Filmbuch-Rezensionen
Filmbuch des Monats
Dezember 2008

Klaus Kreimeier
Prekäre Moderne
Essays zur Kino- und Filmgeschichte
Schüren, Marburg 2008
262 S., 19,90 €
ISBN 978-3-89472-626-3

Klaus Kreimeier:
Prekäre Moderne.
Essays zur Kino- und Filmgeschichte

Von ihm stammt eines der wahrhaft großen Filmbücher des letzten Jahrhunderts: „Die Ufa Story“, publiziert im Hanser Verlag 1992, zum 75. Geburtstag des Filmkonzerns: sorgfältig recherchiert, brillant in der Analyse, glänzend geschrieben. Es gehört zu den wenigen deutschen Filmbüchern, die ins Englische, Französische und Japanische übersetzt wurden.

Der Autor, Klaus Kreimeier (* 1938) ist Filmhistoriker und Medien-wissenschaftler. Sein Lebens- und Berufsweg verlief kurvenreich: Dr. phil., Fernsehdramaturg, Kulturredakteur beim Spiegel, freier Autor, Dozent an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Das war dann schon die Zeit der so genannten K-Gruppen, und er fand seine Heimat bei der KPD-ML (oder war es die KPD-AO?). Sein Buch „Kino und Filmindustrie in der BRD“ (1973) war damals nicht nur für mich ein ärgerliches ideologiekritisches Pamphlet. An der Universität Oldenburg verlor er seine Professur auf Grund des Radikalenerlasses, in Osnabrück habilitierte er sich als Medienwissenschaftler, im hessischen Marburg wurde seine Berufung dann aus politischen Gründen abgelehnt. Erst 1997 kam er zu einer späten Professur in Siegen. Die verdiente Anerkennung als Autor fand Klaus Kreimeier vor allem in den achtziger und neunziger Jahren als Mitarbeiter der Frankfurter Rundschau, der Zeit, der taz, mit einem Buch über afrikanische Literatur, mit großen Texten für die „Reihe Film“ und mit jener berühmten „Ufa-Story“, an der er fünf Jahre gearbeitet hat. Das war, sozusagen, sein großer Roman. Wie gut er auch in der Kurzgeschichte ist, beweist uns die Anthologie „Prekäre Moderne.“

23 Texte aus den vergangenen zwanzig Jahren versammelt dieser Band. Die Auswahl folgt einer eigenen Chronologie und beginnt mit einer sehr individuellen Hommage an das Kino: wir begleiten den siebenjährigen Jean-Paul Sartre ins Lichtspieltheater des Jahres 1912 und sehen – auf der Basis seiner autobiografischen Erinnerungen – Helden wie FANTOMAS und MACISTE. Das stimmt uns ein auf Kreimeiers Reflexionen über das Staunen und das Lachen im Kino, über den Besuch des deutschen Kaisers bei seinem habsburgischen Kollegen in Wien 1910 mit dem gemeinsamen Gang ins Kinematographentheater („Die doppelte Verdoppelung der Kaiser-Ikone“) und über die Anarchie der Marx Brothers. In sieben Porträts skizziert der Autor dann in bewundernswerter Präzision Marlene Dietrich und Conrad Veidt, Erich von Stroheim, Friedrich Wilhelm Murnau und Fritz Lang (zugespitzt auf seine deutschen Filme), Reinhold Schünzel und Karl Hartl, dem er eine verdiente Ehrenrettung angedeihen lässt. Drei spezielle Diskurse sind dem Regisseur Richard Oswald, dem NIBELUNGEN-Film von Lang und dem Ufa-Film WEGE ZU KRAFT UND SCHÖNHEIT gewidmet. „Übergänge“ heißt die verbindende Überschrift für Texte über Pabsts L’ATLANTIDE, Buñuels WÜRGEENGEL, Godards A BOUT DE SOUFFLE, Harun Farockis frühe Filme und die Kameraarbeit in Romuald Karmakars TOTMACHER. Zu Klaus Kreimeiers großen Qualitäten gehörte schon immer sein aufmerksamer Blick auf Bruchstellen in der Filmgeschichte: technische, politische, ökonomische. So finden wir im letzten Kapitel der Textsammlung zwei Essays über die „Kino-Ikonografie im Fernsehen“ und über das Verhältnis zwischen Film und Computer: alte Bilder – „neue Bilder“. Und, ganz am Ende, bedenkenswerte Überlegungen zu einer Fotografie von Paul Strand: ein Blick auf die Wall Street aus dem Jahr 1915.

Im Mittelpunkt steht bei allen Texten das Konkrete, das Sichtbare. Es geht um Bilder (auch mal um Töne): wie sie entstehen, wie sie montiert und rezipiert werden. Es wird dabei immer die Zeit bedacht, aus der die Bilder (Filme) stammen und in der sie von Künstlern und Handwerkern geschaffen wurden. Kreimeiers Horizont ist weit, sein Stil brillant. Er verirrt sich nie in definitorischen Labyrinthen, er ist kein Beckmesser und schon gar kein Schwadroneur. Das bescheinigt ihm auch Karl Prümm in seinem zugeneigten Vorwort, in dem es um die bewundernswerte Fähigkeit des Autors Klaus Kreimeier geht, das Sehen in Sprache zu übersetzen.