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10. Januar 2016

DER BRIEF & OBRIGKEITSFILM von Vlado Kristl

142_0Er war der wohl größte Anar-chist des Neuen Deutschen Films. Die Unberechenbarkeit war eines seiner wichtigsten persönlichen Ziele. Der Kroate Vlado Kristl (1923-2004) lebte ab 1963 vorwiegend in Mün-chen. DER BRIEF (1966) war sein zweiter langer Spielfilm. Einerseits erzählte er eine kafkaeske Geschichte: wie der Mann T. (Kristl) einen Brief findet und auf vielen Umwegen zum Empfänger bringt. Der Brief enthält das eigene Todesurteil. T. wird hingerichtet. Andererseits zeigt er aus heutiger Sicht – also fünfzig Jahre später – viele junge deutsche Filmemacher, die nicht mehr am Leben sind. Man sieht Horst-Manfred Adloff, Boris von Borresholm, George Moorse, Peter, Thomas und Ulrich Schamoni, Karl Schedereit, Detten Schleiermacher, Petrus Schloemp, Franz Josef Spieker, Hans Rolf Strobel – und auch einige, die noch leben: Peter Berling, Peter Genée, Klaus Lemke, Christian Rischert, Eckhart Schmidt. Auch drei berühmte Kameraleute sind zu entdecken: Sven Nykvist, Jörg Schmidt-Reitwein und Gérard Vandenberg. Sie alle haben sich mit ihrer Mitwirkung vor Vlado Kristl verneigt. Die unruhige Kameraführung (Wolf Wirth) gehörte zu Kristls Konzept, sie nervte damals und tut das auch heute. Dennoch: ein wichtiges Dokument der Zeit. Der zweite lange Film auf der DVD heißt OBRIGKEITSFILM, dauert 81 Minuten, wurde bei den Hofer Filmtagen 1971 uraufgeführt und macht etwas ratlos, weil man nicht versteht (verstehen soll/ verstehen kann), was sich vor der Kamera abspielt. Einmal lassen die Protagonisten die Hosen herunter. Wie auf Befehl. Und Jean-Marie Straub deklamiert vor einem Scheiterhaufen: „Es brenne hier, sprach Goethe“. Danièle Huillet schweigt dazu. Zum Bonus-Material gehören die Kristl-Filme ARME LEUTE (1963, 8 Min.), AUTORENNEN (1965, 10 Min.), DIE UTOPEN (1967, 9 Min.), 100 BLATT SCHREIBBLOCK (1968, 26 Min.) und SEKUNDENFILME (1969, 18 Min.). Mehr zur DVD: Der-Brief—Obrigkeitsfilm.html Und ich empfehle das Buch von Christian Schulte: „Vlado Kristl. Die Zerstörung der Systeme“, das 2010 im Verbrecher Verlag erschienen ist: buch/206