Filmbuch des Monats
Mai 2022
Georg Maas, Wolfgang Thiel, Hans Jürgen Wulff (Hg.)
Walzerfilme und Filmwalzer
Die Rezeption und Analyse des Walzers und des Walzertanzens im Film
Marburg, Schüren 2022
312 S., 34,00 €
ISBN: 978-3-7410-0402-5
Georg Maas, Wolfgang Thiel, Hans Jürgen Wulff (Hg.):
Walzerfilme und Filmwalzer
Er war schon zu Stummfilmzeiten ein Versatzstück der Filmmusik und wurde vom Publikum geliebt. Mit Beginn des Tonfilms steigerte sich die Popularität. Die Wirkung des Walzers hat international große Ausmaße. Erstmals würdigt ein Buch seine filmhistorische Bedeutung. Es eröffnet die neue Schriftenreihe „Film – Musik – Sound“.
In seiner Einleitung skizziert Georg Maas die cineastische Beziehungs-geschichte des Walzers und bereitet uns auf die dann folgenden 19 Texte vor. Er macht selbst den Auftakt mit der Beschreibung der ganz unterschiedlichen Wirkung des Klangs in den Filmen MADAME BOVARY (1949) von Vincente Minnelli (Musik: Miklós Rózsa), CITIZEN KANE (1941) von Orson Welles (Musik: Bernhard Herrmann) und MURDER ON THE ORIENT EXPRESS (1974) von Sidney Lumet (Musik: Richard Rodney Bennet). Bei Albrecht Riethmüller geht es um dreierlei Tanz-Walzer im frühen Filmmusical, in KISS ME, KATE (1953) von George Sidney mit dem Walzer „Wunderbar“ von Cole Porter, in WONDER BAR (1934) von Lloyd Bacon mit dem „Valse amoureuse“ von Harry Warren und in AN AMERICAN IN PARIS (1951) von Vincente Minnelli mit dem Walzer „By Strauss“ von George Gershwin.
Peter Wegele vergleicht zwei filmmusikalische Philosophien in JEZEBEL (1938) von William Wyler mit der Musik des erfahrenen Max Steiner und in CITIZEN KANE von Orson Welles mit der Musik des noch jungen Bernhard Herrmann. Jean Martin stellt zwei Filme gegenüber, die den Walzer als filmische Metapher benutzen: ANNA KARENINA (2012) von Joe Wright mit der Musik von Dario Marianelli und PLAYTIME (1967) von Jacques Tati mit der Musik von Francis Lemarque. Saskia Jaszoltowski befasst sich mit dem Walzer in Animated Cartoons aus Hollywood von 1930 bis in die 50er Jahre, der nicht nur von Walt Disney häufig genutzt wurde.
Wolfgang Thiel beschreibt die stilistischen Besonderheiten des russischen Walzers in der Sowjetzeit zwischen 1930 und 1990, die dramaturgisch sehr unterschiedlich genutzt wurden. Der Konzert-walzer „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauss jr. gilt als der populärste und bekannteste Wiener Walzer. Hans Jürgen Wulff erinnert an seine Verwendung von 1913, wo er zum Titel eines Films gemacht wurde, bis 2018 in der Eingangssequenz des Films IN DEN GÄNGEN mit dem „Tanz der Gabelstapler“. Zu den zahlreichen Beispielen gehört natürlich auch 2001: A SPACE ODYSSEY von Stanley Kubrick als musikalische Begleitung des schwebenden Raumschiffs.
Stephanie Großmann verweist auf die melancholische Seite der Walzer von Chopin, Sibelius und Schostakowitsch in Filmen wie I KNOW, WHO KILLED ME (2007) von Chris Sivertson, INTO ETERNITY: A FILM FOR THE FUTURE (2010) von Michael Madsen und WE ARE MANY (2014) von Amir Amirani. Bei Franziska Kollinger geht es um die Variationen des Valse musette in SOUS LE CIEL DE PARIS (1951) von Julien Duvivier. Salina Hangartner befasst sich mit der Kritik von Walzer- und Operettenfilmen um 1930, die damals das Kinoprogramm dominierten. Sabine Sonntag reflektiert über die Funktion des Walzers im österreichischen Spielfilm der 1950er Jahre, u.a. in MÄDCHEN-JAHRE EINER KÖNIGIN und SISSI, DIE JUNGE KAISERIN mit Romy Schneider.
Albrecht Riethmüllers zweiter Text, mit der Überschrift „Der alten Welt den Marsch blasen“, richtet den Blick auf Billy Wilders Musical THE EMPEROR WALTZ (1948) mit Bing Crosby. Die Musik stammte von Victor Young. Manfred Heidler stellt eine Szene in Volker Schlöndorffs Film DIE BLECHTROMMEL in den Mittelpunkt: wenn Oskar Matzerath marschierende Soldaten durch einen Musikwechsel zu tanzenden Paaren werden lässt. Aus dem „Badenweiler-Marsch“ wird „An der schönen blauen Donau“. Dieter Merlin äußert sich zur kommentierenden Funktion der Walzermusiken in dem Fernsehfilm LA TRANCHÉE DES ESPOIRES (2003) von Jean-Louis Lorenzi. Pascal Rudolph beschreibt den Klang der Erinnerung in WALTZ WITH BASHIR (2008) von Ari Folman.
Gerrit Bogdahn thematisiert den Film WALZERKRIEG (1933), der die Auseinandersetzung zwischen den Komponisten Joseph Lanner und Johann Strauss als Hintergrund für verschiedene Handlungsstränge verwendet. Janine Schulze-Fellmann entdeckt im Walzer einen Spiegel der Emanzipationsgeschichte im Tanz und ein Sinnbild für (weibliche) Emanzipation, Anarchie und Rausch. Ihr Filmbeispiel ist ANNA KARENINA (2012). Lars Nowak richtet seinen Blick auf den letzten Film von Max Ophüls, LOLA MONTEZ (1955), und sieht Dreh-bewegungen als auffälliges Gestaltungsmittel im Film und in den Tänzen der Protagonistin. Siegbert Wolff widmet seinen Text der Titelmusik von THE PERSUADERS! (1971-72), die im Dreivierteltakt erklingt, obwohl der musikalische Zeitgeist von Jazz und Pop geprägt ist.
Alle Beiträge verbinden ihre Reflektionen über den Walzer mit konkreten Filmbeispielen, die aus unterschiedlichen Epochen der Geschichte stammen. Die Emigration europäischer Komponisten in die USA in den 30er Jahren hat die Internationalisierung der Musikform verstärkt. Die Perspektivwechsel der Autorinnen und Autoren vergrößern den Erkenntnisgewinn und lassen das Buch zu einem Basiswerk über den Walzer im Film werden. Den drei Herausgebern gebührt dafür große Anerkennung. Ich bin gespannt auf die kommenden Bände der Reihe „Film – Musik – Sound“.
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