Texte & Reden
15. November 1985

Filmkritik in den fünfziger Jahren

Vortrag an der Universität Marburg

In den Kinos der Bundesrepublik – also auch in Marburg – ist zurzeit ein amerikanischer Film erfolg­reich, der uns zurückführt in die fünf-ziger Jahre, genauer: in den November 1955. back to the future. Ich will dem Film auf seiner Spur folgen, zurückblicken in diesen Herbst 1955 und Ihnen erzählen, was damals für Filme zu sehen waren und wie über diese Filme geschrieben wurde. Ich kann das natürlich nicht so konkret wie der amerikanische Film, und ein Vortrag fällt ohnehin nie so fantasievoll aus wie ein Film, den Steven Spielberg produziert hat. Dennoch. Was gab es in jedem Herbst 1955 in den Kinos der Bundes-republik zu sehen? Ich nenne einige Titel und dazu die Regisseure.

Deutsche Filme: liebe, tanz und 1000 schlager von Paul Martin, himmel ohne sterne von Helmut Käutner, die bar-rings von Rolf Thiele, roman einer siebzehn­jährigen von Paul Verhoeven, zwei blaue augen von Gustav Ucicky, der letzte mann – ein Remake – von Harald Braun, das forsthaus in tirol von Hermann Kugelstadt, rosen im herbst von Rudolf Jugert, solange du lebst von Harald Reinl, suchkind 312 von Gustav Machaty, drei mädels vom rhein von Georg Jacoby. Amerikanische Filme: bad day at black rock (deutsch: stadt in angst) von John Sturges, not as a stranger (und nicht als ein fremder) von Stanley Kramer, the man from lara-mie (der mann aus laramie) von Anthony Mann, house of bamboo (tokio-story) von Samuel Fuller, daddy long legs (daddy langbein) von Jean Negulesco, othello von Orson Welles, backboard jungle (saat der gewalt) von Richard Brooks, we are no angels (wir sind keine engel) von Michael Curtiz, man without a star (mit stahlharter faust) von King Vidor, the sea of grass (endlos ist die prärie) von Elia Kazan, the left hand of god (die linke hand gottes) von Edward Dmytryck. Französische Filme: le jour se leve (der tag bricht an) von Marcel Carné, chiens perdus sans collier (wie verlorene hunde) von Jean Delannoy, rififi von Jules Dassin, les heros sont fatigues (die helden sind müde) von Yves Ciampi, le rouge et le noir (rot und schwarz) von Claude Autant-Lara, futures vedettes (reif auf junge blüten) von Marc Allégret. Italienische Filme: la donna del fiume (die frau vom fluss) von Mario Soldati, l’oro di napoli (das gold von neapel) von Vittorio de Sica. Ein österreichischer Film: die sennerin von st. kathrein von Herbert R. Fredersdorf.

30 Titel aus dem Kinoprogramm der Bundesrepublik im Herbst 1955. Die Namen der Regisseure zu nennen, war damals unüblich. Abgese-hen von Orson Welles, Helmut Käutner oder Vittorio de Sica waren sie dem Publikum kaum geläufig. Filme wurden nicht als Filme von Regis-seuren verkauft, sondern als Filme mit Stars. Ich nenne Namen: Caterina Valente, Peter Alexander, James Stewart, Cary Grant, Spencer Tracy, Dieter Borsche, Nadja Tiller, Robert Mitchum, Frank Sinatra, Marianne Koch, Hans Albers, Romy Schneider, Fred Astaire, Leslie Caron, Gérard Philipe, Danielle Darrieux, Sophia Loren, Humphrey Bogart, Ruth Leuwerik, Adrian Hoven, Rudolf Lenz, Curd Jürgens, Silvana Mangano, Jean Marais, Brigitte Bardot, Kirk Douglas, Jean Gabin. Sie alle spielten in den genannten Filmen mit. Das ist – abge-sehen davon, dass Maria Schell und O. W. Fischer fehlen – eigentlich schon eine Aufzählung all jener, die damals Rang und Namen hatten und vom Publikum geliebt wurden. James Dean war im September 55 nach einem Autounfall gestorben. 08/15 und sissi galten als Filme des Jahres. Der Schah von Persien und die damalige Kaiserin Soraya wurden bei einem Staatsbesuch wie Filmstars gefeiert. Andererseits wurde die Bundeswehr gegründet. Konrad Adenauer unternahm einen Staatsbesuch in Moskau mit relativ großen Folgen. Die Bundesrepublik war im Mai 55 souverän geworden.

Um die Art und Weise, in der damals über Film geschrieben wurde, besser verstehen und analysieren zu können, müsste natürlich das gesellschaftliche Klima jener Zeit charakterisiert werden. Aber ich gehe jetzt einfach einen anderen Weg und versuche, durch Zitate aus Kriti-ken etwas vom Zeitgeist wiederzugeben, der damals herrschte. Ich konzentriere mich auf Zitate aus überregionalen Zeitungen und Zeit-schriften, also aus der Frankfurter Allgemeinen, der Süddeutschen Zeitung, der Welt (die damals noch Gewicht hatte), aus der Frank-furter Rundschau, dem Spiegel, der Zeit und aus einigen Filmzeit-schriften, obwohl es seriöse Filmzeitschriften damals kaum gab. Es gab drei populäre Filmzeitschriften, Filmrevue, Star-Revue und Film und Frau, die für ein großes Publikum über Filme in sehr verkaufsfördern-der Art berichtet haben, während die Filmclub-Zeitschrift Filmforum (in der unter anderen Enno Patalas, Ulrich Gregor, Hilmar Hoffmann und Dieter Krusche schrieben) nur einen kleinen Interessentenkreis erreichte. Einflussreicher waren damals zwei filmkritische Organe, die kirchlich, also vor allem moralisch argumentierten: der (katholische) Film-Dienst (den es noch heute gibt) und der Evangelische Filmbeob-achter (der 1984 mit der Korrespon-denz Kirche und Film zur Zeit-schrift epd Film fusioniert wurde). Beide konfessionellen Dienste haben die Gläubigen in den fünfziger Jahren – eng an den Kirchen-meinungen orientiert – in Fragen des Kinobesuchs beraten.

Film war in der damaligen Zeit kulturell nicht sehr akzeptiert, war kein Gegenstand, der bei Feuilleton­redakteuren größere Beachtung fand. Man muss sich dazu in Erinnerung rufen, dass die Zeitungen damals wesentlich weniger Umfang hatten als heute, in der Regel nur acht bis zehn, am Wochenende bis zu zwanzig Seiten. Das Feuilleton der Süd-deutschen Zeitung war an Werktagen auf eine drittel Seite beschränkt, ebenso in der Frankfurter Rundschau, die ja noch heute ein sehr schmales Feuilleton hat, während die Frankfurter Allgemeine damals schon eine ganze Seite bot. In der Frankfurter Rundschau wurde beispielsweise von Oktober bis Dezember 1955 nicht eine einzige Filmkritik publiziert, in der Welt wurden nur „große“, also künstlerisch bedeutende Filme kritisiert, die anderen bekamen im Lokalteil zehn oder zwölf Zeilen, in der Süddeutschen Zeitung wurden viele so genannte „Sammelkritiken“ veröffentlicht, also fünf oder sechs Filme mit je einem Acht- oder Zehn-Zeiler gewürdigt. Es fand in den Zeitun-gen auch keine übergreifende Debatte zu filmästhetischen oder film-politischen Themen statt, es wurde in Einzelkritiken gelobt und getadelt, beziehungsweise – wie Helmut Färber das einmal gesagt hat – „gejuchzt oder geseufzt“.

Zur Einstimmung gleich eine Ausnahme, ein wahrhaft übergreifender Text des Münchner Kritikers Gunter Groll aus der Süddeutschen Zeitung vom 8./9. Oktober 1955. Unter dem Titel „Und malt Figuren in den Sand“ parliert Groll, der be­rühmteste Filmfeuilletonist und Kritiker jener Jahre, über die Entwicklung des Films und speziell des deutschen Nachkriegsfilms. Er nummerierte – wie schon Alfred Kerr – seine Absätze mit römischen Ziffern.

              I

Bedenkt es, wenn Ihr zurückblickt, Freunde des Films, auf ein Jahrzehnt in Zelluloid. Der Film ist noch ein kleines Kind und das Geschäft ist seine Amme.

              II

Erwartet nicht zuviel von ihm. Jahrtausende ist das Theater alt (und eigentlich ist das Ergebnis, blick ich mich um in der Dramatik unserer Tage, so überwältigend nun auch gerade nicht) – der Film indessen hat in lächerlichen Fünfzig Jahren gelernt, zu laufen und zu sprechen; und siehe da, nun malt er sogar schon, der Kleine; und wenn er auch viel Unfug treibt, so hat er doch bereits auch eine Menge Hübsches und Ermunterndes geleistet. Erwartet nicht zu viel von ihm, aber auch, bitte, nicht zu wenig, der ist ja sehr gefällig: Auf die Dauer tut er alles, was Ihr von ihm wollt,

Unter den Ziffern II bis VIII hangelt sich Groll von Breitwand- und Farbfilmfilm über den Naturfilm (sein Lieblingsgenre) zum Hollywoodfilm, macht dem italienischen, französischen und japanische Film einige Komplimente, kommt unter Ziffer VIII zu seinem Thema:

              VIII

Und Deutschland? Hinunter ging’s, im Chaos des Zusammenbruchs, so tief hinab, dass es durchaus der Anfang jener Erneuerung hätte sein können, von der damals allenthalben die Rede war, aber meist nur die Rede. Tatsächlich zeigten sich auch Ansätze (es war die Zeit der nachtwache, des duells mit dem tode und der berliner ballade) – doch ach, in Deutschland treibt man, was man treibt, gern auf die Spitze. Man übertrieb’s. Der Trümmer- und Erneuerungsfilme war kein Ende. Staub, Staub und Ächzen. Und war er nicht zu Tode betrübt, der neudeutsche Film, so war er gleich aufs furchtbarste fidel. (Wir nannten es: Panik et cirsences.)

              IX

Dann schlug es um. Die große Leere – nun war sie ganz von Lärm erfüllt und hektischem Gelächter. Der Film als Amüsierbetrieb florierte wieder. Er produzierte Heideglück-Romanzen oder Badewannen-Scherze – und selbstverständlich, hahaha, verlor der Held die Hose. Es sank die Hose, das Niveau und der Geschmack – der deutsche Film sank, aber der deutsche Film sang: von der trauten Heimat und dem Röslein rot. Sang oder kicherte. Es war die verlorene Zeit, die Zeit der Hosen und der Rosen – ach, war das traurig damals.

              X

Aber auch das verging. Es kam die Restauration des Ufa-Stils. Sie brachte manches Ärgerliche, doch auch manches Gute: handwerklich wenigstens ging es voran. Solidarität war wieder gefragt. Die Leere war nicht mehr von Lärm erfüllt, sondern von höchst gepflegtem Getön. Man spielte Klavier hinter sanften Gardinen, und der dezente Rittmeister bestieg im dämmernden Park seines Vaters Pferde. Doch hinter den Fassaden gähnte es noch immer. Bis endlich dann der Wecker rasselte – und man erwachte, und es war ein anderer Tag. Das war die Zeit der letzten brücke. Seither spielt Deutschland wieder mit.

               XI

Seither gibt es wieder deutsche und gleichwohl sehenswerte Filme. Erwähnen wir nur sieben: canaris und des teufels general, weg ohne umkehr, kinder, mütter und ein general, Falk Harnacks 20. juli, die ratten und, um auch einen Naturfilm zu nennen, Schumachers karakorum. Gewiss reicht keiner davon an Filme heran wie kinder des olymp oder verbotene spiele, wie rampenlicht oder die schönen der nacht, wie faust im nacken oder gott braucht menschen oder auch wunder der prärie… Doch niemals vorher in zehn kritischen Jahren hatten wir so viel Anlass zu hoffen. Zu jubeln freilich haben wir noch keinen Grund. Denn das es gute deutsche Filme gibt, sollte sich eigentlich von selbst verstehen, Es gilt indessen nicht als selbstverständlich, sondern fast als spätes Wunder – Beweis genug, wie tief der Sturz war. Noch gibt es keinen eigentlichen Stil des deutschen Films. Noch gilt es als höchstes Lob, unsere besten Filme „fast französisch“ zu nennen oder „geradezu italienisch“ oder „perfekt wie ein Werk aus Hollywood“. Machen wir uns nichts vor: wir segeln im Kielwasser, wir trotten hinterher, wir holen bestenfalls auf und nach. Das ist nicht gar so gewaltig – in einem Jahrzehnt zumal, da der internationale Film weitgehend sein Gesicht verloren hat (an die Technik, der er nicht nachkommt, an die Kasse, die er zu füllen hat, an eine Zeit des unklaren Übergangs) und künstlerische von den Glücks- und Ausnahmefällen lebt. Sie kochen, sehen wie von den Glücksfällen ab, zwar raffinierter in Paris, frischer in Rom und heißer in Hollywood – aber auch heißes Wasser, so sagt ein chinesisches Sprichwort, ist schließlich nur Wasser.

 Gunter Groll (geboren 1914, gestorben 1982) war in den fünfziger Jahren der am meisten gelesene und geliebte Filmkritiker in der Bundesrepublik. In zwei Sammelbänden (Magie des Films, 1953; Lichter und Schatten, 1956) sind viele seiner Texte aufbewahrt; in einem schmalen Büchlein (Demnächst in diesem Theater, 1957) hat er sich heiter-ironisch-assoziativ zur Filmgeschichte und zur Filmkritik geäußert, seine 1937 veröffentlichte Dissertation (Das Gesetz des Films / Buchtitel: Film, die unentdeckte Kunst) war vergleichsweise unideo-logisch. Die ‚leichte Form’, in der Groll seine Filmkritiken schrieb, war eine sehr individuelle Reaktion auf das vorangegangene Dogma der Kunstbetrachtung des Nationalsozialis­mus. Groll nutzte die neue Frei-heit der Kritik mit Intelligenz. In seinen Texten gab es Gedanken-spiele, ironische Metaphern, Aphorismen, die den Leser zum Genießer machten. Vor allem dies haben ihm die Ideologiekritiker zum Vorwurf gemacht, und: dass er unanalytisch, undialektisch, unernst – also unpolitisch – geschrieben habe. Dass Groll mit seinem Sprachwitz und seinem Widerstand gegen falsches Pathos ein sehr spezifisches Demokratieverständnis artikuliert hat, wurde oft übersehen.

Zurück in den Herbst 1955. Ich wähle jetzt drei Filme aus den vielen genannten aus, zu denen ich Kritiken zitiere: 1. himmel ohne sterne von Helmut Käutner, ein relativ wichtiger Film, der ein deutsches Gegenwartsthema behandelte. 2. rififi, ein französischer Kriminalfilm von Jules Dassin und 3. the man from laramie von Anthony Mann, ein amerikanischer Western.

Ich habe diese drei sehr unterschiedlichen Filme unter anderem deswegen gewählt, weil sie Ihnen möglicherweise bekannt sind. rififi ist gerade wieder in die Kinos gekommen, himmel ohne sterne und the man from laramie sind gelegentlich im Fernsehen zu sehen. An den Kritiken interessiert mich: Wie wurden diese Filme beachtet? Wer schrieb über sie? Wie wurde die Darstellungsform der Filme gesehen? Was für eine Sprache hatten die Kritiker?

Ich beginne mit himmel ohne stern und zitiere zunächst aus der Zeit (22. Dezember 1955). Die Zeit hatte damals gerade angefangen, eine Spalte mit „Filmtips“ zu veröffentlichen (das macht sie auch heute noch, aber der Ton ist ein bisschen anders geworden). Zwölf Zeilen damals:

himmel ohne sterne. Helmut Käutner, der mit der letzten brücke als erster nach 1950 den mutigen Versuch unternahm, einen Kriegsfilm zu drehen, war es auch, der das „Thema Nr. 1“ des zer-rissenen Deutschlands, die Grenze mitten durch das Volk, in einem Filmwerk zuerst aufzugreifen wagte. Was an Negativem über diesen beinahe gelungenen Streifen zu sagen ist, drückt schon der Reklame-titel „Romeo und Julia 1955“ aus. Man kann nicht einen „unpolitischen Film“ über Menschen drehen, die Ideologien zum Opfer fallen.

Die Kürze und das Vokabular sind relativ typisch für die Art und Weise, in der Mitte der fünfziger Jahre in der Zeit über Film geschrieben wurde. Die Zeit war damals natürlich nicht so umfangreich wie heute, es gab nur zwei Seiten, über denen das Wort „Feuilleton“ stand, die aber kaum informierende, bewertendes, kritisierende, sondern vorwiegend literarische Texte boten. Und es gab zwei Seiten mit Literatur- und Kunstkritik – also insgesamt vier Seiten. Dort wurde allerdings nicht über Film geschrieben. Es gab ganz hinten noch eine vierseitige Kunstdruckbeilage (konzipiert wie jetzt das „Moderne Leben“) und dort standen die Tips für Hörfunk und Film. Und da ist dann himmel ohne sterne „ein beinahe gelungener Streifen“.

Das nächste Zitat stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (20. Februar 1956), von dem Kritiker Karl Korn (geboren 1908), damals Mitherausgeber der Zeitung. Die Kritik war sehr umfangreich, machte sich Gedanken darüber, wie der Film bei den Filmfestspielen in Cannes aufgenommen werden würde und schilderte ausführlich die Handlung des Films. Diese Passagen lasse ich weg und zitiere zwei zentrale Absätze:

Helmut Käutners Film von der Zonengrenze setzt stark ein. Das Atmosphärische stimmt. Die Kamera greift aus dem Dunkel der Wälder und verrotteten Gleisstrecken eine Folge suggestiver Bilder und setzt sie hart im Schnitt hinter- und gegeneinander. Wer Nerven hat, wird plötzlich erschauern, sich gleichsam ertappt fühlen. Jede Grenze hat ihre Dämonie. Diese ist eine Grenze des Schreckens. Das Schlimmste ist, dass man nicht von ihr spricht. (…)

Was ist dieser Film? Genau vermag man es nicht zu sagen. Wo er Liebesromanze ist, mag er rühren. Aber die Geschichte bleibt trotz der Verhaftung in ein dunkles politisches Schicksal privat. Das Mädchen (Eva Kotthaus) mit dem schlichten Haarknoten trifft den Typ, wird aber unbegreiflicherweise von der Regie zweimal so attraktiv erotisch in Szene gesetzt, dass man das am Pariser Vorbild erlernte Kinoraffi-nement verstimmt durchschmeckt. Das ist ein Jammer, insbesondere weil auch der Partner Erik Schumann den jungenhaften Kerl und tumben, nicht unedlen Burschen gut trifft. Das urfilmische Thema der Jagd wird in diesem dramaturgisch gekonnten, hart und treffend geschnittenen Film virtuos beherrscht. himmel ohne sterne ist da fast auf der Höhe des dritten manns. Auch ist die politische Schwarzweiß-zeichnung meist vermieden. Wenn freilich die Lichter für eine der beiden Seiten günstiger ausfallen, dann für die drüben hinter dem Eisernen Vorhang. Die Kolonialwarenhändler auf unserer Seite müssen gelegentlich zu ihrem eigenen Nachteil politisches Plakat-deutsch übers liebe Wirtschaftswunder reden. In einigen Details ist der tendenziöse westdeutsche Masochismus zu spüren, der mehr auf schlechtes Gewissen zurückzuführen ist, als auf Selbstkritik und Einsicht.

Es mag am Thema liegen („Film von der Zonengrenze“), dass in dieser Kritik (auch in den hier ausgelassenen Passagen) Inhalt und Form, Film und Realität oft durcheinander gebracht werden. Der Film „setzt stark ein“, das „urfilmische Thema“ wird „virtuos beherrscht“ und in einigen Details „ist der tendenziöse westdeutsche Masochismus zu spüren“ und vor allem: „Jede Grenze hat ihre Dämonie.“ Am Ende der Handlungsschilderung heißt es: „Das Paar fällt kurz hinter dem Sta-cheldraht, der die Kolosse Ural und Arizona mitten im alten Märchen- und Sagenwald Thüringens von einander scheidet.“ Das Pathos, mit dem der Autor politische Realitäten in Metaphorik ver-wandelt, ist so zeittypisch wie das Unvermögen, einen ästhetischen Befund zu liefern: in zwei erotischen Szenen schmeckt der Kritiker (verstimmt) „das am Pariser Vorbild erlernte Kinoraffinement“ durch, der Film ist „hart und treffend geschnitten“ und also „fast auf der Höhe des dritten manns.“ Nichts vermag der Autor genau zu sagen und wenn er am Ende die Darstellung von Erich Ponto beschreibt („der eigentliche Hauptdar-steller, der kollektives Schicksal personell vertritt“) so steht da: „In diesem Gesicht ist deutscher Untergang gezeichnet, schrecklich und wahr.“

Auch die Kritik der in der Frankfurter Rundschau (17. Februar 1956) setzt stark ein:

Grau schimmert der himmel ohne sterne überall dort, wo Ost und West sich begegnen; grau und gleichgültig liegt der Alltag über allem. Wie stumpf sind die meisten geworden im Gleichmaß der Tage. Nur ein paar junge Menschen versuchen, ihr Leben zu leben. Arglos, dennoch mit einer scheuen, verhaltenen Zuneigung, also eigentlich ganz unzeitgemäß, streben sie zueinander. Aber sie schaffen es nicht. Im Stacheldraht an der Zonengrenze bleiben alle ihre Hoffnungen und Wünsche hängen. Sie selbst bleiben auf der Strecke; irgendwo auf dem 1365 Kilometer langen Grenzstreifen erwischt es beide, den jungen westdeutschen Polizisten von hüben und die Arbeiterin von drüben. Keiner von beiden ist das, was man einen „politischen“ Menschen nennt. Keiner von beiden ist Spion, Verräter oder Über-läufer.

Ganz ohne Sensation, ohne die übliche Kolportage wird das erzählt, was ihnen geschieht und was dort jedem jungen Menschen morgen oder übermorgen wiederum geschehen könnte. Beklemmend nah, erregend gegenwärtig ist diese Geschichte, deprimierend wahrhaftig, ohne alle Schönfärberei, ohne den filmischen Trost des Happyends. (…) Alles Wesentliche stimmt an diesem Film. Aus der unverstellt gesehenen Wirklichkeit schaut überall Wahrheit hervor. Keine Anklage, keine Tendenz. Gerechter kann man sich die Story kaum vorstellen. Wenn nicht eine zuweilen sentimentale, melodramatische Musik manches verdürbe, wenn nicht gelegentlich Reportageeffekte verwendet würden, wäre es vielleicht ein vollkommener Film geworden. Aber auch so müssen wir dankbar sein, dass er zustande kam.

Der Autor, Hannes Schmidt, ist gewiss nicht sehr souverän in den Mitteln seiner Beschreibung und Kritik, auch er verhält sich zur politischen Realität beschwörend-pathetisch und leistet sich Sprach­klischees bei der formalen Einschätzung des Films („Aus der unver-stellt gesehenen Wirklichkeit schaut überall Wahrheit hervor.“), aber er unterscheidet sich zumindest im Qualitätsurteil von anderen Kritikern, die Käutners Film Kolportageeffekte und eine unverbindliche Privat-heit seiner Geschichte vorwerfen. Auf den wichtigen melodramatischen Aspekt des Films hat erst Jahre später Winfried Günther aufmerk­sam gemacht (in seinem Käutner-Nachruf in Filme (4/ 1980)), er konnte damals wohl nicht erkannt werden.

Auch Georg Ramseger (geboren 1912), Filmkritiker der damals noch liberalen und seriösen Zeitung Die Welt, hat sich eher skeptisch zu Käutners Film geäußert:

Der Film will die optisch überzeugende Wirklichkeit, aber man kann eine grauenvolle Wirklichkeit nicht spürbar werden lassen in Men-schengestalten, die im Grunde weder böse sind noch das Böse wollen, noch als Träger eines dämonischen Willens handeln. So verharrt denn auch der Film lange Meter hindurch in den Gärten – überschatteten – des Idylls oder aber des vordergründigen Abenteuers. Es gelingen Käutner im Einzelnen außerordentlich treffend charakterisierende Nuancen – das Gemälde von Scapa Flow in der deutschen Wirt-schaftswunder­stube ist dabei ebenso beziehungssatt wie der Stich von Dresden an der Wand des Oberlehrers auf der anderen Seite – aber dann kommen die tückisch-braven Sprüche von „Ost und West an einen Tisch“ und umgekehrt wieder Worte wie „Der Mann ist von drüben – es gibt eine Grenze – auch für Dich“, die den atmosphärisch guten, grau-hoffnungsarmen Bildern oft genug ihre eindrucksvolle Wirkung nehmen.

Gunter Groll, der Filmkritiker der Süddeutschen Zeitung, war ein Verehrer des Regisseurs Helmut Käutner. Dies wird wohl auch deutlich in seinem Text zu himmel ohne sterne (SZ vom 10. November 1955):

Die graue Grenze

               I

An diesem Film, der nichts als Unerfreuliches zeigt, ist nichts unerfreulich als höchstens die Tatsache, dass man ihn nicht schon früher drehte. (Zehn Jahre hat’s gedauert, bis Deutschlands Film das deutsche Schicksalsthema anzupacken wagte: die Grenze zwischen Deutschland und Deutschland.) Aber seien wir froh, dass er überhaupt gedreht wurde. Er kommt nicht zu spät. Das Gute kommt nie zu spät.

               II

In vielen Diskussionen über diesen Film wurde alles Mögliche, doch nie die Frage debattiert, ob er ein guter Film sei. Als sei das selbst-verständlich (und gute Filme, in der Tat, wirken, als sei es selbstver-ständlich, dass sie gut sind), fragte man sich lediglich, ob er der beste deutsche Nachkriegsfilm sei oder vielleicht der dritt- oder fünftbeste. Welch ein Triumph für einen Film, von dem man sieben Jahre lang (denn Käutner hatte diese Idee schon 1948) durchaus nichts wissen wollte.

               III

Es ist ein beunruhigender Film. Wohin er auch immer seinen Finger legt -. Er legt ihn in eine Wunde; und wohin er immer fasst – er fasst in Stacheldraht.

               IV

Dann hier beginnt sie, die groteske, die verfluchte Grenze, die 1365 Kilometer lang durch Deutschland läuft – und durch Korea, Indochina und das Herz der Welt. Wenn je die Atomkanonen in Stellung gehen, wenn je wieder Feuer vom Himmel fährt – an dieser Grenze letztlich wird es sich entzünden. Kein Wort sagt der Film davon, aber er zeigt’s.

               V

„Es ist ein unpolitischer Film“, sagte Käutner über sein Werk. Das ist ein verblüffender Selbstkommentar – denn wenn es jemals einen politischen Film gegeben hat, dann diesen. Freilich: es gibt nur die Auswirkung der Politik auf die privaten Schicksale von Menschen aus dem Grenzgebiet, die ihrerseits von Politik nichts wissen sollen. Gerade das aber und dass gerade sie am Ende fallen, im Feuer von Ost und West, ist ein umso entsetzlicheres Dokument von Politisierung unserer Welt. Ein unpolitischer Film? Käutner ist, unter anderem ein Eulenspiegel.

               VI

Grau ist die Grundfarbe solcher Filme, das kann nicht anders sein. Stacheldraht, Nebel im Niemandsland, das ärmliche Karussell, das spärliche Sonnenlicht, das auf dem alten Stich von Dresden flimmert wie der Widerschein des großen Brandes – das sind die Symbole des tödlichen Spiels. Doch es ist keiner der Filme, die sich gewaltsam trostlos gebärden. Es ist eine echte Zeit-Tragödie, von jener Art, die Morgenstern vor 50 Jahren prophezeite: die Tragödie der kommen-den, also unserer Zeit, so schrieb er, werde zeigen müssen, „was der Mensch verbrochen und was er gutzumachen hat.“

               VII

Seltsam genug – doch auch wieder erklärlich – , dass gerade dem Film, der seinerseits ja genug verbrochen hat und wieder gutzu-machen hat, solche Tragödien besser zu gelingen scheinen als meist dem Theater. Nach seiner gusseisernen Konversations-Epoche tritt Deutschlands Spitzenfilm nun in die Zeit der heißen Eisen ein.

Groll geht dann – Ziffern VIII bis XII – noch auf die Ost-West-Realität, auf die Schauspieler und die Filmbewertungsstelle ein. Im zitierten Text sind sehr typische Zutaten von Groll enthalten: seine Sprachspiele und Aphorismen. Eher ungewöhnlich für ihn sind die Beschwörungen. Nicht in einer Argumentation wird vermittelt, warum dies ein für Groll so beeindruckender Film ist, sondern in suggestiven Kleinkapiteln, die immer neue Anläufe nehmen, um eine Stimmung, eine Ergriffenheit spüren zu lassen. Das ist insgesamt ein Charakteristikum der Kritiken zum himmel ohne sterne: dass sie beherrscht sind von einem außer-ordentlichen Pathos, das sich offensichtlich aus dem Zeitbezug ergibt, in dem der Film operiert. Es gab damals wenige deutsche Filme, die sich überhaupt mit der Gegenwart beschäftigten, und himmel ohne sterne war der erste, der das Thema Grenze ernst nahm. Es gab immer wieder Filme, die zwischen Ost und West spielten, Schmuggler-geschichten, Kriminalstorys, Agentenplots. Aber Käutners Film thematisiert die Grenze, und das Pathos der Kritiker war gleichzeitig Ausdruck ihrer Hilflosigkeit, rational und distanziert mit dem Film umzugehen. Andererseits wurde Käutner von einigen Kritikern der Vorwurf gemacht, dass er sein Thema an einem privaten Schicksal abhandle. Die Debatte blieb allerdings im Ansatz stecken, weil die Forderung, man müsse dieses Thema „politisch“ und nicht „privat“ formulieren, zu allgemein vorgetragen wurde. Nur in einer etwas entlegenen Kritik wird dies genauer ausgeführt. Ich zitiere aus der Zeitschrift film 56 (Nr. 1, Januar 1956):

So geht es nicht, wenn man den Bundesbürger zum Nachdenken bringen will. Ein bisschen Satire und viel Kolportage mit Gefühl ist nicht das richtige Rezept. Man überlege sich einmal, wie diese Geschichte wohl in Wirklichkeit abgelaufen wäre und wie ein neorealistischer Regisseur sie einzufangen versucht hätte. Sicherlich viel undramatischer, viel weniger „tragisch“, aber gesellschaftlich konkret. Die Kol­portage wäre entbehrlich geworden. Da hätte der Grenzer nicht das Kind hinüber­zubringen brauchen, der Junge wäre nicht „zufällig“ wieder ausgestiegen, der Russe nicht erschossen worden, da hätte die Frau nicht plötzlich Fieber gekriegt… Es wären ganz andere Probleme entstanden. Für die Mutter zum Beispiel: wie findet sich das Kind, das an Überfluss gewöhnt war, in der neuen Welt zurecht? Für den Grenzer: was macht er, nachdem er entlassen wurde? Geht er vielleicht der Frau nach und nimmt Arbeit im Osten an? Oder kommt sie mit dem Kind zurück? Dann wären Zustands-schilderungen von Ost und West notwendig geworden. Dann hätten die Alltagsprobleme der Menschen hier und dort zur Debatte gestanden.

Aber Käutner soll gesagt haben, dass er ausdrücklich keinen politischen Film habe drehen wollen, sondern eine Liebesgeschichte. (Wir Deutschen schätzen nun einmal das „rein Menschliche“!) Liebende freilich können an allem und jedem leiden, jede Kleinigkeit kann zwischen ihnen schon eine Grenze bedeuten, so dass es jenes Streifens Stacheldraht von Lübeck bis Hof nicht bedurft hätte, um eine tragische Klage zu erfinden und den von vornherein verlorenen Konkurrenzkampf mit Shakespeare aufzunehmen. Doch natürlich möchte man aktuell sein. So wer­den denn die Lebensfragen unseres Landes wieder einmal zum Vorwand privater Konflikte gemacht und verschlissen, um den Bürger das Gruseln zu lehren.

So wird in dieser Kritik – von der ich nur den Schluss zitiert habe – ein ganz anderer Film eingefordert, ein Gegenentwurf formuliert. Der Autor, Wilfried Berghahn (geboren 1930, gestorben 1964), gehörte zu den Gründern der Zeitschrift Filmkritik, die ab Ende der fünfziger Jahre als Ideologiekritik gegen die herrschende feuilletonistische Kritik antrat. Ich komme darauf zurück.

Mein zweites Filmbeispiel ist rififi, ein Film aus Frankreich, der schon durch seinen befremdenden, chiffrierten Titel viel Publicity bekam. Ich zitiere zunächst einen Zehnzeiler aus dem Spiegel. Der Spiegel hatte damals eine Rubrik „Film / Neu in Deutschland“. Da wurden in jeder Woche drei bis fünf Filme kurz und knapp abgehandelt. Etwa so:

rififi (Frankreich). Einhundertacht Minuten Seminar für Fortge-schrittene über die hohe Kunst des Juwelenraubs und den blutigen Ehrenkodex der Pariser Unterwelt. Moralfrei dargeboten von Jules Dassin, einem nach Europa zurückgekehrten Pionier des harten Hollywood-Films. Selten wurde auf der Leinwand fachkundiger und sachgemäßer gemordet, geraubt und gerächt. (Pathé.)

Der kurze Text enthält immerhin eine Information, die selten mitgeteilt wurde (dass Jules Dassin aus Hollywood nach Europa gekommen war), er reagiert lakonisch auf die Lakonie des Films, nennt die Darbietung „moralfrei“ und verwendet, wie damals üblich, das Adjektiv „hart“ für Filme, die eine etwas düstere Geschichte erzählen.

Der nächste Text stammt wiederum von Gunter Groll aus der Süddeutschen Zeitung (16. Oktober 1955):

Gangster-Festival

                I

rififi (das heißt so viel wie „Wirbel“) ist teils ein Lehrfilm für Einbrecher und teils ein Einbruch des Gangsterfilm ins sozusagen unbewachte Palais der Filmkunst.

               II

Sie tun wie Festival. Sie photographieren in den Abfalleimer hinein, als wär’s eine Schatzgrube. Sehr kunstvoll. Aber es bleibt eine Kunst im Eimer.

               III

Da rauben sie also und morden, blinzeln mit Basiliskenblick und geben sich so hintergründig, als spielten sie Macbeth oder zumindest Mackie Messer – und die einen schneiden Gurgeln und die andern auch kein Brot, und die einen sind Verbrecher und die andern, sie sind tot.

               IV

Regisseur Dassin nannte sein Werk bescheiden einen „Shakespeare mit der Maschinenpistole“ (als ob ein solcher Shakespeare noch ein solcher wäre) – und hochmoralisch, meinte er , sei das Ganze auch noch: weil nämlich am Ende die Bösen erschossen sind. Wer auch sonst, darf man da fragen – denn Gute gibt’s hier ja nicht; sogar das Bübchen, der Nachwuchs, Gangsters Nesthäkchen, gebärdet sich mit Hilfe einer Spielzeugpistole bereits echt symbolisch.

               V

Freilich: Kraft und Präzision des Bildablaufs haben mitunter atem-verschlagende Intensität – und die 25 Minuten Stummfilm, als wort- und musiklos der nächtliche Juwelenraub stattfindet, sind ein Parade-stück nicht nur einbrecherischen, sondern auch filmischen Könnens. Hier schlägt dieser Schlagetot von Film jedweden Welt- beziehungs-weise Unterwelt-Rekord. Zugegeben.

               VI

rififi ist der bestgemachte und suggestivste und eben drum, so scheint mir, der gefährlichste aller Gangsterfilme: mit ungewohnter Perfektion und ungewöhnlich schlechter Luft.

               VII

Miefifi.

An dem Text von Groll, der wieder originelle Passagen hat, ist vor allem der Satz interessant: „rififi ist der bestgemachte und suggestivste und eben drum, so scheint mir, der gefährlichste aller Gangsterfilme.“ Da wird plötzlich eine moralische Kategorie eingeführt, die in den ironi-schen Sprachbildern nicht vorbereitet ist und auch ganz isoliert stehen bleibt. Sie führt uns zu den nächsten Texten, denn nun ist es an der Zeit, dass wir uns der katholischen und der evangelischen – also der kirchlichen – Filmkritik zuwenden. Sie war im Falle von himmel ohne sterne relativ uninteressant, ist es aber nicht bei einem Film wie rififi, der offensichtlich an der Moral kratzt. Zuerst, weil es in diesem Fall der harmlosere Text ist, zitiere ich den katholischen Film-Dienst (Nr. 42, 20. Oktober 1955). Vorausschicken muss ich aber einen längeren Hinweis auf die Wertungskriterien der Katholischen Filmkommission, die so formuliert sind:

Die Katholische Filmkommission hat auf Grund ihrer Richtlinien jeden Film nach folgenden Gesichtspunkten zu prüfen: nach seinem morali-schen Gehalt, seiner Wahrhaftigkeit und dem Grad seiner Lebensver-bindlichkeit; nach seiner voraus­sichtlichen positiven oder negativen Wirkung auf das städtische Durchschnittspublikum; nach seiner Eignung für bestimmte Altersstufen. Bei der Beurteilung des morali-schen Gehalts sind Inhalt und äußere Erscheinungsform des Films an den Normen der katholischen Morallehre zu messen: Bei der Beurtei-lung der Wahrhaftigkeit ist insbesondere zu berücksichtigen, wieweit der Film geeignet ist, im Betrachter falsche Vorstellungen über die Lehre der Kirche sowie über den Menschen und seine Umwelt zu wecken. Die Urteile kommen durch Mehrheits­beschlüsse zustande. Auf Grund dieser Urteile wird jeder Film in eine der folgenden, dem Klassifikationsschema der internationalen katholischen Filmberatung angepassten Wertungsgruppen eingestuft. Die Abkürzungszeichen bedeuten:

1 = Tragbar auch für Kinder, etwa ab 10. Tragbar heißt nicht: zu empfehlen oder in allen Teilen der kindlichen Verständniskraft angepasst. Ausgesprochene Kinderfilme werden im Text als solche gekennzeichnet.

1 E = Tragbar für Kinder, aber mit leichten Vorbehalten, deshalb in der Regel erst ab 12 oder, soweit besonders vermerkt, erst ab 14 Jahren.

2 J = Für Erwachsene und auch für Jugendliche ab 16. Es handelt sich um Filme, die thematisch für Jüngere nicht tragbar oder unverständ-lich sind, aber jungen Menschen, die das Leben schon kennen, nicht schaden können.

2 = Für Erwachsene. Als „erwachsen“ wird der herangereifte Mensch verstanden, der imstande ist, die Fragen des Lebens sinnvoll zu erfassen und zu beurteilen. Es handelt sich um Filme, die das Leben mit seinen Fehlern und Mängeln darstellen, ohne dies positiv zu billigen.

2 E = Für Erwachsene, mit Vorbehalten. In den Filmen dieser Gruppe finden sich einzelne Elemente, auf deren Sittenwidrigkeit das Gewissen des Besuchers aufmerksam gemacht werden sollte.

2EE = Für Erwachsene, mit erheblichen Vorbehalten. Filme dieser Gruppe verlangen eine Urteilsreife, die das Durchschnittspublikum im Allgemeinen vermissen lässt, wenn es richtige Folgerungen aus dem Filmgeschehen zu ziehen gilt.

3 = Vom Besuch wird abgeraten. Die Filme dieser Gruppe üben durch ihre Gesamttendenz oder durch sehr gehäufte bedenkliche Einzelheiten in sittlicher und religiöser Hinsicht starke negative Einflüsse auf den Durchschnitt der Besucher aus.

4 = Der Film wird abgelehnt, weil er geeignet ist, Grundanschauungen des Christentums in Glaube und Sitte zu zersetzen.

(zitiert nach dem Handbuch V. der katholischen Filmkritik, Düsseldorf 1959)

Zurück zu rififi. Der Film hatte die Bewertung 2 EE, der Kurztext der Filmkommission lautete:

Pariser Unterwelt: Zwei Verbrecherbanden kämpfen um geraubte Juwelen. Bedeutende filmische Kunstmittel im Dienste einer reißerischen Darstellung, die sich der Gefahr einer bedenklichen Idealisierung aussetzt. Erhebliche Vorbehalten und besonders für Jugendliche völlig ungeeignet.

Nun die Kritik:

Ein Verbrecher-Quartett plant einen Juwelendiebstahl und bereitet sich auf alle Einzelheiten in mathematischer Kleinarbeit vor. Als aber der schweißfordernde Raub gelungen ist, schaltet sich eine zweite Bande ein, der es weniger um den hohen Lohn für die Ergreifung der Täter als vielmehr um die Gesamtbeute geht. Der Kampf wird bis zum bitteren Ende geführt, der Tod aller Beteiligten ist der Preis, und die Beute fällt in die Hände der Polizei. – Dieser Gangsterfilm erinnert in manchem an Jean Gabins wenn es nacht wird in paris. Er besticht durch eine bedeutende Regieleistung, der in Cannes ein Preis zuerkannt wurde. Jules Dassin verschmolz die hart gesetzte Realistik amerikanischer Kriminalfilme mit den leisen Zwischentönen französi-scher Filmkunst. 25 Minuten lang fällt kein einziges Wort und es gibt keine musikalische Untermalung.

Der Autor, Wilhelm Bettecken (geboren 1919), fühlt sich an Jean Gabins wenn es nacht wird in paris erinnert (obwohl dieser Film von Jacques Becker stammt und Gabin nur der Hauptdarsteller ist), für ihn „verschmolz“ Dassin die „hart (!) gesetzte Realistik ameri-kanischer Kriminalfilme mit den leisen Zwischentönen französischer Filmkunst“ (sonst heißt es bei den Franzosen „leicht“ und „poetisch“), und natürlich wird wieder die „Atmosphäre“ beschworen. Bedauerlich findet es der Autor, dass „kein Platz für ein bisschen Gutes ist in diesem Film“ (Nihilismus!), also handelt es sich um „die Gestaltung eines zweifelhaften Stoffs“ und die setzt „überlegene, distanzfähige Besucher voraus“. Die so formulierten Vorbehalte sind ganz an der Kirchenperspektive orientiert, obwohl der Autor einige Qualitäten des Films durchaus zu erkennen vermochte.

Nun der Text aus dem Evangelischen Film-Beobachter (Nr. 44,  3. No-vember 1955). Ich zitiere die zweite Hälfte. In der ersten Hälfte wird die Handlung nacherzählt, mit dem bitteren Ende: „Nach einer furcht-baren Verfolgungsjagd ist kein einziger Lebender mehr übrig.“ Dann heißt es:

Dieser tragischen Vernichtung wegen bezeichnete Jules Dassin seinen Film als „eine Art Shakespeare, sozusagen mit der Maschinenpistole“. Er meint damit die tödliche Sühne und die damit verbundene Moral, das Unrecht Gut nicht gedeihen kann. Natürlich ist das Unsinn. Berufsverbrecher sind keine tragischen Helden.

Noch dazu in diesem Milieu, in dem das Gute überhaupt nicht existiert. Diese Unbefangenheit der Franzosen, das Verbrechen ernst zu nehmen und mit hohen künstlerischen Mitteln auszustatten, grenzt ans Ungeheuerliche. Gerade deshalb ist die Wirkung solcher Filme auf Zuschauer, die nicht hinter die Dinge blicken können, gefährlich. Sie werden sich an der dokumentarischen Genauigkeit des Kriminellen begeistern. Nur der kritische Verstand wird mit einigem Staunen zur Kenntnis nehmen, wie sich unsere Zeit eine Tragödie vorstellt. – Französischer Unterweltfilm, der mit ungewöhnlicher Spannung einen Einbruch schildert, aber seine Verbrecher zu fragwürdigen Helden macht. Für Jugendliche völlig ungeeignet. Für Erwachsene nur unter ernsten Vorbehalten.

Der Autor, Hellmut Haffner (geboren 1920), später leitender Film-redakteur im Bayerischen Rundfunk (III. Fernsehprogramm), liefert noch deutlicher und militanter als sein katholischer Kollege eine ausschließlich moralische Verurteilung des Films ab. Natürlich ist das Unsinn, was er über die Helden, das Milieu und die Unbefangenheit der Franzosen sagt, und es ist nachgerade ärgerlich, wie der Autor die Zuschauer diffamiert, „die nicht hinter die Dinge blicken können“, und sich selbst „kritischen Verstand“ attestiert.

Wie der „moralische“ Aspekt, der in vielen rififi-Kritiken eine Rolle spielte, ganz anders gewendet werden kann, soll ein Zitat aus einer Kritik von Karena Niehoff (Der Tagesspiegel, 5. Januar 1956) belegen:

Eine Romantisierung des Gangstertums? Nein, was da gezeigt wird, ist, dass in unserem Zeitalter sich auflösender Werte und Einteilungen alles nebeneinander und miteinander möglich ist: der Mensch trug Schlechtes, ohne schlecht zu sein, die Moral und die unantastbaren Rechte sind nur von dem einzelnen zu retten – der anonymen Ordnung kann man ins Handwerk pfuschen, sie ist zu fremd und zu groß geworden für den vereinsamten Menschen, als dass sie in seinem gewissen Platz hätte. (…)

Es nützt den sympathischen, sanften Glücksrittern nichts, dass Tausende Zuschauer in aller Welt ihr anerzogenes Verlangen nach säuberlicher Gerechtigkeit hier über den Haufen werfen und um ihre Helden zittern – das Werk gelingt, aber sie sind doch zum Schluss alle, alle mausetot. Dies allerdings nicht, weil das „Gute“ siegt – es gibt keine Gerechten in diesem Film, nicht einmal die Polizei darf aufopfernd für das moralische Gleichgewicht sorgen. Sie sterben, einer nach dem anderen, weil es den bösen Nachbarn so gefällt; eine zweite, sehr viel gemeinere Gangsterbande gelüstet es nach dem Golde, sie entführt das Kind des armen Joe, und der tapfere ernst Onkel Tony muss es wieder herausschießen. Kintopp das, gewiss – aber was für Kintopp. Wie die Welt immer leerer wird, weil ein Freund nach dem anderen sie verlässt und schließlich nichts als ein Koffer voll Geld und ein lustiges Kind im Auto übrig bleiben, wie diese leere Welt sich dem tödlich getroffenen Tony auf der langen Fahrt durch Paris in der Windschutzscheibe groß und gefräßig spiegelt, lautlos zerfallendes Leben von Bäumen, Steinen, Wolken, Passanten

Auch Karena Niehoff flüchtet sich streckenweise in die spöttische Ironie, aber sie bringt am Ende wenigstens die Bilder, die sie gesehen hat, interpretatorisch in eine Balance. Sie wagt Metaphern, die ihren Kritiken (damals) den Gestus einer großstädtischen Intelligenz ver-liehen. Aber auch ihr fehlt – wie allen Kritiken jener Jahre – ein komplexes ästhetisches und gesellschaftliches Verständnis des Mediums Film. Dieses Defizit wird damals – auf unterschiedlichem Niveau – durch Autoreneinfälle kaschiert: Es ist die Zeit der Pointen, der Sprachspiele, der Anspielungen. Je mehr (egal, ob im Lob oder im Verriss) einem Kritiker einfällt, umso größer ist die Intensität eines Textes. Mit dem Anlass, dem Film, hat das oft nichts mehr zu tun. Am traurigsten ist in diesem Zusammenhang das Kapitel „Genrefilm“ – und damit komme ich zu meinem dritten Beispiel.

Es ist ein wesentliches Charakteristikum der deutschen Filmkritik der fünfziger Jahre, dass sie ganz hilflos mit den Genres umging. Das Melo-dram, in dem Gefühle ernst genommen werden müssen, war ihr fremd. Auf Kriminalfilme reagierte sie mit moralischen Begriffen. Und den Western konnte sie mit ihrem traditionellen Kulturbegriff schon gar nicht begreifen. Ein „Wildwestfilm“ (wie man damals sagte) war über-haupt nur dann akzeptabel, wenn er eine Botschaft enthielt. So wurde zum Beispiel high noon geschätzt, den man sogar in zwei verschiedene ideologische Richtungen hin- und herinterpretieren konnte. Über den puren Western the man from laramie von Anthony Mann gab es keine Kritik in der FAZ, keine in der Süddeutschen Zeitung, keine in der Frankfurter Rundschau, keine in der Zeit. Ich habe drei Kurzkritiken gefunden (Western-Kritiken sind immer ganz kurz) und zitiere zu-nächst den Evangelischen Film-Beobachter (Nr. 43, 27. Oktober 1955):

Die romantische Geschichte eines abgedankten Offiziers, der nach Neu-Mexiko reitet, um den Tod seines Bruders zu rächen. Der nämlich kam ums Leben, weil von irgendeiner Seite den Indianern Waffen in die Hand gespielt wurden, mit denen sie Tod und Verderben säen. Dem Offizier gelingt es nach harten Kämpfen, den wahren Schuldigen zu stellen. Der Zufall enthebt ihn aber der Notwendigkeit, selbst zu richten. Die Indianer, die sich von ihrem Gewährsmann geprellt fühlen, besorgen das auf ebenso langwierige wie grausame Weise. Der Offizier reitet zurück in seine Heimat, nicht, ohne ein verliebtes Mädchen im Land seiner Heldentaten zurückzulassen. Ein Wildwest-film, der sich von zahllosen anderen seiner Gattung kaum unterschei-det. Was ihn aber dennoch über andere hinaushebt, ist das Spiel der gut ausgewählten Darsteller, aus denen James Stewart als „einsamer Mann“ hervorragt. Eine straffe Spielleitung lässt dramatische Spannungen vor einer wirkungsvollen Landschaft geschickt reifen.

Die „Spielleitung“ (NS-Vokabular) ist „straff“ und lässt „dramatische Spannungen geschickt reifen“. Mehr Erkenntnisse werden nicht geboten. Ganz ähnlich die Kritik im Berliner Lokalteil der Welt (8. De-zember 1955):

Die Breitwand ist das richtige Format für den Wildwestfilm – das unwahrscheinlich raue Handwerk der amerikanischen Altvorderen ist sozusagen großräumiger placiert und dadurch wirkt es in seiner Naivität natürlicher. Das Ungehobelt-Undifferenzierte muss groß-flächig ausfallen. Dies macht der – übrigens dezent kolorierte – Streifen klar, der mit dem guten Willen unserer Vorstellungskraft rech­net. Aber man geht interessiert mit und hat Freude an den Aufnahmen der groß­artigen Landschaft.

Fast eine Stilblütensammlung bietet schließlich die Kritik von Karl Heinz Krüger (heute Redakteur beim Spiegel) in der Berliner Boulevard-Zeitung Der Abend (9. Dezember 1955):

Bei dem Versuch, diese Wildwestgeschichte anspruchsvoll als Außen-seiter aufzu­räumen, geriet der Cinema­Scoper unversehens zwischen die Gäule, und so geht er weder als einschlägiger Knaller noch als Knisterer von Format über die Lein­wand. Recht etepetete sucht der Rächer aus Laramie die Wüste nach dem Mörder seines Bruders ab, er muss Nackenschläge hinnehmen, gerät in allerlei Konflikte und darf schließlich verdientermaßen triumphieren. Drei, vier Szenen wurden von Anthony Mann mit Drall inszeniert, sie rütteln den Beschauer auf, aber noch ein­drucksvoller und schweigsamer als der mäßig synchronisierte James Stewart ist die grandiose Landschaft.

Diese man from laramie-Kritiken sind schon echte Knaller, wenn man bedenkt, auf welchem Niveau zu jener Zeit in Frankreich über den Regisseur Anthony Mann reflektiert wurde. In der Bundesrepublik gab es weit und breit kein Organ von der Qualität der Cahiers du Cinéma, keinen André Bazin, kein wirkliches Sehen und Denken im Kino.

Die Filmkritik der fünfziger Jahre, aus der ich am Beispiel von himmel ohne sterne, rififi und the man from laramie zitiert habe, wurde feuilletonistisch und impressio­nistisch genannt. Sie hat Ende der fünfziger Jahre eine starke Gegenposition hervorgerufen, die sich in der 1957 gegründeten Zeitschrift Filmkritik artikulierte.

Die Kritik wurde feuilletonistisch und impressionistisch genannt und war doch keineswegs so harmlos wie das klingt. Sie hatte etwas von einer Instanz auch in der ganzen Hilflosigkeit, die wir heute erkennen, denn sie hatte diffuse politische Positionen (das konnte man an den himmel ohne sterne-Kritiken erkennen), sie hatte dezidiert moralische Positionen (wie bei rififi zu erkennen) und sie hatte die ganz impertinente Position des kulturellen Anspruchs, die schon daran zu erken­nen ist, dass die Kritiker der so genannten „ersten Garnitur“ über bestimmte Filme gar nicht erst geschrieben haben. Und heute wissen wir, dass diese vernach­lässigten Filme oft die besten waren.

In Italien hat eine Gruppe von Filmkritikern aus der ständigen Auseinandersetzung mit der herrschenden faschistischen Ideologie heraus den Neorealismus als authentische künstlerische Sublimierung des Zweiten Weltkriegs vorbereitet und unterstützt. In England hat eine Gruppe von Filmkritikern – die zum Teil später Regisseure wurden – dem britischen Kino auf der Suche nach seiner realistischen Tradition eine wichtige Orientierung gegeben. In Frankreich haben die späteren Nouvelle-Vague-Regisseure als Filmkritiker ihre intellektuel-len Erfahrungen im Kino gemacht, und sie sind dabei nicht blind für die ästhetische und gesellschaftliche Interdependenz gewesen. Dies passierte in Italien in den vierziger, in England und Frankreich in den fünfziger Jahren, die für den deutschen Film und die deutsche Filmkritik eine Phase gedanklicher Waglosigkeit waren.

In München, Berlin, Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, Köln, Stuttgart saßen in den Redaktionen der größeren Zeitungen Filmkritiker (fest angestellt oder freiberuflich), die oft ohne fachliche Voraus­setzungen (zuweilen wenigstens schreibbegabt) die neue Meinungsfreiheit ausnutzten. Ihre Unsicherheit versteckten sie hinter dem Wortschwall erzählter Plots oder gefühlter Geschmacksurteile; über Form und Strukturzusammenhänge dachten sie wenig nach, gemeinsame Seherfahrungen konnten sie, weit entfernt voneinander arbeitend,

Hinzukommt, dass der deutsche Film jener Jahre überhaupt keine Herausforderung für die Kritik war. Der deutsche Film der fünfziger Jahre – das muss man jedenfalls in einem Nebensatz sagen – war geprägt von Kontinuität zu den dreißiger und vierziger Jahren. Es gab keine Veränderungen in der Ästhetik, es gab auch kaum Verände-rungen unter denen, die Filme gemacht haben. Filme der fünfziger Jahre wurden genauso geschrieben, fotografiert, beleuchtet, geschnitten wie die der dreißiger und vierziger Jahre, auch wenn man natürlich versucht hat, teilweise wenigstens neue Inhalte zu transpor-tieren. Die Veränderung des bundesdeutschen Films fand erst in den sechziger Jahren statt.

Auf der Ebene der Filmkritik wurde sie allerdings schon in den fünfziger Jahren vorbereitet. Eine Gruppe intellektueller Cineasten, die zum Teil zusammen studiert hatten und sich vor allem bei den jähr-lichen Filmclubtreffen (u.a. in Bad Ems) zusammenfanden, begann ab 1955 von einer neuen, ideologischen Position aus, über Filme zu schreiben: in den Frankfurter Heften, der Filmclubzeitschrift filmforum, der neu gegründeten und nach drei Heften eingestellten Zeitschrift film 56 und dann, ab 1957, in der Filmkritik, die bis in die späten sechziger Jahre von der neuen, „linken“ Kritik beherrscht wurde. Frieda Grafe resümiert (Filmkritik, Oktober 1966):

Der Elan der Anfänge von Filmkritik kam aus der Frontstellung gegen das feuilletonistische und weltanschauliche Geschwafel, das in Deutschland als Filmkritik sich ausgab. Es hatte den Film als Kunst-medium derart in Misskredit gebracht, dass – als positive Folge – die Bildungsbürger ihm bis heute vom Hals blieben. Die Pioniere der Filmkritik versuchten zunächst einmal, aus dem Film ein ordentliches Objekt der Kunstbetrachtung zu machen, und zwar mit einer vorwie-gend an der Soziologie orientiert Methode. Es war nur vernünftig, sich des Prestiges der Wissenschaft zu bedienen, und es war nahe liegend, auf Raster und ein Vokabular von Objektivität zurückzu-greifen, um sich gegen subjektivistischen Schwulst abzusichern.

Der Kampf, den die neuen (jungen) deutschen Filmemacher gegen „Papas Kino“ geführt haben, fand also schon ein paar Jahre früher zwischen den neuen (jungen) deutschen Filmkritikern und Papas Filmjournalismus statt. Ohne folgenreiche Manifeste und interna-tionales Aufsehen. Aber die neuen Autoren – ich nenne hier nur: Wilfried Berghahn, Helmut Färber, Frieda Grafe, Ulrich Gregor, Theodor Kotulla, Uwe Nettelbeck, Enno Patalas, Martin Ripkens, Günter Rohrbach, Hans Stempel, Reinold E. Thiel, Heinz Ungureit – haben natürlich die Päpste der fünfziger Jahre – ich habe Gunter Groll, Karl Korn, Hannes Schmidt, Georg Ram­seger, Wilhelm Bettecken, Hellmuth Haffner, Karena Niehoff und Karl Heinz Krüger (stellvertre-tend) zitiert – glatt besiegt; die meisten durch k.o., Groll und Niehoff nach Punkten. Aber Vorsicht vor Metaphern. Die waren bei der neuen, nüchternen Kritik nicht sehr beliebt.

Marburg, Philipps-Universität, Institut für Neuere deutsche Literatur, 15. November 1985.

Nachgedruckt in: Augen-Blick, Nr. 4, November 1987.