Texte & Reden
15. Oktober 1964

DER GETEILTE HIMMEL (1964)

Text für die Zeitschrift Film

Die Zehn-Zeilen-Kritiken aus Karlovy Vary haben den geteilten himmel eher vernebelt als erhellt. Es geschieht ja oft, dass ein komplizierter Festspielbeitrag in den Berichten so kurz und bündig verhandelt wird, dass sich eine tatsächliche Bedeutung daraus nicht entziffern lässt. Konrad Wolfs Film, von der DDR zum Festival in die CSSR geschickt, ist interessanter, als es uns die Korrespondenten glauben machten. Er musste indes auf einiges Unverständnis stoßen, weil er in engem Zusammenhang mit der gleichnamigen Erzählung von Christa Wolf gesehen werden sollte, und weil seine Thematik nur in der DDR voll begriffen werden kann. Im geteilten himmel sehe ich den ersten ernstzunehmenden Versuch, das nationale Bewusstsein des Ulbricht-Staats in einem Film zu formulieren.

Geschildert wird ein Genesungsprozess: Nach einem körperlichen und seelischen Zusammenbruch setzt sich Rita Seidel, ein zwanzigjähriges Mädchen, die erlebnisreiche Zeit der Jahre 1960/61 aus ihrer Erinnerung zusammen. In ihrem Heimatdorf hatte sie sich in den zehn Jahre älteren Manfred, einen sympathischen Chemiestudenten, verliebt. Sie folgt ihm in die Stadt, um dort am Lehrerinstitut zu studieren. Zunächst arbeitet Rita in einer Waggonfabrik und lernt die Gemeinschaft einer Brigade kennen. Sie wächst in das kleine Kollektiv hinein und gewinnt Einblick in die Produktionszusammenhänge. Die Krisen beim „Aufbau des Sozialismus“ werden ihr ebenso bewusst wie die Ansätze zu einem neuen gesellschaftlichen Lebensgefühl. Im gleichen Maße aber, in dem sie sich emanzipiert, entfernt sie sich von Manfred, der sich als skeptischer Einzelgänger entpuppt.

Manfred bereitet sich auf die Promotion vor, doktoriert und erhofft eine Karriere als Chemiker. Doch ein von ihm entwickeltes Verfahren zur Färbung von Stoffen setzt sich nicht durch. Auch Rita hat Schwierigkeiten: Im Lehrerinstitut fällt sie unangenehm auf, weil sie als Mitwisserin einer Republikflucht kein Zutrauen zur Partei hatte. Bei Manfred findet sie kaum Gehör für diese Sorgen, sie muss sich mit einem verständnisvollen Lehrer aussprechen. Während Rita in ihrem Zutrauen zur Sache der Republik gestärkt wird, verliert Manfred die Geduld. Er flieht vor den Schwierigkeiten nach Westberlin. Dort treffen sich beide noch einmal. Manfreds Versuche, Rita zur Flucht zu bewegen, bleiben erfolglos. In der Gewissheit, dass er den falschen Weg gewählt hat, kehrt sie in die DDR zurück. Nach ihrem Zusammenbruch findet sie den notwendigen Halt bei den Freunden im Werk und im Lehrerinstitut. Der Rest ist Zukunftsglauben.

So erzählt, klingt die Geschichte pessimistisch, und es erscheint deprimierend, wie ein privates Glück vorbehaltlos einem Gemeinschaftsgefühl geopfert wird. Der Vorwurf, es handle sich bei der Lösung des Konflikts um einen unglaubwürdigen, propagandistischen Effekt, kann erst entkräftet werden, wenn die Motive für Ritas Entscheidung offenbar werden. Auf der Suche nach diesen Motiven stellen sich die ersten Einwände gegen den Film ein. Christa Wolf hatte in ihrer Erzählung viel Mühe aufgewendet, um Ritas Entwicklung, ihren sozialistischen Bewusstseinsprozess, in Verbindung mit interessanten Personen und Schicksalen zu bringen. In der Brigade und im Lehrerinstitut lernt Rita Menschen kennen, die ihr Leben und Denken nachhaltig beeinflussen. So wird die Bindung an das Kollektiv plausibel und kann schließlich als Alternative ausgespielt werden gegen die Liebe zu Manfred. Es handelt sich ja in der Fabrik und im Institut nicht um schlichte Kollegialität, sondern um die notwendige Gemeinschaft beim „Aufbau des Sozialismus“. Für Ritas Generation ist das keine Formel, sondern eine Aufgabe, deren Erfüllung für jedes persönliche Glück Voraussetzung ist. Insofern kann Rita auch keine Chance sehen, ihre Liebe in Westdeutschland zu verwirklichen. Auf solche Argumentation muss man sich schon einlassen, will man dem geteilten himmel gerecht werden. Aus der westdeutschen Perspektive ist Ritas Konflikt ohnehin irrelevant, solange dort die DDR nur als „Kerker für Brüder und Schwestern“ gilt. Leider ist es Konrad Wolf nicht gelungen, Ritas Verhältnis zu ihrer Umgebung so zu verdeutlichen, dass ihr Verzicht auf Manfred im Film wirklich glaubhaft wird. Das Kräftespiel der widersprüchlichen Charaktere in der Brigade ist nur angedeutet. Es herrscht dort keineswegs optimistische Schaffensfreude, sondern ein zähes Ringen um die Führung, um die Norm und um das berühmte „Q“ (Qualität). Während Ritas Praktikum rauft sich die Brigade gerade zusammen, und eben aus dieser Krise resultiert später das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Die Kritik am Bürokratismus und am Dogmatismus, am Mitläufertum und an der Parteibuchherrschaft wird im Film nicht so präzisiert wie in der Erzählung.

Auch Rita wirkt im Film unprofilierter (was mit der Rollenbesetzung durch die reichlich blasse Schauspielschülerin Renate Blume zusammenhängen mag), sie ist zu sehr auf die Attitüde der Märtyrerin festgelegt. Dabei fehlt ihr freilich der Glorienschein der „positiven Heldin“, wie er in der sozialistischen Filmkunst früher üblich war. Rita gelingt es nicht, Manfred in der Republik zu halten; sie versagt also an jenem Menschen, der ihr am nächsten sein müsste. Die fehlende Aktivität nimmt Rita die Möglichkeit, als Leitbild wirksam zu werden.

Manfred erscheint im Film (und mehr noch in der Erzählung) als der interessanteste Charakter. Er gehört, geboren etwa 1930, zu jener Generation, die bewusst das Ende des Nazismus erlebt hat. Im ewigen Widerspruch zu seinen bürgerlichen Eltern ist er ein Zyniker geworden, dem der Dogmatismus der fünfziger Jahre das sozialistische Engagement verleidet hat. Die schwerfällige Apparatur des Staates lässt ihn schließlich vollends kapitulieren: Er fühlt sich – im Gegensatz zu Rita – nicht verantwortlich für die ökonomischen Schwierigkeiten, auf die das von ihm gefundene Verfahren stößt. In Westdeutschland erwartet er einfach bessere Arbeitsbedingungen: „Dort drüben gibt es Menschen, die mir alle Schwierigkeiten wegorganisieren.“ Manfred gehört zu den Kreisen der Intelligenz; er fand nie, wie Rita, Kontakt zu den Werktätigen. Der aber gilt als notwendig, um Initiative, Kollektivsinn und Verantwortungsbewusstsein für den sozialistischen Aufbau zu entwickeln.

Rita lebt in einer Gemeinschaft, Manfred in der Isolation. Daraus entwickelt sich – nach der marxistischen These „Das Sein schafft das Bewusstsein“ – der Konflikt. Die Liebe zwischen Rita und Manfred muss scheitern, weil nur das private Gefühl, nicht aber das gesellschaftliche Bewusstsein harmonierte. Das meint auch der symbolische Titel, der aus dem Dialog bezogen ist. (Manfred: „Den Himmel wenigstens können sie nicht zerteilen.“ Rita: „Der Himmel teilt sich zu allererst.“)

Christa Wolf hatte ihre Erzählung aus Gegenwartsbeschreibung, Erinnerungsszenen und innerem Monolog zusammengesetzt. Im ersten Drehbuchentwurf war dieses System in eine lineare Handlung aufgelöst worden. Doch Konrad Wolf suchte für die dialektische Bewusstseinsbildung seiner Hauptfigur eine formale Relation. So kehrte er wieder zur Struktur der Erzählung zurück und fügte die Erinnerungen als nahtlose Rückblenden in den Genesungsprozess ein. Über die Gegenwartsszenen (die im September 1961 spielen) ist ein poetisch aufgeblasener Kommentar gelegt. Die Rückblenden sind nicht durchweg chronologisch geordnet und geben Zuschauern, die ohne Kenntnis der Erzählung ins Kino kommen, bisweilen Rätsel auf. Ein hoher Preis für das dramaturgische Raffinement? Konrad Wolf hat ihn, wie er sagt, ohne große Bedenken bezahlt.

Obwohl dieser Regisseur die Form als Funktion des Inhalts begreift, ging der Kameramann gelegentlich eigene Wege. Der Film ist allzu ausgefallen photographiert: kaum eine Einstellung aus normaler Perspektive, verkantete Bildausschnitte, dekorative Ausleuchtung der Szenerie, ungewöhnliche Sprünge von der Totalen zur Großaufnahme und ständig sich verlagernde Schwerpunkte auf der Total-Vision-Leinwand – Werner Bergmann hat sich so viel einfallen lassen, dass sich einige Sequenzen wie Kreuzworträtsel ausnehmen.

Halle, eine bekannt hässliche Stadt, ist der Hintergrund für die meisten Szenen, die in der DDR spielen. Doch die Kamera konstruiert Schönheiten, sie zieht eine seltsame Atmosphäre aus sonnigen Plätzen, nebligen Gassen und dunklen Winkeln. Die Architektur zumindest spiegelt nicht das Hier und Heute wider. Auch in einigen Liebesszenen macht sich Konrad Wolfs Vorliebe für Romantizismen bemerkbar; sie spielen meist in Manfreds Mansarde, die mit ihrem riesigen Atelier-fenster eher wie eine Aussichtskanzel wirkt. Die Szenen in Westberlin sind Wolf und Bergmann ausgesprochen misslungen. Sie zeigen eine Kulissenwelt: riesige Plakatwände, kalte Häuserfassaden, marionetten-hafte Menschen. Und als akustisches Stimulans ist eine unerträgliche Autohupe eingesetzt. Da kann sich natürlich niemand wohl fühlen, und Manfred träumt vom Schwarzwald und vom Bodensee. So wörtlich nimmt Konrad Wolf die offizielle Lesart vom „besonderen rechtlichen Gebilde Westberlin.“

Aber diese Szenen im Westen sind gar nicht so wichtig. Und ich muss Hilmar Hoffmann widersprechen, wenn er (in Film 9), schreibt: „Das ist das Thema des Films: Flucht in den Westen exemplifiziert an einem Liebespaar.“ In Wirklichkeit ist das Thema doch: Bekenntnis zur DDR. Der Bruch zwischen Rita und Manfred ist vollzogen, längst bevor Manfred nach Westberlin geht. Seit dem 13. August 1961 versperrt die Mauer diesen Manfreds den Ausweg. So ist zwar die Lösung des Konflikts historisch geworden, nicht aber der Konflikt selbst. Heute müsste man ihn mit Zukunftsglauben heilen.

der geteilte himmel, deutscher Film von Konrad Wolf. Buch: Christa und Gerhard Wolf, Konrad Wolf, Willi Brückner, Kurt Barthel, nach einer Erzählung von Christa Wolf. Kamera: Werner Bergmann. Musik: Hans-Dieter Hosalla. Darsteller: Renate Blume, Eberhard Esche, Hans Hardt-Hardtloff, Hilmar Thate, Martin Flörchinger u.a. Produktion: DEFA, 1964. Verleih: offen.

Film, Nr. 10, Oktober/November 1964.