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06. April 2018

Faust & Helena

Was hat deutsche Dichter und Denker über Jahrhunderte an der griechischen Geschichte so fasziniert? Die Kulturwissen-schaftlerin Claudia Schmölders hat sich auf eine intensive Spurensuche gemacht und dafür internationale historische Quellen erforscht, die sie uns in einem historischen Bogen vermittelt. Sie teilt ihren Text in die Darstellung des männlichen und des weiblichen Blicks. Im ersten Teil sind die wichtigsten Protagonisten der Kunstforscher Johann Joachim Winckel-mann, der Dichter Lord Byron, Goethe, Hölderlin, der Baumeister Karl Friedrich Schinkel, der Archäologe Heinrich Schliemann, der Historiker Jakob Philipp Fallmerayer, der Philologe Ernst Curtius, die Philosophen Hegel und Nietzsche, der Psychoanalytiker Siegmund Freud, der englische Schriftsteller Samuel Butler. Im zweiten Teil steht die britische Germanistin Elsie Butler im Mittelpunkt, die 1935 das provozierende Buch „The Tyranny of Greece over Germany““ publizierte, über das Walter Muschg 1965 schrieb: „Ein so genau belegtes, so glänzend geschriebenes kritisches Buch über die deutsche Klassik wie dieses gab es und gibt es in deutscher Sprache nicht.“ Die Autorin von „Faust & Helena“ schreibt einerseits über den deutschen Philhellenismus nach 1749 und informiert andererseits über die kulturelle und politische Situation in Griechenland, über die unterschiedlichen Regierungen, die schwierige Entwicklung der neugriechischen Sprache und das reale Leben. Die Zitate sind Aussagen von Zeitzeugen, aber erst die Verbindungen, die Claudia Schmölders’ eigener Text herstellt, bringen Widersprüche und Fragen zum Vorschein. Wunderbar, wie immer wieder eine gewisse Ironie zu spüren ist. Natürlich spielt der Philhellenismus der NS-Zeit eine große Rolle. Zweimal richtet sich der Blick auf den Film: auf Leni Riefenstahls zweiteiligen Olympia-Film und auf die Roman-Adaption ALEXIS SORBAS. Ich habe viel aus dem Buch gelernt und könnte in der Summe das Muschg-Zitat variieren: Ein so genau belegtes, so glänzend geschriebenes kritisches Buch über die deutsch-griechische Faszinationsgeschichte gab es bisher nicht. Coverabbildung: „Hellas auf den Ruinen von Missolonghi“ (1826) von Eugène Delacroix. Mehr zum Buch: /faust-helena/