubwürdig im Kostüm und in der Gegenwart. Sie spielt in der DDR der sechziger und siebziger Jahre Hauptrollen in erfolgreichen Filmen (der dritte, junge frau von 1914, lotte in weimar), in unterdrückten Filmen (die schlüssel, das versteck, geschlossene gesellschaft) und in verbotenen Filmen (karla, denk bloss nicht, ich heule). Ihre Regisseure sind Egon Günther, Frank Beyer, Herrmann Zschoche. In den Achtzigern wechselt sie in die Bundesrepublik. Seit 1992 Professorin für darstellende Kunst an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg.

14. März. Wolfgang Petersen. Regisseur, * in Emden/Ostfriesland. Absolvent der Berliner DFFB des ersten Jahrgangs. Seine Karriere beginnt im Deutschen Fernsehen (tatort, smog) und bringt ihn mit dem boot nach Amerika. »Daß der wichtigste deutsche Action-Regisseur in den USA arbeitet, weist auf die bekannte Krise des deutschen, des europäischen Kinofilms hin, die vielleicht auch eine Krise der öffentlichen Aufmerksamkeit ist. Als Wolfgang Petersen mit der langen (Fernseh-) Fassung von das boot eines der wichtigen Werke der deutschen Filmgeschichte gelang, hat die westdeutsche Öffentlichkeit das Ereignis verschlafen. Die amerikanische Öffentlichkeit aber schlief nicht. Produzenten und Regisseure (Spielberg), Weltstars (Brando) wurden Freunde. Wird es eines Tages den Nachtrag des Heimkehrers Petersen für das hiesige Kino geben?« (Egon Netenjakob, CineGraph 26, 1995)

22. März. Bruno Ganz. Schauspieler, * in Zürich-Seebach. »Bruno Ganz ist der europäischste aller deutschsprachigen Filmschauspieler. In weit über vierzig Rollen war er in schweizerischen und deutschen, französischen und italienischen, englischen und niederländischen, schwedischen und tschechischen, amerikanischen und australischen, griechischen und sogar isländischen Produktionen zu sehen, leider in deutschen Filmen zuletzt selten. (…) Die Figuren, die Bruno Ganz spielt, werden einer tiefgreifenden Metamorphose unterworfen, die sie aus den Grenzen einer beschränkten, leicht unbehaglichen Existenz herauslöst und in eine unbestimmbare Offenheit hineinführt.« (Thomas Koebner, Laudatio zum Bremer Filmpreis, 1999)

4. April. Angelica Domröse. Schauspielerin, * in Berlin. Auf der Bühne, im Film und im Fernsehen der DDR hat sie unterschiedlichste Rollen gespielt. Populär wird sie als tragikomische Heldin in Heiner Carows die legende von paul und paula (1972). Kleine Statur und große Augen, melancholisch und lebensbejahend, zerbrechlich und kraftvoll, schüchtern und selbstbewußt auftrumpfend: Domröses Paula ist eine Identifikationsfigur mit vielen ungeklärten Ambivalenzen. Keine sozialistische Heldin und deswegen sehr geliebt. Seit 1979 ist sie die Darstellerin differenzierter Frauenrollen in der Bundesrepublik Deutschland.

6. April. Hans W. Geissendörfer. Regisseur, Autor, Produzent, * in Augsburg. »G. ist fasziniert von den populären Filmgenres, die er – mit kritischem gesellschaftlichen Bewußtsein und dramaturgischer Erfindungslust – neu erprobt. So reagiert der Film jonathan (1970) auf die Studentenbewegung im Horror-Genre mit einer Revolte unter Vampiren; eine rose für jane (1970) ist der Versuch einer sensiblen Analyse des Action-Genres; carlos (1971) verlegt die Handlung sehr frei nach Schiller in ein südeuropäisches Dorf um 1915 und ins Western-Genre; der Film marie (1973) ist nicht einfach ein Kriminalfilm, sondern ›geht – vorsätzlich – bis an die Grenze, bei welcher der Krimi beginnt. Aber er entschließt sich nicht, einer zu werden.‹ (G.)« (Egon Netenjakob, TV-Filmlexikon, 1994)  Und ab 1985: lindenstrasse.

14. April. Julie Christie. Schauspielerin, * in Chukua/Assam (Indien).  In den sechziger Jahren trifft sie John Schlesinger. »Er erschuf einen neuen Star, der seine folgenden Werke dominieren sollte. In dem Swing-London-Porträt darling (1965) konnte sie als vitales Model ihr Charisma entfalten. Prämiert wurde sie dafür mit einem Academy Award.« (Marcus Stiglegger, Schlesinger, Filmregisseure, 1999). In Truffauts fahrenheit 451 spielt sie die bücherhassende Ehefrau und die lesesüchtige Geliebte von Oskar Werner. Nicht zu vergessen: die Hure Constance Miller in Altmans mccabe and mrs. miller. In den achtziger Jahren wechselt sie zu den Außenseitern, engagiert sich für Politik und Soziales.

25. April. Bertrand Tavernier. Regisseur, * in Lyon. »Wie die Regisseure der Nouvelle Vague begann auch Tavernier als Filmkritiker, bevor er die Gelegenheit bekam, selbst Filme zu drehen. Im Gegensatz zu Truffaut und den anderen zog er jedoch keine scharfe Trennlinie zwischen dem ‚cinéma d’auteurs‘ und der von der Nouvelle Vague ironisch abgewerteten ‚tradition de qualité‘. Das Werk Taverniers ist ein Kino des zweiten Blickes voll intensiver, suggestiver Bilder, ein Kino, das unterhalten will und zugleich engagiert ist. Seine Filme sind dabei von einer großen Themenvielfalt geprägt.« (Peter Ruckriegl, Filmregisseure, 1999). In Erinnerung sind: l’orloger de st. paul (1974), la mort en direct (1979), coup de torchon (1981), un dimanche à la campagne (1984), l’appat (1995).

13. Mai. Senta Berger. Schauspielerin, * in Wien. Ihre Attraktivität, Sinnlichkeit, Mondänität und ihre Intelligenz haben ihr schnell zu einer internationalen Karriere verholfen (sechziger/siebziger Jahre). Ihre Regisseure waren damals u.a. Carl Foreman, Sam Peckinpah, Julien Duvivier). In der Bundesrepublik ist sie vor allem ein Fernsehstar (kir royal, die schnelle gerdi), als Darstellerin und auch als Moderatorin von großer Ausstrahlung. Ihr Ehemann, Michael Verhoeven, ließ sich von ihrem Vornamen zu seiner Produktionsfirma inspirieren: Sentana Film. Beide arbeiten oft zusammen.

20. Juni. Stephen Frears. Regisseur, * in Leicester/Großbritannien. »Neben Peter Greenaway, Derek Jarman und Neil Jordan zählt Frears zu den bedeutendsten Regisseuren des New British Cinema der achtziger Jahre, das bemüht war, gegen die Übermacht des amerikanischen Films einerseits und gegen die Blockierung künstlerischer Produktivität durch die neokonservative Regierung Margaret Thatchers andererseits einen eigenen Erzählstil zu entwickeln. Mit Filmen wie my beautiful laundrette (1985) und sammy and rosie get laid (1987) trug Frears entscheidend dazu bei, internationale Aufmerksamkeit für ein spezifisch britisches Kino zu erzielen.« (Stefanie Weinsheimer, Filmregisseure, 1999). Inzwischen ist Frears ein renommierter Regisseur des internationalen Films.

25. Juni. Jutta Brückner. Autorin, Filmemacherin, Professorin, * in Düsseldorf. Die promovierte Politikwissenschaftlerin thematisiert in den siebziger und achtziger Jahren in stilistisch sehr unterschiedlichen Filmen Emanzipationsprozesse von Frauen, am persönlichsten in hungerjahre (1980), dem Psychogramm einer Heranwachsenden in der Bundesrepublik der Fünfziger. Seit 1985 ist Brückner Professorin für Film und Video an der Hochschule der Künste in Berlin. Das läßt ihr wenig Zeit für eigene Filme.

27. Juni. Krzysztof Kieslowski. Regisseur, * in Warschau. gestorben am 13. März 1996 in Warschau. Spätestens ein kurzer film über das töten und ein kurzer film über die liebe, zwei Stücke aus dem dekalog – den kleinen Geschichten zu den zehn Geboten – , haben ihn auch bei uns bekannt gemacht. »Kleine Ursache, große Wirkung, das ist die Formel, nach der diese Geschichten sich entwickeln, und alle Kieslowski-Filme überhaupt. Er bleibt auf Distanz zu den geschilderten Ereignissen – es hätte alles auch anders kommen können. Eine Melancholie, eine bittere Ironie, ein Gefühl des Absurden prägen die Geschichten, die ihren filmischen Erzähler durchaus in die Nähe des Dichters der ›unerträglichen Leichtigkeit des Seins‹ bringen.« (Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung, 14.3.1996). Und zuletzt: die Farbtrilogie.

30. Juni. Otto Sander. Schauspieler, * in Hannover. Charakterdarsteller der alten ›Schaubühne am Halleschen Ufer‹ (Peter Stein). Komödiant, Sonderling, gut für Väter, Psychopathen, kleine Ganoven. Man assoziiert ihn mehr mit dem Theater als mit dem Film. Einer seiner Lieblingsautoren ist Ringelnatz. Die Stimme hat Ausdruck und Resonanz (Synchronsprecher/Vorleser). Kein Draufgänger, kein Held, aber immerhin ein U-Boot-Kommandant in Petersens boot und Karl Liebknecht in Trottas rosa luxemburg. Er kann edel oder hinterhältig sein, gut oder ein bißchen böse. Keine schlechten Voraussetzungen, um bei Wim Wenders auch einen Engel zu spielen.

22. Juli. Thomas Koebner. Filmwissenschaftler, * in Berlin. Wenn Mainz seit einiger Zeit ein Brennpunkt der Filmwissenschaft ist, dann verdankt sich das ihm. Gelehrt hat er zuvor in Köln, Wuppertal und Marburg. Zwischenzeitlich war er Direktor der Berliner Filmakademie. Außerdem betreut er auch noch die Filmstudenten in Ludwigsburg, hält Vorträge, gibt Bücher heraus – und schreibt auf wunderbar konkrete und genaue Weise: über Musik, Literatur, Theater, Fernsehen und Film. Mit dieser Produktivität kann er verschiedene Verlage beschäftigen, alteingesessene wie Reclam und neu gegründete wie Gardez! Er wohnt in Köln. Von da aus sind viele Orte schnell zu erreichen. Es ist für das (film)kulturelle Leben in der Bundesrepublik ein Glücksfall, daß es ihn gibt.

19. September. Markus Imhoof. Regisseur, * in Winterthur/Schweiz. Sein erfolgreichster Film, das boot ist voll (1981), handelt von der Flucht: eine bunt zusammengewürfelte Notgemeinschaft will aus Nazi-Deutschland in die neutrale Schweiz. Wie schwer man dort reinkommt, wird auf tragikomische Weise erzählt. Imhoofs Credo ist immer wieder »das Wesentliche eines Themas in der Summe der Nebensachen aufzuzeigen.« Ins Kino dringt er damit kaum noch vor. Obwohl sein Melodram flammen des paradieses wirklich bunt und bizarr ist.

26. September. Vadim Glowna. Schauspieler, Regisseur, * in Eutin. »G. zählt als Filmdarsteller zu den markantesten Vertretern seiner cineastischen Generation; seine vom amerikanischen Actors‘ Studio beeinflußte Interpretation komplexer, oft widersprüchlicher Charaktere zeichnet sich vor allem durch intensive Körpersprache und sparsamen Gefühlsausdruck aus.« (Herbert Holba, Reclams deutsches Filmlexikon, 1984). Schade, daß er seine Regiearbeit, die in den siebziger Jahren mit desperado city und dies rigorose leben so vielversprechend begann, nicht fortsetzen konnte.

26. Oktober. Peter Przygodda. Schnittmeister, * in Berlin. Hans W. Geissendörfer, Peter Handke, Reinhard Hauff, Klaus Lemke, Volker Schlöndorff und vor allem Wim Wenders haben ihm viel zu verdanken. »Man kann, wie Hitchcock sagt, einen Film in der Kamera schneiden, also nur aufnehmen, was man für eine schon vorgestellte Endfassung brauchen wird – oder man kann alles aus allen Winkeln mehrfach aufnehmen und dann am Schneidetisch entscheiden, wie es montiert wird. Das ist das Tolle beim Film: wie bei der elektrischen Eisenbahn, wo du die Weichen stellen kannst; es gibt unendlich viele Weisen, einen Film zu machen.« (P. im Gespräch mit Harun Farocki, Filmkritik, Nr. 274, 1979)

26. Dezember. Daniel Schmid. Regisseur, * in Flims-Waldhaus/ Schweiz. Ein Liebhaber des poetischen, künstlichen Kinos und ein Grenzgänger zwischen Spiel- und Dokumentarfilm: schatten der engel, violanta, il bacio di tosca, the written face. »Schmids Filme sind Filme über die Liebe, auch wenn sie immer unmöglich bleibt. Denn verzweifeln in der Liebe kann nur, wer sie auch spürt, Schatten bilden sich nur dort, wo auch Licht ist. Die Variationen der Angst sind Negative der Liebe. Negative sind verkehrte, für dern Betrachter ungewohnte Bilder  – sie umzusetzen ist kein alltäglicher Prozeß. Und ein umgesetztes Negativ bringt nicht immer das, was man sich gewünscht hat, die Umsetzung ist immer auch ein Risiko. Was Schmid mit seinen Filmen erreicht, ist Verunsicherung.« (Bernhard Giger, Film in der Schweiz, 1978)

Sterbetage

30. April. Edwin S. Porter. Regisseur, 71, in New York. Mit zwei Filmen hat er Geschichte gemacht: the life of an american fireman (1902) und the great train robbery (1903). »Das Beispiel europäischer Filme regte ihn dazu an, einen Vorgang, der zeitlich oder räumlich nicht in einer Einstellung zu erfassen war, in mehreren aufzunehmen und diese aneinanderzufügen. Dabei wechselte er auch bereits die Einstellungsart und montierte Totalen und Großaufnahmen aneinander.« (Gregor/Patalas, Geschichte des Films, 1962)  Ab 1908 übernahm sein Schüler Griffith die Rolle als Erfinder.

15. Juli. Walther Ruttmann. Regisseur, Kameramann, 53, in Berlin. Von der Malerei kommend, interessierten ihn am Film Bewegungs-studien. Für Langs nibelungen gestaltete er den ›Falkentraum‹. Sein berühmtester Film – berlin. die sinfonie der grosstadt – war avantgardistisch und populär; diese Verbindung kommt selten zustande. Mit melodie der welt schuf Ruttmann ein avanciertes Tonfilmexperiment. Für  Goebbels drehte er am Ende Industrie- und Propagandafilme. Andererseits: seinen berlin-Film mochten die Nazis nicht. Er war ihnen zu ›russisch‹ montiert.

7. November. Joachim Gottschalk. Schauspieler, 37, in Berlin. Zwischen 1938 und 1941 hat er in sieben Filmen Hauptrollen gespielt. »Er war der bestechendste Schauspielertyp der NS-Filmperiode, eine deutsche Variante von Clark Gable: männlich, draufgängerisch, kompromißlos und rebellisch – ein Akteur, der des Zeug zum Weltstar in sich trug.« (Herbert Holba, Reclams deutsches Filmlexikon, 1984)  Gottschalk, mit einer Jüdin verheiratet, nimmt sich mit seiner Familie das Leben, als seine Frau und sein Kind ins KZ deportiert werden sollen. Sein Tod wird nicht veröffentlicht, seine Filme werden nicht verboten.

In: Jürgen Felix, Bernd Kiefer, Susanne Marschall, Marcus Stiglegger (Hg.): Die Wiederholung. Thomas Koebner zum 60. Schüren Verlag, Marburg 2001, S. 13-29.