Filmbuch des Monats
Januar 2018
Robert Nippoldt, Boris Pofalla
Es wird Nacht im Berlin der wilden Zwanziger
Köln, Taschen Verlag 2017
224 S., 49,99 €
ISBN 978-3-8365-6319-2
Robert Nippoldt, Boris Pofalla:
Es wird Nacht im Berlin der wilden Zwanziger
Der Film ist zwar nur ein Thema in diesem Buch über das Berlin der Weimarer Republik, aber der Zeichner Robert Nippoldt gibt der Publikation eine filmische Atmosphäre, wenn er die Straßen, Häuser und Bahnhöfe der Hauptstadt mit seinem spezifischen grafischen Stil in Erinnerung ruft und mit all den porträtierten Persönlichkeiten belebt, die in der Politik, der Kunst, der Literatur, im Theater und im Film, in der Musik, in der Publizistik und im Sport eine besondere Bedeutung hatten. Dies ist also ein Filmbuch in einem weitergehenden Sinn, und ich finde es einfach grandios in seinem Blick auf die legendären 20er Jahre.
„Hollywood in den dreißiger Jahren“ war 2010 mein „Filmbuch des Jahres“ (hollywood-in-den-30er-jahren/ ). Fünf Jahre hat der Zeichner und Illustrator Robert Nippoldt an seiner neuen Publikation gearbeitet, für die er sich mit dem Kunstkritiker Boris Pofalla (FAZ) zusammen-getan hat. Das Resultat ist mehr als beeindruckend. In 63 kleinen Kapiteln wird die Stadt der 1920er Jahre in Text und Bild rekonstruiert. Es beginnt mit einer chronologischen Übersicht von 1918 bis 1933, einer historischen Einführung („Tanz auf dem Vulkan“) und einer Berlin-Karte. Dann geht es zu Personen, Plätzen, Gebäuden. Ein Beispiel: das „Haus Vaterland“:
Originell: die Würdigung des literarischen Berlins:
Dem Film sind neun Kapitel gewidmet. Sie handeln von Friedrich Hollaender („Der fliegende Hollaender“), Lotte Reiniger („Die Frau mit der Schere“), der Ufa („Die Filmfabrik“), Conrad Veidt („Der Somnam-bule“), den Horrorfiguren des expressionistischen Stummfilms, Friedrich Wilhelm Murnau („Der Filmkünstler“), Brigitte Helm („Die Maschinenfrau“), Emil Jannings („Der Stummfilmstar“) und Marlene Dietrich („Die preußische Diva“):
Beispielhaft eine Doppelseite aus dem Bereich Filmplakate:
Natürlich gibt es Kapitel über Albert Einstein, Friedrich Ebert, Max Schmeling, Kurt Tucholsky, Bert Brecht, Max Reinhardt, Magnus Hirschfeldt und Claire Waldorff, aber auch über die weniger bekannten Jeanne Mammen, Thea Alba (die Frau mit den zehn Gehirnen), die Salonière Betty Stern, über „Pionierinnen“ und „Die Neue Frau“.
Die letzten Kapitel sind dem Kriminalpolizeirat Ernst Gennat, dem Hellseher Erik Jan Hanussen, der Emigration und dem Untergang gewidmet. Das letzte Bild: Marlene Dietrich mit gepackten Koffern…
Man spürt auf jeder Doppelseite, mit wieviel Überlegung und – ja – Liebe Nippoldt und Pofalla Bilder und Texte miteinander verbunden haben, wie effektvoll zwischen Totale und Großaufnahme die Blick-winkel wechseln, wie einem der Zeitgeist aus diesem Buch entgegen-kommt. Immer wieder entdeckt man überraschende Details, und am Ende weiß man, dass dieses Buch einen festen Platz im Regal der Berlin-Publikationen beanspruchen darf. Man wird es noch oft in die Hand nehmen.
Beigefügt ist eine CD mit 26 Songs, von „Heute Nacht oder nie“ über „Wenn ich sonntags in mein Kino geh’“ und „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ bis zu „Good Night“.
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