Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
August 2018

David Lynch und Kristine McKenna
Traumwelten
Ein Leben
München, Heyne Verlag 2018
766 S., 25 €
ISBN 978-3-453-27084-8

David Lynch/Kristine McKenna:
Traumwelten.
Ein Leben

Seine Filme sind voller Geheimnisse und fern von jeder Realität. Sie beschreiben Traumwelten. Spätestens seit THE ELEPHANT MAN ist David Lynch (*1946) ein Filmemacher, über den sich viele Menschen ihre Gedanken machen. Jetzt hat er – zusammen mit der Journalistin Kristine McKenna – eine Autobiografie verfasst, die uns den Zugang zu seinem künstlerischen Schaffen öffnet. Sie ist fast zeitgleich in Deutschland (bei Heyne) und Amerika erschienen.

In 15 Kapiteln wird, weitgehend chronologisch, das Leben von David Lynch aus zwei Perspektiven erzählt: Kristine McKenna hat umfassend recherchiert und viele Gespräche mit Freundinnen und Freunden, Ex-Ehefrauen, Schauspiele­rinnen und Schauspielern und künstlerischen Mitarbeiter*innen von David Lynch geführt. Ihrem Text folgen jeweils die persönlichen Erinnerungen des Protago­nisten. Hier und da führt das zu Redundanzen, aber insgesamt ergänzen sich die beiden Erzähl-ebenen sehr gut.

David Lynch kam im Januar 1946 in Missoula, Montana, zur Welt. Sein Vater arbeitete als Agrarwissenschaftler, die Mutter, gelernte Sprachlehrerin, kümmerte sich um die Kinder. David hatte zwei jün-geren Geschwister, einen Bruder und eine Schwester. Es gab aus beruf-lichen Gründen häufige Wohnungswechsel: nach Idaho, Washington, North Carolina, wieder nach Idaho und schließlich nach Virginia. Die Erziehung war presbyterianisch. Seine Kindheit und Jugend empfindet David im Rückblick als glücklich. Ein Hobby war die Malerei. Zusam-men mit einem Freund bezieht er nach der Highschool ein Atelier, sie bewerben sich erfolgreich an der School of the Museum of Fine Arts in Boston, unternehmen eine Europareise, wechseln 1966 an die Penn-sylvania Academy of Fine Arts in Philadelphia und langsam beginnt die Wendung von der Malerei zum Film. Es entsteht THE ALPHABET, David bekommt ein Stipendium am American Film Institute in Los Angeles, realisiert dort THE GRANDMOTHER und erhält einen Studienplatz am neuen Center of Advanced Filmstudies des AFI.

Die Geschichte seines nächsten Projekts, ERASERHEAD, dauert vier Jahre, ist mit finanziellen und kreativen Krisen verbunden, endet aber mit einem beachtlichen Erfolg. Dann folgen in den 80er Jahren ELEPHANT MAN, DUNE und BLUE VELVET, in den 90ern WILD AT HEART („Goldene Palme“ in Cannes), die Serie TWIN PEAKS und der Film TWIN PEAKS, LOST HIGHWAY und THE STRAIGHT STORY. Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der Filme von David Lynch gesunken: MULHOLLAND DRIVE (2001), INLAND IMPIRE (2006), eine zweite Serie von TWIN PEAKS (2017). Der Zuspruch der Zuschauer wurde geringer, die Interessen von Lynch verlagerten sich zur Musik, zur Fotografie, zum Video.

Zum Leben von David Lynch gehören wechselnde Beziehungen, seine erste Ehe mit Peggy Reavey dauerte sieben Jahre, seine zweite mit Mary Fisk, der Schwester des engsten Freundes, zehn Jahre, eine Liaison mit Isabella Rossellini vier Jahre, seine dritte Ehe mit der Editorin und Pro-duzentin Mary Sweeney einen Monat, seine vierte mit der Schauspie-lerin Emily Stofle bisher neun Jahre. Sie alle kommen im Buch ausführ-lich zu Wort. Wichtiger als das Familienleben war Lynch – nach eigener Aussage – seine künstlerische Arbeit.

Über diese Arbeit erfahren wir von der Journalistin McKenna und dem Künstler Lynch viel. Vor allem: über die organisatorischen Probleme, die Zusammenarbeit mit den Protagonisten der verschiedenen Gewerke, die Produktionsbedingungen. Wie in einem Puzzle fügen sich Schau-spielerinnen und Schauspieler und das Team der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Beginn einer Produktion zusammen, werden zum Teil ausgetauscht und wissen, dass sie sich auf eine intensive Arbeit ein-lassen. Werkdeutungen darf man von dem Buch nicht erwarten. Ins Innere der „Traumwelten“ von David Lynch, in die immer wieder das Grauen eindringt, bekommen wir keinen Einblick. Wer mit seinen Filmen vertraut ist, wird dieses Buch dennoch mit großem Gewinn lesen.

Zwischen die einzelnen Kapitel sind aufschlussreiche Fotostrecken eingefügt. Eine sehr präzise Filmografie, eine Auflistung der Lynch-Ausstellungen und ein Register schließen den Band ab.

Coverfoto: David Lynch als Kind, fotografiert von seiner Mutter Sunny.

Mehr zum Buch: 499945.rhd