Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Oktober 2009

Chris Wahl:
Sprachversionsfilme aus Babelsberg
Die internationale Strategie der Ufa 1929–1939
edition text + kritik, München 2009
458 Seiten + DVD, 38 Euro
ISBN 978-3-88377-948-5

Chris Wahl:
Sprachversionsfilme aus Babelsberg.
Die internationale Strategie der Ufa 1929–1939

Das Titelbild ist eine Montage. Drei Schauspieler blicken uns an: der Engländer Esmond Knight, der Deutsche Willy Fritsch und der Franzose Jean Galland. Sie spielten jeweils die männliche Hauptrolle in den drei Versionen des Films SCHWARZE ROSEN (1935) von Paul Martin. Die sprachmächtige Lilian Harvey – am unteren Bildrand – schaffte das für die weibliche Hauptrolle allein. Das Buch behandelt die internationale Verbreitung von Erfolgsfilmen nach der Einführung des Tonfilms. Es geht um Ökonomie, Politik, Technik und Kultur in einer Zeit größerer Umbrüche.

Die Umstellung vom Stummfilm auf den Tonfilm begann in Deutschland 1929 – zwei Jahre später als in den USA – und wurde vehement von Europas mächtigstem Filmkonzern, der Ufa, betrieben, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Innerhalb von zwei Jahren dominierte in Deutschland der Ton das Kino. Als problematisch erwies sich dies für die ausländischen Filme, weil die Synchronisation zunächst technisch schwierig war und vom Publikum nicht gemocht wurde. Die Vorführung von Originalfassungen oder Untertitelungen blieb andererseits die Ausnahme. Für den europäischen Markt erfand man die „Sprachversionen“. Die Erfolg versprechenden Projekte wurden parallel mit meist unterschiedlichen Hauptdarstellern in deutscher, englischer und vor allem französischer Sprache realisiert. Koregisseure sorgten für die notwendige Assimilation. In vielen Fällen gab es zwischen den Versionen große Unterschiede, die aber nur beim unmittelbaren Vergleich ins Auge fielen. Die Konjunktur für Sprachversionsfilme endete Mitte der 1930er Jahre.

Corinna Müller hat in ihrem Buch Vom Stummfilm zum Tonfilm (München 2003) die generellen Prozesse der Umstellung beschrieben. Chris Wahl konzentriert sich in seiner Untersuchung auf den speziellen Aspekt der Sprachversionen, der mit viel politischer und ökonomischer Bedeutung aufgeladen ist. Nicht nur das Jahr 1933 mit der Machtübernahme der Nazis spielte in diesem Zusammenhang eine Rolle. Die herrschenden Spannungen innerhalb Europas und die Konkurrenz zu Amerika beeinflussten die Entscheidungen der Produktionsfirmen, speziell der Ufa. Das komplexe Geflecht politischer Vorgaben und ökonomischer Interessen wird vom Autor thematisiert und in seine Bestandteile zerlegt. Ich kenne kein Filmbuch aus jüngerer Zeit, das so gründlich recherchiert und so quellenreich abgesichert erscheint. Rund 1.600 Fußnoten zeugen vom Fleiß, von der Ausdauer und vom Spürsinn des Autors. Wenn man weiß, wie kompliziert gerade bei den Sprachversionsfilmen die Quellenlage ist, erhöht sich der Respekt vor der Arbeitsleistung von Chris Wahl. Verbunden damit ist allerdings eine vergrößerte Anstrengung für den Leser, weil kaum ein Satz ohne Hinweise aufs Kleingedruckte zu rezipieren ist. Andererseits wirkt die Struktur mit sechs Hauptkapiteln, in denen zunächst definiert und der Gegenstand dann chronologisch abgearbeitet wird, logisch und übersichtlich. Und einigen Filmen – zum Beispiel DER KONGRESS TANZT, DIE DREI VON DER TANKSTELLE oder ICH BEI TAG UND DU BEI NACHT – kommt man bei der Lektüre doch wieder sehr nahe, weil ihre innovativen Momente deutlich gemacht werden. Am Ende – vor der Filmografie, der Bibliografie und den Registern – werden in einer „Fallstudie“ Versionen und Remakes von VIKTOR UND VIKTORIA behandelt. Das liest sich wie eine Hommage an den Regisseur Reinhold Schünzel. Die beigefügte DVD enthält in technisch grenzwertiger Qualität Ausschnitte aus wichtigen im Buch behandelten Filmen. Hilfreich wäre eine kleine biografische Notiz über den Autor gewesen. Er hat eine Dissertation mit dem Titel Das Sprechen des Spielfilms. Über die Auswirkungen von hörbaren Dialogen auf Produktion und Rezeption, Ästhetik und Internationalität der siebten Kunst verfasst (Trier 2005) und dankt in der Einleitung seinem Vater „für seine unerschütterliche Standfestigkeit und unverhältnismäßige Großzügigkeit“. Daraus dürfen wir schließen, dass in dieses Buch viel Zeit investiert wurde. Es hat sich gelohnt.