Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Dezember 2018

René Ruppert
Helmut Käutner
Freiheitsträume und Zeitkritik
Berlin, Bertz + Fischer 2018
420 S., 29,00 €
ISBN: 978-3-86505-332-9

René Ruppert:
Helmut Käutner.
Freiheitsträume und Zeitkritik

Er gehörte über drei Jahrzehnte zu den wichtigsten deutschen Regisseu-ren, realisierte zwischen 1939 und 1970 insgesamt 36 Kinofilme, unter-nahm in den 50er Jahren einen kurzen Ausflug nach Hollywood und arbeitete am Ende fürs Fernsehen. Über Helmut Käutner (1908-1980) hat René Ruppert eine Dissertation verfasst, die jetzt im Verlag Bertz + Fischer publiziert worden ist. Sie analysiert sein Werk auf hohem Niveau.

„Freiheitsträume und Zeitkritik“ heißt der Untertitel der Publikation. Damit ist auch der gesellschaftspolitische Anspruch des Regisseurs definiert, der sich in seinen Filmen in der NS-Zeit, in den Nachkriegs-jahren und in der über 20jährigen BRD-Zeit wiederfindet. Der vom Kabarett kommende Käutner hat fürs Kino Dramen und Komödien inszeniert. Sein wohl bekanntester Film ist DER HAUPTMANN VON KÖPENICK (1956) mit Heinz Rühmann. Sein für mich schönster Film bleibt UNTER DEN BRÜCKEN (1944/45) mit Carl Raddatz, Gustav Knuth und Hannelore Schroth. Unterschätzt wurden seine späten Filme DER REST IST SCHWEIGEN (1959) mit Hardy Krüger, SCHWARZER KIES (1961) mit Helmut Wildt und DIE ROTE (1962) mit Ruth Leuwerik. René Ruppert interpretiert sie auf differenzierte Weise.

Sein Buch ist chronologisch aufgebaut und in neun Kapitel strukturiert: Drehbücher in Gemeinschaftsarbeit (1938/39) – Die ersten eigenen Regie­arbeiten (1939-42) – Die frühen Meisterwerke (1943-46) – Der Neuanfang: Trümmer im Paradies (1947-50) – Auf dem Weg zu einem deutschen Genrekino (1950-53) – Flucht ins Comeback (1954-57) – Ein German director in Hollywood (1958/59) – Zwischen großer Leinwand und Kleinkunst-Bühne (1958-62) – Das Spätwerk – „Papas Kino“ ruft (1963-70).

Der Autor hat intensiv recherchiert und informiert vor jeder Filmana-lyse über die konkreten Produktionsvoraussetzungen, die in den Jahr-zehnten höchst unter­schiedlich waren. In einigen Fällen war Käutner selbst der Produzent. Bei vielen Filmen gab es Eingriffe der Zensur (NS-Zeit) oder der Produzenten. Sie werden soweit möglich vom Autor ge-schildert. Nach jeder Analyse gibt es ausführliche Hinweise auf die Rezeption mit vielen Zitaten aus zeitgenössischen Kritiken. Von der Kritik wurden vor allem Käutners Filme DIE LETZTE BRÜCKE, LUD-WIG II. und HIMMEL OHNE STERNE geschätzt.

In den Analysen wird die Handlung dargestellt, werden formale Lösun-gen geschildert und bewertet, bei Literaturverfilmungen wird auf wichtige Differenzen zwischen Vorlagen und Film hingewiesen, auch Darstellung und Montage, Musik und Ausstattung finden die angemes-sene Würdigung. Innerhalb der verschiede­nen Genres ist der Autor aufmerksam für die eigenen Wege, die Käutner jeweils gegangen ist. In der Summe wird deutlich, dass René Ruppert über umfassende filmhistorische Kenntnisse verfügt, die er in seiner Dissertation auf das Werk von Helmut Käutner fokussiert. Seine Quellenverweise sind umfangreich, aber man kann den Text auch lesen, ohne jeweils die Anmerkungen zu konsultieren.

René Ruppert (* 1980) hat in Mainz Filmwissenschaft und Germanistik studiert. Seine Dissertation wurde von Thomas Koebner initiiert und betreut, zum Gutachterausschuss gehörten Norbert Grob, Bernd Kiefer, Josef und Andreas Rauscher. Man darf hoffen, dass hier eine akade-mische Karriere in Gang kommt und dieser Autor auch künftig filmhistorische Texte verfasst.

1992 hat die Deutsche Kinemathek in der Akademie der Künste am Hanseatenweg eine Ausstellung zu Helmut Käutner veranstaltet und ich habe zusammen mit Wolfgang Jacobsen ein Buch über Käutner herausgegeben, das damals in der „Edition Filme“ erschienen ist. Im Zentrum standen ein Essay von Karsten Witte über Käutners Kinofilme („Im Prinzip Hoffnung“) und ein Gespräch des Regisseurs mit Edmund Luft („Kunst im Film ist Schmuggelware“). Die Kommentierte Filmo-grafie dokumentierte zeitgenössische Kritiken, Egon Netenjakob schrieb Notizen zu Käutners Fernseharbeiten („Revision Bel Ami“). Für Ruppert ist es „die wichtigste Publikation“ über den Regisseur und das Gespräch von Edmund Luft „das wichtigste Selbstzeugnis des Regisseurs überhaupt“.

Mit seinen fundierten Analysen geht das jetzt vorliegende neue Buch natürlich weit über die vor 26 Jahren erschienene Publikation hinaus. Es konzentriert sich auf die Kinofilme, die Fernseharbeiten bleiben ausgespart. Auch die filmogra­fischen Daten sind reduziert, sie enthal-ten jedoch Hinweise auf DVD- und Blu-ray-Veröffentlichungen. Die Auswahl der Abbildungen ist klug, ihre Qualität teilweise gut, teilweise grenzwertig in den Schwarztönen. Insgesamt: ein empfehlenswertes Buch über einen großen deutschen Regisseur.

Cover: HIMMEL OHNE STERNE (oben), GROSSE FREIHEIT NR. 7 (unten).

Band 29 der Reihe „Deep Focus“. Mehr zum Buch: http://www.bertz-fischer.de/helmutkaeutner.html